Читать книгу Der Klosterjaeger - Ganghofer Ludwig - Страница 3
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ОглавлениеEine Stunde hatte Haymo in der Nacht zu wandern, um seine Hütte zu erreichen. Als er dem Blockhaus näher kam, gewahrte er staunend, daß durch die halboffene Tür der rötliche Schein eines Herdfeuers leuchtete. Wer war zu Gast gekommen? Er beschleunigte den Schritt und trat in das Blockhaus.
Ein kleiner Raum. Die Balkenmauern des Hauses waren auch die Wände der Stube; mit dürrem Moos waren die Ritzen zwischen den Balken verstopft. Neben der Tür durchbrach ein winziges Fenster die Blockwand. Der niedere, aus Felsbrocken rohgemauerte Feuerherd nahm fast den vierten Teil des Raumes ein; an der Wand neben dem Herde stand das plump gezimmerte Bett, angefüllt mit Heu, darüber eine Wolfsdecke, ein Kissen aus Rehfell und ein großes, rauhhaariges Stück Loden; rings um die freien Wände lief eine Balkenbank, und in der Ecke neben dem Fenster stand der klotzige Tisch. An der Wand noch ein kleiner Schrein zur Aufbewahrung des Mundvorrates, über dem Herd zwei gekreuzte Stangen zum Trocknen der durchnäßten Kleider, neben der Tür zwei Holzzapfen für die Armbrust und das Wehrgehäng, ein Brett mit mancherlei Geschirr, und in der Ecke über dem Tisch ein Kreuz, dessen welker Blumenschmuck ebenso gebräunt war wie alles Gebälk; denn der Rauch des Herdfeuers hatte immer ein langes Weilen in der Stube, bis er durch die Ritzen der Blockwand und des Daches seinen Weg ins Freie fand.
Vor dem Herd, auf dem ein knisterndes Feuer flackerte, stand, mit der dampfenden Pfanne beschäftigt, der Laufbube des Klosters, ein etwa fünfzehnjähriger Bursch, hager, mit einem verschmitzten stulpnasigen Gesicht, die braunen Haare kurz geschoren; er war mit einem rauhhaarigen Wams bekleidet, das in Schnitt und Länge fast einer Kutte glich.
Als Haymo unter die Tür trat, grüßte ihn der Bub mit einem Kopfnicken und einem blinzelnden Blick. Vom Heubett erhob sich eine rundliche Gestalt, ein Mönch in der weißen Brudertracht der Augustiner, das wohlgenährte Bäuchl umschlungen von breitem Ledergurt; die genagelten Bundschuhe, die schon am Feuer zum Trocknen standen, hatte er durch Strohpantoffeln ersetzt. Er trat auf Haymo zu, die Fäuste in die Hüften gestemmt; seine kleinen Augen zwinkerten, der Mund bewegte sich kauend, und über der knopfigen Nase und den kugeligen Backen lag eine Purpurglut, wie sie der Widerschein des Herdfeuers allein nicht erzeugen konnte.
„Willkommen, ehrwürdiger Pater!“ grüßte Haymo und zog die Kappe.
Walti, der Laufbub, kicherte zu diesem Gruß; der Mönch aber lachte: „Also du bist der Haymo, unser neuer Jäger?“
„Ja!“
„Glaub ich nit! Du? Was? Du willst ein Jäger sein? Ui jei!2 Mit dir hat Herr Heinrich was Schönes aufgegabelt. Ein Jäger muß Augen haben! Verstehst du? Aber du hast Augen wie eine Blindmaus. Sonst tätst du mich nit für einen Pater halten.“
Und Walti, den fettglänzenden Eisenlöffel schwingend, schrie dem Jäger ins Ohr, als hätte er einen Tauben vor sich: „Das ist ja nur der Frater Severin, unser Gärtner!“
O Spott des Namens! Severinus, das heißt zu deutsch der ‚Strenge‘, der ‚Ernsthafte‘ – und dieses Gesicht dazu und dieses Bäuchl, das vor Lachen wackelte, daß Frater Severin sich auf die Holzbank niederlassen mußte, um Atem zu finden!
„So? So? Ihr seid ein Frater?“ sagte Haymo, sein Wehrgehäng von den Hüften schnallend. „Nun, dann seid mir doppelt willkommen!“ Lächelnd streckte er seine Rechte hin.
Severin faßte sie mit der einen Hand, während er die andere drohend erhob: „Du! Du! Wenn ich das dem Dekan verrate, daß dir ein Pater die halbe und ein Frater die doppelte Freud macht, dann setzt es was!“ Er wollte weiter sprechen; doch aus der Pfanne, die über dem Feuer hing, stieg plötzlich ein zischender Dampf. „Walti, du Rabenvieh!“ rief der Bruder erschrocken und sprang zum Herd. „Richtig! Läßt der Kerl uns das Futter anbrennen, als wär’s eine Seel, die der Teufel schmort! Her mit dem Löffel!“ Er riß dem Buben den eisernen Zinken aus der Hand und begann die rauchende Speise mit einem Eifer durcheinander zu stoßen, daß ihm die Schweißtropfen über die dicken Backen rannen.
Haymo sah ihm eine Weile zu, dann nahm er die Armbrust von der Schulter und rieb mit einem Lederlappen die von der feuchten Luft erweichte Sehne so lang, bis sie warm und trocken wurde. Als er die Waffe über den Holznagel hängte, trug Frater Severin die dampfende Pfanne zum Tisch.
„So, ihr Knospen, her zum Futter!“
Sie reihten sich um den Tisch, dem das Herdfeuer genügende Helle gab, sprachen ein kurzes Gebet, und Frater Severins Schmunzelgesicht wurde ernst für eine Minute. Kaum aber hatte er das Amen von den Lippen, da war sein Löffel der erste in der Schüssel.
Einige Bissen hatten sie gegessen, da legte Severin den Löffel nieder und hielt den beiden anderen die Hände fest. „Halt! Wir haben das Beste vergessen. Walti! Her mit der Güte Gottes!“
Der Bub sprang auf und holte flink aus dem Zwerchsack eine bauchige Tonflasche. Bedächtig löste Frater Severin den Rindenpfropf und schob dem Jäger die Flasche hin. „Sollst den ersten Schluck haben. Klosterbier!“ Er schnalzte mit der Zunge.
Haymo tat einen langen Zug. „Ja, Frater, da merkt man die Güte Gottes!“
Walti kicherte. Und Frater Severin lachte. „Hörst du, was er gesagt hat? Güte Gottes!“ Er gab dem Buben einen Puff in die Seite und vertiefte sich in die Flasche. Dann wieder zu Haymo gewendet, lachte er: „Ich will dir’s verraten! Weißt du, ich bin kein böser Mensch. Wenn ich in meinem Chorstuhl knie, dann schlag ich an meine Brust und spüre, daß ich ein armer Sünder bin. Aber in Garten, Keller und Küche, da redet man auch gern wieder von irdischen Dingen. Dem Pater Dekan gefällt das nit. Drum haben wir uns eine Sprach erfunden, weißt du: ein fester Brotlaib, der heißt bei uns ‚eine gute Seel‘, solch ein Krug, das ist die ‚Güte Gottes‘, und eine alte Flasche, das ist ‚des Himmels höchste Gnad‘. Und weißt du, was die ‚wahre Andacht‘ ist? Eine gebackene Forelle! Und das ‚Labsal der Betrübten‘? Ein gesulzter Hecht! Ui jei! Du solltest den Pater Dekan sehen, wie zufrieden er lächelt, wenn er uns von so frommen Dingen reden hört. Wenn ich etwa sag: ‚Heut wurde mir des Himmels höchste Gnade zuteil‘! Oder: ‚Ach, wie bin ich erfüllt von wahrer Andacht‘!“
So plauderten sie weiter, ließen die Flasche kreisen und taten sich gütlich an ihrem bescheidenen Mahl. Als Walti den Tisch räumte, sagte Frater Severin zu Haymo: „Neugierig bist du aber gar nit. Fragst nit einmal, weshalb wir gekommen sind!“
„Ich freu mich, daß ihr da seid!“
„Du sollst morgen hinunter ins Kloster und deiner Christenpflicht genügen.“
„Das tät ich gern. Wer aber hütet, bis ich wieder komm, meine Gemsen und Steinböck?“
„Ich!“
„Ihr?“ lachte Haymo.
„Ja, ich, was sagst du?“ jammerte Frater Severin. „Herr Heinrich meint, der faule Winter hätt mir zu wohl angeschlagen. Nun soll ich mir ein paar gute Pfündlen aus der Kutt laufen. Das wird eine böse Sache!“ In banger Sorge befühlte er den Umfang seines Gurtes. „Aber du, du kannst dich auch freuen, wenn du morgen hinunter kommst. Neulich, als der Walti mit deiner Botschaft kam, da gab es ein Donnerwetter, ui jei! Weißt du, Herr Heinrich ist ein frommer, guter Mann, aber wenn es sich um verlorene Seelen und Steinböck handelt, kann er schelten wie ein Türk! Weißt du, was er sagte? Er sagte: ‚Zwei Böck in einer Woche? Wenn das so fortgeht, steck ich den Burschen unter die Klosterknechte und schick einen anderen, der wachsamere Augen hat und sich besser versteht auf die Hut des Gewildes‘. Ja, das sagte er.“
Haymo erblaßte. Das hatte ihn ins Herz getroffen. Er hing am Weidwerk und an den schönen, freien Bergen wie ein Blatt am Baum, das welken und sterben muß, wenn es der Wind vom Aste reißt. Er brachte kein Wort hervor; nur die Fäuste stieß er auf den Tisch und biß die Lippen übereinander.
Als Frater Severin gewahrte, was er angerichtet hatte, streichelte er dem Jäger die zitternde Faust und sagte begütigend: „Nun, nun, so schlimm wird’s nit gleich werden. Herrn Heinrich brauchst du nit fürchten. Komm du morgen nur hinunter, schau ihm frei ins Aug, und alles ist gut! Und wenn Herr Schluttemann, der Klostervogt, ein Hagelwetter losläßt, so nimm es nit ernst und schüttel den Pelz! Weißt du, der speit halt Feuer, weil ihm Frau Cäcilia gehörig einheizt. In seiner Vogtstub hängt ein Bild. Hast du es gesehen? Der heilige Georg, der den Drachen ersticht! Ich mein’, da sollt eher ein Bildnis hängen: der Drache, der den heiligen Georg ersticht, aber nit mit der Lanze, sondern mit einer Blutwurst!“
Er wollte weiter sprechen. Aber vom Herde klang die Stimme des Buben: „Frater Severin!“
„He?“
„Wißt Ihr, wen ich heut gesehen hab in aller Gottesfrüh?“
„Wen?“
„Den Schwarzen! Drunten am See, unter einer Feicht hat er gesessen und hat an einem Netz geflickt[>>,::SILENT] als wär er nit der Pater Fischmeister, sondern ein höriger Knecht. Und wie ich vorübergegangen, hat er Augen auf mich gemacht wie Feuer, richtig zum Fürchten! Das ist einer!“
„Das ist freilich einer!“ wiederholte Frater Severin. Und um den Jäger von seinen trüben Gedanken loszureißen, fragte er: „Hast du ihn nie gesehen, drunten am See?“
Haymo schüttelte den Kopf.
„Heuer um die Weihnachtszeit haben sie uns den hergeschickt aus Passau. Warum? Ich weiß es nit! So was erfährt ja unsereiner nie. Er soll aus fürstlichem Geblüt sein. Aber da drinnen – “ er pochte auf seine Brust, „da muß es finster ausschauen bei dem! Ganze Tage lang ist er im verschneiten Klostergarten auf und ab gewandert wie ein Gespenst. Und jetzt im Frühjahr, da haben sie ihn zum Pater Fischmeister gemacht und an den See geschickt. Drunten, weißt du, wo es heraufgeht über den Wildbach, in dem öden Winkel zwischen Felsen und See, da haust er in seiner Klause. Könnt es so gut haben in seiner Chorherrenstub! Und hockt da heraußen in der Wüstenei! Mutterseelenallein! Freilich, umsonst heißt er nit Pater Desertus, der ‚Einsam‘! Meinst du, er duldet einen Knecht in seiner Näh? Draußen im Seedorf müssen sie sitzen und dürfen nur kommen, wenn er sie ruft mit seiner Glocke.“
Haymo hörte nur mit halbem Ohr. Als Frater Severin das merkte, rüttelte er den Jäger am Arm. „Aber so red doch ein Wort! Das ist langweilig, so stumm zu hocken wie ein Räupl im Kohl. Komm! Trink einen Schluck! Und dann erzähl! Wo bist du denn eigentlich her?“
„Aus Sankt Benedikt Buren.“
„Wo Herr Heinrich vor Wochen zu Gast war?“
„Ja. Er fand Gefallen an mir und nahm mich mit.“
„Da hat er recht gehabt. Ich hätt es auch so gemacht. Sind deine Eltern Klosterleut?“
Haymo senkte den Kopf. „Mein Vater war ein freier Mann, ein Falkner; bei einem bösen Wetter hat ihn der Blitz erschlagen, und meine Mutter ist darüber gestorben aus Gram.“
„Armer Teufel!“ murmelte Frater Severin und wollte des Jägers Hand fassen.
Haymo erhob sich und verließ die Stube. Draußen umfing ihn die Nacht. Lange stand er an den Stamm einer Fichte gelehnt, die unter dem stoßenden Föhn erzitterte bis in die Wurzeln. Er blickte empor zu den Sternen. Aber er sah ihr Funkeln und Leuchten nicht; die Bilder der Vergangenheit, traurig und froh, zogen an seinen Augen vorüber: die stürmische Nacht, da man den Vater brachte als einen stillen Mann; der Morgen, an dem man die Mutter tot auf ihrem Lager fand; der schöne Abend, da ein Klosterknecht den zehnjährigen Buben zum Pater Wildmeister in das Jachental brachte; die erste Bergfahrt, der erste Schuß auf die Scheibe und der erste in das Herz eines jagdbaren Hirsches; und dann die schönen Jahre hoch oben im freien Revier der Berge mit ihren Jägersorgen und Jägerfreuden – bis zu diesem letzten Abend, an dem das Mädchen mit den Schneerosen so plötzlich vor seinen Augen stand, selbst einer Schneerose vergleichbar, schlank wie eine Elfe.
„Gittli?“
Sein Blick bohrte sich in die Nacht. Aber dort unten, wo der rauschende Bergwald den Almenhang und jene Hütte umschloß, in der das Mädchen Schutz für die Nacht gesucht, dort unten war Finsternis.
Schlief sie schon? Und fror sie nicht im Schlummer? Sennhütten sind nur gebaut für den warmen Sommer: handbreite Lücken klaffen in den roh gefügten Balkenwänden, und es fährt der Sturm hindurch, zudringlich und kalt. Da wäre der Schläferin ein wärmendes Fell, eine schützende Decke willkommen.
Haymo sprang in die Hütte. Das Feuer auf dem Herd war fast erloschen; nur eine dünne Flamme schlug noch aus den zerfallenden Kohlen. Im Herdwinkel hatte Walti sich auf die warmen Steine gestreckt, und im Heubett schnarchte Frater Severin auf dem Wolfsfell und hielt die Lodendecke bis übers Kinn gezogen. Was der gute Frater wohl sagen möchte, wenn Haymo ihn weckte und zu ihm spräche: „Gib das Fell her und die Decke, die kleine Gittli friert!“
Haymo, leis, um die beiden anderen nicht zu wecken, ließ sich auf den Herdrand nieder. Da sah er, daß der Laufbub die Augen noch offen hatte. „Walti!“ sprach er ihn flüsternd an. „Gelt, du kennst alle Leut im Klosterdorf?“
„Ja!“ gähnte der Bub.
„Kennst du eine junge Dirn mit Namen Gittli?“
„Wohl. Das ist die Müllerstochter am Seebach drunt, ein festes Weibsbild mit blonden Zöpfen, dick wie mein Arm.“
„Die mein’ ich nit. Eine andere.“
„Halt! Ja! Die Krämerdirn? Haymo, die hat Moos und kriegt ein Haus. Aber schielen tut sie und einen Buckel hat sie auch. Pfui Teufel!“
„Die mein’ ich auch nit. Eine andere.“
„Eine andere? Gittli? Ich weiß keine mehr.“
„Besinn dich!“
„Wie soll sie denn ausschauen?“
Haymo neigte sich über den Herd; seine Augen leuchteten, und von seinen Wangen widerstrahlte die Glut der Kohlen: „Schlank und fein wie ein junges Lärchenstämml, flink wie ein Reh, ein Gesicht, so weiß wie die Schneerosen, und Augen so schön und so tief wie der See.“
Walti glotzte den Jäger an und schüttelte den Kopf. „Nein, die kenn ich nit. So eine gibt’s gar nit bei uns im Dorf. Die müßt man draußen in der Salzburg suchen oder im reichen Hall, in den Herrenhäusern.“ Er ließ sich gähnend zurücksinken in den Winkel, richtete sich aber gleich wieder auf. „Halt! Eine fällt mir noch ein. Ja, die heißt auch Gittli. Aber das ist noch gar keine Dirn. Die ist mit mir in die Klosterschul gegangen. Ein kleberes3 Ding. Hat Augen wie eine Wildkatz und Haar, so schwarz wie des Teufels Großmutter. Die kannst du nit meinen.“
Haymo lächelte. „Nein, die mein’ ich freilich nit! Wer ist denn ihr Vater?“
„Sie hat keinen. Bei ihrem Bruder haust sie. Das ist einer! Dem geh ich aus dem Weg. Neulich, wie die Glock zum Essen läutet, hab ich sein Kindl umgerannt. Da hat er mir die Ohren schier aus dem Kopf gerissen. Der Teufel, der ungute! Ist ein Auswärtiger. Vor zehn Jahren ist er zu uns gekommen, weiß nit, woher. Drunten im Salzhaus ist er Sudmann, und sein Haus ist ein Klosterlehen. Jaaa!“ Laut gähnend drehte sich Walti auf die Seite.
Haymo saß gegen die Blockwand gelehnt, flocht die Hände um das aufgezogene Knie und träumte mit offenen Augen.
Auf dem Herd erlosch die Glut, Frater Severin schnarchte, und draußen stürmte der Föhn um das kleine Balkenhaus, daß es zitterte in allen Fugen.
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Dialektische Verstümmelung des Ausrufes: „O Jesus!“
3
Schwächlich, unscheinbar.