Читать книгу Liebe on the rocks - Gabriele Martina Haak - Страница 5

Kapitel 3

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Das Chaos von Sophies Gefühlen bedurfte, knapp zwei Wochen nach dem denkwürdigen Desaster mit Felix, einer Klärung, und bei diesem ›inneren Hausputz‹ konnte eigentlich niemand besser helfen als Tante Billie, dachte sich Sophie. Sie wählte ihre Nummer in Recklinghausen, ließ es viermal klingeln, legte auf und wählte genau nach zwei Minuten die gleiche Nummer. Das war das ausgemachte Zeichen für Tante Billie, daß Freunde oder Verwandte sie sprechen wollten, und nicht ein ›Balzgockel‹ vom Tanzpalast, dem sie wieder einmal unvorsichtigerweise ihre Nummer aufgeschrieben hatte. Wenn man Billie, die eigentlich Brunhild hieß, besuchte, klingelte meist pausenlos das Telefon, doch ohne das verabredete Signal ging sie nie an den Apparat.

Als Tante Billie endlich den Hörer abnahm, hörte Sophie nur ein lautes ›Autsch‹.

»Was ist passiert, meine liebste Patentante? Zwickt Dich dein breiter Ledergürtel?«

»Ah, du bist es, Sophie, herrje, ich werde wirklich nicht jünger. Nein, ich habe gestern einfach zu lange getanzt, und mein linkes Knie ist dick geschwollen, aber heute ist Tanzturnier im ›Lockeren Lottchen‹ in Dortmund, und jetzt laufe ich schon seit Stunden mit einem Eisbeutel herum. Karl, du weißt, der Wurstfabrikant, kommt auch«, klärte Billie sie auf und ließ sich hörbar ins Sofa plumpsen.

»Billie, kannst du nicht morgen am Nachmittag nach Düsseldorf kommen? Wir könnten am Rhein Spazierengehen, und abends koche ich uns etwas. Ich muß mit dir reden.«

»Hat dich Felix sitzengelassen?« Billie kannte ihr Patenkind gut genug, um sofort zu merken, daß sie Hilfe brauchte.

»Nein, eigentlich nicht, na ja, oder doch. Es ist viel schlimmer. Kommst du?«

Billie versprach es, aber nur unter der Bedingung, daß Sophie danach gegen elf Uhr abends ins Auktionshaus auf die Kö mitginge. Billie war auf der Suche nach einem weiteren silbernen Kerzenleuchter für ihre Sammlung.

Sophies Mutter wäre für solch ein ›Von-der-Seele-reden-Gespräch‹ völlig ungeeignet gewesen. Sie hatte ihr vor siebzehn Jahren zu ihrem siebzehnten Geburtstag, damals sieben Monate vor dem Abitur, eröffnet, welchen Lebensweg sie sich für ihre Tochter ausmalte. »Kind, mach doch eine Banklehre, dann kannst du immerhin mit Geld umgehen. Und wenn du dir ein bißchen Mühe gibst, lernst du den Bankdirektor näher kennen, ihr heiratet und kauft das Haus neben uns in der Möhlstraße«, so stellte sie sich das Glück ihrer Sophie vor. Nach dieser Offenbarung in einer stillen Stunde vor dem Kamin hatte Sophie einen Tag später an die Columbia University in New York geschrieben und die Unterlagen für den Studiengang ›Creative Science Management‹ angefordert. Drei Jahre in den USA studieren – Medizin, Molekularbiologie, Psychologie, Gehirnforschung, Computertechnik und Journalismus – das, fand sie, war eine Mischung genau nach ihrem Geschmack. New York, Washington und Los Angeles. Wow! Alles war besser als Duisburg und eine Banklehre.

Ihre Mutter konnte damals natürlich weder dieser Idee noch deren Realisierung etwas abgewinnen. Ihr behütetes Töchterchen drei Jahre alleine in Amerika, wo man doch soviel über Gewalt unter Studenten las! Daß sie auch ohne Banklehre ihr Leben ganz gut in den Griff bekommen hatte, bemerkte ihre Mutter übrigens erst vor vier Jahren, als sie den Job bei Gene Dream annahm. Für 12 500 Mark brutto im Monat. Das hatte sie dann auf Sophies Fest zum dreißigsten Geburtstag zu der Bemerkung verleitet: »Na, das zumindest hättest du bei der Bank natürlich nie verdient, und wer weiß, ob es mit dem Bankdirektor jemals geklappt hätte.« Es war klar, daß sie nicht gerade begeistert war, wie Sophie ihr Leben gestaltete, wie sie lebte und liebte. Ihre Mutter hatte die einzigartige Gabe, mit Pragmatismus pur das Leben aller Familienmitglieder zu deuten, mühsam verdeckte Wunden aufzuspüren und Salz darauf zu streuen.

Sophie war sich also völlig sicher, daß ihre Idee ›Suche Erzeuger für Kind‹ ihre Mutter in die zweite tiefe Beziehungskrise zu ihr gestürzt hätte. Ihre Worte klangen förmlich in Sophies Ohren: »Liebe Sophie, nun hab doch Geduld, es wird sich sicher noch ein Mann finden, auch für dich.« Dann käme eine kleine Pause, ein sorgenvolles Kopfschütteln und schließlich eine Frage, wobei sie versucht hätte, sie möglichst lapidar klingen zu lassen: »Wäre denn dein Chef David Parker nichts für dich? Im passenden Alter wäre er ja. Du wirst ja auch nicht jünger.« Sophie hätte ›Mutter‹ geschrien, und die Kaffeetafel überstürzt verlassen und zu Hause vor dem Spiegel mindestens zehn Minuten nach neuen Falten gesucht. Mutter wollte immer nur das Beste und hatte eben dabei so ganz eigene Vorstellungen, was gut für ihre Tochter war. Über Liebe und Leidenschaft, Sex und Erfüllung konnte man mit ihr wirklich nicht reden. Dafür war immer schon Tante Billie zuständig gewesen. Und ihr Vater würde die komplizierte Sach- und Gefühlslage sowieso nicht verstehen, selbst wenn er besser zuhören konnte als die Mama. Er würde wahrscheinlich am Verstand seiner Tochter zweifeln und sich ernsthafte Sorgen um sie machen.

Billie kam am Sonntag, wie meistens, eine Stunde zu spät, gegen vier Uhr nachmittags. Perfekt geschminkt, mit neuem Kurzhaarschnitt in einem leichten Rotton, stand sie in der Tür, und kein Mann hätte geglaubt, daß sie bereits sechzig war.

Billie Hornung war ein Phänomen. Zu Hause trug sie am liebsten flauschige Jogging-Anzüge, aber wenn sie ausging, mußte es Escada und ein Hermès-Tüchlein sein oder Jil Sander, nur vom Feinsten. Ihr Wahlspruch war: ›Je älter, desto exklusiver.‹ Vor allem für die Unterwäsche gab sie ein Vermögen aus. Außer ›La Perla‹ ließ sie nichts an ihren gepflegten Körper. Sophie trug dagegen auch mal einen Baumwollslip für 1,95 Mark von Aldi, was sie Billie allerdings nie erzählt hätte.

Billie sah wieder umwerfend aus in ihrem cremefarbenen taillierten Kostüm, den dunkelgrünen Pumps und dem passenden Gürtel aus feinstem Kroko. Das perfekte Makeup hatte sie sicher eine halbe Stunde gekostet.

»Hallo, schön, daß du da bist.« Sophie fiel Billie um den Hals und hatte augenblicklich das Gefühl, ihr Elend sei nur noch halb so schlimm. Auf ihren Neun-Zentimeter-Absätzen, mit denen man höchstens hundert Meter hühneraugenfrei zurücklegen konnte, stöckelte Billie in der Wohnung herum und genehmigte sich erst mal keuchend ein Glas Wasser. Sophie wohnte im dritten Stock, ohne Aufzug.

Auf dem kurzen Spaziergang – selbst Billie konnte in den Mordinstrumenten an ihren Füßen nicht allzu weit gehen – erzählte Sophie ihr von dem Desaster mit Felix, wobei ihre Augen ab und zu feucht wurden. Billie hakte sich bei Sophie unter und stellte hin und wieder eine Frage. Ihr Fazit nach 25 Minuten: »Eine Frau muß ihren Weg gehen und kann nicht warten, bis sich ein Mannsbild herabläßt und Verantwortung übernehmen will.« Fortschrittlich, wie sie war, glaubte Billie Hornung sowieso, daß Frauen das nächste Jahrtausend prägen würden. Sie hatte immerhin drei Ehemänner und einige Liebhaber überlebt und konnte sich jetzt ein einigermaßen nettes Leben vom Erbe ihres verstorbenen Gatten Nummer drei erlauben.

»Du hast völlig recht, meine Liebe«, tröstete sie ihr Patenkind, als sie es sich in Sophies Wohnung gemütlich machten, »du kannst einfach nicht nach seiner Pfeife tanzen, dazu ist das Leben zu kurz.«

Während Sophie den kleinen Salat zubereitete – Billie wollte wie immer mit Hilfe einer ausgeklügelten Diät ihr Gewicht von 58 Kilo halten –, erzählte sie ihr die Geschichte ihrer Freundin Annegret.

»Seit zehn Jahren ist sie die Geliebte eines Verheirateten. Er ist in den ganzen Jahren nicht einmal mit ihr in Urlaub gefahren. Er hat ihr nichts geboten als einmal in der Woche einen Abend bei ihr zu Hause. So gut kann ein Mann im Bett gar nicht sein, wenn du mich fragst, daß man so ein Leben aushalten kann. Früher ist sie oft mitgegangen zum Tanzen, aber seit zehn Jahren hockt sie brav zu Hause und wartet. Vor einer Woche hat sie eine Überdosis Schlaftabletten genommen.«

Sophie schaute Billie entgeistert in die mit grünem Lidschatten umrandeten Augen.

»Ach, keine Angst, Sophie, sie haben ihr den Magen ausgepumpt, und alles ist wieder in Ordnung. Mittwoch kommt sie aus dem Krankenhaus nach Hause, na ja eigentlich in eine Klinik mit einer guten psychologischen Betreuung. Ich erzähl dir die Geschichte nur, damit du siehst, wo zuviel Selbstaufgabe hinführt. Ich für meinen Teil fände es ja schon eine gnadenlose Verschwendung, nur mit einem Mann zusammenzusein, aber dann auch noch verheiratet und einmal in der Woche ein piefiges Treffen, nie ausgehen, nie ins Theater, keine Urlaubsreisen. Das ist ja Folter und keine Liebe!«

»So war es ja mit mir und Felix auch nie. Wir hatten schon ein tolles Leben«, versuchte Sophie zaghaft zu widersprechen. Der Vergleich mit Annegret schien doch etwas zu weit hergeholt.

Tante Billie hatte mittlerweile ihre Beine hochgelegt und es sich auf dem Sofa bequem gemacht. Sophie hockte vor ihr auf dem neuen gelben Sitzkissen. Sie hatten sich einige Kerzen und eine Duftlampe mit einem Öl der Note ›Inspiration‹ angezündet.

Sophies Wohnung war ihr ganzer Stolz. Sie hatte sie vor knapp zwei Jahren gekauft, kurz bevor sie Felix kennenlernte. Während viele ihrer Freunde aus der Düsseldorfer Schickeria den kühlen Alu-Look bevorzugten, richtete sie sich ihre Höhle eher wie einen italienischen Landsitz ein. Terrakottafliesen in der Küche, großgemusterte Blumenvorhänge, im Bad einige verstreute bunte Kacheln aus der Provence. Ein großer Glaskasten, der im Badezimmer hing, war Sophies ganzer Stolz: ihre Muschelsammlung mit einem Stück einer Mördermuschel vom Great Barrier Reef aus Australien, eine Nautilusschale aus Ecuador, seltene Kauri-Arten aus Madagaskar, eine Steckmuschel von Korsika, unzählige rosafarbene Napf- und Kreiselschnecken aus Kalifornien, bunte Kammmuscheln aus Portugal.

Über dem Sofa im Wohnzimmer prangte ihr zweites Prachtstück: ›Green man on the line‹, ein 35 000 Mark teueres Riesengemälde, das sie sich von ihrem ersparten Geld gegönnt hatte. Ein nackter dunkelhäutiger Mann mit den Andeutungen von Männlichkeit, die frau sich schon mal in den kühnsten Träumen vorstellt. Billie hatte sie auf der Gemälde-Einweihungsparty vor einigen Monaten schwer gerügt. »So was hängt man sich doch nicht in die Wohnung, da nimmt ja jeder potentielle Liebhaber Reißaus«, war ihr fachkundiger Kommentar gewesen. Felix hatte darüber herzlich gelacht und augenzwinkernd festgestellt, daß zumindest er nicht das geringste Problem damit hätte. Seither vermied Billie, wenn sie Sophie besuchte, den direkten Anblick des Prachtmannes in Öl.

»Darum geht es doch gar nicht, Sophie, der Punkt ist, wenn man einmal anfängt, einem Mann zuliebe seine eigenen Wünsche und Sehnsüchte zurückzustellen, dann hat man verloren. Egal, ob es ein Urlaub oder ein Kind ist«, war ihr ultimativer Kommentar zu der Baby-Frage.

Jetzt kamen sie langsam zum Kern des Ganzen.

»Und was soll ich deiner Meinung nach tun, Billie?«

»Na, schwanger werden!«

»Von wem denn?« Sophie verstand ihre Patentante nicht so recht. Diese war zwar für ihre eigenwilligen Ansichten bekannt, aber damit hatte Sophie nicht gerechnet.

»Das bereden wir bei einer Flasche Champagner«, befand Billie Hornung.

Das war für Sophie das Stichwort, daß es ernst wurde. Tante Billie trank nur Champagner, wenn sie ein denkwürdiges Ereignis vermutete.

Es galt also eine Anwort auf die entscheidende Frage zu finden: Wer konnte als Vater in Frage kommen? Sophie war durch ihr Studium und ihren Job auf logisches Vorgehen bei komplexen Problemen getrimmt, und sie gedachte auch ihr Felix-Baby-Drama auf diese Weise zu lösen. Warum auch nicht?

Nach dem zweiten Glas ›Puffbrause‹, wie Billies letzter Gatte guten Champagner zu umschreiben pflegte, holte Sophie einen Notizblock. Patenkind und Patentante machten sich ans Werk. Der 20. Oktober sollte ein denkwürdiger Tag werden.

Drei praktische Gesichtspunkte – da waren sie sich schnell einig – mußten beachtet werden:

1. Wie wichtig war das Erbgut, also Aussehen, Intelligenz und Psychostruktur des zukünftigen Vaters des Kindes?

2. Wie ließ sich Sex unter diesen erschwerten Bedingungen praktikabel gestalten? Sollte ein Mann unwissend Vater werden, oder sollte man ihn lieber aufklären?

3. Wollte sie mit dem Vater nach der Zeugung noch etwas zu tun haben oder lieber nicht?

»Ein One-night stand kommt ja wohl nicht in Frage«, bemerkte Billie energisch. »Viel zu gefährlich wegen AIDS, und außerdem weißt du dann zu wenig über den Typen. Wer weiß, ob der irgendwelche vererbbaren Krankheiten hat?«

Sophie sah Billie erstaunt an. Woher die sich in ihrem Alter so gut auskannte? Aber recht hatte sie. Irgendeinen gutaussehenden Typen im Leo’s abzuschleppen, war wirklich zu riskant und irgendwie unwürdig. Außerdem hatte Sophie dem schnellen Sex mit einem Wildfremden noch nie viel abgewinnen können.

»Vielleicht Achim?« brachte Tante Billie neu in die Überlegungen ein. Achim war klug, gesund – soweit sie wußte –, kam aus einer ordentlichen Familie und stand auf Sophie. »Du könntest ihn doch fragen, ob er dir ein Kind macht?« Billie runzelte die Stirn. Eine Überlegung wäre er wert, keine Frage. »Allerdings, meine liebe Sophie, solltest du dir vorher überlegen, ob du mit ihm zusammenbleiben möchtest.«

»Um Himmels willen, nie«, antwortete Sophie wie aus der Pistole geschossen. »Achim würde ständig an meinem Rockzipfel hängen, den würde ich nie wieder loswerden. So nett er ist, aber das will ich nicht.«

»Dann sag es ihm eben nicht. Woher soll er wissen, daß das Kind von ihm ist?«

»Nein, Billie, so abgebrüht bin ich nicht. Außerdem hockt er ständig mit Peter zusammen, und mein Bruder ist geschwätziger als ein Waschweib. Das würde schneller rauskommen, als ich es in die Bild-Zeitung setzen könnte.«

Außerdem konnte man bei Achim nicht sicher sein. Der würde am Ende noch seine Vaterschaft einklagen und auf ein gemeinsames Erziehungsrecht pochen. Das führte nur zu heillosen emotionalen und juristischen Verwicklungen. Das Thema Achim war für Sophie definitiv erledigt.

»Was ist denn mit deinem Chef David Parker, ist doch keine schlechte Type«, meinte Billie. Im ersten Moment glaubte Sophie, ihre Mutter zu hören.

»O Gott, jetzt fängst auch du noch mit Parker an.«

Billie zuckte die Achseln und schaute verträumt ins Kerzenlicht. Wahrscheinlich sah sie sich schon selbst mit Parker im Bett. Ihr Karl war auch nur elf Jahre älter als David Parker. Billie wurde wirklich immer dreister, je älter sie wurde. Sophie stöhnte leise auf. So kamen sie doch nicht weiter. Parker war einfach nicht ihr Typ. Er faselte unablässig vom Gene-Highway und hatte doch nur Dollars im Auge. Ein aalglatter Typ, geschieden, mit einer neunjährigen Tochter, die in den USA lebte. Er war immerhin sportlich, wenn auch nicht gerade vor Dynamik strotzend, so daß sie sich im Prinzip eine Nacht mit ihm vorstellen konnte. Zwei, drei Margaritas würden sicherlich nachhelfen. Wenn sich Parker überhaupt von ihr verführen ließe! Es sollte ja Männer geben, die selbst ihr widerstehen konnten. Der Haken an der Geschichte war klar: Über ihre Karriere bei Gene Dream bräuchte sie nach dieser Aktion nicht mehr weiter nachzudenken. Die wäre nämlich beendet. Das gäbe hundertprozentig Probleme, die nicht mehr zu lösen wären. Erstens waren bei Gene Dream private Verhältnisse unter Mitarbeitern nicht geduldet – so die nette Umschreibung im Dienstvertrag. Und zweitens gäbe es ein endloses Getuschel bei allen Kollegen. ›Der Parker hat die Lackmann geschwängert‹, oder noch schlimmer: ›Die Lackmann hat sich vom Parker schwängern lassen‹. Das würde sie nicht überstehen. Sophie hatte es immer schon gehaßt, wenn sich wildfremde Menschen über ihr Leben und ihre Gefühle das Maul zerrissen. Und bei 150 Mitarbeitern von Gene Dream, vom Pförtner über die Labormäuse, Forscher und Anwälte, war Klatsch nur eine Frage der Zeit. Es war sowieso ein Wunder, daß die Geschichte mit Felix geheimgeblieben war. Parker war einfach zu riskant. Basta. An ihrem Job hing Sophie nun wirklich. Der Preis war eindeutig zu hoch.

Billie schaute sie mit großen Augen an. Ihr Mund wurde verdächtig schmal, als ein neuer Name ihrem roten Mund entfleuchte: »Felix.« Sophie starrte sie entsetzt an. Sie meinte tatsächlich, sie könnte Felix übertölpeln, und wenn sie schwanger wäre, dann würde vielleicht alles gut werden? Niemals.

»Billie, ich liebe ihn, ihn kann ich nicht belügen. Das wäre wie Hochverrat.«

»Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.«

Sophie war einigermaßen schockiert. Daß Tante Billie ihr so etwas zutrauen konnte! »Billie, mein Gott, so kenne ich dich gar nicht.«

»Ach Kind, wie viele Frauen haben im Krieg ihre Kinder alleine großziehen müssen? Und wie viele, glaubst du, wurden nicht vom Ehemann, sondern von einem Liebhaber, der Schokolade und Seidenstrümpfe verteilt hat, gezeugt? Manchmal muß man Menschen doch zu ihrem Glück drängen. Felix würde dich sicher nicht hängenlassen.«

»Nein, das würde ich nicht überstehen. Ein Kind von Felix in den Armen zu halten, immer ihn in den Gesichtszügen zu sehen ... Womöglich will er von dem Kind und mir nichts wissen, und dann habe ich ihn mein Leben lang in einer Miniaturausgabe neben mir sitzen. Ich würde ja ständig an das Glück erinnert, das hätte sein können.« Allein dieser Gedanke riefe bei ihr wahrscheinlich schon einen Scheidenkrampf hervor, der die ganze Aktion sowieso im Keim ersticken würde.

»Ich kann Felix nicht belügen, nicht ihn«, entschied Sophie.

»Wie wär’s mit Bodo?« wagte Billie einen neuen Versuch. Sie nippte am Champagner.

Bodo war ein Schatz, der würde es machen. Da hatte sie recht.

»Laß dir einen AIDS-Test zeigen, und dann ab in die Kiste.«

»Billie! Bodo ist schwul, und ich bin sicher, daß er nie ...« Sophie zögerte. Mit wem Bodo seine Gelüste stillte, wußte in der Firma niemand, nicht einmal sie. Bodos Liebesleben war eine Art Geheimsache. Vielleicht war er auch bi. Konnte doch sein!

»Papperlapapp, ihr müßt ja nicht wirklich miteinander schlafen. Er spendet sozusagen nur sein Sperma. Du besorgst ein geiles Schwulenvideo und befruchtest dich dann quasi selbst.«

Irgendwie kamen der sechzigjährigen Billie Hornung ihre Worte selbst ein wenig frevelhaft vor. Aber Sophie hatte man schon immer das Leben drastisch vor Augen führen müssen, sonst konnte sie sich so schwer zu einer Entscheidung durchringen. Damals nach der Schule hatte sie sich auch erst für den Studiengang in den USA beworben, als ihre Mutter quasi schon die Bewerbungsunterlagen für die Banklehre eingereicht hatte. Erst da war Sophie aufgewacht. Und jetzt war es ähnlich. Man mußte ihr die Alternativen in den schillerndsten Farben ausmalen, dann würde sie sicher eine kluge Entscheidung treffen. Entweder sich mit Felix aussöhnen oder eben einfach auf den besseren Vater warten. Sophies Entscheidungen reiften, je mehr man sie bestärkte, da war sich Billie sicher. Wenn man Sophie Contra gab, dann war alles verloren, das wußte sie. So war Sophie schon als kleines Kind gewesen. Wenn sie im Winter mit Kniestrümpfen draußen Rollschuh laufen wollte, hätte es wenig genutzt, es ihr einfach zu verbieten oder zu jammern, daß sie sich fürchterlich erkälten würde. Nein, man hatte diesem klugen kleinen Wuschelköpfchen möglichst beiläufig, so ganz nebenbei beschreiben müssen, wie es war, mit einer Lungenentzündung wochenlang in einem Krankenhaus zu liegen, ohne Besuch, ohne Süßigkeiten, nur mit ekelhaft schmeckenden Säften. Nur so hatte sich das Schlimmste verhüten lassen. Sophie brauchte das Gefühl, aus freien Stücken eine Entscheidung zu treffen.

Und Billie mußte sich eingestehen, daß sie selbst es auch für Sophie an der Zeit fand, über ihr weiteres Lebens nachzudenken. Mit vierunddreißig wurde es langsam Zeit. Da hatte das Kind völlig recht. Diesmal konnte Billie allerdings nicht ahnen, daß Sophie so konsequent ihren eigenen Weg einschlagen würde.

Während Sophie ob soviel Fantasie und Dreistigkeit von Tante Billie sprachlos war, schien für Billie die Diskussion in der Tat beendet. Sie schaute schon zum drittenmal auf die Uhr, und Sophie war klar, daß sie jetzt zur Kö rüberfahren mußten, ins Auktionshaus. Eigentlich ein Canossagang für sie. Sie haßte diese öffentlichen Auktionen, auf denen Krethi und Plethi für wenig Geld den Luxus erstehen wollten, den man sich eigentlich gar nicht leisten konnte. Beim letztenmal hatte sie unvorsichtigerweise mit ihrer Hand herumgefuchtelt und ganz nebenbei ein sechsteiliges Blümchenservice erstanden. Das mußte sie dann ihrer Sekretärin Kerstin zum Geburtstag schenken.

Also schön, Bodo könnte sie fragen. Aber gut war die Lösung nicht. Das spürte Sophie in jeder Faser ihres Herzens. Am Ende würde sie noch einen guten Freund verlieren. Und wenn es dann nicht klappte, könnte sie ihm nie wieder in die Augen schauen.

Billie und Sophie machten sich auf den Weg zur Königsallee. Irgendwie ging Sophie dabei nicht aus dem Kopf, warum es ausgerechnet bei ihr so schwierig sein sollte. Michael Jackson hatte angeblich seine Krankenschwester künstlich befruchten lassen. Stand nicht in einer Zeitschrift, daß Madonna ihren Fitneßtrainer als Samenspender hergenommen hatte? Und Jodie Foster sollte doch auch angeblich auf einer Samenbank fündig geworden sein! Nur sie sollte niemanden finden? »Ich will ein Kind, keinen Partner«, das sagten doch immer mehr Frauen.

Erst als Billie nach einer Stunde einen dreiarmigen Silberleuchter ersteigert hatte, für nur fünfunddreißig Mark, kam Sophie eine Idee, die gar nicht abwegig war. Warum keinen Samen kaufen? Ohne rechtliche Probleme, ohne Gefühlsverwicklungen, ohne Verpflichtungen, einfach bar bezahlen. In den Niederlanden und den USA konnte man als Single Sperma bestellen, einfach so. Das wußte sie. Meistens nutzten natürlich Ehepaare das Angebot, wenn der Mann zeugungsunfähig war. Dann war eine sogenannte heterologe Insemination selbst in Deutschland erlaubt. Aber Sophie meinte sich erinnern zu können, sie hätte mal gelesen, daß es in Amsterdam oder Leiden auch für Single-Frauen und Lesben möglich war, den edlen Männersaft zu erwerben. Gleich morgen früh würde sie mit den Recherchen beginnen.

Sperma von der Samenbank war immerhin getestet, man holte sich keine Hepatitis oder AIDS, es wurde für gut befunden, und allzu teuer konnten die paar Tropfen ja wohl nicht sein. Und der größte Vorteil: Ein Vater, der quasi nicht existent war, konnte auch keine Probleme machen.

Billie war jetzt nach der Versteigerung für keine Diskussion mehr zu gebrauchen. Sie hatte schon eine ganze Weile mit einem graumelierten Herrn mittleren Alters in der zweiten Reihe geflirtet, und Sophie war klar, daß sie getrost alleine nach Hause gehen konnte. Billie hatte wieder eine Eroberung gemacht, aber sie selbst hatte zumindest eine rettende Idee.

Liebe on the rocks

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