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I Schillers ,andere Hälfte‘: Vorbemerkungen
ОглавлениеWährend der Schwabenreise Friedrich und Charlotte Schillers 1793 / 94 malt die Stuttgarter Künstlerin Ludovike Simanowitz ein Porträtpaar. Berühmt ist ihre Darstellung des sinnend-schöpferischen Dichters, den Kopf sanft geneigt, eine Hand im Revers. Weniger bekannt ist seine ,andere Hälfte‘, die selbstbewusst und klug aus einem Buch aufblickt.1 Als treusorgende Gefährtin und etwas biedere Mutter von vier Kindern ist Charlotte Schiller bisher geschildert worden. Wenig beachtet wurde ihre umfangreiche Beschäftigung mit Literatur, und noch weniger weiß man über ihre eigene jahrzehntelange Literaturproduktion. Dass sie für sich selbst keine Berühmtheit angestrebt hat, hängt mit den Geschlechtervorstellungen der damaligen Zeit sowie mit denen ihres Mannes unmittelbar zusammen. Veranschaulichen lässt sich das anhand eines Schiller-Gedichtes, Die berühmte Frau, an das sich Charlotte am Silvesterabend 1812 erinnert fühlt. Angesichts zahlreicher Besucher im Weimarer Wohnhaus an der Esplanade – es handelt sich um Bekannte aus Rudolstadt, aber auch weither gereiste Schiller-Verehrer –, schreibt sie: „[D]ie übrigen Tage hatte ich so viel visiten, daß mir die Stelle aus der berühmten Frau einfiel, es sah aus als wär ich auch berühmt. Kaum ist der Morgen grau, so krachen schon die Treppen […] denn ich schlief gewöhnlich etwas lang, dann kamen visiten, dann hatt ich mit Bescheeren zu thun, dann musste ich nach vier uhr schon daran denken, ins Theater zu gehen, um nur Plaz zu bekommen.“2
Schillers Gedicht Die berühmte Frau entwirft das Schreckensszenario einer dichtenden Gattin. In Form eines Briefes klagt ein Mann einem anderen, der sich von seiner Frau betrogen fühlt, den Umstand, dass seine Ehehälfte in einem anderen Sinn ,fremdgehe‘, ja, sich mit ihrem Schreiben geradezu prostituiere:
Dich schmerzt, daß sich in Deine Rechte
ein zweyter theilt? – Beneidenswerther Mann!
Mein Weib gehört dem ganzen menschlichen Geschlechte.
Vom Belt bis an der Mosel Strand,
bis an die Apenninenwand,
bis in die Vaterstadt der Moden,
wird sie in allen Buden feil geboten […]3
Den Tausch der Geschlechterrollen im Feld der Literatur brandmarkt der Betrogene als verkehrte Welt, in der er als Mann zum Assistenten seiner vielbesuchten Frau mutiert:
Kaum ist der Morgen grau,
so kracht die Treppe schon von blau und gelben Röcken,
mit Briefen, Ballen, unfrankierten Päcken,
signiert: an die berühmte Frau.
Sie schläft so süß! – Doch darf ich sie nicht schonen
„Die Zeitungen, Madam, aus Jena und Berlin!“
Rasch öfnet sich das Aug der holden Schläferinn,
ihr erster Blick fällt – auf Recensionen.4
Schillers mehrseitiges Gedicht illustriert die Vorstellung zweier naturgegebener Geschlechtscharaktere, wie sie sich gerade in der Zeit um 1800 verfestigt. ,Männlichkeit‘ verbindet sich mit der öffentlichen Sphäre, mit Aktivität und Produktivität, ‚Weiblichkeit‘ dagegen mit der häuslichen Sphäre, mit Passivität und Rezeptivität.5 Autorschaft erscheint als eine Form der Exhibition, die der ,Natur‘ des weiblichen Geschlechts angeblich widerspricht. Während der Mann als ein durch Reflexion zutiefst gespaltenes Kulturwesen seine Geistesprodukte einer anonymen Menge aussetzen darf, soll der Umgang der Frau „unmittelbar, persönlich, von Angesicht zu Angesicht erfolgen“ und wirkt obszön, wo diese Grenze überschritten wird.6
Eine Frau, die schreibt, das zeigt etwa das Beispiel der eine Generation älteren Sophie von La Roche, ist mithin in einer paradoxen Situation.7 Es muss daher nicht wundern, dass Autorinnen, wenn überhaupt, anonym oder unter Pseudonym veröffentlichen8 – oder aber für ihre eigene literarische Produktion weder Kunstanspruch erheben noch Veröffentlichung anstreben, wie eben ,Schillers Gattin‘. Das Schicksal der berühmte[n] Frau wählt sie nicht selbst, es kommt zu ihr, wie ihre Bemerkung aus dem Jahr 1812 nahelegt, als Heimsuchung. Im Unterschied zur obszönen Tätigkeit des Veröffentlichens sieht sie ihre eigene Berühmtheit in der Rolle der Dichtergattin und -witwe, beansprucht keine Aufmerksamkeit für ihr eigenes Werk. Ihre Autorschaft ist ,heimlich‘ in einem doppelten Sinn der absichtsvoll nicht-öffentlichen, im häuslichen Raum gehaltenen Produktion.
Charlotte von Lengefeld wird 1766 im thüringischen Rudolstadt geboren. 1790 heiratet sie Friedrich Schiller, lebt mit ihm erst in Jena, ab 1800 in Weimar. Vier Kinder bringt sie zur Welt, Karl, Ernst, Caroline und Emilie. Bei Schillers Tod, 1805, ist das jüngste erst acht Monate alt. Charlotte überlebt ihren Mann um 21 Jahre, sie stirbt 1826 in Bonn. Schon als Jugendliche beschäftigt sie sich mit Literatur, liest insbesondere englische und französische Werke, studiert Übersetzungen antiker Epen und Geschichtswerke, schreibt und übersetzt, vor allem Gedichte. Während der Ehezeit mit Schiller verfasst und adaptiert sie eine Reihe von historischen und zeitgenössischen Prosaerzählungen und Erzählgedichten und schreibt einen kurzen Schwank anlässlich eines Weimarer Kulturspektakels. Das Gros ihrer Literaturproduktion entsteht allerdings erst nach Schillers Tod: neben zahlreichen Gedichten handelt es sich um weitere Erzählungen bis hin zu ausführlichen Konzeptfassungen zweier Romane. Zudem bearbeitet sie Komödien und entwirft ein historisches Drama. Hinterlassen sind darüber hinaus autobiographische Aufzeichnungen, Reiseschilderungen sowie Erinnerungen an Schiller und andere Zeitgenossen.9
Was Friedrich Schiller selbst von der literarischen Tätigkeit seiner Frau hält, ist nicht bekannt. Nur wenige briefliche Äußerungen zwischen den Ehepartnern liegen vor (was auch damit zu tun hat, dass sie selten für längere Zeit getrennt waren). Auch gegenüber Freunden, Bekannten und Kollegen schweigt der Dichter zu diesem Thema. Anhand seines Umgangs mit anderen Autorinnen der Zeit wie etwa Sophie Albrecht, Charlotte von Stein, Amalie von Imhoff, Sophie Mereau oder Caroline von Wolzogen kann man indessen leicht ersehen, dass ,weibliches Schreiben‘ dem Vorurteil ausgesetzt ist, nicht im selben Maße künstlerisch zu sein wie ,männliche Autorschaft‘.10
Um Veröffentlichung ihrer Werke bemüht sich Charlotte selbst nie, obwohl es mindestens zwei Mentoren gibt, die sie zum Schreiben ermutigen: ihre Patin Charlotte von Stein, die selbst eine Reihe dramatischer Texte verfasst (diese aber aus Geschlechts- und Standesgründen bis auf einen unveröffentlicht lässt), und Hofrat und Prinzenerzieher Karl Ludwig von Knebel, mit dem sie vor und nach der Ehe mit Schiller einen ausgedehnten Briefwechsel unterhält. Charlottes Äußerungen über ihr Schreiben, Angaben und Hinweise dazu, wie wichtig ihr Schreiben und Literaturbeschäftigung sind, wie sie hofft, in den Morgenstunden am Schreibtisch nicht durch Kinder oder Dienstpersonal gestört zu werden, stehen in sonderbarem Gegensatz zum rigorosen Schweigen darüber, was sie schreibt. Trotz der zahlreichen Briefe, die hinterlassen sind, stellt es eine regelrechte Puzzle-Aufgabe dar, die Anregungen und Quellen ihrer literarischen Werke zu ermitteln, die Entstehungszeit und -umstände näher zu bestimmen.
Posthum veröffentlicht wurde von ihrem umfangreichen Werk bisher so auch nur, was in direkter Verbindung zu Friedrich Schiller steht, also Aufschluss über die Kreativität des ,berühmten Mannes‘ erteilt. Die bislang ausführlichste „Werkausgabe“, will man es so nennen, ist Ludwig Urlichs’ dreibändige Sammlung Charlotte von Schiller und ihre Freunde (1860 – 1865), deren erster Band auch eine kleine Auswahl literarischer Texte enthält.11 Zu ihren Lebzeiten wurden fünf ihrer Erzählungen aus der Zeit um 1800 durch Schiller anonym in den Zeitschriften Flora und Journal der Romane publiziert, die später in die Nationalausgabe von Schillers Werken aufgenommen wurden.12 Eine Neuedition aller literarischen Werke ist seit langem Desiderat.13 Ebenso lassen die im 19. Jahrhundert gedruckten Briefe und Briefwechsel mit Angehörigen und Zeitgenossen in der Auswahl und Editionspraxis den Fokus auf Friedrich Schiller erkennen. Neben mehreren Briefbänden zum Themenkreis Schiller und Lotte14 trifft dies vor allem auf die Briefausgaben von Urlichs und Geiger zu. Weniger drastisch sind die Eingriffe im Fall der Korrespondenzen mit Knebel oder dem Bonner Freund Bartholomäus Fischenich.15
Charlotte Schiller war, das will die vorliegende Darstellung entfalten, eine facettenreiche Autorin im Umfeld des ,klassischen‘ Weimar. Vor, mit und nach Schiller nimmt sie eine ganze Reihe von Rollen im literarischen Leben ein, die über die der Dichtergattin weit hinausweisen: als Lesende, Reisende, Kommentatorin, Berichterstatterin; als Übersetzerin, die mithin wichtige Beiträge zum Kulturtransfer der damaligen Zeit leistet; als Verfasserin von literarischen Werken in verschiedenen Genres. Die ,Heimlichkeit‘ ihres Schreibens mag dabei symptomatisch sein für den einer Frau damals zugewiesenen Ort innerhalb des politischen und kulturellen Lebens: Beobachterin, Berichterstatterin, Übersetzerin, nicht genial, bestenfalls kongenial soll sie sein. So wird weibliche Kreativität konnotiert, im zeitgenössischen Diskurs wie von vielen Frauen selbst. Nur zu leicht wird vergessen, dass auch männliche Schriftsteller sich innerhalb einer kulturellen Tradition bewegen, nicht allein aus sich selbst schöpfen, wie es das Genie-Ideal vorsieht, sondern im kulturellen Austausch, oft mit literarischen Vorgängern und anderen Nationalliteraturen, produktiv sind. Übersetzungstätigkeiten pauschal als weniger kreativ zu bewerten als ,Originalwerke‘, widerspricht zutiefst einer modernen Auffassung intertextueller Vorgänge auf dem literarischen Markt.16 Blickt man auf die lange Reihe von Theorien der Autorschaft, so ist unübersehbar, dass der männliche Autor als autonomer Urheber seines Werks ein kulturgeschichtliches Konstrukt von begrenzter Dauer ist.17 Eng gekoppelt ist der Entwurf im deutschsprachigen Raum ab dem frühen 19. Jahrhundert an teleologisch auf Blüte- und Verfallszeiten ausgerichtete Modelle nationaler Poesiegeschichtsschreibung.18 Es ist insbesondere die gerne als „Goethezeit“ oder „Kunstperiode“ klassifizierte Zeit um 1800, in der man eine entsprechende Blüte ansiedelt und das Ideal männlich-autonomer Literaturproduktion feiert.
Für die Biographie einer Autorin dieser Zeit scheint daher besondere Vorsicht geboten, wenn es darum geht, ältere Einschätzungen, das unterschwellig stets präsente Geschlechtermodell der Zeit, nicht kritiklos zu übernehmen. Es gilt zu trennen zwischen den zeitgenössischen Diskursen um Geschlecht und Autorschaft und den Quellen, Lebenszeugnissen und Schriften, die Aufschluss über das Selbstverständnis der behandelten Autorin geben. Ferner ist zu berücksichtigen, inwieweit diese Quellen bisher überhaupt präsent waren. Auch Abbildungen können in dieser Hinsicht doppeldeutig sein. Das Porträt von Simanowitz zeigt Charlotte als Lesende, nicht Schreibende, spiegelt einerseits traditionell ,weibliche‘ Züge wie Rezeptivität und Kongenialität. Andererseits begegnet uns die Dargestellte mit weltoffenenem Blick, der aktive Beteiligung ausstrahlt.
Allen bisherigen Darstellungen von Charlotte Schillers Leben liegt die zeitgenössische Vorstellung von männlicher Autorschaft und weiblicher Kongenialität implizit, manchmal auch explizit, zugrunde. Das spiegelt sich bereits in Titeln wie Schillers Lotte, Schillers Doppelliebe oder Schiller und die zwei Schwestern.19 Die jüngste Charlotte Schiller gewidmete Biographie führt ein Schiller-Zitat (in neuer deutscher Rechtschreibung) im Titel, „Mein Geschöpf musst du sein“.20 Programmatisch weist dies auf den Umstand voraus, dass Schillers kreuzbrave Gattin (angeblich) weder schreiben wollte, konnte, noch durfte. Biographische Mythen dieser Art können auf eine lange Tradition zurückblicken. Das beginnt 1830 mit Schillers Leben von Charlottes Schwester Caroline (veheiratete von Wolzogen), die Lotte dem Typus der treusorgenden Hausfrau und Mutter zuordnet, sich selbst dagegen als schöngeistige Gesprächspartnerin des männlichen Genies entwirft.21 Eine scharfe Trennung zwischen der häuslich-mütterlichen Charlotte und der dichterisch begabten Caroline vollzieht 1852 entsprechend Heinrich Döring.22 Karl Fulda, der 1878 die erste Einzelbiographie vorlegt, entwirft Charlotte als deutsche Mustergattin.23 Hermann Mosapps Darstellung, erstmals erschienen 1896, gipfelt schließlich in einem Naturvergleich:
Ist ein Vergleich aus der Natur erlaubt, so möchten wir Karoline dem bunten Falter vergleichen, der leichtbeschwingt von Blume zu Blume hüpft, bald da, bald dort verweilt, wo’s ihm gefällt, bald fröhlich flattert, bald in sich geduckt in einem Blütenkelche sitzt; Charlotte dagegen der ernsteren Honigbiene, die zielbewußt ihrem Berufe lebt, wohl auch fröhlich sich tummelt über des Schöpfers farbenprächtigen Gebilden, aber immer den ernsten Zweck vor Augen hat, süßen Gewinn aus ihnen zu ziehen.24
Die Metaphorik assoziiert zwei Flugtiere mit ,weiblichen‘ Eigenschaften, zielstrebig und nützlich das eine, bunt und flatterhaft das andere. Dem Symboltier für geistigen Höhenflug, dem Adler, sind freilich beide entgegengesetzt.
Dass Friedrich Schiller offenbar beide Lengefeld-Töchter liebt, Charlotte sowie die bereits verheiratete Caroline, hat Biographen stets beschäftigt. Schon im 19. Jahrhundert wird die Verlobungszeit von Schiller und Lotte zum Gegenstand theatralischer Aufbereitung, wobei das stereotype Bild der beiden Schwestern, der geistreich-poetischen Caroline, der unbedarft-beflissenen Charlotte, entsprechend bedient wird.25 Mit mehr Bemühen um biographisch-historische Faktizität gerät das ,Liebesdreieck‘ erst in neuerer Zeit ins Blickfeld: Wie die ältere, unglücklich verheiratete Caroline die Regie im Dreiecksverhältnis übernimmt und ihre eigene Neigung zu Schiller pflegen kann, indem sie diesem die Ehe mit Charlotte nahelegt, dokumentiert etwa Ursula Naumann.26 Romanhaft präsentiert die Verhältnisse Jörg Aufenanger.27 Und mit geradezu kriminalistischem Spürsinn ermitteln Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck die Zustände, bis hin zu Mutmaßungen über Schiller als potentiellem Vater von Caroline von Wolzogens Sohn Adolf.28
Für alle biographischen Darstellungen gilt, dass Charlottes Leben vor und in den 21 Jahren nach dem Zusammenleben mit Schiller kaum Aufmerksamkeit erfährt, ihre eigene Literaturproduktion stets flüchtig und abwertend erwähnt wird.29 Dagegen ist das Ziel der vorliegenden Biographie, möglichst anschaulich ihre literarische Tätigkeit zu Wort kommen zu lassen, vor allem auch im weiteren Kontext ihrer Bekanntschaften. Nicht zuletzt hat sie seit früher Jugend Umgang mit Weimarer Persönlichkeiten, seien es Frauen im Umfeld des Weimarer Hofes wie Charlotte von Stein, Luise von Imhoff und Sophie von Schardt oder Herzogin Luise selbst, seien es Johann Wolfgang Goethe, Johann Gottfried Herder oder Christoph Martin Wieland. Sie pflegt Umgang mit fürstlichen Familien, Hofangehörigen, Gelehrten, Schriftstellern und Schriftstellerinnen auch lange noch nach Schillers Tod.
In bisherigen Darstellungen ist neben der häufigen Wiederholung biographischer Mythen zuweilen der Ton auffällig, der zu einer feuilletonistisch saloppen Abwertung der Person führt, deren Leistungen eigentlich im Zentrum stehen sollen.30 Auch wenn es umgekehrt nicht darum gehen kann, Schillers,andere Hälfte‘ an dessen Stelle auf den Thron der deutschen Klassik setzen zu wollen, sollen voreilige (Ab-)Wertungen, so gut es geht, vermieden werden, zumal Charlotte Schillers Schriften kaum je in adäquater Form veröffenlicht worden sind und einen vorurteilsfreien Blick deshalb kaum zulassen. Die Textgestalt, in der sich uns ein älteres Werk präsentiert, ist nicht unerheblich für unsere Wahrnehmung. Das zeigt etwa das Beispiel der abgedruckten Erzählungen Charlotte Schillers in der Nationalausgabe von Friedrich Schillers Werken: Die Korrekturen Schillers sind in größerer Schrifttype gesetzt als der Haupttext von Charlottes Hand. Einen bereits anderen Eindruck bietet die Lektüre derselben Erzählungen im zeitgenössischen Druckbild der Zeitschriften Flora und Journal der Romane.31
Eine vergleichsweise neutrale Namensverwendung empfiehlt sich zudem. Ist es einerseits generell schwierig, für Autorinnen einen bestimmten Familiennamen (ohne Vornamen) zu verwenden, verhält es sich bei männlichen Autoren umgekehrt: je berühmter der Mann, desto überflüssiger der Vorname.32 Charlotte nennt ihren Mann Schiller, wenn sie über ihn schreibt, nicht Friedrich, geschweige denn Fritz. Sie selbst dagegen wird in Briefen als Lotte, Lottchen (z. B. von Fritz von Stein), als Lolo, Lologen (z. B. von Charlotte von Stein) angeredet, bezeichnet sich auch selbst oft mit einer dieser Koseformen. In ihrer Korrespondenz mit der Weimarer Prinzessin Karoline Luise gibt sie sich den Kunstnamen Loloa. Das ist alles interessant zu wissen, in der folgenden Darstellung wird jedoch grundsätzlich der Vorname Charlotte verwendet, gelegentlich ersetzt durch Lotte, vor allem dann, wenn Verwechslungsgefahr mit den zahlreichen anderen Charlotten des Umfeldes (z. B. von Kalb, von Stein) besteht.
Ein Blick auf neuere biographische Darstellungen anderer Dichterfreundinnen und -gattinnen, die zu Friedrich und Charlotte Schillers direktem Umfeld gehören, ist zudem aufschlussreich. Während Dichterbiographien grundsätzlich Leben und Werk behandeln, wird in Biographien von Frauen, auch wenn sie selbst geschrieben haben, zumeist das Leben in Verbindung zu einem geliebten Dichter behandelt, das Werk jedoch in den Hintergrund gerückt. Doris Maurers Darstellung zu Charlotte von Stein erwähnt nur am Rande die literarische Produktivität der Goethe-Freundin. Ähnliches gilt für Ursula Naumanns Schillers Königin, eine Lebensschilderung der Charlotte von Kalb. Ihr Umgang mit der Freundin nicht nur Schillers, sondern auch Jean Pauls, gibt zudem ein anschauliches Beispiel davon, wie schwer es ist, vorurteilsfrei mit dem Schreiben von Autorinnen umzugehen. So bemerkt sie einerseits zutreffend über das intellektuelle Umfeld um 1800: „Weibliches Schreiben schien nur halbwegs akzeptabel, solange es ökonomisch einträglich war und dilettantisch betrieben wurde, welcher Dilettantismus dann natürlich das männliche Vorurteil bestätigte, daß Frauen zu derlei Beschäftigung von Natur aus nicht taugten“.33 Andererseits schließt sie sich selbst diesem Vorurteil an, wenn sie die Literatur von Autorinnen pauschal geringschätzt: „Doch die Frauenliteratur der klassischen und romantischen Epoche und lange darüber hinaus enttäuscht vor allem inhaltlich. Die Frauen zeigten sich in ihren Schriften nur so, wie sie sein wollten und sein sollten, färbten sich im Spiegel ihrer Heldinnen schön und gut und zeigten sich blind für das Problematische, Abgründige in sich.“34
In der nachfolgenden Biographie Charlotte Schillers soll gerade nicht nur ihr Selbstverständnis als Dichtergattin, Mutter und Erzieherin, ihre Mitarbeit an Schillers (Nach-)Ruhm oder die Verwaltung seines Erbes behandelt werden, es geht vielmehr darum, ihre eigene literarische Tätigkeit im Umfeld des klassischen, einschließlich des vor- und nachklassischen, Weimar auf neue Weise zu erfassen. Dabei gilt der Bezug eben nicht nur den männlichen Vertretern der „Goethezeit“, sondern auch den zahlreichen anderen (schreibenden) Frauen, mit denen sie verwandt oder bekannt ist.
Die Kapiteleinteilung orientiert sich weitgehend chronologisch an einzelnen Lebensabschnitten und versucht jeweils eine Auswahl von Charlottes literarischen Arbeiten einzublenden. Was die Zuordnung zu einzelnen Lebensphasen betrifft, ist die Datierung für viele Texte schwer zu sichern. Eine chronologische Ordnung lässt sich am ehesten anhand des lyrischen Werks rekonstruieren. Neben Briefen sind vor allem viele der Gedichte mit Daten versehen und die Entwicklung der Handschrift von den Jugendjahren zum Alter zeichnet sich auch hier deutlich ab. Um Art und Charakter ihrer vielfach nicht oder nicht originalgetreu veröffentlichten Texte anschaulich werden zu lassen, werden dabei auch ausführliche Zitate eingefügt. Da zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Monographie eine Neuedition der Werke Charlotte Schillers noch nicht vorliegt, wird grundsätzlich nach den Manuskriptfassungen zitiert. Auch Zitate aus Briefen folgen weitgehend den handschriftlichen Originalen, insbesondere wo keine kritische Edition vorliegt.35 Dabei werden die historische Orthographie, die Interpunktion sowie Hervorhebungen quellengetreu übernommen,36 Passagen in lateinischer Schrift (z. B. englische und französische Namen) kursiviert.
Erinnert sei an dieser Stelle daran, dass die Orthographie um 1800 einschließlich der grammatischen Beugungsformen und Interpunktion im damaligen Schriftdeutsch alles andere als einheitlich ist, auch wenn bereits eine Vollständige Anweisung zur Deutschen Orthographie von Johann Christoph Adelung seit 1788 existiert. Groß- und Kleinschreibung sind häufig inkonsequent gesetzt, Formulierungen und Stilformen in aller Regel regional gefärbt. Naumann bemerkt dazu: „Schiller schrieb ein bißchen anders als Körner und Körner als Humboldt und Humboldt als Caroline und Caroline als Charlotte, die auch nach den Maßstäben ihrer Zeit am ,falschesten‘ schrieb, aber niemand hätte sie deswegen gescholten und gering von ihren geistigen Fähigkeiten gedacht.“37 In Betracht ziehen muss man vermutlich auch die,Mündlichkeit‘ der individuellen Ausdrucksweise. So heißt es etwa in einer Edition von 1879 über Charlotte von Kalb: „Denn die Verfasserin schrieb beinahe so unorthographisch und grammatikfeindlich, wie Schillers Mutter und Blücher, und schrieb ebenso falsch, wie heut zu Tage leider noch eine sehr große Menge gebildeter Deutscher spricht: d statt t; b statt p, den statt dem, ihn statt ihm.“38 Gerade zum letzteren Aspekt, den Dativ- und Akkusativflexionen, herrscht in Charlotte Schillers Texten durchgängig Konfussion.
Wie die weitgehend chronologische Verfahrensweise der nachfolgenden Darstellung sichtbar machen will, nimmt sich die Literaturtätigkeit Charlottes in den einzelnen Lebensphasen unterschiedlich aus: In den Jugendjahren (Kapitel II und III) schreibt sie Gedichte und Reflexionen, verfasst eine Reiseschilderung und beschäftigt sich intensiv mit Reiseliteratur überhaupt. Ihre Orientierung gilt in dieser Zeit vor allem der englischen Geschichte und Literatur. In der Zeit der Verlobung und im ersten Ehejahrzehnt ist ihre eigene literarische Produktion dagegen zurückhaltender, was zum Teil durch Schillers schwere Erkrankung gleich zu Beginn der Ehe und ihre drei Schwangerschaften bedingt sein mag. Doch auch in dieser Zeit arbeitet sie an verschiedenen Erzählgedichten zu antik-biblischen Stoffen und imaginiert etwa in lyrischer Form Schillers Geburt und Kindheit (Kapitel IV und V). Ihre Schreibtätigkeit intensiviert sich mit dem Umzug nach Weimar; nun beginnt sie mehrere Erzählungen, dramatische Texte und weitere Balladen zu verfassen (Kapitel VI). Nach Schillers unerwartet frühem Tod steht im Zentrum ihres Schreibens zunächst ihr Selbstverständnis als Schillers Witwe, als neue Aufgabe wächst ihr das,Kulturmanagement‘ von Schillers Erbe zu (Kapitel VII). Was sie nach Schillers Tod in der politisch gesprochen napoleonischen Ära, kulturell betrachtet in der Nachklassik, schriftstellerisch produziert, ist wesentlich umfangreicher als alles Vorherige: Lesen, Schreiben und – soweit ihr möglich – Reisen sind nun ihre Haupttätigkeiten. Es entstehen weitere Erzählungen, Gedichte sowie ausgedehnte Dramenentwürfe (Kapitel VIII und IX). Indem erstmals Charlotte Schillers literarisches Schaffen in das kulturelle Umfeld der Weimarer Klassik eingeordnet wird, wird es hoffentlich möglich sein, das Verhältnis von „Lotte und Weimar“ (Kapitel X) bisheriger Mythenbildungen zu entkleiden und insgesamt auf neue und andere Weise zu bestimmen.