Читать книгу Der Klosterjaeger - Ganghofer Ludwig - Страница 10

9

Оглавление

Über dem Haus des Sudmanns lag still und sternenhell die Osternacht. Nur die Ache rauschte; sonst kein Laut in der ganzen Runde; denn der Eine, der in dieser Nacht zu dem kleinen Hause gegangen kam, wandelte auf unhörbaren Sohlen; er pochte an die verschlossene Tür – sie öffnete sich nicht vor ihm, und dennoch trat er ein.

In der Stube erwachte das Weib; ein leises Stöhnen hatte sie geweckt. Sie lauschte – und da hörte sie es wieder. Es war das Kind.

„Katzi, was hast du?“ fragte sie. Aber das Kind gab keine Antwort. Sepha war am Abend so schwach gewesen, daß sie sich nicht auf den Füßen erhalten konnte. Und jetzt mit einmal hatte sie Kraft. Mit stammelndem Laut sprang sie aus dem Bett. „Polzer!“ rief sie – in ihrem Schreck hatte sie ganz vergessen, daß Wolfrat außer Hause war. Mit zitternden Händen tastete sie in der Finsternis nach dem Feuerzeug; nur matte Funken brachte sie aus dem Stein, und der Zunder wollte nicht brennen. „Mein Gott, mein Gott, hätt ich mich doch nit schlafen gelegt!“ jammerte sie. Bis lange vor Mitternacht hatte sie wach gesessen, dann war die Natur stärker geworden als ihr Wille. Gittli wollte die ganze Nacht bei dem Kinde bleiben, aber Sepha selbst hatte das Mädchen zur Ruhe geschickt. Das ‚Katzi‘ schien gut und fest zu schlummern. Freilich, es war ein böser Tag gewesen, der vorausgegangen, und bedrückten Herzens hatte Seph ihren Mann das Haus für die Nacht verlassen sehen; sie merkte es ihm auch an, daß er nicht gerne ging. Wär’ es nur nicht um die paar Heller gewesen, die es zu verdienen gab! Als er, schon den Hut auf dem Kopf, noch einmal die Hand über die Stirn des Kindes strich, da sagte er: „Gib dich, Seph, morgen soll’s besser sein!“ Seine Stimme hatte wohl gezittert, und dennoch hatte sein Wort zuversichtlich geklungen. Vielleicht wußte er ein stärkendes Kraut oder eine heilsame Wurzel, die er von der Bergfahrt mit heimbringen wollte – vielleicht die Nieswurz, die Wurzel der Schneerose. Von ihr hatte auch Gittli schon gesprochen.

Endlich war es der Seph gelungen, Licht zu machen. Mit der flackernden Kerze leuchtete sie über das Bett und erschrak bis ins innerste Herz. Das Gesicht des Kindes kam ihr so verwandelt vor, als wäre das nicht mehr ihr eigen Kind, sondern ein fremdes. Sie taumelte zur Kammertür und stieß sie auf. „Gittli! Gittli!“

Das Mädchen antwortete schlaftrunken.

„Ich tu dich bitten, steh auf,“ sagte Seph mit tonloser Stimme, „das Kindl ist so viel ungut!“

Barfuß, das rote Röckl überwerfend, erschien Gittli unter der Tür.

„Da schau: mein Kindl, mein Kindl, mein Kindl!“ schluchzte Seph und hielt die Leuchte über das Bett.

Gittli beugte sich über das Kind und faßte sanft seine Ärmchen, die mit geballten Fäusten nach aufwärts lagen. „Mimmidatzi,“ flüsterte sie mit süßer Zärtlichkeit, „Mimmidatzi, kennst du mich nimmer? Schau, die Dittibas ist bei dir!“ Eine Weile wartete sie vergebens auf Antwort. Dann rief sie noch einmal, alle Angst ihres Herzens in der Stimme: „Mimmidatzi!“

Ein kaum merkliches Zucken ging über das Gesicht des Kindes, ein leises Stöhnen, nicht wie in Schmerz, sondern wie in weher Sehnsucht quoll aus dem regungslosen, leicht geöffneten Mund; aber der kleine Körper rührte sich nicht, das Köpfchen, umringelt von goldblondem Gelock, lag starr auf die Seite geneigt, und unter den zarten, halbgesunkenen Lidern blickten die einst so schelmisch leuchtenden Augen unbeweglich hervor, ohne Glanz und Leben.

„Mein Schatzi, mein liebs, was hast du denn?“ stammelte Gittli und schaute, die Wangen von Tränen überronnen, mit einem hilflosen, angstvollen Blick in Sephas Gesicht.

„Mein Gott, mein Gott, wär nur der Polzer daheim!“ jammerte das Weib und sank neben dem Bett in die Knie. „Wenn er nur daheim geblieben wär! Mein Gott! Was tu ich denn? Mein Kindl, mein Kindl! Ich weiß mir keinen Rat, ich weiß mir nimmer zu helfen! Was tu ich denn?“

„Schwährin, bleib, bleib! Ich lauf und hol den Bader!“ schluchzte Gittli. Und wie sie stand, barfuß, im dünnen Röckl, rannte sie davon.

Sie achtete auf dem Wege nicht der spitzen Steine, die sich schmerzend in ihre Sohlen drückten, nicht der Frische der Nacht, die sie schauern machte; sie rannte nur und rannte, bis sie keuchend auf dem Marktplatz das Haus erreichte, in dem der Bader wohnte. Wie von Sinnen schlug sie an der Tür den Klöppel, immerfort, so lange, bis im Obergeschoß ein Fenster geöffnet wurde.

„Wollt Ihr aufhören oder nit! Was ist denn das für ein Lärm in der Nacht?“ rief eine Männerstimme herunter.

„Ach, ich bitt Euch, wir haben ein krankes Kind daheim!“ schluchzte Gittli mit aufgehobenen Händen. „Kommt doch, kommt, ich bitt Euch gar schön, ich bitt, bitt, bitt!“

„Wer bist du denn?“

„Die Gittli bin ich, die Schwester vom Sudmann Polzer.“

„Sooo?“ Der Name, den Gittli genannt, gab dem Bader zu denken. Ja, hätte sie den guten Einfall gehabt, hinaufzurufen: ich bin Zenza, die Tochter des reichen Eggebauern – dann hätte sie was erlebt, wie der Bader gesprungen wäre! „Sooo? Also ja, geh nur heim, und sag, ich komm schon, sobald es Tag wird.“

Klirrend schloß sich das Fenster. Gittli stand wie betäubt und griff mit beiden Händen an ihren Kopf. War es denn möglich? Ein Kind – solch ein süßes, herziges Ding! Und es gab einen Menschen, der sich nicht die Seel aus dem Leibe lief, um zu helfen!

Helfen? Helfen? Wer jetzt? Wer? Pater Eusebius? Der hatte das Bübl des Klostervogtes wieder gesund gemacht. Gittli rannte, und atemlos erreichte sie die Klosterpforte. Die Glocke läutete schrill, denn mit dem ganzen Gewicht des Körpers hatte sich Gittli an den Strang gehängt.

„Pater Eusebius? Wo ist der gute Pater Eusebius?“ schluchzte sie, als sich das vergitterte Fenster öffnete.

„Ein Dirnlein? In der Nacht?“ staunte der Pförtner. „Was willst du vom Pater?“

„Wir haben ein krankes Kind daheim, der Pater Eusebius soll ihm helfen. Ach, guter Frater Pförtner, ich bitt Euch, bitt Euch – “

„O du mein Gott, Kind, den Pater, den holst du heut nimmer. Der ist seit zwei Tagen in der Bartholomäer Klause.“

Gittli mußte sich an die Mauer stützen, um nicht umzusinken.

„Aber sag, was fehlt dem Kind?“

„Es rührt sich nimmer und sieht nimmer. Und kennt mich nimmer. Ach, Frater Pförtner, so ein liebes, gutes Kind!“

„Mußt nit weinen, Mädel, der liebe Gott wird schon helfen! Und – wart ein Weil!“ Das Gesicht hinter dem Gitter verschwand, dann streckte sich eine Hand heraus mit einer kleinen Flasche. „Nimm, Dirnlein, nimm! Es ist das Beste, was ich hab: Oleum Sancti Quirini vom Kloster Tegernsee.“

Gittli griff zu mit beiden Händen.

„Reibe dem Kind die Stirn damit ein, und die Schläfe, und die Pulsadern an den Händen, und die Stelle, wo das Herz schlägt, und bete dazu drei Vaterunser! Das hilft. Das hat schon vielen Tausenden geholfen. Und jetzt geh, Dirnlein! Gelobt sei Jesus Christus!“

„Amen!“ stammelte Gittli. Es war ein Laut voll heißen Dankes. Und schluchzend flog sie davon, aber sie weinte nicht mehr in Schmerz, sie weinte vor Freude. Was sie in Händen hielt und an ihr Herz drückte, war die sichere Rettung: geweihtes, heiliges Öl! Immer und immer wiederholte sie Wort um Wort: „Die Stirn, die Schläfe, die Adern, und wo das Herz schlägt!“ Und damit sie nur ja mit dem Beten nicht zu kurz käme, fing sie jetzt schon an, während sie rannte und rannte: „Vater unser, der du bist im Himmel – “

Erschöpft, keines Wortes mächtig, erreichte sie das Haus.

Sepha kam ihr entgegen, das Gesicht verstört, kalkweiß und von Zähren überronnen. „Kommt er? Kommt er?“

Gittli schüttelte den Kopf; sprechen konnte sie noch nicht; doch während sie die eine Hand auf die fliegende Brust drückte, drängte sie mit der andern schon die Flasche in Sephas Hände.

„Mein Gott, Gittli, so red doch,“ jammerte das Weib, „schau, die Angst bringt mich um!“

„Nimm – nimm – das muß ihm helfen! Das hat schon tausend, tausend Mal geholfen, hat er gesagt. Vater unser, der du bist im Himmel – “ Und betend sank sie neben dem Bette nieder, in dem das Kind noch lag, wie sie es verlassen hatte.

„Aber Gittli, so red doch, wie soll’s denn helfen, was soll ich denn machen damit?“

Der Klosterjaeger

Подняться наверх