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Kapitel 4

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Wider Erwarten waren am nächsten Morgen tatsächlich alle Expeditionsmitglieder pünktlich zur Stelle, und die beiden Geländewagen konnten beladen werden. Sogar Bud packte mit an, so gut es sein gewaltig verkaterter Zustand erlaubte. Nur als er Anstalten traf, sich auf den Fahrersitz eines der Fahrzeuge zu setzen, führte ihn Ellen – zwar sanft, aber sehr bestimmt – am Arm zur Beifahrerseite. Als sie am Steuer Platz nahm, wirkte sie bestens gelaunt und frisch wie der Frühling, obwohl ihr Alkoholkonsum am Vortag im Vergleich zu Buds kaum geringer ausgefallen war. Den anderen Wagen lenkte Deborah, die auch die Führung übernahm, als sie Padang schließlich in östlicher Richtung verließen. Dr. van Houten saß neben ihr auf dem Beifahrersitz, während Karim sich zu den beiden Jüngeren im zweiten Wagen gesellte.

Schon bald wurden die Häuser und Wellblechhütten spärlicher. Auf der vorerst gut ausgebauten Straße erreichten sie die Grenze des Nationalparks Kerinci Seblat, der sich mit der schier unglaublichen Fläche von fast vierzehntausend Quadratkilometern über insgesamt vier Provinzen der Insel Sumatra erstreckte. Ihr Ziel lag weit im Südosten des Nationalparks, und so lagen noch etliche Stunden Fahrt vor ihnen.

An einer Abzweigung bog Deborah in Richtung der Twin Lakes von der Hauptstraße ab. Bald darauf passierten sie den Danau Diatas, einen von zwei Seen vulkanischen Ursprungs. Von den Seen folgten sie einem langen Tal, an dessen Ende sich als höchste Erhebung Sumatras der mächtige Vulkankegel des Gunung Kerinci bis zu 3800 Metern gen Himmel erhob. Die Gegend erwies sich als spärlich besiedelt. Auf der nun schlechteren Straße passierten die beiden Fahrzeuge immer wieder kleine Hütten und Häuser. Unter den häufigen Schlaglöchern litt insbesondere Bud, der sich krampfhaft Mühe gab, Kopfschmerzen und rebellierenden Magen irgendwie unter Kontrolle zu halten, was Ellen zu einem spöttischen Lächeln veranlasste.

»Konzentriere dich auf den Wagen vor uns, dann wird dir nicht so leicht übel«, riet sie ihm. »Falls du weiterhin aus dem Seitenfenster starrst, werden wir bald entweder anhalten oder den Wagen reinigen müssen«, ergänzte sie schnippisch, während sie ihn von der Seite prüfend musterte. Wenngleich Unverständliches knurrend, wandte Bud seinen Blick aber dennoch nach vorn, riss plötzlich die Augen auf und brüllte: »Bremsen! Um Gottes willen, bremsen!« Sofort trat Ellen das Bremspedal bis zum Anschlag durch, während sie gleichzeitig den wild schlingernden Wagen auf der Straße zu halten versuchte. Nur knapp schaffte sie es, dass ihr Fahrzeug nicht gegen den quer auf der Fahrbahn stehenden ersten Wagen krachte. Lediglich Zentimeter trennten ihre Stoßstange von der Beifahrertür, aus deren Fenster ihnen Dr. van Houten entsetzt entgegenstarrte, als der auf ihn zuschlitternde Geländewagen endlich zum Stillstand kam.

»Was zum Henker …?«, brüllte Ellen, während sie mit beiden Händen auf das unschuldige Lenkrad eindrosch. »Kann Deb auf einmal nicht mehr Auto fahren? Oder hat sie womöglich für irgendein blödes Vieh gebremst, das wäre echt typisch!«

Sie legte wütend den Retourgang ein und setzte das Gefährt abrupt ein Stück zurück, um Dr. van Houten das Aussteigen zu ermöglichen. Dann sprang sie aus dem Wagen, während der noch immer schockierte Bud sich umständlich vom Sicherheitsgurt zu befreien versuchte. Karim, der zuvor auf der Rückbank lag und bei dem heftigen Bremsmanöver auf den Boden hinter die Frontsitze geschleudert wurde, rappelte sich fluchend auf.

Als es Bud endlich schaffte, die Wagentür zu öffnen und mit weichen Knien auszusteigen, schien sich Ellen, die neben dem rechten Vorderrad des Führungswagens kniete, wieder beruhigt zu haben. Dr. van Houten und Deborah standen hinter ihr.

»Was war denn los?« Bud stützte sich auf die Motorhaube, die sich im nächsten Augenblick allerdings als derartig heiß entpuppte, dass er die Hand mit einem Schmerzlaut rasch zurückzog. Deborah verschränkte die Arme vor der Brust.

»Ein Reifen ist geplatzt. Aber zum Glück auf einem geraden Straßenstück. Wäre das in einer Kurve passiert, wären wir geradeaus in den Urwald gerauscht – und würden jetzt höchstwahrscheinlich an einem Baum kleben.«

»Mit Glück oder Pech hatte das gar nichts zu tun.« Ellen zog ein Jagdmesser aus der Scheide an ihrem Gürtel. »Da hat uns jemand einen gewaltig dummen Streich gespielt.« Mit der Klinge werkelte sie an der Lauffläche des platten Reifens herum und quetschte schließlich ein Metallstück heraus, das sie den anderen auf ihrer offenen Handfläche präsentierte: Vier scharfe Stacheln, in der Mitte so verschweißt, dass die Enden nach allen Richtungen abstanden. Durch die Konstruktion besaß das Teil auf dem Boden einen stabilen Stand, während einer der Stacheln jeweils nach oben zeigte. Der perfekte Reifenzerstörer.

Dr. van Houten wechselte einen langen Blick mit Deborah, die nur zustimmend nickte, woraufhin er sich den anderen zuwandte: »Ich … muss euch etwas mitteilen. Anlässlich unserer überraschenden Einladung durch den Chef des Nationalparks wurde nicht nur freundschaftlich über die Erfolgschancen unserer Expedition geplaudert.«

»Sondern …?« Ellen runzelte die Stirn.

»Er warnte uns davor, dass radikale Moslemgruppen unser Vorhaben verhindern wollen«, gestand der Doktor.

»Und das sagen Sie uns erst jetzt?«, ereiferte sich Ellen, während Bud nur verständnislos vor sich hinstarrte. »Wann hätten Sie uns das denn mitteilen wollen? Deb, warum hast du mir nichts davon erzählt? Ich trage die Verantwortung für eure Sicherheit im Urwald und muss über alles im Bild sein, sofern ich meine Aufgabe erfüllen soll!«

Deborah hob beschwichtigend die Hände. »Tut mir leid, wir wollten euch nicht von vornherein beunruhigen. Und … nun ja … ehrlich gesagt haben wir diese Warnung auch nicht so ernst genommen. Er hat uns gesagt, dass sie auf Gerüchten basiert.«

»Warum wollen uns die Islamisten überhaupt ans Leder?«, meldete sich jetzt Bud zu Wort.

»Dass Mensch und Affe gemeinsame Vorfahren haben, widerspricht ihrer Überzeugung. Die Evolutionslehre lehnen sie strikt ab«, erklärte Karim an Dr. van Houtens Stelle, der zustimmend nickte. »Und wenn es einen lebendigen Beweis dafür gäbe, würden sie vor ihren Anhängern nicht mehr gut dastehen«, ergänzte der Doktor.

Ellen blickte finster zwischen Deborah und Dr. van Houten hin und her. »Gut, belassen wir es dabei. Aber ab jetzt keine Geheimnisse mehr, in Ordnung?«

»In Ordnung, versprochen!«, bestätigte Dr. van Houten.

»Dann sind wir uns einig. Jetzt machen wir Folgendes: Karim und Bud, ihr holt das Werkzeug aus dem Wagen und montiert den Reservereifen, während du, Deb, bitte mit Dr. van Houten die Straße vor uns nach weiteren Reifennägeln absuchst. Ich verdrücke mich inzwischen unauffällig in den Wald und eruiere, ob unsere Wohltäter vielleicht noch anwesend sind und uns beobachten.«

»Ellen, unternimm bitte nichts Unüberlegtes, diese Leute sind gefährlich!«, warnte Deborah mit besorgter Miene.

»Ich und unüberlegt? Pah! Und gefährlich wird es höchstens für die, falls ich sie erwische«, grinste Ellen, kramte dann im Wagen und tauchte mit einer Rolle Klopapier auf, mit der sie gut sichtbar herumfuchtelte. »So, ich geh’ dann mal«, kündigte sie lauter als eigentlich nötig an und verschwand in den Büschen.

Da der immer noch angegriffene Bud schon wieder Löcher in die Landschaft starrte, tippte Karim ihm auf die Schulter und bedeutete ihm mitzukommen. Sie holten Werkzeugkasten und Wagenheber aus dem Pannenwagen und begannen den zerstörten Reifen abzumontieren.

Währenddessen suchten Dr. van Houten und Deborah zunächst den unmittelbaren Bereich rund um die Autos nach weiteren Nägeln ab – und wurden prompt mehrmals fündig.

»Immenses Glück, dass nur ein einzelner Reifen draufgegangen ist, und wir den Schaden reparieren können«, meinte Dr. van Houten, »Sonst hätten wir jetzt schon aufgeben müssen!«

»Ja, aber ab sofort heißt es, doppelt vorsichtig zu fahren, wir verfügen nunmehr nur über einen einzigen Reservereifen, nämlich den vom zweiten Wagen. Die Straßenverhältnisse werden immer schlechter, daher kann durchaus auch ohne Nagel ein Reifen kaputtgehen«, antwortete Deborah.

Nachdem sie in der Nähe der Autos keine weiteren Nagelfallen mehr fanden, wanderten sie ein Stück voraus und suchten die vor ihnen liegende Straße ab. Scheinbar präparierten die Saboteure jedoch nur ein kurzes Straßenstück, und so kehrten der Doktor und Deborah nach ein paar hundert Metern ergebnislos um.

Ellen hatte die Straße absichtlich nicht in jener Richtung verlassen, in der sie aufgrund des Geländes etwaige Beobachter vermutete, sondern in entgegengesetzter Richtung. Jetzt bewegte sie sich geduckt entlang eines schmalen Grabens, um einen weitläufigen Bogen um die Unfallstelle zu schlagen.

Etwa einen halben Kilometer von den Fahrzeugen entfernt – und durch eine Kurvenbiegung vor Blicken geschützt – überquerte sie wieselflink die Straße und verschwand im gegenüberliegenden Dickicht. Ihr Ziel bildete ein kleiner Hügel, von dem aus man den Standort der Wagen gut einsehen können musste.

Sie bewegte sich jetzt doppelt vorsichtig durch das Unterholz, wobei sie darauf achtete, möglichst wenige Geräusche zu verursachen. Jahrelange Erfahrung im Urwald kam ihr dabei zugute, dennoch kostete dieses Vorgehen viel Zeit und Kraft. Schließlich erreichte sie die Rückseite des Hügels und begann sich langsam den Hang hinaufzuarbeiten. Etwa dreißig Meter unterhalb der flachen Kuppe verharrte sie, um ihren Atem zu beruhigen. Mehrere Minuten lang lauschte sie aufmerksam und vermeinte, von oben gedämpften Wortwechsel zu vernehmen. Also schlich sie weiter, alle Sinne aufs Äußerste angespannt.

Endlich hörte sie die Stimmen deutlicher, verstand leider jedoch noch immer nicht die Worte. Durch das dichte Blattwerk vermeinte sie jetzt auch zwei Männer zu erkennen, die – von ihr abgewandt – von diesem erhöhten Standort aus offensichtlich das Geschehen auf der Straße beobachteten und sich leise austauschten, wobei sie indonesisch zu sprechen schienen. Als Ellen noch ein Stück vorrückte, verstummte einer der beiden abrupt mitten im Satz, drehte sich ruckartig in ihre Richtung – und im nächsten Moment verschwanden beide blitzschnell und nahezu lautlos. Fluchend sprang Ellen auf und hetzte zu der Stelle, auf der die Beobachter eben zuvor noch standen. Mit verhaltenem Atem lauschte sie und konnte hören, dass sich die beiden offenbar getrennt hatten, um in verschiedenen Richtungen das Weite zu suchen. Willkürlich wählte sie die Richtung eines der beiden und spurtete hinterher, wobei es keinerlei Rücksicht mehr auf den Lärm zu nehmen galt, den sie nun beim Durchbrechen des Unterholzes verursachte. Dadurch sah sie sich aber immer wieder gezwungen kurz anzuhalten, um den Lärm des Flüchtigen zu erlauschen, sodass dieser einen immer größeren Vorsprung gewann. Nach einiger Zeit musste Ellen widerstrebend einsehen, dass ihr der Mann entkommen würde. Resignierend blieb sie stehen, um wieder zu Atem zu kommen.

Als sie sich gefasst hatte und gerade den Rückweg antreten wollte, drangen abermals Geräusche eines sich durch das Dickicht bewegenden Menschen an ihr Ohr. Sofort glitt sie leise hinter den gewaltigen Stamm eines Baumriesen und horchte. Das Glück schien ihr hold, denn die Schritte kamen immer näher! Der Betreffende würde ihr Versteck in unmittelbarer Nähe passieren! Leise zog sie ihr Messer und wartete, bis der Ahnungslose vorüberging. Dann sprang sie vor, umfasste mit dem Arm von hinten den Hals des Mannes, während sie ihm mit der anderen Hand die Dolchspitze an den Rücken hielt. Dann erkannte sie ihn. Es war … natürlich Bud.

»Mann, hast du einen Knall?«, schnaubte Ellen gereizt, während sie ihre Jagdtrophäe von sich stieß. »Hätte dich beinahe aufgespießt!« Bud drehte sich schlotternd und bleich zu ihr um, sichtlich darum ringend, seine Sprache wiederzufinden.

»M-mein Gott, wo bist du so plötzlich hergekommen?«, stotterte er schließlich und ließ sich auf den Waldboden plumpsen. »Ich hörte Tumult im Wald und wollte … dir zu Hilfe kommen.«

»Sei froh, dass ich es nur war, und nicht die beiden Kerle, die ich gerade verfolgt habe«, kommentierte Ellen säuerlich und baute sich vor ihm auf. »Warum haben dich die anderen nicht zurückgehalten?«

»Wollten sie ja, aber ich … hab’ mich nicht aufhalten lassen.«

»Hör mal, Bud, du bist ein wirklich lieber Junge, aber … ein für alle Mal: Ich brauch’ keinen Beschützer! Klar?«

Bud schaute von unten zu ihr auf und nickte ergeben. »Ja. Sonnenklar.«

»Gut, dann komm! Wir müssen es den anderen sagen. Da solltest du sowieso nicht sitzen bleiben!«

»Warum?«

»Du hockst auf einem Ameisenhaufen!«

Als sie in der Nähe der Autos aus dem Wald traten, war bei den Wartenden große Erleichterung spürbar. Sie umringten beide und bestürmten sie mit Fragen, sodass Ellen sich genötigt sah, in aller Ausführlichkeit zu berichten. Nur Buds Anteil an der Geschichte ließ sie rücksichtsvoll aus – wofür er ihr unendlich dankbar war.

»Also gut«, fasste Dr. van Houten zusammen. »Man will uns also tatsächlich an unserer Suche hindern. Fraglich nur, woher sie unsere Route so genau kannten, um einen Hinterhalt zu legen.«

»Na ja, ich machte nie ein Geheimnis daraus, in welcher Ecke des Nationalparks ich damals den Orang Pendek gesehen habe«, sagte Deborah. »Und die kürzeste Strecke von Padang dorthin führt nun mal durch dieses Tal hier. Also nicht weiter schwierig.«

»Wie steht es mit der weiteren Strecke? Ist sie auch vorhersehbar?«

»Nein, wenn wir erst einmal zu Fuß unterwegs sind, gibt es zu viele Möglichkeiten. Der Nationalpark ist ja riesig. Ich glaube nicht, dass sie uns dann noch finden können – außer … sie verfolgen uns.«

»Gut, nachdem die Panne jetzt behoben ist, bin ich der Meinung, dass wir so rasch wie möglich weiterfahren sollten. Wer ist noch dafür?«

Vier Hände hoben sich gleichzeitig.

Ebu Gogo

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