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Linni

In Linnis Kopf rauschte es. Wäre sie doch bloß ein Vogel und könnte dem ganzen Schlamassel einfach entfliehen. Sie wusste, dass ihre Arglosigkeit und Unbekümmertheit gegenüber ihrer Schwester mit einem Mal für immer verschwunden waren.

Nach und nach jedoch verstärkte sich in ihr ein ungeheuerlicher Gedanke, den sie beschämt zur Seite zu stoßen suchte. Umsonst. Er biss sich in ihr fest wie eine Zecke, auch wenn er ihr noch so unerträglich war.

Was wäre, wenn sie Ella jetzt tatsächlich die Wahrheit sagte und diese daraufhin mit Noemi – Was für ein komischer, ausgeflippter Name war das eigentlich? – Kontakt aufnähme? Die Zwillinge würden irgendwann merken, wie nah sie sich stünden. Jeder wusste um die besondere Nähe, die zwischen eineiigen Zwillingen bestand. Und sie wäre dann möglicherweise an den Rand gedrängt, geplagt von entsetzlicher Eifersucht.

Ihr brach erneut der Schweiß aus.

Das wäre furchtbar!

Wenn sie jedoch schwieg, wäre sie ebenso feige wie ihr Vater. Sie könnte Ella wahrscheinlich nie wieder normal gegenübertreten. Stets würde sie das schlechte Gewissen plagen.

Die Zwillinge – Ella zumindest – wären ihr vielleicht dankbar, die Wahrheit zu kennen.

Aber waren sie das wirklich? Wie stand es um Noemi? Vielleicht hatte Aurelia geheiratet und es gab weitere Geschwister und schlimmstenfalls einen ahnungslosen Ehemann? Und plötzlich platze in diese Idylle ein unbekannter Zwilling. Ella würde leiden angesichts des Gefühlsdesasters, das sie ausgelöst hätte, und sich vielleicht wünschen, nie von Noemi gehört zu haben. Ganz zu schweigen davon, wie Aurelia auf die Veränderungen und das gebrochene Versprechen reagierte.

Was also sollte sie tun?

Linni schüttelte angewidert den Kopf. Was hatte ihr Vater ihr da nur angetan?

Am Abend tauchte dann zu ihrer aller Freude Tommaso bei ihnen auf, um sie zu einem kleinen Umtrunk einzuladen. Zuerst wollte Linni spontan absagen. Ihrem Vater und vor allem Ella jetzt entspannt gegenüberzutreten, würde sie überfordern. Doch dann entsann sie sich, dass Ella dann ganz sicher den Grund ihrer Absage erfahren wollte – da sie, Linni, doch so narrisch in Tommaso verliebt gewesen sei. Also gingen alle gemeinsam hinüber. Wie bei ihnen, so wurde auch im Nachbarhaus in der geräumigen Küche gegessen, wo bereits kleine Tapas aufgetischt waren. Dazu gab es Bier, Wein, Wasser und zu Beginn Sekt. Linni vermied es, Brigitte in die Augen zu schauen, die mittlerweile sicher Bescheid wusste, dass Christian seinen Auftrag erledigt hatte. Doch dank des Sektes entspannte sie sich nach und nach, und am Ende des Abends war sie froh, mit den anderen gefeiert zu haben.

Tommaso hatte erstaunlicherweise überhaupt nichts von seiner Faszination von damals verloren, zu Linnis Freude jedoch die Arroganz abgelegt, welche Linni früher ab und an unangenehm aufgefallen war. Seine Männlichkeit und Erfahrenheit wurde nun noch durch die wunderbare Ruhe, die er ausstrahlte, unterstrichen. Im Gegensatz zu Elias fehlte ihm allerdings die elegante Gestalt. Er war kompakter, ein wenig kleiner und je nachdem, welche Bewegung er machte, spannte das T-Shirt ganz leicht um einen winzigen Bauchansatz. Doch sein Selbstbewusstsein hatte sich in den Jahren noch verstärkt – was angesichts seiner Auslandserfahrungen und beruflichen Erfolge verständlich war. In der Tat, Tommaso war vielleicht noch anziehender als früher, eben ohne seine damals aufgesetzte Angeberei.

»Hallo, Kleine«, begrüßte er sie mit einem Lächeln. Und beim Klang seiner Stimme fühlte sie sich prompt wieder wie die Achtzehnjährige, die ihm ein letztes Mal zum Abschied zugewinkt hatte. Das gleiche Herzklopfen, es war wirklich seltsam. Und zum ersten Mal in den letzten vier Jahren gehörte dieses Herzklopfen nicht Elias, der ebenfalls eingeladen worden war, sondern Tommaso.

»Hi, Tommaso, lange nicht gesehen«, erwiderte sie ehrlich erfreut. Hoffentlich merkte ihr niemand an, wie verlegen sie war. Herrgott noch mal, sie war neununddreißig. Stand »ihren Mann« in der Sattlerei und feierte recht ansehnliche Erfolge als Schmuckdesignerin. Aber bei Tommasos Anblick versagte ihr beinahe die Stimme. Was Unsinn war, denn sie liebte Elias, bei dem ihr ebenfalls viel zu oft die Stimme versagte. Bisher war sie immer überzeugt gewesen, dass man nur einen lieben konnte. Zwei auf einmal und gleich stark? Unmöglich. Dann liebte man keinen richtig.

Sollte das bedeuten, dass sie Elias aufgeben sollte? Tommaso musste sie gar nicht erst aufgeben, der hatte sich noch nie mit ihr beschäftigt und nachdem klar war, dass er Meran für immer verlassen würde – da war sie gerade achtzehn geworden –, stand für sie sofort fest, dass sie ihn sich aus dem Herzen reißen musste. Was ihr gelungen war. Bis zum heutigen Abend.

»Stimmt, ungefähr zehn Jahre.«

»21«, verbesserte sie ihn, »denn deine früheren Vorbeiflüge zählen nicht.«

»Du hast Recht. Bist ja hübsch gewachsen seit dem letzten Mal.«

Sie schmunzelte. Früher war sie von der Angst heimgesucht worden, kleinwüchsig zu bleiben, wie sie ihm einmal in ihrer Jugend verraten hatte und was dann zum Glück nicht eingetreten war. Wie nett, dass er es nicht vergessen hatte.

Ihr Herz war ihm damals verfallen, als sie auf einen Baum in seinem Garten geklettert war, um Simon, ihren Waldkater, zu retten. Das hatte der Kater selbst mittels eines mutigen Sprungs erledigt, als Linni ihn auf dem hohen Ast endlich erreichte. Doch sie hatte Angst, herunterzuklettern oder gar zu springen. Da erblickte Tommaso sie aus seinem Fenster. Sie wedelte mit den Armen und rief und er kam in den Garten gesprintet.

»Gut, dass du gekommen bist. Bitte hilf mir. Ich … ich kann nicht mehr runter«, sagte sie, nur mit Mühe ein Schluchzen zurückhaltend.

»Was musst du auch auf Bäume klettern?«, mahnte er sie. »Kleine Mädchen sollten mit dem Klettern warten, bis sie groß genug dazu sind. Das kannst du besser Ella überlassen.«

Bereits früher war Ella mit Begeisterung geklettert. Anfangs auf sämtliche Bäume im Garten, später im Fels, und war stets gesund und munter wieder heruntergestiegen.

Dann breitete er die Arme aus, und sie sprang – was sie beide auf den weichen Rasenboden plumpsen ließ.

Erst sehr viel später war sie in die Höhe geschossen. Doch da war dieser Mann natürlich in der Weltgeschichte unterwegs und sie nicht mehr im Blick. »Und du hast dir … äh … endlich einen anständigen Haarschnitt zugelegt.« Was stimmte. Ewig lief er früher mit Haaren bis auf die Schulter herum, was ihm zwar gestanden hatte, jedoch angesichts seiner störrischen dicken Haare ein wildes, ein wenig finsteres Aussehen verliehen hatte.

»Meiner Ex-Freundin sei Dank. Und du? Was macht das Liebesleben? Bist du liiert oder gar verheiratet? Oder nur unglücklich verliebt?«

»Ich bin glücklicher Single«, antwortete sie.

Er zuckte die Achseln. »Glückwunsch. Glückliche Singles sind rar wie Regen in Dubai.«

»Und wie war es so in der Wüste? Massenhaft Stege über die unzähligen Bäche geplant?«

»Mächtige Brücken über sechsspurige Autobahnen gebaut«, sagte er nicht ohne Stolz.

Sie hob anerkennend die Brauen. »Und? Dabei keine reiche Bewunderin an Land gezogen?«

»Abgesehen davon, dass meine Arbeit mich voll beansprucht hat, reichte mein Charme leider nicht aus, eine von ihnen aus der Wüste in die Berge zu zerren.«

War er also wegen einer unglücklichen Liebe nach Hause zurückgekehrt? »Also noch ein weiterer glücklicher Single?«

Er grinste. »Mehr oder weniger. Ich hatte genug vom Brückenbau, was mir mehr Zeit geschenkt hat, endlich was Gescheites in Angriff zu nehmen«, sagte er, nahm die halbvolle Sektflasche und blickte sie fragend an.

Sie hielt ihm ihr Glas entgegen und er schenkte ein. Erneut tranken sie auf ihrer aller Wohl.

Ella, die sich an der Tür mit Elias unterhalten hatte, der wiederum ohne Luca gekommen war, weil dieser bereits tief und fest schlief, gesellte sich zu ihnen und setzte sich auf die Sofalehne. »Na, Tommaso? Hast du dir jetzt vorgenommen, die Frauen in Meran zu verführen, nachdem du all die Wüstenschönheiten verlassen musstest?«

»Von müssen kann keine Rede sein. Im Gegenteil, man bat mich auf Knien und unter Tränen zu bleiben.«

Sie blickte augenzwinkernd auf ihn hinunter. »Du lügst, aber egal. Mach mal Platz.« Er rückte zur Seite und sie glitt neben ihn, womit die Couch besetzt war, und legte ihm ungeniert den Arm um die Schulter.

Linni betrachtete sie und dachte, dass sie sich das nie getraut hätte, bei einem Mann, den sie im Prinzip zwanzig Jahre nicht gesehen hatte. Ella war wirklich manchmal sehr forsch. Im Gegensatz zu ihr kannte sie Männern gegenüber kaum Hemmungen. Seltsam, dass sie immer noch Single war.

»Ich schätze, die Liste der Verlassenen ist ellenlang.«

»Mein Status bei den Frauen wird überschätzt. Die Gerüchteküche übertreibt. Ich bin auch nur ein Mann.«

»Und wie willst du demnächst deinen Lebensunterhalt hier verdienen? Neue Brücken über die Passer bauen?«

Er verschränkte die Arme. »Nein, Brücken hab’ ich über. Ich schreibe jetzt.«

Gespannt blickte Lilli ihrem Gegenüber in die Augen. »Das klingt ja toll. Was schreibst du denn so?«

»Rechnungen«, tönte Ella laut.

»Mein erster Roman war ein Krimi.«

»Wie ich meine erste Brücke vor dem Einsturz rettete«, kicherte Ella nun leicht beschwipst.

»Daneben. Er handelte von einem Brückenbauer, der in Dubai seine große Liebe fand und der seine Traumfrau kurz vor der Hochzeit bei einem Terroranschlag verlor«, erwiderte er ernsthaft, »woraufhin er sich auf die Suche nach den Tätern machte.«

»Oh«, rief Linni. »Das klingt dramatisch. Hast du auch Autobiografisches eingebaut?«

»Nur einzelne Sequenzen«, gab er mit einem Schmunzeln zurück.

»Und? Schon die erste satte Million eingesackt?«

Linni stöhnte innerlich. Ella war manchmal wirklich unmöglich.

»Wenn du die Höhe der Tantiemen dieses ersten Romans gekannt hättest, hättest du mir aus Mitleid Kost und Logis ohne Gegenleistung angeboten.«

»Das sagen sie alle. Außerdem hätte ich auf jeden Fall deiner Mutter das Füttern überlassen. Oder deiner neuen Freundin.«

Er grinste. »Aber abgesehen davon, dass ich ein bisschen was auf der hohen Kante hatte, kam ich dank der weltweit knapp fünf Millionen verkauften Bücher trotzdem ganz gut über die Runden.«

»Nicht schlecht! Aber wieso haben wir hier dann so gar nichts von dir gehört?«

»Vielleicht solltest du einfach mal eine Buchhandlung besuchen. Es gibt derer einige, selbst in Meran«, blitzte er Ella an. »Aber im Ernst, ich schreibe unter Pseudonym und halte es streng geheim.«

»Wie heißt denn dein Pseudonym?«

»Geheiiiiheiiiiim, Ella«, rief Linni kopfschüttelnd.

Tommaso antwortete: »Francesco Silvestri.«

»Und der Titel deines Buches?«

»Es heißt ›Feuersturm‹. Und wenn ihr es kauft, oder wenigstens du, Linni, wenn du noch genauso ein Bücherwurm bist wie früher, dann behaltet mein Pseudonym bitte für euch. Das meine ich in vollem Ernst«, sagte er in Richtung Ella.

»Ich werde schweigen wie ein Grab – was man von meiner Schwester nicht behaupten kann.«

»Ich kann durchaus schweigen – wenn’s nötig ist«, stieß Linni erbost hervor und erntete einen erstaunten Seitenblick von Ella.

»Wenn du Interesse hast, schenke ich dir eines meiner Belegexemplare«, bot sich Tommaso an.

»Das wäre wirklich toll. Ja. Danke«, entgegnete Linni erfreut. Normalerweise hätte sie nie ein Buch mit einer Geschichte über Terroranschläge gelesen, aber ein Buch von Tommaso war natürlich etwas anderes.

»Und wenn du es ausgelesen hast, leihst du es mir, denn auch wenn ich nicht so viele Bücher verschlinge wie du, so bin ich des Lesens dennoch mächtig«, bat Ella mit gespielt erboster Stimme.

»Du bekommst auch eins von mir, sogar mit Signatur, wenn du interessiert bist.«

»Aber immer.«

»Sie liest es trotzdem nicht. Wenn sie liest, dann nur Bergbücher, Routenvorschläge und Ausrüstungskataloge«, konnte Linni sich nicht verkneifen.

»Gar nicht«, konterte Ella laut. »Manchmal sind auch Abenteuergeschichten oder Biografien großer Alpinisten dabei.«

Erst spät abends trennten sie sich. Ella war schon ins Bett gegangen, aber Linni wartete so lange, bis sich auch Elias verabschiedete.

»Ein interessanter Mann, dieser Tommaso«, sagte er später.

Linni nickte verträumt. Allein mit Elias. Endlich. Sie zog die Schultern hoch, denn es war noch sehr frisch am Abend und sie trug nur eine leichte Strickjacke.

»Ist dir kalt?«

»Ein bisschen.«

Er zog seine Jacke aus und legte sie ihr um die Schultern. »Besser?«

»Viel besser«, murmelte sie und lehnte sich ein wenig an ihn. Sie gingen durch den Torbogen in ihren Hof.

Plötzlich stolperte Linni über die Schwelle zum Wintergarten, denn Ella hatte vergessen, ihnen Licht einzuschalten.

Elias fing sie auf. »Hoppla.«

Sie kostete die kurze Berührung seiner Hände mit klopfendem Herzen aus und blieb einen Moment stehen.

Was für eine zauberhafte Nacht. Es war sternklar und eine kühle Brise aus Nordost ließ die wärmende Frühlingssonne vom Nachmittag beinahe vergessen. Ungeachtet dessen tirilierte ein Vogel, der in seiner Verliebtheit die späte Stunde vergessen zu haben schien, seine Serenade, ein Käuzchen stieß seinen Lockruf aus, und überwältigt vom übermächtigen Empfinden – es schwebten aphrodisierende Düfte durch die Nacht –, schloss sie die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Aber weder Rose noch Jasmin blühten bereits und ihr Parfum, das unter anderem Vanille verströmte, war längst verduftet. Nein, es lag nicht an den Pheromonen, sondern an dem ausgiebig genossenen Sekt, dem sie sich hingegeben hatte.

Linni hob die Hand: »Schau, eine Sternschnuppe. Du darfst dir also etwas wünschen«, sagte sie.

»Nein, du, denn du hast sie zuerst gesehen«, sagte er laut, was sie irgendwie unromantisch fand, ließ jedoch den Arm um ihre Schultern liegen.

Sie blickte ihn von der Seite an und gab allen Schmelz in ihre Stimme. »Schon passiert. Möchtest du wissen, was ich mir gewünscht habe?« Noch während sie die Worte von sich gab, stöhnte sie unhörbar. Wie sagte Ella doch immer? »Linni, du bist subtil wie ein Nashorn.« Und wie Recht sie damit hatte.

»Nein, wenn man den Wunsch verrät, geht er doch nicht in Erfüllung.«

Küss mich, befahlen ihre Augen, doch die Dunkelheit verschluckte natürlich deren Glanz, welcher ihn hätte vielleicht betören können. Elias schien nicht zu ahnen, wie ihr Wunsch ausgesehen hatte. Oder er erriet ihn, hatte aber nicht die Absicht, ihn ihr zu erfüllen. Sie seufzte tief.

Doch da geschah das Wunder.

Ihr geliebter Elias beglückte sie.

Nein, das war der falsche Ausdruck. Er betörte sie. Zwar fiel er nicht auf die Knie – ein verstiegenes und in ihren Augen törichtes Prozedere, bevor der Mann um die Hand der Geliebten anhielt. Nicht auszudenken, desgleichen käme angesichts Geschlechtergerechtigkeit auch bei Frauen in Mode, durchzuckte es sie. Ihr Geliebter jedenfalls würde in bodenlosen Minus-Punkte-Bereich fallen, käme er auf eine solch absurde Idee – mit Ausnahme natürlich von Elias.

Elias trug sie auch nicht zur Gartenbank, um mit ihr die Geheimnisse der Nacht zu erforschen – was sie durchaus nicht als verstiegen betrachtete, sondern in der Tat als köstlichen Gedanken, der ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ.

Dennoch beglückte er sie.

Und das mit einem Kuss.

Gut, er küsste sie nicht gleich auf den Mund, sondern seine warmen Lippen streiften leicht ihre Wange. Aber immerhin, es war ein Kuss in ihre Richtung und zum Glück kein feuchter Schmatz. Mehr konnte man für den Anfang vielleicht nicht verlangen. Sie war von jeher bescheiden, und dieser Hauch von Zärtlichkeit reichte bereits, um sie zu beglücken. Und ihre angeborene Bescheidenheit, von der Ella behauptete, dass sie die nicht weiter als bis zum Ufer der Passer führen würde, ließ sie ein leises »Danke« murmeln. Wenn er allerdings in der Geschwindigkeit weitermachte, musste sie sich möglicherweise weitere vier Jahre in Geduld üben. Na danke!

Himmel, warum sagte er kein Wort?

»Eine Spinne«, murmelte sie konfus und deutete auf die ebenfalls schweigende Hausspinne auf der frisch geweißelten Wand.

Logischerweise gab er auch darauf keine Antwort.

Linni, halt den Mund, du Depp! Oder hieß es geschlechtergerecht mittlerweile Deppin?, durchzuckte es sie. Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie kreuzdämlich war. Hoffentlich war sie in der Lage, vor Ella diese Minuten zu verschweigen, vor der sie so selten ein Geheimnis zu bewahren in der Lage war.

Schweigend betraten sie die Küche. Sie vermied es, Licht zu machen. Genauso schweigend ging es die Treppe hinauf. Oben auf dem Absatz blieb sie wartend stehen. Jetzt oder nie.

»Luca scheint zu schlafen«, flüsterte sie. Und komm doch noch ein wenig zu mir!, fügte ihr Inneres hinzu. Doch diese Worte vernahm er natürlich nicht.

»Damit haben wir zum Glück ja wirklich nie Probleme.«

Und damit hätten wir sturmfreie Bude, erinnerte sie ihn insgeheim und wartete darauf, dass er dementsprechend zu handeln verstand. Er schien es noch immer nicht begriffen zu haben. »Es war ein schöner Abend«, brachte sie noch aus staubtrockener Kehle heraus, und hielt sich am Türrahmen fest, da sie sonst mit Sicherheit auf den Boden gesunken wäre – aus Scham und weil der Alkohol und die Erregung sie völlig fertiggemacht hatten.

Sollte sie ihn jetzt einfach an sich reißen?

»Ja. Schlaf du auch schön. Gute Nacht, Linni.« Mit diesen Worten verschwand er.

Gut, dass sie in letzter Sekunde ihrer Leidenschaft Einhalt geboten hatte.

Ach, lieber, lieber Elias! Sei doch nicht so zurückhaltend. Ich weiß doch um deine Gefühle. Du darfst dich bei mir unbesorgt gehen lassen.

Sie blieb noch zwei Sekunden stehen, doch er machte nicht kehrt. Und erst, als das leise Zufallen der Tür ins Schloss zu vernehmen war, öffnete sie die Tür zu ihrer Wohnung. Seit dem Tod der Mutter waren die zwei Zimmer ihr Reich. Eines nutzte sie zum Lesen oder Fernsehen, das andere war ihr Schlafzimmer. Sie zog sich aus, schlüpfte in den Schlafanzug, wusch sich rasch Gesicht und Hände, putzte ihre Zähne und glitt dann unter die kühle Bettdecke. Das Fenster ließ sie offen, um noch eine Weile den Geheimnissen der Nacht zu lauschen. Ach, Elias.

Unvergesslicher Frühling in Meran

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