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Kapitel 4

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Der Anruf von Annette kam wie immer am Sonntag abend, gerade als der Krimi im Fernsehen besonders spannend war. Es war der 27. Oktober, und Sophie hatte die vergangene Woche nur mit Mühe überstanden, denn sie hatte zu allem Überfluß auch noch ihre Periode bekommen. Bei jedem Tamponwechsel fiel ihr Felix ein.

»Du willst was?« schrie Annette ins Handy.

»Ein Kind!« wiederholte Sophie mit fester Stimme.

»Du spinnst ja völlig, du hast doch gar keinen Typen! Von wem denn überhaupt?«

Dieses Fragenbombardement – so begriffsstutzig konnte auch nur Annette sein – ließ Sophie über sich ergehen. Sie kannte ja ihre liebste Studienkollegin Annette Biesert bestens. Glücklicher Single in Hamburg, die nächste Karrierestufe immer fest im Blick. Die hatte sicher noch keinen Gedanken an ein Baby verschwendet!

»Na wieso, es gibt doch Samenbanken... Und außerdem schwärmst du, meine liebe Annette, ja dauernd davon, wie leicht man als Frau heutzutage an Sperma herankommt, wenn man es braucht!«

»Sophie, das meinte ich doch ganz allgemein ... Ich dachte dabei doch nicht an dich!«

Annette war ein kühler Greta-Garbo-Typ: herb, aber verdammt attraktiv. Mit ihren dunklen Locken, den großen braunen Augen war sie die leibhaftige Verführung. Damals, als Sophie und sie sich an der Universität von Washington im Gentechnik-Praktikum kennenlernten, hatte sie so einigen Jungs den Kopf verdreht. Sophies Mutter würde sagen ›ein männermordendes Ungeheuer‹.

Sophie hatte sie immer bewundert, denn Annette behielt stets die Kontrolle, in jeder Lebenslage. Sie waren damals unzertrennlich – Annette, die Biologin, gebürtige Hamburgerin, Sophie, die angehende Public-Relations-Spezialistin für alles, was mit Wissenschaft und Medizin zu tun hatte, aufgewachsen in Duisburg, aber in der feinsten Ecke, die die Hafenstadt zu bieten hat.

Doch seitdem ihre forsche Studienkollegin die Leitung eines Forschungslabors an der Hamburger Universität übernommen hatte, sahen sich die Freundinnen nur noch selten. Annette hatte sich ganz der Aufgabe verschrieben, ein neues Mittel gegen eine besonders aggressive Form von Gehirntumoren zu entwickeln. Wahrscheinlich würde sie irgendwann sogar den Nobelpreis bekommen. Sie trafen sich fast nur noch im Februar während der gemeinsamen traditionellen Skiwoche am Arlberg. Annette war eine der besten Skiläuferinnen, die Sophie kannte, und in dieser einen Woche ließen sie immer in jeder Hinsicht die Puppen tanzen.

Aber es gab eben Freundinnen, mit denen man darüber reden konnte, daß man sich ein Kind wünschte, und es gab solche, bei denen man es sich besser verkniff. Annette gehörte in die letzte Kategorie, aber sie hatte Sophie an diesem Sonntag in ihrer weinerlichsten und mitteilsamsten Stimmung erwischt. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Und irgendwie ging Sophies Stimmungsbarometer sogar steil nach oben. Ähnlich wie bei Heiratswilligen, die gegen den Willen der Eltern in den Stand der Ehe treten wollen. Die hielten auch zusammen wie Pech und Schwefel und verteidigten ihren Ehewunsch bis aufs Messer.

»Warum soll ich es denn nicht alleine schaffen? Felix wäre als Vater doch auch nie zu Hause gewesen, da hätte ich doch auch alles alleine organisieren müssen«, konterte Sophie.

Annette, in emotionalen Dingen argumentativ noch nie eine Leuchte, grummelte in den Hörer: »Du machst dich doch völlig unglücklich! Was soll denn aus deinem Superjob bei Gene Dream werden? Meinst du, die wollen eine breiverschmierte Mami als Vorzeigefrau bei der Pressekonferenz?«

So unlogisch konnte nur Annette daherschwatzen. Als wenn es keine Kinderfrauen und Reinigungen gäbe. War doch alles eine Organisationsfrage, und im Organisieren war Sophie schon immer gut gewesen.

»Außerdem kriegst du als Mutter mit Kind dann nie mehr einen Mann ab.«

Dieses Argument hätte jetzt glatt von Sophies Mutter stammen können. Die konnte einem auch vortrefflich die sinkenden Chancen auf dem Heiratsmarkt beschreiben. »Kind, ist dir schon mal aufgefallen, daß Männer bei den Bekanntschaftsanzeigen in der Zeitung meist nur Frauen bis fünfunddreißig suchen?« Das war einer ihrer Standardsprüche auf den letzten Familienfesten gewesen, ein dezenter Hinweis, daß man sich auch im Zeitalter der allerfeinsten Laser-Schönheitschirurgie und neuentwickelter Liposom-anti-aging-Mittelchen nicht ewig Zeit lassen konnte. Der Zahn der Zeit nagte schließlich an jedem, und an Frauen besonders hartnäckig.

»Na und?« flötete Sophie pikiert ihrer besten Freundin Annette durchs Telefon zu. »Dann kriege ich eben keinen Mann mehr ab. Der Zeitpunkt kommt sowieso irgendwann, aber ich habe dann wenigstens ein Kind.« Den Zusatz ›und du nicht‹ verkniff sie sich gerade noch rechtzeitig.

»Mein Gott, Sophie, jetzt sei doch nicht so verbohrt. Ein Kind großzuziehen ist doch eine Lebensaufgabe, und dann auch noch ohne Mann! Ich schwöre dir, du bist danach nicht mehr dieselbe Sophie Lackmann!«

Jetzt war klar, worauf Annette anspielte. Sophie hatte die spektakuläre Veröffentlichung einer amerikanischen Arbeitsgruppe in der letzten Woche natürlich auch gelesen. Sie hatte nachgewiesen, daß das Gehirn einer Schwangeren schrumpfte und erst Monate nach der Geburt wieder das ursprüngliche Ausmaß annahm, wenn überhaupt. Allerdings gab es genügend Kritiker, die diese hormonbedingte Hirnschrumpfung anzweifelten.

»Liebe Annette, wie du weißt, wird die Intelligenz nicht durch die Größe des Gehirns, sondern durch die Anzahl der Verbindungen zwischen den 100 Milliarden Nervenzellen vorgegeben. Sei sicher, daß ich mit Kind nicht dümmer sein werde als jetzt!« zischte sie deshalb in den Hörer. Annette gab klein bei.

»Ach, so habe ich es doch nicht gemeint! Sophie, ich will doch nur, daß du Vernunft annimmst!«

»Aber was soll ich denn machen? Wo soll ich denn den perfekten Vater, am besten gleichzeitig Hausmann, hernehmen? Soll ich vielleicht eine Annonce in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schalten ›Wer macht mir ein Kind?‹«

»Nein, natürlich nicht ...«

»Glaubst du etwa, da melden sich viele? Ich suche schließlich keinen impotenten Mann, sondern einen fruchtbaren!« Sophie machte ihrem Unmut Luft.

»Sophie, dreh doch nicht durch! Nimm dir zwei Wochen Urlaub, düse in die Karibik, mach dir ein paar nette Tage mit einem gut gebauten Typen, und vergiß den ganzen Schwachsinn mit dem Kind erst mal«, schmeichelte sich Annette ein. Sie wußte natürlich genau, daß ihre Freundin eine leichte Schwäche für karibische Nächte hatte. Die Schwäche für Felix war ihr dagegen immer ein Rätsel gewesen.

»Aber ich will keinen Lover, dafür brauchte ich noch nicht mal in die Karibik zu fliegen, meine Liebe«, floß es spitzzüngig aus Sophies kußechtem Lippenstift-Mund.

Sie spürte, wie sie langsam zickig wurde, denn so ganz unrecht hatte Annette natürlich nicht. Und immer, wenn sie die Wand an ihrem Rücken spürte, mutierte Sophie leicht zur schnippischen Zicke. Eine Sophie, die sie selbst haßte. Am liebsten hätte Sophie aufgelegt, überzeugen konnte sie Annette sowieso nicht.

»Bleib du nur ein karrieregeiler Single, bis es zu spät ist. Mit fünfzig wirst du mit Falten um deinen zusammengekniffenen Mund dasitzen und auch keinen Mann mehr mitkriegen. Dir bleibt dann nichts. Aber du kannst ja weiter jeden Morgen in dein Labor stapfen und auf den Nobelpreis hoffen.«

Mein Gott, welche hochtrabende Scheiße ich daherrede, sagte sich Sophie selbst. Natürlich will ich gar kein Kind, um im Alter nicht allein zu sein. Ich wünsche mir einfach so sehr ein kleines Wesen im Arm, das ich uneingeschränkt lieben kann, und das mich lieben wird, egal, ob ich älter oder dicker werde. Vielleicht stellte sie sich das Mutterdasein zu romantisch vor, aber wie sollte man einem Menschen dieses tiefe Gefühl von Wärme und Mutterliebe erklären, wenn der es nicht selber spürte? Wie sollte man erklären, daß einem jedesmal die Tränen in die Augen schössen, wenn eine Schwangere auftauchte oder ein Kinderwagen, aus dem es quäkte. Wenn man keine Drogerie mehr aufsuchen konnte, ohne automatisch auf eine Körperlotion gegen Schwangerschaftsstreifen zu stoßen, wenn man begann, die Zeitschrift GLÜCKLICHE ELTERN zu lesen und im Urlaub in Brasilien Babykleidung aus feinster Spitze kaufte, obwohl klar war, daß ein Säugling in dieser Umhüllung in unseren Breitengraden nach ein paar Minuten dem Erfrierungstod nahe wäre.

»Ich kann es dir nicht erklären, Annette, nimm es einfach hin und hilf mir«, war deshalb ihre einzige Rettung. Ein Appell an die alte Freundschaft. Und endlich schwieg die Busenfreundin, als ihr klar wurde, daß dies kein intellektuelles Geplänkel, sondern daß es wirklich bitter ernst war. Annette war solch ernste Gespräche mit Sophie nicht gewohnt. Normalerweise redeten sie über ihre Arbeit und flachsten über die Männer im allgemeinen. Doch heute schien es Annette, als sei alles anders. Als Gedankenspiel fand sie die Idee mit der Samenbank ja ganz witzig, originell, aber man machte das doch dann nicht wirklich. Zwischen Fantasie und Realität tat sich doch eigentlich immer ein tiefer Graben auf. Sophie hatte offenbar ein ernsthaftes Problem. Das würde sie nicht wirklich tun! Oder?

»Ich komme am Wochenende runter nach Düsseldorf. Dann reden wir, wie du es am besten machen kannst«, tönte es aus der Muschel, und in diesem Moment wäre Sophie am liebsten durch die Leitung gekrochen und hätte Annette einen dicken Kuß gegeben. Das war echte Freundschaft.

Am nächsten Tag nahm Sophie noch einmal allen Mut zusammen und rief ihre Freundin Sabine in München an. Selbst mit zwei süßen kleinen Kindern gesegnet, konnte Sabine wohl kaum Argumente gegen ihren Kinderwunsch vorbringen, aber Sophie täuschte sich gewaltig.

»Kinder brauchen doch einen Vater!« Das war Sabines heftige Reaktion.

Sophie blieb die Spucke weg. Sabines Heinz-Herbert ließ sich höchstens am Wochenende herab, mal mit den Kleinen ins Schwimmbad zu fahren, und dann war er den restlichen Tag unausstehlich, weil völlig gestreßt. Er hatte es sogar einmal fertiggebracht, von einer Geschäftsreise erst zwei Tage später nach Hause zu kommen, weil beide Kinder eine Magen-Darm-Grippe hatten. Sein Argument: »Nicht, daß ich mich anstecke.« So hatte Sabine alleine tagein tagsaus die vollgekotzten Kinder gebadet, umgezogen und getröstet.

Sabine Entenmayer, geborene Szymrzinski, war Sophies Schulfreundin seit der 7. Klasse, und es gab wohl nichts, was sie nicht voneinander wußten. Sabine war als Stewardeß meist die Südamerika-Route geflogen und hatte ein wunderbares Leben, bis sie Heinz-Herbert Entenmayer ausgerechnet im gemeinsamen Skiurlaub mit den Freundinnen Sophie und Annette kennenlernte. Annette und Sophie wußten gleich, daß das ins Auge gehen würde. Herr Entenmayer fiel aus dem Lift und Sabine über ihn. Sophie verstauchte sich bei der Aktion den Knöchel, und Sabine und Heinz-Herbert verlobten sich fünf Tage später auf der Rodelhütte. Ende des flotten Stewardessen-Lebens. Sabine zog von Frankfurt nach München, bekam ein Jahr später ihren kleinen Philipp, Sophies Patenkind, und zwei Jahre später Lena, heute ein blondgelockter Engel von drei Jahren. Sabine hatte sich ihre lange blonde Mähne abschneiden lassen und trug seither einen simplen Kurzhaarschnitt, ›wegen der Kinder ist das praktischer‹. Heinz-Herbert hatte die große Autovermietungsfiliale seines Vaters übernommen, und die beiden lebten wie ein in die Jahre gekommenes Ehepaar in einer noblen Villa in Grünwald. Prost Mahlzeit!

»Ich freue mich für dich, daß du dich endlich entschlossen hast, auch ein Kind zu bekommen, Sophie, aber du mußt einen Vater finden, glaube mir, du wirst es sonst bitter bereuen!« warnte Sabine eindringlich mit ihrer sanften Stimme.

»Ach Sabine, nicht jeder kann einen Heinz-Herbert haben.«

»Doch, du mußt nur bereit sein. Mach lieber erst mal einen Selbsterfahrungskurs«, riet sie, und da mußte Sophie dann endgültig lachen.

»Ich und einen Selbsterfahrungskurs? Soll ich etwa für 1000 Mark über glühende Kohlen laufen? Erscheint einem dann der Traummann und ideale Vater leibhaftig?«

Jetzt lachten beide.

»Sabine, du weißt, ich bin eher der rationale Typ. Es dauert zwar manchmal lange, bis ich mich zu einer Entscheidung durchringe, aber dann stehe ich es auch durch.« Sabine sagte nichts mehr.

»Flieg doch am nächsten Wochenende rauf nach Düsseldorf, Annette kommt auch, dann könnt ihr mir beide beistehen«, bat Sophie die glückliche Mutter am anderen Ende der Leitung. Und siehe da, es geschahen noch Zeichen und Wunder.

»Du hast recht, ich könnte mir eigentlich mal ein Wochenende freinehmen, falls Heinz-Herbert ...«

»Frag lieber deine Schwiegermutter, ob sie auf die Kinder aufpassen kann. Wenn du auf Heinz-Herbert zählst, wird nichts draus«, warnte sie Sabine. Dann schrie Lena aus Leibeskräften, und das Gespräch war abrupt beendet. Aber Sabine versprach zu kommen.

Sophie konnte den Samstag kaum erwarten. Es war ein gutes Gefühl, daß Freunde, wenn man sie wirklich brauchte, auch für einen da waren. Sie würden es sich so richtig gemütlich machen, wie in alten Zeiten. Sie hatte mittlerweile einige Erkundigungen über Samenbanken in den USA und den Niederlanden eingeholt und war gewappnet. Langsam nahm die ganze Idee konkrete Formen an.

Annette kam gegen ein Uhr mit dem Auto in Düsseldorf an, Sabine um halb drei mit dem Flieger aus München. Sophie hatte am Freitag abend schon einen Nußkuchen aus einer Fertigmischung für das Kaffeekränzchen gebacken, und abends wollten alle drei zum Mexikaner El Sombrero in der Altstadt. Eine erste Adresse in Düsseldorf, kein Fastfood-Tex-Mex-Verschnitt, sondern original mexikanisches Essen.

»Also, Kinder, ich bin fest entschlossen, da könnt ihr nichts mehr ändern, deshalb versucht es erst gar nicht«, so läutete Sophie das gemütliche Treffen ein. Sabine hockte auf dem gelben Sitzkissen am Boden, Annette saß kerzengerade auf dem von Sophie eigenhändig restaurierten naturfarbenen Holzstuhl mit dem Korbgeflecht, und sie selbst lümmelte auf dem Sofa, vor ihr die Prospekte und etliche ausgedruckte Seiten aus dem Computer. Sophie hatte sich bereits diverse Infobroschüren e-mailen lassen und die Seriosität einzelner Einrichtungen gecheckt. Die meisten Samenbanken verfügten über eine Webpage im Internet, und deshalb war die Recherche keine große Kunst gewesen – zumindest nicht für einen Profi wie Sophie. Meist waren es ja Universitätskliniken, die einen sauberen Service anboten, aber auch einige Privatfirmen machten einen ganz guten Eindruck.

Die beiden Freundinnen starrten sie etwas kuhäugig an, als ob sie es nicht fassen konnten. Sophie kam schnell zur Sache, blätterte die Broschüren von einem ›Academisch Ziekenhuis‹, ›Baby Heaven‹ und ›Fertility Center‹ auf den Tisch und begann ihren Plan im Detail zu erläutern, möglichst geschäftsmäßig und unemotional. Sie wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, aber im Prinzip dürstete es sie natürlich nach Zustimmung und Unterstützung. So nach dem Motto: ›Superidee, genau richtig, wie du das angehst.‹

Sabine machte als erste den Mund auf: »Na ja, es ist vielleicht wirklich besser, als den Erstbesten jetzt notgedrungen zu heiraten, sozusagen als Notlösung. Darunter würde ein Mann, wenn er es herausbekommt, sicher leiden.«

Annette verdrehte die Augen.

Sophie schwante, daß das Ärger geben würde. So gern sich Sabine und Annette auch mochten, aber in manchen Dingen hatten sie schlicht gegensätzliche Einstellungen, besonders wenn es um Männer und Frauen ging.

»Es ist völlig unerheblich, ob hier ein Mann leidet, liebe Sabine, sondern es geht um Sophie, allenfalls noch um einen noch zu zeugenden Säugling. Im übrigen halten Männer manchmal mehr aus, als du denkst«, bemerkte Annette mit schiefem Mundwinkel und ihrem entsetzlich zynischen Grinsen.

»Annette, daß ausgerechnet du glaubst, du kennst die männliche Psyche wie deine Westentasche, ist ja wohl ein Witz!«

»Wenn ich an deinen Göttergatten Heinz-Herbert denke, ist da soviel beileibe nicht zu entdecken!«

»Was hast du nur immer gegen Heinz-Herbert!«

»Ich habe nichts gegen deinen unsensiblen Macho, sondern generell etwas gegen Männer, die sich für die Krone der Schöpfung halten. Das sind Rosinenpicker, nichts als Rosinenpicker, die suchen für sich immer den besten Weg, den Dreck dürfen die anderen machen. Und wenn du es genau wissen willst, dein Heinz-Herbert gehört dazu.«

»Immerhin würde er mich nie betrügen!«

»Dazu würde er auch schwerlich eine Dumme finden ...«

Man hätte nach diesem Wortgefecht eine Stecknadel fallen hören können. Sophie mußte eingreifen, denn die Stimmung wurde definitiv zu kriegerisch. Seltsam, daß zwei erwachsene Frauen bei einem so klaren Gesprächsthema wie ›Von welcher Samenbank soll ich das Sperma bestellen?‹ so klischeehaft dachten und sich sofort in die Haare bekamen. Da schlugen die emotionalen Wellen offenbar hoch.

Sabine spielte natürlich auf den letzten Lover von Annette an, der ein Hamburger Frauenheld vor dem Herrn gewesen war. Der hatte wahrlich nichts anbrennen lassen, und selbst Sophie hatte sich seiner offensichtlichen Avancen erwehren müssen. An die peinliche Szene und die Leidensmiene von Annette konnte sie sich noch gut erinnern. Annette hatte wirklich ein Händchen, immer an die falschen Männer zu geraten, dementsprechend kurz waren ihre Beziehungen bislang ausgefallen.

»Also hört mal ihr beiden, streiten nutzt hier nichts. Die Sache ist für mich klar. Ich habe mit Tante Billie jede Variante durchgespielt, und wir finden beide, daß es der richtige und vor allem ehrlichste Weg ist«, bemühte sich Sophie, die Situation etwas zu entkrampfen. Sie hatte keine Lust auf einen Weiberstreit-Abend. Wobei Tante Billie genaugenommen von der Samenbank-Variante noch nichts wußte. Aber sie fand das sicher klasse. Keine Frage.

Endlich kam Annette, als sie sich das erste Stückchen Nußkuchen in den Mund stopfte, zum Kern der Sache. »Also zeig schon her! Was hast du denn zu bieten ... ah ja, Amsterdam, New York, Virginia, Los Angeles, San Francisco.«

»O Gott, du willst auch noch einen Ami? Warum denn keinen deutschen Vater?« platzte Sabine heraus.

»Hilfeee«, schrie Annette und stöhnte laut auf, »weil das in Deutschland gar nicht geht. Sabine, liest du denn keine Zeitungen? Hier bekommen Lesben kein Sperma von einem anonymen Spender.«

Sabine stutzte, schaute Sophie an und dann Annette, wobei sie vergaß, ihren Mund zu schließen.

»Aber Sophie ist doch nicht lesbisch!« entrüstete sich Sabine nach der Schrecksekunde und schaute dann noch unsicherer von Sophie zu Annette und blieb dann wieder bei Sophie hängen. »Oder?«

»Nein, sicher ... ähh, wahrscheinlich nicht«, schmunzelte Annette und zwinkerte Sophie zu, »oder etwa doch?«

Sabine hatte es noch nicht begriffen.

»Nein, herrgottnochmal, ich bin nicht lesbisch, aber als Single mit Kinderwunsch habe ich bei einer deutschen Samenbank oder einem deutschen Arzt keine Chance, und – um deine Frage gleich zu beantworten, Sabine – irgendwie finde ich den Gedanken schrecklich, daß ich in Leiden für 800 Gulden das Sperma eines rothaarigen, käseweißen Holländers mit Schuhgröße 46 abschleppe; ein Ami wäre mir da wirklich lieber.«

Jetzt hob Annette zu einer ihrer beliebten Schimpftiraden auf die strengen deutschen Gesetze an, die so vieles in der Forschung unmöglich machten: »Soweit ist es also mit unserer Forschungsfeindlichkeit hierzulande gekommen, daß man ins Ausland fliehen muß, um sich seine Wunschträume zu erfüllen. Selbst Sperma wird rationalisiert.« Annette neigte manchmal zu Übertreibungen.

Die sogenannte heterologe Insemination wurde nur bei Ehepaaren praktiziert. Wenn ein unverheiratetes Paar auf den fitten Samen eines Spenders angewiesen war, mußte es einen sehr fortschrittlichen und risikobereiten Arzt ausfindig machen. Sonst ging gar nichts. Bei einem Single war die Rechtslage derart unsicher, daß man wahrscheinlich wochenlang durch die Republik kreuzen mußte, um irgendwo einen mitleidigen Arzt aufzutreiben, oder einen, der unbedingt ein paar Mark nebenher schwarz verdienen wollte.

Sophie hatte sich instinktiv auf einen amerikanischen Vater festgelegt. Einen samthäutigen Latino-Typen hatte sie sich in ihren Träumen vorgestellt: sportlich, entspannt und überlebenstüchtig, vielleicht mit italienischen oder indianischen Vorfahren, irgendwie eine außergewöhnliche Mischung. Ihr Kind sollte ja schließlich was Besonderes werden! Intelligent bin ich selbst, fand sie, ein Schuß Körperkultur könnte ihrem Baby also nicht schaden. Den Prospekt von der Samenbank, die nur tiefgekühltes Material von Nobelpreisträgern aufbewahrt, hatte Sophie rücksichtsvollerweise lieber nicht offen auf den Tisch gelegt. Sabine hätte einen ihrer Asthma-Anfälle bekommen, und Annette hätte sich wahrscheinlich halb totgelacht.

Sophie wäre da ja nicht so pingelig, aber um auf den Schmu reinzufallen, hatte frau doch nicht drei Jahre lang Molekularbiologie studiert. Wie war noch der Witz mit Marilyn Monroe und Albert Einstein?

Fragt Marilyn den Albert: »Wäre es nicht wundervoll, wenn wir ein Kind zusammen hätten, mit Ihrer Intelligenz und meiner Schönheit?« Und Einstein antwortet: »Was aber machen wir, wenn es andersherum kommt?«

Ja, ja, die Vererbung war eine vertrackte Sache. Da konnte man nie sicher sein, was herauskam. Außerdem spielten die Erziehung und die frühkindliche Förderung bei der Intelligenz immerhin zu 50 Prozent eine Rolle, das hatten neue Untersuchungen ziemlich zweifelsfrei bestätigt. Also bei so vielen Unwägbarkeiten würde Sophie für ein paar Millionen kleiner Samenfäden doch nicht den dreifachen Preis zahlen, den man normalerweise hinlegen mußte! Das hatte sie sich alles bereits gründlich überlegt.

»Also ich denke, du solltest mal zu einem guten Psychiater gehen«, warf Sabine mit leiser Stimme ein. Ein weiterer Versuch, die Sache doch noch abzuwenden.

»Wenn hier jemand spinnt, dann wohl du«, antwortete Sophie scharf, »ich lege mich doch jetzt nicht fünf Jahre auf die Couch, kehre meine Kindheit von innen nach außen, am Ende gehe ich mit dem Psychofritzen ins Bett, und wir müssen dann gemeinsam eine Therapie machen, um herauszubekommen, ob wir ein Kind wollen, oder nicht. Vergiß es!«

»Also ich würde nach New York gehen«, sinnierte Annette bei ihrer zweiten Tasse Kaffee vor sich hin und griff nach der Broschüre von ›New York Baby Heaven‹.

»Hört euch das an: Test auf sieben verschiedene Erbkrankheiten, psychologischer Test, Intelligenztest, natürlich AIDS-Test und sämtliche sexuell übertragbaren Krankheiten, von Syphilis und Chlamydien bis Hepatitis B. Die prüfen die Jungs ja wirklich auf Herz und Nieren.«

»Wie unromantisch ...«, warf Sabine spitz ein, »da kannst du dir dein Kind ja gleich aus dem Designladen holen.«

Sophie wußte auch nicht, was mit Sabine los war. So giftig hatte sie sie selten erlebt.

»Mein Gott, muß du unbefriedigt sein. Na kein Wunder, mit einem Heinz-Herbert im Bett«, bemerkte Annette trocken.

Da sprang Sabine auf, und ihr traten die Tränen in die Augen. »Wenn ihr wüßtet ...«

Ihre Freundinnen hatten ja keine Ahnung, wie ihr Leben in den letzten Jahren aussah. Heinz-Herbert schien nur noch die Firma im Kopf zu haben. Es war hoch gerechnet, wenn sie einmal im Monat miteinander schliefen. Die Kinder forderten ihre ganze Kraft. Es war kein Honigschlecken. Aber sie war fest entschlossen, diese schwierige Zeit durchzustehen.

Sophie hätte Annette wirklich eine knallen können. Sie trieb die arme Sabine mit ihrem Zynismus in die Enge, und die konnte sich kaum wehren.

Sie hatte zwar geahnt, daß sich die beiden nicht wirklich für ihre Ideen begeistern würden, aber ein solches Desaster hatte sie auch nicht erwartet. Am besten war es jetzt wahrscheinlich, ein Fläschchen Champagner zu köpfen. Das klärte ja manchmal den Geist.

Sabine trat schniefend aus dem Bad und entschuldigte sich bei allen. Typisch Sabine, denkt immer, sie sei schuld.

»Komm, setz dich wieder, Annette hat es doch nicht so gemeint. Laßt uns lieber weiter überlegen, welche Samenbank die beste für mich wäre. Die USA sind groß. Wir haben die Qual der Wahl unter rund zweihundert Spermadepots von Kalifornien bis New York, von Florida bis Detroit.«

»Also ich würde keinen New Yorker nehmen! Da denkt man ja gleich an einen Stadtneurotiker wie Woody Allen – nein danke.« Das klang jetzt wieder nach der alten Sabine, die ihre Psychodelle überwunden zu haben schien. Vielleicht half aber auch nur der Schampus.

»Ein intelligenter, aber stocksteifer Businessman aus Boston ist garantiert nicht besser«, meinte Annette.

»Vielleicht doch lieber so ein gut gebauter kalifornischer West-Coast-Typ ä la Brad Pitt oder Keanu Reeves«, warf Sophie in die Runde. Jetzt begannen Sabines Augen zu leuchten.

Annette ging gleich ins Detail. »Sophie, du mußt dir den Laden nur ganz genau anschauen. Du erinnerst dich vielleicht an den Fall im letzten Jahr. Da hatte ein Frauenarzt immer sein eigenes Sperma verwendet. Der ging als ›Der Sperminator‹ wochenlang durch die Presse und sitzt jetzt für fünf Jahre hinter schwedischen Gardinen. Geschieht ihm recht. Oder in dem anderen Fall hatten drei Ärzte Embryonen von Frauen ohne deren Wissen weiterverkauft.«

»Daran hab’ ich natürlich auch schon gedacht. Aber ich nehme ja das tiefgefrorene Sperma mit nach Hause und befruchte mich dann selbst mit einer Kanüle. Geht ganz einfach. Ich meine, ich bin ja nicht unfruchtbar, deshalb kann ich mir eine Reagenzglasbefruchtung sparen. Und wegen dieses Skandals, mit dem Ärztesamen ... da denke ich, es ist das beste, man geht an eine Uniklinik. Da bekommen die Studenten, meistens angehende Ärzte, nur 50 Dollar für eine Spende. Das ist vielleicht weniger kommerziell als private Praxen.«

Sabine verdrehte die Augen. Diese rationalen Sperma-Pro-und-Contra-Argumente schienen ihr wie der blanke Hohn. Die beiden wissen doch von dem wahren Leben mit Kind gar nichts, dachte sie sich. Aber was konnte es nutzen, wenn sie jetzt einen Schwank aus dem Alltag erzählte. Die anderen hätten sie ja doch nur bemitleidet.

»Theoretisch könntest du ja auch deine Eizellen tiefgefrieren und warten, bis du den Supermann und Vater für dein Kind findest. Und wenn es erst mit fünfundfünfzig ist, macht’s ja auch nichts, dann taust du deine Eier auf, läßt deine Gebärmutter mit einem Hormoncocktail aufpeppen und wirst schwanger. Das wäre wirklich innovativ und zukunftsweisend«, fachsimpelte Annette herum, wohlwissend, daß Sophie keine Lust hatte, bis zu ihrem 55. Lebensjahr jeden Abend mit Röntgenblick im Leo’s nach einem Vater Ausschau zu halten. Außerdem ließen sich unbefruchtete Eizellen denkbar schlecht einfrieren. Das wußte Annette ganz genau. Beim Auftauen überlebten nur wenige.

Es war Zeit, sich für das El Sombrero fertigzumachen. Sophie trug zum erstenmal nach der desaströsen Felix-Nacht das schwarze Minikleid von Tricia Jones, ihrer Lieblingsdesignerin, das sie sich damals extra gekauft hatte. Dazu die halterlosen fleischfarbenen Strümpfe und einen roten durchsichtigen Blazer aus Organza. Schwarze Strümpfe waren gerade völlig out. Sophie steckte sich die Haare hoch, was sie derzeit besonders attraktiv fand, und versuchte sich mit dem Eyeliner. Annette war wie immer todschick und in ihrem rostfarbenen Anzug von Jean Paul Gaultier die Extravaganteste von allen.

Sabine dagegen machte einen unglücklichen Eindruck. Mit den unpassenden schwarzen Strümpfen und dem türkisfarbenen Wollkleid sah sie wie eine arme Verwandte aus dem Osten aus. Dabei war sie, oder besser Heinz-Herbert, stinkreich. Sabine hatte nur einfach nie Zeit, sich mal was Tolles zu kaufen und stundenlang in der Stadt von Boutique zu Boutique zu schlendern und herumzustöbern.

Annette zeigte sich einsichtig, sogar versöhnlich. Die beiden hatten etwa Größe 40, und sie lieh ihr deshalb ihren sandfarbenen Jil-Sander-Anzug, dazu einen dunkelroten ärmellosen Rolli und die passenden roten Wildlederschuhe.

Die drei Freundinnen hätten so auf die Prèt-à-porter nach Paris gehen können. Selbst der Taxifahrer pfiff leise durch die Zähne, als er sie vor dem El Sombrero absetzte.

Sophie, Annette und Sabine genehmigten sich zunächst ein Corona-Bier, schön mit Zitrone aufgeschäumt. Sie wollten nicht gleich mit einem Margarita starten, der war im Leo’s sowieso tausendmal besser. Der Kellner, ein Sprachstudent von der Uni, wie sie schnell herausfanden, bediente sie ausgesprochen zuvorkommend und schwänzelte den ganzen Abend um den Tisch herum. Als Vorspeise gab es Tortilla-Chips mit roter Chili-Sauce, Knoblauch-Dip und Guacamole. Sabine bestellte sich eine ›Schwarze Bohnensuppe‹ als zweite Vorspeise, was Annette mit einem mißbilligenden Blick quittierte. Sophie ahnte, was sie dachte: ›Spätestens in einer Stunde wird sie jammern, daß sie solche Blähungen hat.‹ Sabine hatte dauernd Magen-Darmprobleme, was alle im gemeinsamen Skiurlaub schon öfter zur Verzweiflung getrieben hatte. Statt Après-Ski zu genießen, waren sie durch Drogerien und Apotheken gelaufen, um Früchtewürfel und Leinsamen für Sabine aufzutreiben.

Als Hauptgericht bestellten Sabine und Sophie ›Hühnchen mit Koriander‹, und Annette nahm ›Huhn in pikanter Schokoladensauce‹. Der süße Student, der sich auf ein Corona zu den dreien gesetzt hatte, brachte dann noch einen Chili-Fisch zum Probieren. Gerade als alle fröhlich im Fisch herumpickten, ging die Tür auf. Felix kam herein.

Das hatte gerade noch gefehlt! Er war mit seinem Oberarzt unterwegs. Allein das zeigte Sophie, wie einsam er sein mußte. Er sah wirklich schlecht aus, müde mit dunklen Rändern unter den Augen. Sophie starrte zur Tür, Annette und Sabine unterbrachen abrupt ihren Schwatz mit dem Kellner und drehten sich um, schauten wieder zu Sophie und wieder zu Felix. Keiner sagte ein Wort, bis sich Felix entschloß, an ihren Tisch zu kommen. Er begrüßte Annette und Sabine, die er beide von Sophies letztem Sommerfest her kannte, formvollendet und beugte sich dann zu Sophie herunter. Sein Kuß war fest, aber nicht zärtlich. Sophie brachte einfach kein Wort heraus, schluckte nur und lächelte, wahrscheinlich gequält. Gott sei Dank sah sie sich jetzt nicht im Spiegel. Felix nutzte die Schreckminute und meinte, wenn sie nach dem Essen noch Lust auf einen Drink hätten, würden er und sein Oberarzt Hansemann sich außerordentlich freuen, die Damen ins Leo’s einzuladen. Dann entschwand er an seinen Tisch, der sich glücklicherweise in der anderen Ecke des Lokals befand.

»Herrje, ist der distanziert, läßt sich ja gar nichts anmerken«, stammelte Sabine und schaute Sophie fragend an.

»Ihr kennt seine Schauspielkünste nicht!« preßte sie zwischen schmalen Lippen hervor und mußte sich beherrschen, um nicht loszuheulen. Aber den Triumph würde sie Felix nicht gönnen. Annette fand auch, man solle einfach weiter den Abend genießen, und es sei an der Zeit, einen Tequila zu bestellen. Sophies Laune besserte sich zusehends. Felix sollte wenigstens mitbekommen, daß sie sich mit ihren Freundinnen köstlich amüsierte. Er selbst hatte ja kaum Freunde. Sie lachten und kicherten, und aus dem Augenwinkel beobachtete Sophie Felix. Er schien angeregt in ein Gespräch vertieft. Allerdings wußte sie, daß man mit Hansemann keine wirklich anregenden Gespräche führen konnte, und deshalb traute sie dem Braten nicht. Er mußte sie doch vermissen!

Sie hatten nur noch ein einzigesmal miteinander telefoniert. Sophie hatte Felix gesagt, daß alles aus sei. Er hatte es hingenommen mit dem Satz: »Deine Entscheidung, Schatz.« Seitdem herrschte Funkstille. Und jetzt traf sie ihn im El Sombrero, wo sie gemeinsam so oft zusammen gegessen hatten, und diskutierte mit ihren Freundinnen, mit welchem Sperma sie sich schwängern lassen sollte. Perverser konnte das Leben nicht sein.

»Etwas kurz angebunden heute, das Fräulein Lackmann, oder?« wandte sich Hansemann an seinen Chef Professor Northeim. »Nun ja, man sieht sich eben hin und wieder«, entgegnete dieser möglichst beiläufig. Ihm war zwar klar, daß Hansemann über ihn und Sophie Bescheid wußte, aber darüber ausgerechnet mit ihm zu reden, das mußte ja nicht sein. Felix Northeim haßte es, wenn Mitarbeiter, mit denen er einen freundschaftlichen Kontakt pflegte, allzu persönlich wurden. Auf der anderen Seite hatte er keine Freunde, so wie andere Männer. Wann hätte er zum Stammtisch gehen sollen oder zum Tennisspielen? Dafür blieb einfach keine Zeit. Und so verbrachte er die wenige freie Zeit mit seiner Frau, mit Hansemann oder Sophie, wobei das ja jetzt wegfiel. Aber Felix war sich sicher, daß Sophie über kurz oder lang zur Vernunft kommen würde. Er war gekränkt über ihre neue Masche. Sie schien nicht wirklich um die Beziehung zu trauern. Das irritierte ihn. Dabei hatte er in den nächsten Tagen wirklich mit seiner Frau reden wollen. Er wollte Sophie ja nicht verlieren, dazu lag ihm zu viel an ihr, dazu begehrte er sie zu sehr, ihr festen Brüste, ihren runden Po, die samtige Haut, die sinnlichen Lippen ...

Er konnte sie nicht einfach vergessen und zur Tagesordnung übergehen. Seit Sophie und er sich wegen des blöden Kondoms zerstritten hatten, hing bei ihm zu Hause der Haussegen schief. Sophie hatte seine Ehe wohl unfreiwillig gekittet. Jetzt gab es keinen Puffer mehr. Und kein schlechtes Gewissen, das ihn zwei Jahre veranlaßt hatte, seiner Frau ab und an Blumen mitzubringen, mal Theaterkarten zu bestellen oder einen Kurztrip über das Wochenende in die Berge zu organisieren. Jetzt haßte er sie beinahe, weil ja genaugenommen wegen ihr die Liebe zu Sophie in eine Krise geraten war ...

»Herr Professor, noch ein Bier?«

Hansemann hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen. Wie lange mochte er so vor sich hin sinniert haben?

»Nein, danke Dr. Hansemann, wir sollten zahlen, ich habe morgen einen harten Tag.« Felix blinzelte zu Sophie hinüber.

»Natürlich, Herr Professor.«

Gottlob behielt Annette die Nerven, bestellte einen Besito, einen mexikanischen Kaffeelikör, und orderte die Rechnung. Plötzlich ging alles sehr schnell. Annette zahlte mit ihrer Eurocard und sagte nur: »Los jetzt, wir gehen!«

Sie winkte zu Felix hinüber, hielt Sabine und Sophie die Tür auf und schob sie hinaus. Sophie wollte gerade wieder zurück, um Felix zu fragen, ob die Einladung ernstgemeint war, als Annette sie an ihrem Ärmel festhielt.

»Du spinnst wohl! Du wirst da jetzt nicht reingehen, das bringt überhaupt nichts, höchstens daß der Abend dann völlig im Eimer ist. Der hatte seine Chance!«

Sie schob Sophie und Sabine in Richtung Taxistand und befahl knapp: »Ins Leo’s.«

Plötzlich kicherte Sabine, und bald prustete auch Sophie los. Gott, irgendwie war es ja wirklich lustig. Wenn Felix wüßte ...

»Warum willst du eigentlich keinen kleinen Mexikaner? Ein wenig Farbe, ähh, täte dem konventionellen Düsseldorf doch gut ...«, stotterte Annette zwischen einzelnen Lachsalven.

»O Gott, meine Mutter bekommt einen Herzinfarkt, wenn ich mit einem Kind von der Samenbank ankomme und dann auch noch mit pechschwarzen Haaren und dunkler Haut«, stöhnte Sophie. Wobei klar war, daß ihre Mutter von der ganzen Aktion niemals etwas erfahren durfte. Für sie würde sie die Version vom US-One-night-stand ausschmücken, was für ihre Mutter ohnehin shocking genug wäre, aber wenigstens im Bereich des irdisch Vorstellbaren lag.

Im Leo’s bekamen sie ihren Stammplatz, und die exaltierte Kicherlaune war kaum mehr zu bremsen. Sabine stieß nach dem zweiten Margarita spitze Schreie in Cis-Dur aus und lächelte mit ihren geröteten Bäckchen selig in die Runde.

»Mensch, ist das schön mit euch! Soll ich euch einen neuen Witz erzählen?«

Annette winkte ab, ihr war das aufgedrehte Gehabe von Sabine mal wieder ein wenig peinlich.

»Los, erzähl schon!« ermunterte Sophie die zweifache Mutter. Man konnte ihr den Spaß doch nicht verderben! Wahrscheinlich war das der lustigste Abend für sie seit Jahren.

»Also, Fritzchen und Ferdinand unterhalten sich auf dem Schulhof. Fragt Ferdinand: Hast du schon das neue Auto von unserem Mathelehrer gesehen? Fritzchen: Nein. Was hat er denn? Antwortet Ferdinand: Ein neues Coupé, spermafarben. Da meint Fritzchen: Ach, wie praktisch. Wenn mal ein Kratzer drankommen sollte, dann kann er es ja selber spritzen!«

Sabine hielt sich den Bauch vor Lachen und prustete die Hälfte ihres dritten Margaritas über den Tisch. Annette und Sophie schauten sich zwar in der ersten Sekunde ein wenig ratlos an, aber dann krampfte sich auch ihr Zwerchfell rhythmisch zusammen, und nicht zu knapp. Selbst die coole Annette mußte sich den Akt wohl plastisch vorgestellt haben und schlug sich auf die Schenkel. Jetzt sollte jede einen Witz erzählen. Die kluge Annette machte natürlich ein halbes Logik-Quiz daraus und fragte unschuldig in die Runde: »Sagt mal, ist Unfruchtbarkeit eigentlich vererbbar?«

»Wieso?« fragte Sabine zurück und runzelte die Stirn. Sophie konnte es nicht fassen. Sabine fiel tatsächlich auf den alten Biologenwitz rein. Das wiederum amüsierte Annette königlich, die sich herabließ, Sabine den Intelligenztest für späte Stunden zu erklären. »Wie willst du herausfinden, ob Unfruchtbarkeit vererbbar ist, wenn du kein Kind zeugen kannst, weil du eben unfruchtbar bist, mmh?«

Sabine begriff und zückte ihr Notizbuch, um Heinz-Herbert am Sonntag abend, wenn sie wieder zu Hause sein würde, vorzuführen. Heinz-Herbert würde sicher fünf Minuten brauchen, ehe er den Witz kapierte. Das war klar. Sophie blickte einige Male zur Tür, wohl mit dem Gedanken, Felix könnte hereinkommen und ungeachtet des abrupten Abgangs zu ihnen stoßen, aber er kam nicht.

Langsam wurde es Zeit, ins Swimmingpool zum Tanzen abzudüsen. Es war halb eins, genau die richtige Zeit. Bis zur Disco waren es nur ein paar Meter. Also marschierten sie zu Fuß. Sabine stöhnte zwar wegen der ungewohnt hohen Schuhe, hielt aber tapfer durch, trotz der zwei Coronas, der zwei Tequilas und der zweieinhalb Margaritas.

Im Tanzpalast Swimmingpool war der Teufel los. Halb Düsseldorf mußte an diesem Samstag auf den Beinen sein. Sie zwängten sich durch die rauchige Luft, vorbei an den schwitzigen Leibern, zur Bar. Dort lümmelte Achim mit Peter im Schlepptau herum. Wunderbar, jetzt hatten sie amüsante Gesellschaft. Die Nacht versprach noch ein Highlight zu werden.

Sophies Bruderherz war nicht sonderlich begeistert, die drei zu sehen, weil er gerade die dralle dunkelhaarige Bedienung anbaggerte. Ihm stand der Hormonspiegel mal wieder bis zu den Haarspitzen. Achim dagegen freute sich sichtlich. Er bestellte allen bei Peters Herzensdame für diesen Abend einen Margarita, und man stieß an. Sabine ließ sich den Trinkspruch nicht nehmen: »Auf den Befruchtungstourismus ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten!«

Sophie blieb fast das Herz stehen. Die Gute hatte wirklich einen zuviel im Tee. Es sollten doch weder Peter noch Achim etwas von ihren Überlegungen erfahren. Peter bekam gottlob nichts mit. Für feine Zwischentöne hatte er noch nie ein Ohr gehabt. Aber Achim schaute verständnislos in die Runde, und sein Blick blieb an Sophie hängen. Dieser Blick ging ihr durch Mark und Bein. Hier half nur noch eine billige Verschleierungstaktik: »Jaja, Sabine feiert heute die Zeugung von Lena. Florida im Urlaub!« Jetzt schaute Sabine pikiert in die Runde, verstand nichts, und Annette rettete die Runde, indem sie die beiden anderen auf die Tanzfläche schubste.

Als sie sich zum Tanzen durch das Swimmingpool kämpften, stießen sie fast mit David Parker und Bodo zusammen. Sophie hatte gar nicht gewußt, daß die privat etwas miteinander zu tun hatten. Aber egal, sie überredeten die beiden noch auf einen Drink, und es wurde eine spezielle Nacht. Alle tanzten und lachten und irgendwann wurde Sophie das Gefühl nicht mehr los, daß fast ein wenig Endzeitstimmung herrschte. Sie amüsierten sich, als wenn es kein Morgen mehr gäbe.

An diesem Abend, immerhin der eigentlich entscheidende Abend für die Zukunft von Sophies Kind, war wirklich alles außergewöhnlich. Fehlte nur noch Tante Billie, sonst hatte der Zufall ja bereits alle erdenklichen Freunde zusammengeführt. Wenn es denn Zufall war! Sophie glaubte nicht mehr an beliebige Ereignisse. Wahrscheinlich steckte hinter allem doch ein tieferer Sinn.

Welche Samenbank hätte wohl Tante Billie gewählt? Sophie konnte sich die Antwort lebhaft vorstellen: »Ein fünfzigjähriger holländischer Käsefabrikant, das war doch was!« Billie war wohl wirklich die einzige, die sie heute nicht treffen würden. Das Leo’s und das Swimmingpool waren nicht ihre bevorzugten Jagdreviere.

Achim legte mittlerweile den Arm um Sabines Taille, und Sophie tanzte mit Bodo so geil, wie man nur mit Schwulen tanzen konnte. Jedem anderen Mann wäre bei solch einem demonstrativen Paarungstanz der Reißverschluß geplatzt. Ihr steckte der Felix-Schock noch in den Knochen, und der ließ sich beim Tanzen vortrefflich abbauen. Nur, daß Achim derart auffällig mit Sabine flirtete, um ihr endlich mal zu zeigen, daß er nicht nur auf sie stand, ärgerte Sophie ein wenig. Aber wirklich nur ein wenig.

Annette unterhielt sich an der Bar angeregt mit Parker über eine mögliche Kooperation zwischen Gene Dream und der Hamburger Uni und lächelte so kokett wie schon lange nicht mehr. Die beiden hätten ein prima Paar abgegeben. Beide gutaussehend und intelligent, beide zielstrebig und dabei nicht verbissen, dachte sich Sophie. Es war eine rundum gelungene Nacht, keine Frage.

Um halb vier torkelten die drei angedüdelten Weiber brav ohne Herrenbegleitung zu Sophie nach Hause, wobei Sabine nur unter der Androhung, daß Heinz-Herbert sicher morgen früh anrufen würde, dazu zu bewegen war mitzukommen. Wenn Ehefrauen schon mal Ausgang hatten!

Sabine hatte sich auf das Sofa im Wohnzimmer gebettet und schnarchte lautstark. Sie war einfach keine guten Margaritas mehr gewöhnt. Annette lag neben Sophie in dem weißen italienischen Designer-Bett. Sie hatte sich ihre Schlafbrille aufgesetzt und schlief wahrscheinlich, noch ehe ihr Kopf das Kopfkissen berührt hatte.

Warum sollte ein Samenspender kein guter Vater sein? Genau mit diesem Gedanken schlief Sophie ein.

Der Sonntagmorgen begann arg verkatert, und wie erwartet, weckte Heinz-Herbert alle um halb neun. Wenn Väter schon mal allein zu Hause waren! Aber da Sabine nur unverständliche Grunzlaute von sich gab, legte Heinz-Herbert schnell wieder auf. Erst gegen elf spendierte Sophie eine Runde Erfrischungsgel-Masken, um die Auswirkungen der vergangenen Nacht in ihren sowieso nicht mehr ganz taufrischen Gesichtern abzumildern. Sophies Mutter hatte wahrscheinlich recht mit ihrem Spruch: ›Kind, ab dreißig sieht man jede schlaflose Nacht.‹

Annette setzte sich um zwei Uhr ins Auto, um nach Hamburg zurückzufahren. Sophie brachte Sabine zum Flughafen und träumte den Rest des Tages vor sich hin.

Für sie war dieses Wochenende vom 2./3. November die eigentliche Geburtsstunde ihres Babys. Ihr war klar, daß ihr Kind in Amerika gezeugt werden würde, mit sorgfältig ausgesuchtem Samen, getestet und für gut befunden, für knapp 500 Dollar.

Jetzt mußte sie nur noch Parker überreden, sie zur Weiterbildung zwei Monate im Mutterkonzern in Walnut Creek arbeiten zu lassen. Das hatte er ihr im Frühjahr in einer schwachen Stunde einmal angeboten, aber sie hatte damals natürlich dankend abgelehnt. Für kein Geld und keinen Karriereschub der Welt hätte sie freiwillig zwei Monate auf Felix verzichtet. Aber jetzt?

Walnut Creek war ein kleiner Ort im sogenannten ›Gene Valleys etwa vierzig Kilometer südöstlich von Los Angeles in Kalifornien. Dort arbeiteten bei Gene Dream einige hundert Gentechniker und etwa fünfzig Patentanwälte an den medizinischen Neuerungen der Zukunft. Neue Produkte gegen Krebs, Herzinfarkt und ein Schutz für Nervenzellen waren an der Schwelle zum ersten Einsatz an Patienten. Sowohl Querschnittsgelähmte als auch Alzheimer-Patienten durften in den nächsten Jahren mit Medikamenten von Gene Dream rechnen. Der größte Knüller von Gene Dream aber war ein neuer AIDS-Test, den die Firma im letzten Jahr auf den Markt gebracht hatte. Man brauchte dazu nur noch Speichel, kein Blut mehr. Allein dieser Test hatte der Firma einen Umsatz von 200 Millionen Dollar in einem Jahr beschert. Es war schon toll, bei Gene Dream mit dabei zu sein, und natürlich war es in Kalifornien noch viel spannender als in Düsseldorf. In Walnut Creek ging wirklich die Post ab. Von dort aus wurden die Tochterfirmen in Frankreich, Schweden, Ungarn, Paraguay, Japan und eben Deutschland gesteuert.

Die Pressestelle in Walnut Creek wurde von Sophies Freundin Deborah Meyers geleitet, einer hochintelligenten kaffeebraunen Naturschönheit. Sophie hatte sie auf der vorletzten Jahreshauptversammlung von Gene Dream International kennengelernt. Mit ihr ein paar Wochen zusammenzuarbeiten, wäre einfach toll. In ihrer freien Zeit und am Wochenende bliebe Sophie noch genügend Zeit für eine Befruchtung. Und falls es beim erstenmal nicht klappen würde, hätte sie noch eine zweite Chance im darauffolgenden Monat. Zweimal Eisprung, zweimal die Möglichkeit, schwanger zu werden. Das, fand Sophie, wäre die kongeniale Zusammenführung privater und beruflicher Interessen.

Liebe on the rocks

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