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Verwandlung der Seele

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Der Schnellzug Moskau – Sankt Petersburg beschleunigte sein Tempo lautlos und entfernte sich mit zunehmender Geschwindigkeit vom winterlich-verschneiten Moskau. Ich war auf dem Weg zu meiner langjährigen Freundin Tamara, die mich gemeinsam mit ihrem Mann Pawel zum Ballett „Spartakus“ eingeladen hatte. Nach dem Abitur hatte Tamara Psychologie studiert, drei Jahre später Pawel geheiratet und war dann bei ihm in Sankt Petersburg geblieben. Die Hauptrolle in „Spartakus“ war mit Andris Liepa besetzt, meinem Lieblingstänzer. Ich hoffte, dass es in Petersburg an diesem Wochenende nicht so kalt wäre wie in Moskau, weil ich mit Tamara noch durch die Stadt bummeln wollte. In Gedanken genoss ich bereits diese zwei besonderen Tage des Wochenendes, die ich mir bei meinem ausgefüllten Arbeits- und Familienalltag nur mit großer Mühe leisten konnte. Damit es meinem Mann zu Hause nicht langweilig würde, hatten wir vereinbart, dass er während meiner Abwesenheit seine Verwandten in Moskau besuchte. So fuhr ich leichten Herzens zum Wiedersehen nach Sankt Petersburg.

Mein Schlafabteil war für zwei Personen ausgelegt, aber obwohl wir seit einigen Minuten unterwegs waren und der Zug immer weiter an Fahrt aufnahm, blieb mein Nachbarplatz leer. In der Hoffnung, dass ich die Fahrt alleine genießen dürfte, machte ich es mir gemütlich. Das Schicksal aber wollte es anders und meinte wohl, dass zu gut nicht immer gut sei – alles nur in Maßen.

Plötzlich fuhr die Schiebetür laut zur Seite und vor mir erschien ein gut gebauter Herr mit einem kleinen flachen Koffer in der Hand. Genauer gesagt handelte es sich um einen Herrn, der nach einem Ausländer aussah. Meine Vermutung bestätigte sich, als er nach Platz fünf fragte und mir seine Fahrkarte zeigte.

„Ja, Platz fünf ist hier. Generell werden Fahrkarten in Schlafwagen aber nur an Personen desselben Geschlechts verkauft“, konnte ich auf meinen Sarkasmus nicht verzichten und hoffte, dass der Mann genauso plötzlich verschwinden würde, wie er erschienen war.

„Ja, ja, Recht haben Sie völlig“, sagte er eilig. „Dieses Ticket gehört Kollegin Birgit, aber sie ist krank plötzlich, deshalb muss ich fahren zu einem Treffen für sie. Entschuldigung bitte.“ Obwohl er alle Worte deutlich aussprach, klangen der starke Akzent und die außergewöhnliche Wortfolge seiner Rede so ausgefallen und lustig, dass ich nur mühsam mein Lachen unterdrücken konnte.

„Verstehe.“ Ich zuckte mit den Schultern und schaute mit großem Bedauern auf den obersten Liegeplatz, auf den ich mich in der Nacht wohl zum Schlafen würde begeben müssen.

Der Mann fing meinen Blick auf und beeilte sich, mich sofort zu beruhigen:

„Wenn Sie gerne möchten, erlaube ich Ihnen, unter mir zu schlafen. Ich bin ein Mann, ich muss oben liegen.“

„In Ordnung, genauso machen wir es.“ Ich bedankte mich bei meinem Mitreisenden und lächelte über die Doppeldeutigkeit seiner Worte.

Nach ungefähr zwanzig Minuten, als das Gepäck untergebracht und die Fahrkarten geprüft waren, reichte mir mein Nachbar seine Hand und stellte sich, sichtbar bemüht um ein adäquates Russisch, vor:

„Ich bin Michael Stein.“

„Elena Malachova, sagen Sie einfach Lena“, erwiderte ich und gab ihm die Hand. „Sehr angenehm.“

„Lena, darf ich Sie ins Restaurant einladen? Ich habe Hunger. Seit dem Frühstück habe ich nichts mehr gegessen.“

Ich fand meinen Mitreisenden interessant, deshalb sagte ich ihm sofort zu.

„Was sind Sie von Beruf?“, fragte Michael, während er für mich Salat und sich ein Steak bestellte.

„Ich bin Übersetzerin und arbeite in einem technischen Verlag. Mein Beruf ist eher langweilig als romantisch.“

„Und welche Sprachen übersetzen Sie?“, fragte mein Nachbar interessiert.

„Vom Englischen ins Russische. Französisch habe ich fast vergessen, weil ich es kaum benutze.“

„Wollen wir uns auf Englisch unterhalten? Das kann ich besser als Russisch“, wechselte er sofort zu der mir bekannten Sprache und ergänzte: „Ich habe gemerkt, wie Sie auf mein Russisch reagieren – es zerreißt Ihnen das Ohr.“

Er ist sehr aufmerksam und gar nicht so einfach, wie es scheint, dachte ich.

„Wären Sie beleidigt, wenn ich Ihnen vorschlage, mit mir Bruderschaft zu trinken und uns aufs Duzen zu einigen?“

„Einverstanden!“ Ich erhob mein Glas. „Aber küssen werden wir uns nicht.“

„Wenn du mir jetzt noch sagst, wie alt du bist, erzähle ich dir gern, warum ich einer Frau eine solch indiskrete Frage überhaupt stelle. Zuerst aber sage ich, dass ich in einem Monat siebenundfünfzig werde.“

„Ich bin neunundvierzig. Und warum nun fragst du?“

„Weißt du, ich suche eine russische Frau, die mich heiraten möchte.“

„Ich bin verheiratet“, reagierte ich blitzschnell.

„Ach, wie schade!“, sagte Michael sehr enttäuscht. „Dein Englisch ist sehr gut und du kannst ein wenig Französisch, da könntest du ohne große Mühe auch Deutsch lernen … Verzeih, ich bin etwas undiplomatisch. Aber ich habe nicht vor, dich aus der Familie zu entführen. Obwohl du mir auf den ersten Blick sympathisch bist.“

Nach diesen Worten fiel ihm wahrscheinlich meine Anspannung auf, deshalb drückte er leicht meine Hand und fügte sanft hinzu: „Verzeih, ich hatte nichts Schlechtes im Sinn. Ich kann dir von meinem Leben erzählen, wenn du daran Interesse hast.“

Natürlich interessierte mich das sehr, und so erklärte ich mich sofort bereit, ihm zuzuhören und seinen Lebensweg zu verfolgen.

Michael wurde in der Nähe von Frankfurt am Main geboren. Nach dem Studium an der Technischen Universität Berlin arbeitete er als Verkaufsmanager in einer großen Firma. Er liebte seine Arbeit, in der er gut vorankam und erfolgreich war. Als 1989 die Berliner Mauer fiel und sich das Tor zu Osteuropa öffnete, war er als Spezialist für die neuen Märkte sehr gefragt. Da er recht gut die russische Sprache beherrschte, war er in der Lage, im Osten die Politik des Westhandels zu fördern. In dieser Zeit, in der er in der ehemaligen Sowjetunion tätig war, hatte er die außergewöhnliche Schönheit der russischen Frauen kennen und bewundern gelernt, mit denen er dienstlich zu tun hatte.

Eines Frühlings kam Michael nach Kischinew in Moldawien zur Industriehandelsmesse, über die er einen ausführlichen Bericht schreiben musste. An einem unauffälligen Stand mit dem Buchstaben „i“ an der Seite sah er ein junges sympathisches Mädchen stehen, das den Interessenten Auskünfte gab. Und weil es auf der Messe nicht viele Besucher gab – und die meisten von ihnen sich gut auskannten –, war es offensichtlich, dass das Mädchen Langeweile hatte. Michael ging zu ihr, und Wort für Wort kamen sie ins Gespräch. Das Mädchen hieß Aranka, sie war Studentin des zweiten Kurses an der Universität für Fremdsprachen. Sie arbeitete auf der Messe als Aushilfe, indem sie Prospekte und Messepläne an die Besucher verteilte oder mit den Firmenvertretern telefonierte, um Treffen zu organisieren. Aranka war achtzehn, schlank, hübsch, hatte langes blondes Haar und strahlte einfach vor Jugend und Glück. Diesem Charme konnte Michael nicht widerstehen, deshalb verbrachte er die drei Tage, während die Messe lief, an Arankas Stand. Abends lud er sie ins Café oder Restaurant ein.

Die Zeit verging recht schnell. Als Michael wieder zu Hause war, erzählte er seiner Mutter und seinem Bruder mit Begeisterung von dem jungen wunderschönen Wesen, dem er seine gesamten Gedanken widmete.

„Heirate sie doch“, riet ihm sofort die Mutter. „Du bist schon vierundvierzig und immer noch Junggeselle. Es wird Zeit, eine Familie zu gründen.“

„Mama, ich kenne sie erst drei Tage, wie kann ich sie denn so einfach heiraten?“ Michaels klang verzweifelt. „Man muss sich doch erst näher kennenlernen.“

„Dann heirate sie und lernt euch, bitte schön, danach besser kennen“, griff der Bruder grinsend in das Gespräch ein. „Beeile dich aber, sonst entführt noch jemand diese Schönheit vor deiner Nase und du gehst leer aus.“

Michael liebte seine Mutter und seinen Bruder sehr, deshalb entschloss er sich nach kurzen Überlegungen, ihrem Rat zu folgen, umso mehr, da Aranka ihm nicht aus dem Kopf ging.

Weil aber Michael nichts unternahm, ohne vorher alles gründlich zu durchdenken, beschloss er, sich in seiner Entscheidung nochmals vergewissern. Er wollte das hübsche Mädchen wiedersehen: Es konnte ja sein, dass sie ihn schon vergessen oder einen anderen, jüngeren Mann kennengelernt hatte. Zudem gab es zwischen ihnen einen stolzen Altersunterschied – mehr als zwanzig Jahre. Michael nahm eine Woche Urlaub und flog nach Kischinew. Bereits ein halbes Jahr später, nachdem alle Formalitäten erledigt worden waren, holte er Aranka nach Deutschland.

„Möchtest du ein Glas Wein mit mir trinken?“, wandte sich Michael an mich, indem er seine Erinnerungen unterbrach.

„Ja, gerne“, antwortete ich, ohne mich zu zieren.

Seine Lebensgeschichte machte mich sehr neugierig und ich wartete gespannt auf die Fortsetzung. Als der Kellner unsere Gläser gefüllt hatte und wegging, fuhr mein Vis-à-vis fort:

„Aranka und ich liebten uns sehr. Sie war jung und schön, ich voller Energie und Leidenschaft.“ Michaels Englisch war ausgezeichnet, und ich hörte, begeistert vom Klang seiner Stimme und der interessanten Geschichte, seiner melodisch klingenden Erzählung mit großer Verzückung zu.

Direkt zu Beginn seines Ehelebens erklärte Michael seiner jungen Frau ohne Umschweife, dass er sich bei seinem Bildungsniveau und seiner sozialen Stellung nicht erlauben dürfe, eine Ehefrau zu haben, die selbst keine gute Ausbildung genossen hatte. Aranka war zu diesem Zeitpunkt schon neunzehn und hatte vier Semester an der Hochschule für Fremdsprachen absolviert. Michael riet ihr, weiter zu studieren, indem sie zum Fernstudium wechselte, was Aranka ohne große Lust tat. Parallel meldete Michael Aranka zum Englisch- und Deutschkurs an. Seiner Meinung nach musste sie dringend ihr schlechtes Englisch verbessern und mit Deutsch sogar bei null anfangen. Michael war gegenüber seiner Frau sehr geduldig und zärtlich, und sie hatte einen weichen, nachgiebigen Charakter, daher folgte sie in allen Angelegenheiten gerne den Ratschlägen ihres Ehemannes. Er konnte sehr gut mit Frauen umgehen!

Michael war sehr oft und lange auf Dienstreisen, auf die er nicht verzichten konnte. Das war Teil seiner Arbeit, und deshalb hatte Aranka mehr als genug Zeit zum Lernen. Zudem musste sie nicht arbeiten: Sogar im Haushalt hatte sie eine sehr tüchtige Hilfe, die schon zur Zeit des Junggesellenlebens des Hausherrn tätig gewesen war. Das war Michaels Hauptbedingung: Seine Frau musste genug Zeit für eine gute Ausbildung haben, sich nur auf das Lernen konzentrieren und keine Zeit für alltägliche Kleinigkeiten verschwenden. Allerdings bestand das Leben der jungen Frau nicht nur aus Lehrbüchern. Auf beharrliche Bitte ihres Ehemannes bemühte sie sich außerdem, auch all jene Kleinigkeiten des Lebens, die das Selbstbewusstsein fördern und eine Frau charmant machen, nicht an sich vorbeigehen zu lassen. So verbrachte Aranka die freie Zeit, die ihr nach dem Lernen blieb, mit Besuchen von Fitnessclubs, Massage- und Kosmetiksalons oder dem Einkauf nötiger wie unnötiger Dinge. Außerdem fuhr sie gerne mit ihrem nagelneuen Auto, das sie von ihrem Mann geschenkt bekommen hatte, in die nahe liegenden Städte.

Michael selbst mochte keine Kaufhausbesuche. Er hörte lieber zu, wie abwechslungsreich und interessant seine Frau die Zeit seiner Abwesenheit verbracht hatte. Mit Stolz beobachtete er, dass sich Aranka im Vergleich zu den meisten Frauen durch ihre Jugend und Ausstrahlung, ihre stolze Haltung und ein ständiges Lächeln auf ihren schönen vollen Lippen von ihrem Umfeld abhob.

Nach jeder Heimkehr von einer Dienstreise veranstaltete Michael mit seiner Ehefrau spielerisch eine Art kleine mündliche Prüfung, um sich ein weiteres Mal zu vergewissern, dass sie bei der schwierigen Aufgabe des Sprachenlernens den nächsten Schritt nach vorne gemacht hatte. Er war stolz auf jeden kleinen Fortschritt seiner Frau – immerhin war er das Ergebnis seiner Bemühungen, seines Engagements, und damit auch sein Erfolg!

Die Eheleute Stein reisten sehr viel und versuchten, wenn auch nur in Ansätzen, sich die Sprache des besuchten Landes anzueignen. Aranka gewöhnte sich schnell an die besondere Art ihres Mannes, alles Neue kennenlernen und erforschen zu wollen, und teilte diese Leidenschaft gerne mit ihm. Sie fühlte sich schon längst als Europäerin und nahm es ihrem Mann übel, wenn er sie zufällig an ihre Herkunft erinnerte.

„Ich bin keine Russin, bitte erinnere mich nicht daran. Ich wurde nur in der Sowjetunion geboren!“

„Aber deine Mutter ist doch Russin“, widersprach Michael verlegen.

„Ja, aber mein Vater ist Ungar, und ich habe einen ungarischen Namen, deswegen bin ich Europäerin und keine Russin!“ Aranka fühlt sich zunehmend als junge Lady, die das Recht hatte, dem erfolgreichen Ehemann ihre Launen zu zeigen.

„Ja, ich weiß, dass dein Name im Ungarischen ‚Goldene‘ bedeutet und nichts mit Russland zu tun hat“, lachte Michael versöhnlich. „Meinetwegen bist du Europäerin, meine Goldene. Trotzdem meine ich, dass man sich für eine russische Herkunft nicht schämen, sondern stolz darauf sein sollte.“

Wie dem auch sei, große Auseinandersetzungen gab es zwischen Aranka und Michael kaum. Er war sehr taktvoll, aufmerksam und löste jeden kleinen Konflikt auf der Stelle, damit daraus kein großes Feuer entstand. Michael, der von seinen liberalen Eltern so erzogen worden war, alles Geschehene positiv wahrzunehmen, mochte keinen Streit und versuchte geflissentlich, darauf zu verzichten.

„Mein Liebling“, begann Aranka oft ein Gespräch beim Kuscheln mit ihrem Mann, „wann bekommen wir ein Kind?“

„Meine Liebe“, umarmte Michael seine Frau, während er spürte, wie das heiße Lustgefühl seinen gesamten, nicht mehr ganz jungen Körper packte und wie eine scharfe Pfeilspitze durchdrang. Was das sexuelle Leben anging, war Michael ein vollwertiger Mann, aber der Wunsch, aus seiner Frau eine Business-Lady zu machen, war noch größer und wurde immer mehr zum Ziel seines Lebens. Er wusste, dass ihnen eine endlose Liebesnacht bevorstand, und so versuchte er, seine Lust zu beherrschen.

„Wir waren uns doch einig, dass du zuerst die deutsche Sprache lernst, dann eine gute Ausbildung machst und einen interessanten Beruf ausübst. Du bist doch eine intelligente junge Frau und möchtest nicht dein ganzes Leben als Hausfrau verbringen. Glaube nicht, dass das Leben einer Frau nur aus Kochtöpfen und Haushalt besteht. Der Mensch wird geboren, um erfolgreich und glücklich zu werden, und nicht zum passiven Zeitverbringen. Ich möchte, dass du dich als Teil unseres Universums fühlst – je mehr Wissen du erlangst, desto höher kannst du fliegen. Du musst dich zuerst deiner Karriere widmen, und dann können wir über ein Kind reden. Ich möchte, dass es genauso stolz auf seine Mutter wird, wie ich auf deine Erfolge bin.“

Zehn Jahre des gemeinsamen Lebens vergingen wie im Traum. Aranka sprach inzwischen fast akzentfrei Deutsch, außerdem konnte sie sich gut, wenn auch nicht perfekt, in drei anderen Sprachen verständigen. Ihr Diplom war in Deutschland anerkannt worden und sie hätte als Englischlehrerin an einer Grundschule arbeiten dürfen. Doch das war nicht das, wovon Aranka träumte, daher wählte sie eine interessantere Beschäftigung: Mit Unterstützung ihres Mannes machte sie eine zweijährige Ausbildung und arbeitete als Reisebürokauffrau in einem Reisebüro. Nach ungefähr einem Jahr, als sie gerade als Beraterin in einer sehr erfolgreichen Reiseagentur zu arbeiten begonnen hatte, bekam sie das Angebot, eine Filiale zu leiten – eine Stelle, die sehr angesehen war und auch besser bezahlt wurde. Für diese Position musste man einen zusätzlichen sechsmonatigen Kursus absolvieren, um die Erlaubnis zu erhalten, eine Filiale mit dreißig Angestellten zu leiten.

Ungefähr zum selben Zeitpunkt endete Michaels Arbeitsvertrag und er bekam einen neuen im selben Unternehmen. Fortan musste er keine Dienstreisen mehr machen, sondern arbeitete in der Nähe seines Wohnortes an der Entwicklung neuer Projekte.

„Micha“, sagte eines Abends Aranka zu ihrem Mann, „ich habe die Stelle abgelehnt.“

„Abgelehnt? Warum?“

„Sie wollen, dass ich Pauls Platz besetze, und darauf habe ich keine Lust.“

„Aber wieso möchtest du nicht? Das ist doch eine hervorragende Position! Paul geht sowieso in Rente, und so einen angesehenen Posten bekommst du nicht so schnell wieder, wenn du etwas Ähnliches überhaupt findest. Ich verstehe dich nicht“, klangen tiefe Enttäuschung und Unverständnis in Michaels Stimme mit.

„Micha, ich habe mich so entschieden und nicht vor, meine Entscheidung zu ändern. Wir wollten eine Familie gründen, ein Kind bekommen. Ich meine, die Zeit ist jetzt gekommen. Ich habe alle deine Forderungen erfüllt, jetzt bist du an der Reihe, um dein Versprechen einzulösen.“

„Mein Schatz, du weißt doch, wie sehr ich dich liebe und auf deine zahlreichen Erfolge stolz bin. Nicht jedes Mädchen, das in ein fremdes Land kommt …“

„Sei mir nicht böse, aber bitte hör auf damit. Ich weiß schon, was du sagen willst. –Gehen wir schlafen?“, wechselte Aranka plötzlich das Thema und biss die Zähne zusammen, um nicht in Tränen auszubrechen.

„Geh schon, ich komme nach. Ich muss noch einige wichtige Unterlagen durchschauen.“ Michael wandte den Blick ab.

Er spürte, wie seine Frau ihn auf die Wange küsste, wegging und einen Hauch von frischem Steppenwind hinterließ. Bewegungslos saß er noch lange da und starrte aus dem Fenster in die Tiefe der Nacht, bis er hinter seinem Rücken leichte Schritte hörte.

„Du musst überhaupt keine Unterlagen durchschauen“, sagte Aranka.

Sie ging zu ihrem Mann und umarmte ihn von hinten. Michael saß still da, ohne sich zu rühren. Die Hände seiner Ehefrau bewegten sich von den Schultern zur Brust, umschmeichelten sie, fuhren hinunter bis zum Bauch, noch tiefer … Als sie an der entscheidenden Stelle ankamen, zuckte Michael zusammen, drückte fest Arankas zärtliche Hände und stoppte deren Bewegung. Beide blieben verzweifelt still in der Angst, die Ruhe zu stören.

„Warum“, unterbrach Aranka endlich das Schweigen, „warum schläfst du nicht mit mir? Liebst du mich nicht mehr?“

„Ich liebe dich sehr, und das weißt du sehr gut.“ Michael wandte sich zu seiner Frau um und zog sie zärtlich auf seinen Schoß.

„Das letzte Mal hast du mit mir vor sechs Monaten geschlafen, mir gefällt das nicht“, sagte sie und fügte nach kurzem Schweigen hinzu: „Hast du Angst, dass ich ohne deine Zustimmung schwanger werde?“

„Nein.“

„Dann beantworte mir die Frage: „Warum schläfst du nicht mit mir, wenn du mich noch immer liebst?“

„Ich kann nicht der Vater deines Kindes sein.“

„Aber wieso nicht?“

„Weil ich schon zu alt dafür bin. Ich bin schon fünfundfünfzig und möchte nicht, dass man mich für einen Opa hält. Ich möchte nicht, dass sich mein Kind für mein Alter schämt.“

„Aber ich habe doch alle deine Forderungen erfüllt und möchte, dass auch du dein Versprechen hältst. Ich möchte Kinder haben, wenigstens eins. Ist das für dich so schwer zu verstehen?“ Schmerz erklang hörbar in der Stimme der jungen Frau.

„Verzeih mir, meine Liebe. Damals, vor zehn Jahren, habe ich über die heutige Situation nicht nachgedacht. Alles, was ich getan habe, habe ich für deine Zukunft getan. Ich wollte, dass es dir gut geht und dass du glücklich bist. Du warst doch mit mir glücklich?“ Fragend schaute er in die Augen seiner Frau.

„Ich bin noch immer glücklich, aber ich kann nicht verstehen, warum du nicht mit mir schläfst. Wenn du nicht Vater werden möchtest, brauchst du keine Angst zu haben, dass ich dich betrüge. Ist das der einzige Grund? – Vielleicht hast du eine andere Frau?“ Nach diesen Worten zuckte Michael, wie von einem Peitschenhieb getroffen, zusammen. Aber nicht, weil seine Frau Recht hatte, sondern weil sie sich nicht einmal annähernd den wahren Grund dafür vorstellen konnte, dass er sich ihr entzog. Und der war für ihn sehr schmerzhaft.

„Nein“, antwortete er ruhig, während der Wunsch, seiner Frau alles zu erzählen, was ihn die letzten Monate quälte, immer dringender wurde. „Ich habe keine andere Frau, das ist Unsinn! Lieber Schatz, zerreiß doch mir und dir selbst nicht das Herz. Geh jetzt schlafen. Ich komme später zu dir. Irgendwann werde ich dir alles erklären. Jetzt aber muss ich zuerst mit mir selbst klarkommen. Verzeih bitte.“

Am nächsten Tag rief Michael seine Mutter an und bat sie um ein vertrauliches Gespräch.

„Was hast du denn für Geheimnisse vor deiner Frau?“, brummte scherzhaft Gertrud Stein, als sie ihren Sohn vor der Eingangstür traf und auf die Wange küsste.

„Es geht ja um meine Frau.“

„Sag mir bloß nicht, dass sie was Schlimmes angestellt hat. Das werde ich dir sowieso nicht glauben und mir nicht einmal anhören.“

„Sie hat nichts angestellt. Ich bin der Schuldige“, sagte Michael, setzte sich an den Tisch und reichte der Mutter seine Tasse.

„Was hast du denn getan, was Aranka nicht wissen darf?“, fragte Gertrud, während sie ihm schwarzen aromatischen Tee eingoss.

„Mama, hör mir bitte aufmerksam zu, ich brauche deinen Rat. Ich bin in eine Falle geraten, die ich mir selbst ahnungslos gestellt habe.“

Die Mutter schaute ihren Sohn schweigend an und machte sich bereit, ihm zuzuhören. Michael trank in kleinen Schlucken seinen Tee und schaute aus dem Fenster, um sich etwas zu entspannen. Endlich drehte er sich zu seiner Mutter um, stellte seine Tasse auf den Tisch und begann:

„Mama, du weißt doch, wie sehr ich Aranka liebe. Leider habe ich kein sexuelles Interesse mehr an ihr.“

„Bist du krank?“, fragte seine Mutter beunruhigt.

„Nein, körperlich ist bei mir alles in Ordnung. Ich habe mich untersuchen lassen, als Mann bin ich völlig gesund. Es gibt einen anderen Grund. Ich kann nicht mehr mit Aranka schlafen, weil ich Angst habe.“

„Wovor hast du denn Angst?“ Gertrud verstand überhaupt nichts mehr. „Erkläre dich doch und quäle mich nicht länger.“

„Aranka möchte ein Kind und ich nicht.“

„Und warum möchtest du nicht? Kannst du nicht?“

„Ich kann, aber ich möchte nicht. Vor zwei Jahren habe ich mich sterilisieren lassen, aber sage es niemandem. Bitte.“

„Na gut, wenn du diese Entscheidung getroffen hast …“, erwiderte Gertrud Stein etwas unsicher. „Aber ich verstehe nicht …“

„Das ist nicht alles. Das Wichtigste habe ich dir noch nicht gesagt.“ Michael wurde still, um seine Kräfte zu sammeln. Nach kurzer Pause schaute er entschlossen seine Mutter an und atmete tief durch.

„Ich möchte mich scheiden lassen.“

Am Tisch herrschte Stille. Ab und zu wurde sie vom Lärm der am Fenster vorbeifahrenden Autos und das leise Rauschen eines beginnenden Regens unterbrochen.

„Jetzt erzähl mal, was wirklich passiert ist. Das Märchen über Kinder möchte ich nicht hören – aus diesem Grund lässt man sich in deinem Alter nicht scheiden.“

Man sah, dass die ältere Frau nervös war. Sie spürte, dass im Leben ihres Sohnes ernsthafte Probleme aufgetreten waren.

„Mutter, du weißt sehr gut, wie viel Kraft und Energie ich in Aranka hineingesteckt habe. Ich gab mir Mühe, ihr all das zu geben, was ich selbst weiß und kann. Sie spricht mehrere Sprachen, hat zwei Berufe erlernt. In der Zukunft erwartet sie eine gute Karriere. Als ich ständig auf Dienstreisen war, lief zwischen uns alles perfekt: Wir sahen uns nicht oft, deshalb hatte ich nicht viel Zeit, um zu sehen, wie frappant sie sich verwandelt hat. Erst jetzt, wo wir vierundzwanzig Stunden am Tag zusammen sind, habe ich verstanden, dass sich meine Frau aus einem provinziellen Mädchen in eine selbstbewusste Lady verwandelt hat. Sie fordert, nicht grundlos, dass ich mein ihr vor Jahren gegebenes Versprechen einhalte. Ich habe dieses Mädchen gehegt, ihr gute Manieren beigebracht, ihr die schönen Seiten des Lebens gezeigt, sie träumen gelehrt und all meine Lebenserfahrung und Begeisterung in sie investiert. Aber vor einiger Zeit wurde mir klar, dass diese junge, attraktive und stolze Frau nicht mehr meine Ehefrau sein kann. Auf einmal dachte ich darüber nach, dass sie erst zur Welt kam, als ich schon fünfundzwanzig war. Zwischen uns liegt eine Kluft, die die Länge einer Generation hat. Indem ich den großen Altersunterschied zwischen uns wahrgenommen und gefühlt habe, begannen diese Gedanken, mir das Leben zu verderben. Ich sah in Aranka keine Frau mehr. Ich sah in ihr meinen Erfolg und einen Teil meines Lebens. Mit diesen Gedanken ging ich schlafen und wachte ich auf. Und eines Tages sah ich sie mit den Augen eines Vaters, der stolz darauf ist, dass seine Tochter ihn übertroffen hat. Und ich konnte … ich kann nicht meine eigene Tochter berühren.“

„Mein Gott, Micha!“

„Mama, ich habe Angst, Aranka das Leben kaputt zu machen. Sie ist jung, möchte Kinder haben. Deshalb habe ich beschlossen, ihr die Freiheit zu geben. Sie kann einen jungen Mann treffen, ihn heiraten, ein Kind bekommen und wird glücklich sein. Das ist ihr Traum und er muss wahr werden. Ich habe kein Recht, ihn zu zerstören.“

Gertrud stellte ihre Tasse zur Seite und schaute schweigend auf den charmanten intelligenten Mann, der ihr gegenübersaß. Sie spürte seine Ängste und fühlte seinen Schmerz. Er war ihr Fleisch und Blut, sie war seine Mutter und er ihr Sohn.

„Und welche Rolle übernimmst du in ihrem zukünftigen Leben?“, fragte sie einige Zeit später, nachdem das Empfinden angesichts des heranrückenden Unglücks etwas nachgelassen hatte.

„Sie bleibt für mich meine Lieblingstochter. Ich werde sie in allem unterstützen und helfen, wo ich nur kann. Glaub mir, wenn ich sie umarme, kommen in mir absolut keine sexuellen Gefühle hoch. Sie ist der Erfolg meines Lebens, mein Stolz, meine langjährige Schöpfung, und dafür liebe ich sie.“

Schweigend stand Gertrud auf und verließ das Zimmer. Man konnte hören, wie sie langsam die Treppe hochging. Nach kurzer Zeit kam sie wieder herunter und ging in die Küche.

„Schneide mal bitte den Kuchen auf, ich habe den wegen deiner Neuigkeiten ganz vergessen.“

Mutter und Sohn tranken Tee mit ihrem Lieblingsapfelkuchen und wechselten ein paar unbedeutende Sätze miteinander. Für diese Pause war Michael seiner Mutter sehr dankbar. Und weil er sie sehr gut kannte, war er sicher, dass sie über das, was er ihr gesagt hatte, gründlich nachdachte.

„Wie hast du vor weiterzuleben, nachdem du geschieden bist?“, setzte Gertrud das unvollendete Gespräch fort.

„Ich möchte nicht alleine sein und werde versuchen, eine Frau zu finden, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen kann. Ja, ja …“ Protestierend hob er seine Hand, als er sah, dass die Mutter ihn unterbrechen wollte. „Ich weiß, was du sagen möchtest. Diese andere Frau wird in meinem Alter, vielleicht auch etwas jünger sein, und ich werde ihr alles über Aranka erzählen. Wenn ihr meine Lebensgeschichte nicht gefällt, dann werde ich nach einer anderen Frau suchen, die Aranka nicht als meine ehemalige Frau, sondern als meine Tochter betrachten kann.“

„Mein Sohn, es wird nicht einfach, solch eine Frau zu finden, wenn es denn überhaupt möglich ist“, sagte seine Mutter weise. „Nicht jede Frau ist in der Lage, dieses Bündnis zu verstehen und zu akzeptieren.“

„Mama, ich danke dir, dass du meine Entscheidung angenommen hast.“

„Es ist noch zu früh, um zu danken. Ich möchte dir noch etwas sagen.“ Gertrud wurde für einen Moment still, holte tief Luft und sagte: „Als Aranka in unsere Familie kam, habe ich sie sofort angenommen, das weißt du sehr gut. Sie war für mich wie eine Tochter. Wenn du sie jetzt wie deine Tochter ansiehst, dann habe ich nichts dagegen. Aber ich sage es dir ganz ehrlich: Es wäre für mich einfacher, auf dich als auf sie zu verzichten.“

Der Sohn schaute seine Mutter mit Erstaunen an.

„Ja, ja, mein Sohn, ich habe mir schon immer eine Tochter gewünscht, aber der liebe Gott hat mir zwei Söhne gegeben. Und so schlage ich vor, du klärst die Frage mit der Scheidung und ich mache einen Termin beim Notar, um das Testament zu ändern.“

„Warum?“

„Darum. Ihr Männer seid ein untreues Volk: Heute liebt ihr die eine, morgen die andere. Du hast Aranka aus einem anderen Land hierhergebracht. Sie musste auf ihre Verwandten und Freunde verzichten. Jetzt sind wir ihre Familie, und man lässt sich von der Familie nicht scheiden. Man muss lernen, Verantwortung für seine Taten und Handlungen zu übernehmen. Du weißt, dass ich mein Vermögen zwischen dir und deinem Bruder Stefan aufgeteilt habe. Und damit ich mich nicht aus schlechtem Gewissen im Grab umdrehen muss, teile ich deine Hälfte zwischen dir und Aranka auf. Weil du aber mein leiblicher Sohn bist, überlasse ich dir das Vormundschafts- und Entscheidungsrecht, wann du ihr diese Erbschaft übergibst: sofort, nach fünf oder nach zehn Jahren. Das ist deine Sache. Wie du und Aranka entscheidet, so soll es auch sein.“

„Mama, ich werde ihr sowieso, wie ein Vater, meinen Teil der Erbschaft überlassen, wozu musst du ihn aufteilen?“

„Hast du sie denn schon als Tochter adoptiert?“

„Eigentlich nicht, aber …“

„Also, solange du sie nicht adoptiert hast, bleibe ich bei meiner Entscheidung. Und es gibt noch etwas: Ich möchte, dass in der Familie alles so bleibt wie früher. Weihnachten und Geburtstage werden in meinem Haus gefeiert.“

„Wenn Aranka nichts dagegen hat …“

„Das denke ich nicht. Hast du ihr übrigens schon gesagt, warum du nicht mit ihr schläfst und welche Gefühle du ihr gegenüber empfindest?“

„Bis jetzt noch nicht.“

„Und weshalb nicht?“

„Ich wollte zuerst mit dir reden.“

„Das ist gut, mein Sohn. Danke, dass du mir dein Herz ausgeschüttet hast. Aber jetzt ist deine Frau an der Reihe. Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie auf diese Neuigkeit reagieren wird. Mir würde so etwas im schrecklichsten Albtraum nicht einfallen, aber Leben ist Leben, es ist nun mal so. Ich habe großen Respekt vor dir, dass du Aranka in der Familie behältst. Du bist für sie weiter verantwortlich, was du auch selbst weißt. Aber nun geh, und bleib gesund! Deinem Bruder erzählst du alles selbst, das könnt ihr unter euch Männern regeln.“

Gertrud blieb sitzen, während Michael ihr einen Kuss zum Abschied gab und sich auf den Weg machte...

„Und so ging ich nach Hause, um meiner Frau zu sagen, dass ich sie wie eine Tochter liebe …“

„Wie hat Aranka reagiert?“, fragte ich.

Michael und ich waren schon längst in unser Abteil zurückgekehrt. Ich saß unten auf meinem Liegeplatz, er auf dem Klappstuhl am kleinen Tisch zwischen uns, auf dem eine Flasche Mineralwasser stand.

„Wie soll eine Frau auf die Ablehnung des Mannes reagieren, den sie liebt? Sie hat meinen stammelnden Worten zugehört und die ganze Zeit liefen ihr Tränen über die Wangen. An diesem Abend sprach sie kein Wort. Als ich am Morgen aufwachte, war sie nicht mehr da. Dann rief meine Mutter an und sagte, dass Aranka für ein paar Tage bei ihr bleibe, bis ich eine geeignete Wohnung für sie gefunden hätte. So war das … “

Ich schwieg und hing in Gedanken Michaels Geschichte nach …

Am nächsten Morgen, nachdem wir mit der Morgentoilette fertig waren, sahen wir uns beide mit ganz anderen Augen an. Ich hatte sehr viel über sein Leben erfahren. Er war erleichtert, dass er seinen Schmerz mit mir hatte teilen können. Und dass dieser Schmerz noch nicht geheilt war, war mir längst klar.

„Wohnst du jetzt alleine?“, fragte ich vorsichtig, als wir schon angezogen auf unseren Plätzen lagen und auf die Ansage der Ankunft warteten.

„Ja, wir sind schon über ein Jahr nicht mehr zusammen und wohnen sogar in verschiedenen Städten“, antwortete Michael und fügte nach kurzer Pause hinzu: „Ich habe für Aranka eine neue Wohnung besorgt, in die sie in zwei Monaten einziehen wird.“

„Wenn du so aktiv eine Frau suchst, dann hast du noch keine feste Freundin?“, fragte ich, wurde dann aber kurz unsicher und ergänzte schnell: „Entschuldige die sehr direkte Frage. Wenn du nicht möchtest, musst du sie nicht beantworten.“

„Nein, nein“, war seine eilige Antwort: „Es ist alles gut, aber ich habe tatsächlich keine Freundin. Nachdem ich mich von Aranka getrennt hatte, machte ich mich auf die Suche nach einer anderen Frau. Ich wollte nicht alleine sein, weil mich die Einsamkeit sehr bedrückt. Unter meinen Bekannten gibt es viele attraktive, erfolgreiche, intelligente und gebildete Frauen, aber keine von ihnen wollte meine ehemalige Frau als meine Tochter annehmen. Sie alle befürchteten, dass ich zu Aranka zurückgehen könnte.“

„Es kann sein, dass das nicht nur Eifersucht war. Vielleicht wollten sie auch nicht das zukünftige Erbschaftsvermögen teilen. Verzeih mir meine Offenheit, aber ein Mann in deinem Alter sieht ohne Kinder viel attraktiver aus als mit ihnen“, sagte ich ihm ganz ehrlich.

„Vielleicht hast du gar nicht so Unrecht, ich habe schon selbst daran gedacht. Gerade deswegen suche ich nach einer Frau aus Osteuropa, vielmehr aus Russland – eure Frauen sind nicht so pragmatisch und berechnend wie unsere. Es kann ja sein, dass sich hier für mich etwas ergibt.“

„Dann bist du nicht nur in Russland, weil du eine Kollegin vertrittst, sondern aufgrund privater Angelegenheiten?“, fragte ich.

„Nein, ich bin eher geschäftlich hier. Ausnahmsweise bekam ich das Angebot, ein russisches Projekt zu vollenden. Obwohl, tief im Herzen hoffe ich, auch mein eigenes Leben zu regeln. Die Geschäfte habe ich fast erledigt und bleibe noch zwei Wochen privat in Sankt-Petersburg. Vielleicht treffen wir uns?“, wandte er sich an mich und lächelte fragend.

„Ich fahre schon am Sonntagabend zurück, und meine Zeit ist leider auch schon verplant.“

„Sehr schade ...“

Der Zug wurde immer langsamer. Auf einmal öffnete sich die Abteiltür und die Zugbegleiterin kündigte an:

„Petersburg, wir sind angekommen.“

Michael sprang von der obersten Bank und half mir, den Mantel anzulegen. Plötzlich lächelte er, küsste mir die Hand und sagte:

„Weißt du, Lena, ich bin dir sehr dankbar für die heutige Nacht. Du bist der erste Mensch, dem ich mein Leben ausführlich erzählt habe. Es ist, als hätte ich in dieser Nacht all diese Jahre neu erlebt. Ich hatte das seltsame Gefühl, um mehrere Jahre zurückgekehrt, nicht verheiratet zu sein und eine erwachsene Tochter zu haben. Danke für dieses Gefühl, das dank dir in mir erwacht ist. Jetzt bin ich mir ganz sicher: Ich werde alles schaffen und eine Frau treffen, die mich richtig versteht. Ich danke dir!“

Ich stand ein wenig verzweifelt da und wusste nicht, was ich antworten sollte. Dann raffte ich mich endlich auf, holte eine Visitenkarte aus der Tasche und reichte sie ihm rüber.

„Michael, ich danke dir, dass du so ein offenes Herz hast. Wenn du möchtest, schreib mir eine E-Mail, ich will dir gerne antworten. Alles Gute!“

Ich ergriff mein Gepäck und begab mich schnell, ohne mich umzudrehen, zum Ausgang, um den Abschied von dem eigentlich unbekannten Mann nicht in die Länge zu ziehen. Auf dem Bahnsteig, winkend mit weißem flauschigem Handschuh, eilte mir schon Tamara entgegen. Als ich auf sie zukam, hielt ich es nicht aus und drehte mich noch einmal um. Mein zufälliger Reisegefährte stand am Fenster des Abteils und lächelte mir charmant nach.

„Adieu, mein nächtlicher Begleiter!“



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