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Deutschland am Donnerstag 31. Juli 1980 - Sprachlos

Im Briefkasten liegt ein blauer Luftpostbrief. Sofort erkenne ich die peruanischen Briefmarken. Oben links prangt der große Stempel der deutschen Schule in Lima. Mein Herz klopft bis zum Hals, als ich ihn etwas unschlüssig in der Hand halte. Soll ich ihn gleich öffnen oder bis zum Abend warten, bis Siegfried nach Hause kommt? „Du meine Güte, wenn er nun gar eine gute Nachricht enthält? Aber nein, bisher nur Absagen oder Vertröstungen und Enttäuschungen.“

Aber die weibliche Neugierde gewinnt die Oberhand. Mit flatterndem, bis zum Hals klopfendem Herzen, Neugierde, Freude gemischt mit Angst, zerre ich mit zitternden Händen am Briefumschlag, reiße ihn ungeduldig und ungeschickt auf.

Die ersten Zeilen überfliege ich fahrig, ohne zu begreifen, was ich lese. Das Schreiben ist nicht etwa in Spanisch getippt, nein, es sind deutsche Worte und Sätze. Doch mein Gehirn hat sich wohl abgeschaltet, ist steckengeblieben oder hat sich gar aufgelöst?

Also beginne ich die Zeilen zum zweiten Mal halblaut zu lesen. Nun macht es in meinem Hinterkopf „Klick“ und die Wörter rinnen wie durch eine Sanduhr in mein Bewusstsein. Immer wieder von Neuem lese ich mit Staunen den Briefbeginn:

„Liebe Familie Klink,

ich möchte Ihnen heute die langersehnte Nachricht übermitteln, dass ein kleines Mädchen für Sie gefunden wurde. Das Kind ist am 26. Juni 80 geboren. Weitere Einzelheiten weiß ich noch nicht.

Das Kind wird sofort in eine Pflegefamilie gegeben.“

Etwas unschlüssig drehe ich das zehn Tage alte Schreiben und betrachte dann den Umschlag von allen Seiten. Ich will mich vergewissern, dass er tatsächlich an mich adressiert ist und nicht an jemand anderen, denn dieser Inhalt ist ungeheuerlich.

So viel ich auch den Brief samt Inhalt inspiziere und kontrolliere, hin und her schwenke, da steht mein Name. Klar und deutlich. Unumstößlich. „SRA Gabriele Klink, Einsteinweg 22, 7440 Nürtingen, West Germany“

Fassungslos rinnen mir die Tränen über das Gesicht. Ich bemerke es nicht einmal. Erst als mit einem leisen „Plopp“ ein Tropfen einen unübersehbaren, dunklen, nassen Klecks auf dem blauen Luftpostumschlag hinterlässt, mir die Buchstaben verschwimmen und vor meinem Gesicht tanzen, spüre ich auch körperlich: „Es ist wahr!“

Ich kann es nicht glauben! Lese und lese, aber die Buchstaben bleiben gleich, kein Wort verschwindet wie mit unsichtbarer Tinte geschrieben. Die Sätze bleiben ganz brav und artig dort, wo sie hingehören, nämlich auf dem Briefpapier.

Jubel im Inneren kämpft gegen den sich jetzt regenden und neu erwachten Verstand. Ich will umgehend diese Traumnachricht an Siegfried weiterleiten. Das Telefon steht fast neben mir. Ich stehe wie festgenagelt, festgewurzelt. Mein Arm ist tonnenschwer und nicht imstande, den Hörer abzuheben. Ich will ja diese Nachricht glauben, kann sie aber schlicht und einfach nicht fassen.

Da sitze ich. Aufgelöst. Erstarrt. Ich bin außerstande, das zu tun, was nun getan werden müsste und was mir mein klarer Verstand eingibt „Ruf den frischgebackenen Vater an“. Doch ich habe das untrügliche Gefühl neben mir zu sitzen. „Ich muss den frischgebackenen Vater umgehend über sein Vaterglück informieren“, rufe ich befreit. „O Gott, wie bringe ich ihm das bloß bei? Wie wird er reagieren? Er kann sich schließlich nicht einfach hinsetzen, um diese Nachricht zu verdauen. Er hat auch keinen Brief in den Händen, an dem er sich festklammern kann. Und er ist nicht allein, sondern die Arbeitskollegen werden ihn forschend beobachten. Er steht an einer Maschine, die volle Konzentration einfordert.“

Aber alle „Wenns“ und „Abers“ verflüchtigen sich wie mit Zauberhand, als ich mich nach einer kleinen Ewigkeit erhebe und mich durchringe, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen. Ich bin so nervös, dass ich mich zweimal verwähle.

Es dauert und dauert, bis Siegfried endlich ans Telefon gerufen wird und sich meldet „Klink“. Ich kann nun nur noch überstürzt und atemlos in den Telefonhörer stammeln: „Halt dich fest. Es ist die schönste Nachricht unseres Lebens: Wir sind die glücklichsten Eltern der Welt. Wir haben eine kleine Tochter in Peru.“

Mit langem Atem zum großen Glück

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