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Kapitel 2

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Am nächsten Tag machten sich Dr. van Houten und Bud Waters in einem der beiden gemieteten Geländewagen auf, um Padang in Richtung Pariaman – der nächstgelegenen kleineren Stadt an der Küste – zu verlassen. Bud, gewöhnt an den in Indonesien üblichen Linksverkehr, saß am Steuer und dirigierte den schweren Wagen zunächst vorsichtig durch das schier unglaubliche Gewühl der Innenstadt Padangs, bevor sie die nordwestliche Ausfallstraße erreichten und das Tempo erhöhen konnten. Während sie die endlosen Reihen trostloser Wellblechhütten passierten, die den Stadtrand Padangs bildeten, erzählte Bud, dass ihre Zielperson so etwas wie eine lokale Berühmtheit darstelle.

»Sein Name ist Eko Rimba, und er gilt als ziemlich wunderlich und verschroben. Scheint aber unheimlich stolz auf seine Abstammung von den Urwaldmenschen zu sein und erzählt angeblich jedem davon, der sich interessiert zeigt – und allzu oft auch denen, die es nicht interessiert.«

»Und woher haben Sie die genaue Adresse?«

»Also, naja, um ehrlich zu sein, es ist eher eine Wegbeschreibung – aber wir werden es schon finden. Im Notfall müssen wir uns halt durchfragen.« Dr. van Houten blickte zwar skeptisch, enthielt sich aber eines entsprechenden Kommentars.

Sie passierten Minangkabau, den internationalen Flughafen Padangs, dann verließ Bud die bisher gut ausgebaute Hauptstraße und steuerte das Auto durch ein Gewirr unasphaltierter Nebenstraßen, das sich zwischen kleinen Dörfern und Palmölplantagen erstreckte. Dabei änderte er so oft die Fahrtrichtung, dass sich Dr. van Houten zu fragen begann, ob sein Fahrer noch irgendeine Ahnung hatte, wo sie sich gerade befanden. An einer Kreuzung stoppte Bud schließlich, ließ das Fenster herunter und wechselte ein paar Worte in indonesischer Sprache mit einem Bauern, der an seinem kleinen Stand Obst und Gemüse anbot. Der Angesprochene gestikulierte wild in die Richtung, aus der sie gerade kamen, und ließ dabei einen Redeschwall los, der Bud offenbar überforderte, denn er hob nur dankend die Hand und wendete den Wagen auf der Kreuzung.

»Haben Sie sich verfahren?«, konnte sich Dr. van Houten nicht verkneifen zu fragen.

»Hab’ nur die letzte Abzweigung übersehen, es muss hier ganz in der Nähe sein, der Bauer kennt unseren Mann.«

»Woher beherrschen Sie so gut indonesisch?«

»So gut ist es gar nicht, eben nur das, was ich hier im Lauf der Zeit aufgeschnappt habe. Das Notwendigste verstehe ich – und für den Rest helfe ich mir meistens mit Händen und Füßen. So, hier hätte ich links fahren müssen …«

Bud bog in einen noch schmaleren Feldweg ein, der nach wenigen hundert Metern an einem Zaun endete, vor dem Bud den Wagen anhielt und den Motor abstellte. Hinter der Begrenzung stand eine windschiefe Hütte, die nicht den Eindruck vermittelte, den nächsten Taifun auch nur ansatzweise überstehen zu können. Sie stiegen aus und gingen zu einem nur mittels einer Drahtschlaufe an einem Pfosten angehängten Gatter.

»Türglocke gibt es hier wohl keine«, stellte Bud fest und öffnete das Tor kurzerhand, da sich keine Menschenseele blicken ließ. Kaum betraten sie jedoch den Weg, der zwischen unordentlichen Gemüsebeeten zu der Hütte führte, öffnete sich deren Türe und ein uralter krummbeiniger Mann erschien in der Öffnung.

»Was wollen?«, krächzte er unfreundlich, aber zur Erleichterung Dr. van Houtens in gebrochenem Englisch.

»Mein Name ist Doktor Alex van Houten. Sind Sie Eko Rimba?«

»Ja, ich Eko Rimba. Was wollen?«

»Ich bin Wissenschaftler und würde gerne mehr über Ihre Abstammung von den Urwaldmenschen erfahren, wenn es Ihnen nichts ausmacht.« Der Angesprochene blickte den Doktor verständnislos an, worauf Bud mit ein paar indonesischen Wörtern versuchte, ihr Anliegen zu erklären. Offenbar mit Erfolg, denn das Gesicht des Alten hellte sich merkbar auf und seine Gestalt straffte sich. Er trat zur Seite und wedelte mit den Armen, um die inzwischen Nähergekommenen ins Innere seiner Behausung einzuladen.

»Ja, ja, ich sein Waldvolk, kommen gerne herein!«, radebrechte er währenddessen, wobei er ein strahlendes Lächeln sehen ließ, dessen Wirkung nur der eklatante Mangel an Zähnen minderte.

Als sie zu ihm traten, wurde offenbar, dass Eko Rimba sogar für einen Indonesier sehr klein war, denn er stand zwar auf der obersten Stufe seines Hauses, aber der groß gewachsene Dr. van Houten überragte ihn am Fuße der Stiege stehend dennoch um einen halben Kopf. Um durch die niedrige Tür in das dämmerige Innere der Hütte zu gelangen, mussten die Besucher sich bücken. Als sich ihre Augen drinnen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, sahen sie, dass die Hütte aus einem einzigen Raum mit sehr spärlicher Einrichtung bestand: Neben einer Propangaskochstelle in der Ecke und einem Wandbord, auf dem sich Lebensmittel und primitives Küchengerät stapelten, gab es nur noch ein niedriges Bettgestell und – zur Überraschung der Besucher – ein Bücherregal. Der restliche Raum schien indessen als Müllhalde zu dienen, denn fast überall lag Gerümpel aller Art.

Der Alte humpelte zu dem Bett und ließ sich ächzend auf dessen Rand nieder. Da sich im Zimmer ansonsten keine weiteren Sitzgelegenheiten befanden, setzte sich Alex van Houten einfach ihm gegenüber im Schneidersitz auf den Boden, wobei er sich dennoch fast auf Augenhöhe mit dem Indonesier befand. Bud schlenderte inzwischen zu dem Bücherregal, um die Aufschriften der Buchrücken in Augenschein zu nehmen.

»Sie sagen, dass Sie von dem Waldvolk abstammen, erzählen Sie mir bitte davon!«, eröffnete der Doktor das Gespräch.

»Die Geschichte erfahren mein Vater von sein Vater – und der von sein Vater. Urahn von mir liebte Mädchen von Labun, und er sie immer beobachtet hat aus Wald. Dann er sich in Nacht in Dorf geschlichen, aber man gefangen ihn. Mädchen sehr traurig war, hat Urahn befreit und mit ihm gegangen. Darum ich Nachfahre von ihm.«

»Eine sehr romantische Geschichte, aber können Sie sie auch beweisen?«

»Ja, haben Zeichnung von Waldmensch!«, erwiderte der Alte zu Dr. van Houtens Erstaunen. Er hob am Kopfende eine Ecke seiner fleckigen Matratze und kramte aus einem Sammelsurium alter Zeitungsausschnitte, kleiner Banknoten und bekritzelter Zettel ein vergilbtes Blatt Papier hervor, das er dem Doktor reichte.

Dieser nahm es, stand auf und trat an das einzige kleine Fenster des Raumes, um es genau in Augenschein zu nehmen. Eine primitive Bleistiftskizze zeigte einen aufrecht stehenden, aber affenartig behaarten Menschen mit überproportional langen Armen und einem langen Speer in einer Hand. Die Gesichtszüge waren jedoch zu einfach dargestellt, als dass sie Rückschlüsse auf Rasse oder Abstammung zugelassen hätten.

»Diese Zeichnung scheint zwar recht alt zu sein, aber doch sicher nicht so alt, dass sie Ihren Vorfahren zeigt, oder?«, fragte Dr. van Houten zweifelnd.

»Bild ich gemacht!«, verkündete der Alte stolz.

»Was soll das heißen? Haben Sie das Waldvolk etwa selbst gesehen?«, erkundigte sich der Doktor mit plötzlich aufflammendem Interesse.

»Oft Waldvolk sehen, sind Brüder von mir. Kann Sie hinführen, wenn gut bezahlen!« Jetzt wirkte Eko Rimba wie die sprichwörtliche Katze knapp vor Verspeisen der gefangenen Maus, wobei er allerdings geflissentlich versuchte, diesen Eindruck durch ein möglichst vertrauenserweckendes Lächeln zu verwischen – was ihm aber aufgrund der fehlenden Zähne nicht zufriedenstellend gelang.

Dr. van Houten, in dessen Gesicht während der letzten Worte des Alten der zweifelnde Ausdruck zurückkehrte, überlegte lange, während er den Indonesier durchdringend musterte.

Der begann sich unter den Blicken des Doktors sichtlich unwohl zu fühlen und meinte schließlich: »Nicht so teuer sein, ich machen guten Preis für Doktor!«

»Gut, angenommen Sie sagen die Wahrheit. Sicher werden Sie aber verstehen, dass wir einen besseren Beweis benötigen, als nur eine Bleistiftzeichnung?«

Er griff in seine Brusttasche und holte ein versiegeltes Teststäbchen für einen DNA-Abstrich hervor. Sobald der alte Mann jedoch das Wattestäbchen erblickte, riss er mit einem schrillen Schrei die Augen auf, zog hastig seine Beine auf das Bett, kroch rücklings auf diesem bis ganz an die Wand zurück – und presste sich an sie wie ein verwundetes, in die Enge getriebenes Tier! Dabei kreischte er in einem fort auf Indonesisch, schüttelte die Faust und fuchtelte mit der anderen Hand wild zum Ausgang der Hütte.

Bud, von dem plötzlichen Ausbruch genauso überrascht wie Dr. van Houten, wechselte einen schnellen Blick mit diesem.

»Ich verstehe zwar nicht alles, was er da von sich gibt, aber ich denke, dass wir hier nicht weiter erwünscht sind«, sagte er trocken.

Der Doktor, konsterniert und noch immer mit gezücktem DNA-Teststäbchen in der erhobenen Hand, klappte schließlich seinen Mund wieder zu.

»Ganz Ihrer Meinung. Kommen Sie, gehen wir!« Fluchtartig verließen sie die Hütte und eilten zum Wagen, wobei sie den Alten weiterhin lautstark zetern hörten. Erst als sich die Wagentüren schlossen, kehrte Ruhe ein. Beide stießen den unwillkürlich angehaltenen Atem aus und schauten sich an.

»Was war denn das?«, fragte Dr. van Houten.

»Keine Ahnung, aber er weiß anscheinend, wozu solch ein Wattestäbchen dienen kann. Offenbar wollte er partout verhindern, dass wir eine DNA-Probe von ihm nehmen. Entweder, weil er ein Hochstapler ist, vielleicht aber auch aus Aberglauben, oder er ist einfach nur durchgeknallt.«

»Na, seine Geschichte war jedenfalls mehr als abenteuerlich.«

»Ja, und ich weiß auch, woher er sie wahrscheinlich hatte. In seinem Buchregal stand nämlich unter anderem eine indonesische Übersetzung von William Marsdens History of Sumatra.«

»Das kann aber genauso bedeuten, dass er sich einfach nur für die Geschichte seines Vorfahren interessiert. Verdammt, ich hätte zu gerne eine Probe von ihm bekommen, dann hätten wir wenigstens Gewissheit!«

»Tja, wenn uns das Glück hold ist, dann haben wir eine.« Aus seiner Hemdtasche nahm Bud mit spitzen Fingern ein am unteren Ende stark zerfasertes Holzstäbchen.

»Was soll das denn sein?«

»Ein Miswak, die hiesige Version einer Zahnbürste. Der Zweig eines bestimmten Baumes, dessen Ende man so lange zerkaut, bis es bürstenartig wird. Kam vielleicht mit der Islamisierung nach Indonesien, oder sogar schon vorher. Ich habe ihn zwischen dem ganzen Gerümpel entdeckt und dachte, es könne nicht schaden, ihn heimlich einzustecken. Stammt zwar wahrscheinlich aus der Zeit, als der gute Eko Rimba noch Zähne hatte, aber seine DNA sollte Karim trotzdem darauf finden können. Hätten Sie vielleicht einen sterilen Beutel?«

»Bud, Sie sind ein Schlitzohr, aber ein geniales!«, strahlte der Doktor. »Worauf warten wir? Schnell nach Hause!«

Im Hotelzimmer hatten inzwischen die drei übrigen Expeditionsteilnehmer dem Chaos den Kampf angesagt, das Verpackungsmaterial entsorgt und die Ausrüstung zwischenzeitlich auf vier riesige Rucksäcke aufgeteilt. Außerdem reduzierte Ellen drastisch die Menge persönlicher Gegenstände, damit der Platz überhaupt ausreichte. Einen Sonderfall stellte das DNA-Labor dar: lediglich dem Namen nach ›mobil‹, tatsächlich aber unhandlich groß. Karim beabsichtigte, es selbst in einem Tragegestell zu schleppen, da er persönlich für dessen Unversehrtheit die Verantwortung trug.

Jetzt hockten alle drei auf einem der Betten, und Ellen studierte gemeinsam mit Deborah intensiv eine zwischen ihnen ausgebreitete Landkarte. In diese Szenerie platzten Bud und Dr. van Houten, der den Miswak im Probenbeutel gleich einer Trophäe vor sich hertrug.

»Karim, bitte das Labor hochfahren, es gibt Arbeit!«, rief er schon an der Türe. Der junge Wissenschaftler sprang auch gleich auf, schritt zum DNA-Tester und schaltete das Gerät ein. Dann setzte er umständlich eine Laborbrille auf, nestelte einen Mundschutz aus seiner sterilen Verpackung und legte ihn an. Bis er schließlich OP-Handschuhe überstreifte und mit einem Wattestäbchen in der Hand zu Bud und Dr. van Houten trat, zappelten beide inzwischen ungeduldig wie zwei Schüler, denen der Gang zur Toilette untersagt worden war. Karim nahm den Miswak aus dem Beutel, tupfte das zerfaserte Ende sorgfältig mit dem Teststäbchen ab, steckte es in eine vorbereitete Phiole, schob diese in das Gerät und schloss die Probenklappe. Das Gerät quittierte den erfolgreichen Ladevorgang mit kurzem Summton, worauf sich Karim der Handschuhe entledigte und auf dem Touchscreen herumzutappen begann.

»Ihr könnt euch entspannen«, erklärte er dem ihn gebannt gaffend im Halbkreis umringenden Publikum. »Das dauert jetzt ein Weilchen …«

Widerwillig wandten sich die anderen ab, während sich Karim einen Stuhl angelte und vor den Bildschirm setzte. Van Houten seufzte.

»Na schön, dann besprechen wir eben inzwischen die Route. Wie ich sehe, habt ihr ja schon damit angefangen.«

Deborah deutete auf die Karte: »Ja, Ellen und ich sind sich eigentlich schon einig, was das Ziel betrifft, nämlich jenes Hochtal im Kerinci Seblat Nationalpark, wo mir damals der Orang Pendek begegnete. Wir haben aber noch über die Route dorthin diskutiert. Es gibt einen kürzeren, aber sehr anstrengenden Weg, der zwar in einem Tag zu schaffen wäre, wobei wir aber eine Schlucht queren müssten, was ich angesichts unseres Gepäcks eher nicht empfehlen würde. Der andere Weg kostet uns zwar zwei Tage, aber dafür ließe sich die Schlucht umgehen. Da ich nicht weiß, wie es um Ihre Kondition – oder die von Bud und Karim – bestellt ist, wäre es meiner Meinung nach besser, für den Anfang den einfacheren Weg zu nehmen. Was meinen Sie?«

Dr. van Houten ging zu einem der gepackten Rucksäcke, fasste ihn an den Trägern, hob ihn probeweise ein Stück an, ließ ihn aber sogleich wieder sinken und lächelte verlegen: »Existiert vielleicht noch ein dritter Weg? Kurz und trotzdem einfach?«

Ellen lachte: »Hey, Doc, machen Sie sich nichts daraus. Nach unserer Tour schultern Sie das Teil mit links, Sie werden sehen!«

»Oder ich mutiere zum Hobbit, weil ich ein gestauchtes Rückgrat vom Tragen und außerdem Plattfüße haben werde …«

Auch Bud testete das Gewicht des Gepäcks und schloss sich der allgemeinen Meinung an, die leichtere Route zu nehmen. Seit dem Ausflug mit Dr. van Houten verhielt er sich überhaupt bemerkenswert ruhig, warf nur hin und wieder einen verstohlenen Blick auf Ellen, die ihn aber weitestgehend ignorierte. Während ihrer gemeinsamen Fahrt hatte ihm der Doktor die Begebenheit mit dem Straßenjungen erzählt und auch die ›Tigergeschichte‹. Vor allem Letztere verunsicherte Bud sehr – wie sollte er sich der Powerfrau gegenüber verhalten, um nicht womöglich das Schicksal des Tigers zu teilen? Karims Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und bewirkte außerdem, dass sich alle wieder hastig rund um den Genetiker versammelten.

»Ich habe jetzt die Analyse beendet, aber das Ergebnis wird euch nicht gefallen«, eröffnete dieser mit resignierter Miene.

»Kein Ebu Gogo?«, fragte Dr. van Houten.

»Nicht einmal ein winziges Bisschen. Zu hundert Prozent ein lupenreiner Homo sapiens!«

»Tja, dachte ich mir schon. Leider schon seinem Verhalten nach zu erwarten. Wäre wirklich zu schön gewesen!«, seufzte der Doktor. »Aber was soll’s. Wenigstens ist das Gepäck jetzt wirklich gut verstaut, und morgen kann unsere eigentliche Suche beginnen. Aus diesem Anlass würde ich gerne alle Teilnehmer heute zu einem ausgiebigen Abendessen hier im Hotel einladen. Wer weiß, wann wir das nächste Mal eine vernünftige Mahlzeit bekommen werden. Sagen wir, um halb acht?«

Die angehenden Expeditionsmitglieder nickten dankbar – und hungrig.

Ebu Gogo

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