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Tag 13: Makabre Gedanken und eine Barbie für Arme

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Wie werde ich den heutigen Tag verbringen? Wie oft im Laufe der quälend langsam verstreichenden Stunden meinen Ex-Freund verfluchen? Und wie häufig werde ich ihn und seine neue Freundin im Geiste massakrieren und vor dem inneren Auge dahinscheiden sehen? Meine Fantasie in Bezug auf diese in der Vorstellung recht abwechslungsreich gestalteten Doppelmorde als blühend zu bezeichnen, wäre ironisch – meine destruktiven Visionen hinterlassen nur verbrannte Erde, in der garantiert nichts mehr gedeiht. Und ich genieße sie, meine geistig zelebrierten Bluträusche, in denen Kettensägen, Glasscherben und ätzende Säuren keine unwesentlichen Rollen spielen, ebenso wie mich reuevoll um Vergebung anflehende Opfer, die im Finale des Vergeltungsakts qualvoll verrecken.

Aber die noch viel wichtigere Frage neben der, wie oft ich in meiner Vorstellung zur Zeugin, Richterin und Henkerin in einer Person werde, ist: Wie oft würde ich heute wieder daran denken, nicht nur das Leben anderer Personen, sondern auch mein eigenes zu beenden? In den letzten zwölf Tagen geschah dies bestimmt zwanzigmal! Mindestens zehn von rund fünfzig mir eingefallenen Möglichkeiten, Selbstmord zu begehen, habe ich ernsthaft in Erwägung gezogen, die anderen vierzig könnte man als masochistische Hirnwichserei bezeichnen. Doch die verbliebenen Varianten sind durchaus praktikabel, um sich aus dem Spiel zu nehmen und vom Diesseits ins Jenseits zu befördern, auch wenn sie sicherlich nicht häufig vorkommen. Bei etwa der Hälfte davon wird das Duell mit dem Sensenmann einsam ausgetragen, die verbliebenen Versionen eignen sich dafür, als öffentliches Spektakel inszeniert zu werden.

Aber vielleicht murkse ich mich letztendlich doch mittels einer der gängigeren Arten ganz seriös ab: Ich lege zuerst die Vinylscheibe (ja, ein paar von denen existieren noch außerhalb eines Museums) mit dem Song »Gloomy Sunday« auf den Plattenspieler (ja, ich besitze so ein Ding) und mich dann in die mit warmem Wasser gefüllte Badewanne. Anschließend schneide ich mir die Pulsadern an den Handgelenken auf – klar, der Länge nach, ich bin doch kein Amateur – und blute langsam aus, bis mein Körper nur noch eine blasse Hülle ist und sich die Seele hoffentlich auf einem psychedelischen Ritt ins Universum befindet. Doch zuvor würde ich jede Menge Maiskörner essen – für die Party danach, wenn mein Leichnam, wie von mir gewünscht, in den Verbrennungsofen geschoben wird. Plopp, plopp, plopp! Übrigens, falls Sie es nicht wissen: Bei »Gloomy Sunday« handelt es sich um ein im Jahr 1933 komponiertes Lied des ungarischen Pianisten Rezső Seress, auch bekannt als »Lied der Selbstmörder«. Obwohl der melancholische Titel, den bis heute über fünfzig verschiedene Musiker interpretiert haben, von staatlicher Seite nie verboten wurde, weigerten sich früher viele Radiosender, dieses Lied zu spielen.

Doch zurück zur Entleibung. Befremdlich finde ich die Aussage mancher Suizidaler, mit ihrem Freitod niemanden belasten zu wollen. Ich denke, sogar eine Ameise würde mit ihrem Selbstmord andere Ameisen verdrießlich stimmen … Wie sollte es dann einem Menschen gelingen, von der Trauer der Angehörigen und Freunde einmal abgesehen, niemanden in Mitleidenschaft zu ziehen? Was ist mit den Leuten, welche die Leichenteile der von Dächern gesprungenen Personen aufsammeln und später zusammenpuzzeln oder nach einem Kopfschuss Blut und Hirnmasse der Lebensüberdrüssigen von den Wänden kratzen müssen? Auch wenn es zum Berufsrisiko zählt: Emotional wenig erfreulich ist der Anblick eines qualvoll gestorbenen Menschen in jedem Fall. Und unaufdringliche Todesarten, die keinen zerfetzten, von diversen Körperflüssigkeiten besudelten oder aufgeblähten Leichnam hinterlassen, sind selten. Mir fiele zur Entlastung der involvierten Personen nur ein: sich in einer kühlen Aufbahrungshalle mit Spucklätzchen um den Hals und Windel in der Hose vergiften und im Augenblick des Todes versuchen, die schrecklichen Schmerzen zu ignorieren und einen glücklichen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Auf diese Weise belastet man womöglich so wenig Mitmenschen wie möglich. Ansonsten … schwierig, schwierig, meinen Sie nicht auch?

Und dann wäre da noch das Testament, dessen Aufsetzung ein kniffliges Unterfangen darstellt. Ich könnte mich niemals einfach so aus dem Staub machen und mein Nachleben ungeregelt hinterlassen – so wie ich es auch nicht fertigbrächte, in den Urlaub zu fahren, ohne vorher meine Wohnung aufzuräumen. Ordnung muss sein.

Natürlich müssten in diesem Dokument nicht nur die Vererbungsanweisungen, sondern auch die Bestattungs- beziehungsweise Kompostierungswünsche meiner sterblichen Überreste festgehalten werden. Da ich mich nicht als Wurmfutter sehe, lasse ich mich in den Ofen schieben und pulverisiert irgendwo aufstellen oder eingraben. Und beim Brennen … Sie erinnern sich: plopp, plopp, plopp!

Worüber ich mir neben Selbstmordvarianten, Hinterlassenschaftsregelungen und Verfahrensvarianten mit meiner Leiche so meine Gedanken mache, sind Wiedergeburt und karmische Altlasten. Ich verspüre wenig Lust darauf, noch ein weiteres Mal einen Fuß auf diese Welt zu setzen, auf der es sich höchst unsicher existiert, man jederzeit von einem Meteoriten erschlagen, einer Springflut ersäuft oder einem Terroristen erschossen werden kann und nur die Erdanziehungskraft verhindert, dass einen das Weltall in seine unendlichen Weiten saugt. Noch dazu, wo man gar nicht weiß, als was man wieder in das irdische Leben befördert wird, womöglich als Hausstaubmilbe oder Blobfisch. Na, vielen Dank auch! Hätten Sie darauf etwa Lust? Seit Jahren versuche ich, nur noch leichtfüßig durch die Gegend zu tänzeln, damit ich nicht versehentlich einen Wurm zertrete. Keine Lust auf mieses Karma!

Ich stelle fest, dass ich immer noch in der Küche sitze und schon eine halbe Stunde lang nicht mehr an Tom gedacht habe … okay, jetzt schon … und mittlerweile kalten Kaffee schlürfe, obwohl ich die Schönheit jetzt auch nicht mehr brauche.

Es ist fast Mittag. Soll ich mich ins Wohnzimmer schleppen und mich vom Fernseher anplärren lassen? Bin ich schon dazu in der Lage, endlich den Artikel über die Vor- und Nachteile von Online-Dating aus der Sicht einer Frau zu verfassen, auf den Gregor, mein Redaktionschef, wartet? Wenn ich nur daran denke, diese Thematik zu betexten, möchte ich mich über die Klomuschel hängen und kotzen oder vom Balkon stürzen. Nein, ich bin eindeutig noch nicht so weit, über Flirts, Liebe und Sex zu schreiben. Vielleicht morgen. Vielleicht. Ein bisschen Zeit gibt mir mein Vorgesetzter sicher noch, außerdem bin ich offiziell bis Ende der Woche im Urlaub.

Seufzend schütte ich den Rest des Kaffees weg und stehe danach unschlüssig herum. Welchen Weg werde ich einschlagen? Den nach rechts ins Wohnzimmer oder nach links geradewegs zurück ins Bett?

Das Handy läutet. Es ist meine Mutter, die hören will, ob ihre Tochter immer noch in Selbstmitleid badet oder schon darin ertrunken ist. Wenn ich nicht rangehe, steht sie womöglich in einer halben Stunde vor der Tür, räumt mich – meine Einwände und das ausgesprochene Zutrittsverbot ignorierend – beiseite und dann im Anschluss vermutlich die Wohnung auf. Dabei würden garantiert Worte wie »Rücksichtslosigkeit«, »Saustall« und »Katastrophe« fallen, gemurmelt selbstverständlich, damit man im Fall der Fälle abstreiten kann, so etwas jemals gesagt zu haben. Im schlimmsten aller Szenarien hätte sie eine Schüssel mit gelblichgrauer Flüssigkeit in ihrer riesigen Altfrauentasche und würde mich mit Plattitüden wie »Hühnersuppe heilt Körper und Seele« foltern. Zudem kenne ich ihre Kochkünste: Ich würde angeekelt vor der gesund und daher fettarm produzierten Plörre sitzen und feststellen, dass mehr Augen in den Teller hinein- als herausschauen.

Angesichts dieser Horrorvision gehe ich ans Telefon und melde mich mit einem fröhlichen »Hallo!«. Meine Mutter wartet etwa drei Sekunden lang, bevor sie antwortet – ich hoffe, die Pause ist nicht aus der Überraschung heraus entstanden, dass ich noch lebe.

»Kind!«, ruft sie, ebenfalls betont munter. »Wie geht es dir?« Bevor ich antworten kann, beginnt sie wie eine im Zeitlupentempo feuernde Maschinenpistole, die Eckdaten ihrer Erlebnisse der letzten beiden Tage herunterzurattern: Tante Elisabeth getroffen, Laub gerecht, Vater zum Arzt gefahren … »Und wann kommst du endlich bei uns vorbei?«, endet sie nach einer gefühlten Stunde, ohne wissen zu wollen, wie es mir geht. »Du willst doch nicht, dass Papa und ich uns noch mehr Sorgen machen, als wir das ohnehin schon tun!«

»Mama, bitte!«, entgegne ich, der Demoralisierung angesichts dieser Aussage, die als Feststellung formuliert war, nicht als Frage, trotzend.

Sie lässt einen Seufzer hören, der von einer höheren Macht Anteilnahme für dieses undankbare Kind einfordert und mir zusätzlich ein schlechtes Gewissen machen soll – erfolglos natürlich. Dort, wo andere Töchter ein sensibles Gespür für die Stimmungen ihrer Mütter entwickelt haben, existiert bei mir nur emotionale Hornhaut.

Nach dem Gespräch lege ich mit einem roten Ohr und schwachem temporären Tinnitus auf, froh, das Telefonat ohne weitere Schramme auf meiner angeknacksten Psyche hinter mich gebracht zu haben.

Aber: Ich war wieder zwanzig Minuten lang von meinem Kummer abgelenkt und musste nicht an Tom denken. Dafür ist er jetzt wieder umso raumfüllender in meinem Kopf.

Nach erledigter Arbeit und damit einhergegangener Bekämpfung des Schamgefühls für die Müllorgie – ich hatte beispielsweise eine Deponie von rund hundert tränenfeuchten und rotzklebrigen Taschentüchern zu entsorgen – stelle ich mich ans Fenster und starre in die Tagverdunkelung. Witzig, dass die Bäume vor meinem Wohnzimmerfenster bei einbrechender Finsternis kollektiv einen Schritt nach vorne zu schreiten scheinen, als wollten sie das Haus stürmen. Der böige Herbstwind fegt durch die Landschaft, feuchte Blätter vor sich hertreibend und eines davon direkt vor meiner Nase an die Scheibe klatschend. Gleich darauf ist es mucksmäuschenstill, fast endzeitmäßig, wie vor einem jeden Moment über die Erde hereinbrechenden Inferno – ich höre nur noch, wie die Uhr an meinem Handgelenk die Sekunden aus meinem Leben tickt. Während anschließend die ersten im Mondlicht silbern schillernden Regentropfen zu Boden fallen, versuche ich, mich darauf zu konzentrieren, was in meinem Leben gut, schön und unproblematisch ist. Wirklich viel fällt mir im Moment nicht ein, was an meiner negativen Grundhaltung und Leckt-mich-alle-am-Arsch-Stimmung liegen mag.

Seit Tom weg ist, ist alles irgendwie nur halb, bemerke ich in einem Anfall von Sentimentalität. Um nicht zu sehr zu vergeistigen, beschließe ich, ab sofort die Gedanken an meinen Ex-Freund – so wie ich es heute ohnehin schon den ganzen Tag mache, ohne es mir vorgenommen zu haben – zu zählen. Erstens ist es irgendwie tröstend, zweitens habe ich dann mehr Stoff für einen Psychiater, sollte ich jemals das Bedürfnis verspüren, einen aufzusuchen. Heute waren es zwölf, stelle ich fest.

Anschließend wende ich mich vom Fenster ab, einem körperlichen Bedürfnis zu und gehe zu Bett – natürlich nicht, ohne vor dem Einschlafen ein weiteres Mal an Tom und seine Barbie für Arme denken zu müssen.

101 GEDANKEN AN TOM

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