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Einführung

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Zeuge als häufigstes Beweismittel. Der Zeuge ist das häufigste Beweismittel im Strafprozess. Streitet die Aussage des Beschuldigten gegen die des Zeugen, entscheiden oft seine Angaben über Einstellung oder Anklage, Freispruch oder Verurteilung. Dann kommt es entscheidend auf die Qualität seiner Aussage an.

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Überzeugungsgrundlage. In der Regel hat sich der Strafjurist die Beurteilung der Zeugenaussage grundsätzlich auch ohne Fachkenntnisse zuzutrauen. Hierin wird er durch jahrzehntelange gefestigte Rechtsprechung gestärkt, wonach die Beurteilung von Zeugenaussagen ureigenste Aufgabe des Tatrichters ist. Gleichwohl entsteht in der Praxis häufig der Eindruck, dass er bei der Beurteilung jedoch nicht auf wissenschaftliche aussagepsychologische Erkenntnisse zurückgreift, sondern sich vornehmlich auf seine Lebenserfahrung und Menschenkenntnis verlässt und bei der Überzeugungsbildung vor allem auch seiner Eindrucksbildung folgt. Insbesondere ist oft nicht bekannt, wie sehr z. B. die Voreinstellung des Befragers Einfluss auf die Aussage haben kann. Vielfach vollziehen Richter auch nur die Ermittlungsergebnisse nach und versuchen den Zeugen auf seine polizeilichen Aussagen festzulegen, ohne um die Bedeutung der Entstehungsgeschichte der Aussage zu wissen und diese aufzuklären.

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Aussagepsychologische Literatur. Seit Ende der neunziger Jahre gibt es zahlreiche aussagepsychologische Fachbücher, die z. T. jedoch zwischenzeitlich vergriffen und in juristischen Bibliotheken meist nicht zu finden sind, aber auch eine Vielzahl von Neuerscheinungen, die in die 2. Auflage eingearbeitet sind.

Daneben finden sich auch zahlreiche aktuelle – in diesem Buch angesprochene – psychologische Aufsätze.

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Strafjuristen sind bei der Suche nach Entscheidungen und strafrechtlicher Literatur an systematische Zusammenstellungen gewöhnt, die in der Aussagepsychologie so nicht zu finden sind.

Dass dem Juristen die aussagepsychologische Literatur nicht leicht zugänglich ist, ist die Idee geschuldet, für den Strafjuristen eine systematische Zusammenstellung zu fertigen, die als Nachschlagewerk auch für den Psychologen interessant sein kann.

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Mit Blick auf die stete Ausweitung des Opferschutzes sind in dieser Auflage Hilfsorganisationen, die den „parteilichen Umgang“ mit dem Zeugen propagieren besonders in den Blick genommen worden, da diese beratend vor und nach Anzeigenerstattung tätig werden und die damit einhergehende potentielle Einflussnahme auf den Inhalt der Aussage bislang nicht hinreichend aussagepsychologisch und rechtlich diskutiert ist.

2. Auflage. Auch mehr als zehn Jahre nach der BGH – Grundsatzentscheidung zu den wissenschaftlichen Anforderungen, die an aussagepsychologische Gutachten zu stellen sind, haben sich die aussagepsychologischen Fachkenntnisse der Justiz, aber auch vieler Gutachter nicht wesentlich verbessert. Mein Eindruck ist, dass Sachverständige augenscheinlich den Anforderungen des BGH genügen wollen, tatsächlich offenbaren viele Gutachten aber mangelnde Kenntnisse einer am Sachverhalt orientierten Hypothesenbildung und ein mangelndes Verständnis von dem aussagepsychologischen Suggestionskonzept. Vor allem autosuggestive Einflüsse werden vielfach nicht erkannt. Manche Sachverständige scheitern schon an einer hinreichenden Explorationstechnik. Mit der Hypothesenbildung „steht und fällt“ das Gutachten; deshalb ist ihr in der 2. Auflage eine ausführliche Darstellung gewidmet, die sich in Teil 3 III (Rn. 357 ff.) und IV (Rn. 376 f.) findet.

In Literatur und Rechtsprechung sind bislang die möglichen Einflussnahmen durch Mitarbeiter sog. Opferhilfeeinrichtungen, die damit werben, „parteilich für Opfer“ zu sein, zum Teil konkret Einfluss auf die Entscheidung zur Anzeigenerstattung nehmen und sich auch eine Verdachtsabklärung zutrauen, nicht diskutiert. Wegen der besonderen Bedeutung potentieller Einflussnahme auf die Zeugenaussage erfolgt in Teil 3 VIII „Fehlerquellenanalyse“ (Rn. 656 ff.) eine ausführliche Darstellung der Problematik.

In der 2. Auflage ist die Darstellung der aussagepsychologisch relevanten Rechtsprechung sowie der rechtspsychologischen Fachliteratur auf den neuesten Stand gebracht.

Neu hinzugefügt wurden im Text einzelne Hinweise, die Hilfestellungen im Umgang mit aussagepsychologischen Fragestellungen geben sollen, und gegenüber der ersten Auflage wurde die Anzahl der Checklisten erweitert.

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Das Buch gliedert sich in vier Teile.

Im ersten Teil (Teil 1 – Rn. 7 ff.) werden aussagepsychologische Gesichtspunkte zur Zeugenaussage dargestellt. Er befasst sich mit der Einführung in die Aussagepsychologie (Teil 1 I – Rn. 13 ff.), mit dem Unterschied zwischen der Glaubwürdigkeit des Zeugen und der Glaubhaftigkeit der Aussage (Teil 1 II – Rn. 45 f.), der Aussagebeurteilung in der BGH-Rechtsprechung (Teil 1 III – Rn. 47 ff.), der Gutachteneinholung (Teil 1 IV – Rn. 100 ff.), dem aussagepsychologischen Sachverständigen (Teil 1 V – Rn. 142 ff.) und „Besonderen“ Zeugen (Teil 1 VI – Rn. 145 ff.).

Im zweiten Teil (Teil 2 – Rn. 159 ff.) geht es um die Zeugenvernehmung. Es werden die Vernehmungsbedingungen (Teil 2 I – Rn. 166 ff.), die Durchführung der Vernehmung (Teil 2 II – Rn. 181 ff.), die Inhalte der Vernehmung (Teil 2 III – Rn. 246 ff.), das Ausdrucksverhaltens während der Aussage (Teil 2 IV – Rn. 264 ff.), die Dokumentation der Vernehmung und deren Auswertung unter aussagepsychologischen Gesichtspunkten (Teil 2 V – Rn. 275 ff.) dargestellt.

Der dritte Teil (Teil 3 – Rn. 297 ff.) enthält Ausführungen zur aussagepsychologischen Begutachtung, im Einzelnen zu Formellem (Teil 3 I – Rn. 298 ff.), zur Unterscheidung zwischen erlebnisbegründeter und nicht erlebnisbegründeter Aussage (Teil 3 II – Rn. 352 ff.), zur hypothesengeleiteten Aussagebeurteilung (Teil 3 III – Rn. 357 ff.), zur Spezifizierung der Nullhypothese (Teil 3 IV – Rn. 376 ff.), zur aussagepsychologischen Leitfrage (Teil 3 V – Rn. 453 f.), zur Aussagekompetenz (Teil 3 VI – Rn. 455 ff.), zum Qualitäts-Kompetenz-Vergleich (Teil 3 VII – Rn. 592 ff.), Fehlerquellenanalyse (Teil 3 VIII – Rn. 594 ff.), zur Realkennzeichenanalyse (Teil 3 IX – Rn. 678 ff.), zur Berücksichtigung von Außenkriterien (Teil 3 X – Rn. 742 ff.), zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage (Teil 3 XI – Rn. 746 ff.), zur Dokumentation der Begutachtung (Teil 3 XII – Rn. 754 ff.), zur Überprüfung des Gutachtens (Teil 3 XIII – Rn. 769 ff.), zu methodenkritischen Stellungnahmen (Teil 3 XIV – Rn. 773 ff.) und zu Besonderheiten (Teil 3 XV – Rn. 776 ff.).

Der vierte Teil (Teil 4 – Rn. 788 ff.) stellt die beiden spektakulärsten Prozesse dar, in denen aussagepsychologische Gesichtspunkte bei der Vernehmung kindlicher Zeugen und aussagepsychologischer Gutachten eine Rolle gespielt haben; das sog. Montessori-Verfahren und das sog. Wormser Mißbrauchsverfahren wie auch dem Pascal-Prozess.

Die Entscheidungen werden im Text nach dem Aktenzeichen und in der Fußnote nach den Fundstellen, die BGH-Nack entnommen sind, benannt. Inhalte der Grundsatzentscheidung des BGH zu den wissenschaftlichen Anforderungen, die an aussagepsychologische Gutachten zu stellen sind, werden wegen ihrer besonderen Bedeutung besonders hervorgehoben und farblich unterlegt. Zur einfacheren Handhabung und nicht zuletzt dem aussagepsychologischen Grundsatz folgend, dass es auf das tatsächlich Gesagte (hier Geschriebene) und nicht auf das von dem psychologischen Laien dazu Zusammengefasste, Um- und Selbstformulierte ankommt, werden die psychologischen/psychiatrischen Ausführungen in ihrem genauen Wortlaut zitiert.

Zeuge und Aussagepsychologie

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