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Kapitel 1

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Mit der zunehmenden Vibration wanderte der Saxofonkoffer aus dem Rücksitzbereich des Fiat Cinquecento treffsicher zwischen den Kopfstützen Richtung Windschutzscheibe. Marina versuchte sich dessen interruptären Angriffen zu erwehren.

Das Plastik-Riesenauto unter dem Instrumentenkoffer bot offensichtlich nur wenig Halt für den Rest der Ladung. Flaschen vom Oktoberfestbier erklangen wenig erbaulich, wenn sie sich bei eventuellen Straßenunebenheiten begegneten. Der unerwünscht eindringende Fahrtwind ließ Marinas zunächst seitlich platzierte Sommerkleider seitenfensternah nach vorne flattern, so dass man durchaus von einer temporären Sichtbehinderung ausgehen konnte.

Was musste auch diese blöde Kühlung nicht funktionieren.

Besser sie hätte Querflöte gelernt, statt Saxofon, der Platzbedarf wäre deutlich geringer ausgefallen.

Diese großen Mitbringsel für ihren italienischen Neffen Bruno, unpraktisch.

Warum wollen überhaupt immer alle irgendwelche Mitbringsel mitgebracht haben?

Platzverschwendung.

Die paar Kilo Übergewicht, die sich Marina seit der letzten Bikinisaison erfolgreich angefressen hatte, sorgten auch noch für ein Übermaß an Raumausnutzung in dem etwas zu kleinen Fahrzeug. Als städtisches Bewegungsmittel in München brauchbar, als Reisemobil terribile.

Das Radio wollte Marina nicht anmachen, der Raum war eh schon mit Klängen reich angefüllt. Überflüssigerweise meldete sich auch noch ihr telefonino und trug zur Lautstärke ein Wesentliches bei.

Wo lag es nur wieder?

Normalerweise in der Ablage neben der Gangschaltung.

Fehlanzeige.

Oder auf dem Vordersitz?

Nein, da saßen schon der Schokokuchen für Orla und der Leberkäse für Antonio auf dem Laptop-Koffer.

Mist.

Das Drängen wurde schier unerträglich.

Runtergerutscht.

Marina versuchte bei 130 Sachen mit der rechten Hand im Fußraum des nicht vorhandenen Beifahrers zu fischen. Der Saxofonkoffer rutschte in ihren Nackenbereich.

‚Autsch...“ meldete der vierte Halswirbel.

Igitt, was war das??? Alarm in den oberen haptischen Gliedmassen.

Das telefonino lag schon in den letzten Zügen.

Klebrig.

Marina schnappte es im großen Bogen, verlor wohl ein wenig die Spur, erntete Hupen, giftiger Blick, böser Blick zurück, die Finger klebrig.

„Ja, pronto,“ fast nur noch ein letztes Keuchen.

„Rina, wo bist du?“

Oh, mein Gott, was konnte Mamu nerven.

“Ich bin erst später weggekommen.“

„Du kommst immer spät weg. Steh’ früher auf, pack’ eher. Was musst du auch noch immer zu den Bianchis fahren? Hab ich dir doch immer gesagt, dass das nichts bringt. Was musstest du dir auch diesen Macho-Piloten anlachen. Wenn du auch nur einmal auf mich gehört hättest.“

„Ja, Mamu, hast du mir gesagt. Und ich fahr immer wieder gerne hin, ich mag meine italienische Familie eben. Und Italien. Ich reise gerne“, setzte sie noch hinzu, konnte es derzeit aber fast selbst nicht glauben. Nicht in diesem Fahrzeug, nicht mit dieser Ladung.

„Geht es dir gut, Rina, mein Schatz?“, fast ein Säuseln.

„Sofern es einem in der fast schon zweiten Lebenshälfte mit 130 Sachen auf der Brennerautobahn und einem klebrigen Handy bei einem Gespräch mit dir gut gehen kann. Ja, danke der Nachfrage.“

„Was bist du aber auch wieder sarkastisch. Ich mach‘ mir nur Gedanken, schließlich ist dein Auto nicht mehr das jüngste. Man weiß ja nie!“

„Wenn das Gespräch noch länger dauert, steigt das Unfallrisiko ins Unermessliche!“

„Schon gut, ich habe verstanden. Ciao, meine Süße!“

„Ciao, Mamu!“

Das telefonino wollte sich nicht mehr von Ihrer Hand trennen.

Was war da nur in den Fußraum gekommen?

Und wer hat es dahin gebracht?

Marina konnte sich in keinster Weise erinnern, etwas derartig fest Anhaftendes in den Cinquecento gebracht zu haben.

Jetzt musste schnell eine Fahrtunterbrechung her.

Gut, dass Marina sich für die Brennerroute entschieden hatte.

Nicht nur die Begegnung mit den Schweizer Kontrollbehörden wäre unter diesen Overload-Umständen sehr wahrscheinlich unglücklich verlaufen. Alles ausladen, ein Alptraum, und dann nur die Hälfte wieder reinkriegen. Oh, dio mio!

Außerdem gab es mehr Möglichkeiten, irgendwo aus welchen Gründen auch immer, einzukehren. Aber die italienischen Mautgebühren, incredibile.

Auf der Höhe von Lago di Garda Sud entschied sich Marina diese kleine Verschnauf- und Reinigungspause einzulegen. Die Beine verweigerten fast ihren Dienst, als Marina sich aus der Blechkiste schälte, benvenuti in Italia!

In die Pumps musste sie erst einmal wieder reinschlüpfen als Barfußautofahrerin. Während sie mit ihren Zehen nach dem Schuh fischte, fühlte sich die andere Fußsohle schon etwas klebrig an. Der Kontrollblick gab Gewissheit, vermutlich Kaugummi oder Schlimmeres. Eine gründliche Reinigung verschiedener Körperteile sowie des telefoninos waren nun unvermeidlich. Das fing ja schon mal gut an.

Marina entschied sich erst einmal eine Zeitung in den Fußraum zu legen, wieder ins Auto zu steigen und runter an den See zu fahren, natürlich barfuß, sonst wären ihre einzigen Pumps versaut. Also rein nach Peschiera, Parkplatzsuchen, in der Hochsaison kein leichtes Spiel.

Schon wieder das telefonino.

Oh, Gott, was lag auf diesem Urlaub für ein Fluch?

„Pronto.“

„Rina, bist du’s?“ Orla war dran.

Si, sono io.“

Bella, wann kommst du? Hoffentlich noch rechtzeitig zum Abendessen.“

Marina blickte auf ihre Uhr.

16.30 h.

Das sah nicht gut aus.

Gar nicht.

„Du, Orla, ich brauch’ von hier mindestens noch vier Stunden und ich hab da noch ein kleines Problem.“

Seufzen. Die Enttäuschung kam förmlich durchs Handy gekrochen.

„Nein, mach dir keinen Stress. Ich dachte nur...!“

Nein, Orla ihre ligurische Schwiegermutter war wirklich eine Seele von Mensch.

Und ihr Essen, delizioso!

Aber seitdem Pietro tot war, manchmal ein bisschen zu sehr Übermutter.

Da waren durchaus noch Verbesserungsmöglichkeiten nach oben drin.

Hupen. Lautes Hupen.

Was für eine Ungeduld diese Italiener doch entwickeln konnten.

Mist, Marina hatte vergessen weiterzufahren.

Kolonnenverkehr mit größeren Stopps.

In ihrem Fall war er wohl zu groß gewesen.

Und noch immer kein Parkplatz weit und breit.

Ok, dann nicht. Wasser löst eh keinen Klebstoff.

Aber eine Pinkelpause war dringend nötig.

„Rina...!”

„Oh, ’tschuldigung. Ich hatte ein Problem mit...”

„Alles in Ordnung?” Orlas Sorgen legten Marina beinahe schon den Würgegriff an ihre empfindsame Seele.

„Ja, geht gleich wieder.”

„Du kommst also nicht zum Abendessen.”

„Wenn ihr nicht bis 10 warten wollt.”

„Naja, du weißt die Kinder müssen ins Bett!”

„Ne, kein Problem. Ein bisschen Diät schadet mir nicht.“

„Ich heb dir was auf!“

„Ja, danke. Wartet nicht auf mich!“

„Fahr’ vorsichtig!“

„Ja, versprochen, bis dann!“

„Ciao, Rina.“

„Ciao, Orla.“

Das telefonino klebte an Marinas Hand. Unerbittlich.

Wenn das so weiter geht, würde sie den Rest ihres Lebens mit diesem Funkenwerfer an ihrer Hand verbringen. Ein verfluchter Baumarkt muss her mit einem breiten Lösungsmittelangebot! Manchmal meinte es das Schicksal auch gut, denn schon sichtete sie einen großen Self direkt an der Straße, welcher sicher eine große Auswahl an Giften und Lappen im Angebot hatte.

Inzwischen klebten auch die Pumps an Marinas Füssen.

Vielleicht eine neue Marketing- Idee?

Später, unter Umständen.


Nach einer gründlichen Reinigung auf der Baumarkttoilette und einem kleinen Imbiss im angrenzenden Fastfood-Kiosk zwängte sich Marina wieder in ihren Fiat.

Ihr blieb fast die Luft weg.

Ob sie diese Fahrt ohne Schnüffel-Schäden überhaupt überleben würde?

Sie öffnete die Autofenster soweit es möglich war. Die wehenden Kleider stopfte sie vorsichtshalber unter das Plastik-Riesenauto und zwischen die Flaschenmusik, der wandernde Instrumentenkoffer wurde mit einem Haarband an der Kopfstütze der Rücksitzbank befestigt. Nun hatte Marina das Gefühl zumindest ladungstechnisch betrachtet dem Rest der Fahrt ins Auge sehen zu können.

17:00h, just in time, bis 22:00h, das wäre locker noch zu schaffen.

Sonnenbrille drauf.

Absolutes Italien-Muss, auch wenn die Sonne teilweise hinter Wolken verschwand. Was soll’s!

Auffahrt Desenzano: Beeing on the road again.

Marina stopfte Queen’s Champions in den player.

Der Fahrtwind blies ihr um den Kopf.

Endlich, naja bis auf den Geruch – echtes Urlaubsfeeling.

Der Koffer sah diesmal von seinen unerwünschten Zwischenauftritten ab.

Und auch sonst lief endlich alles nach Plan.


Inzwischen war Marina schon fast bei der Abzweigung nach Genua angelangt, eine Superautobahn kerzengerade, dafür aber auch schweineteuer. Mit großen Schritten zum altbekannten Ziel, wenn sie nur schon über diesen nächsten Bergrücken wäre, der die Poebene von Ligurien trennt. In Gedanken zu sein, kann man sich bei dieser Kurvenfahrt mit ständigen Tunneldurchlässen kaum erlauben. Ein ständiges Wechselspiel von Licht und Schatten.

Licht und Schatten, oh je, sie hatte das feine, papierne Schattenspiel-Theater für Chiara Zuhause vergessen. Das ging gar nicht, ihre Nichte würde zu Tode beleidigt sein, wenn ihr Bruder mit einem Luxusschlitten beschenkt und sie leer ausgehen würde. Also half es nichts, man musste für einen giro di spesa – eine Einkaufstour – noch einen kleinen Zwischenschwenk einlegen. Marina dachte nicht lange nach und entschied sich aufgrund der vorgerückten Abendstunde für Albenga. Imperia würde sie sicher nicht mehr rechtzeitig erreichen.

Aber die Parkplatzsuche entwickelte sich auch in dieser lebhaften Altstadt in der alta stagione zum größeren Problem.

Nach einer Stunde entschied sich Marina es den Italienern gleichzutun und sich einfach auf den Rand des Zebrastreifens zu stellen, da sollten sich die Fußgänger eben dünner machen. Ich bin eh gleich wieder zurück, ritorno subito schrieb sie schnell auf einen Notizzettel und legte ihn hinter die Windschutzscheibe.

Da gab es irgendwo so einen kleinen Buchladen, nein eher Spielzeugladen mit Kinderbüchern.

Chiara war eine kleine Leseratte und hatte immer Lust auf kindgerecht verarbeitete Kunst und Kultur, da müsste doch noch das Passende zu finden sein für eine Siebenjährige. Aber in welcher Gasse war dieser Shop nochmal? Irgendwie sehen die Altstadtgassen in den ligurischen Küstenstädten doch immer gleich aus. Es dauerte eine weitere geschlagene Stunde bis Marina endlich in dem Shop stand. Ein Hoch auf die italienischen Ladenöffnungszeiten!

Die Auswahl war riesig. Bunte Schachteln und Schächtelchen, Püppchen, Bücher und bunte Papiere stapelten sich bis zu vier Meter Höhe. Ein kunterbuntes Spieleland. Dieser Laden ließ nicht nur jedes Kinderherz höher schlagen. So ein ähnliches Papiertheater war noch da, oder sollte sie lieber das kleine Buch mit den Tierscherzen nehmen? Sie entschied sich für das Papiertheater, das so herrliche Schatten an die Wand werfen konnte. Und dann nichts wie raus, den Cinquecento retten.

Da stellt sich nur die Frage nach dem kürzesten Weg zu Rettung des Automobils. Auch hier waren zunächst einige Fehlversuche nötig, bis der bekannte Kreisel mit dem dahinterliegenden Zebrastreifen auftauchte.

Marina hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, dass es auch in Italien einen Abschleppdienst geben würde. Der Cinquecento lächelte ihr freundlich zu, die weniger freundlichen Herren waren gerade dabei ihn an die Leine zu legen. Stopp! È mia!

Ein schräger strafender Blick von dem Herrn mit der Wichtigmütze:

Arrivi in ritardo!”- Du kommst zu spät! Marina fühlte sich ob des Duzens durchaus geschmeichelt.

„Aber nicht zu spät!“

„Egal, die Kosten sind schon angefallen.“

„Aber ich bin doch da!“

„Aber wir auch! Mitsamt dem Abschlepper! Das kostet!“

„Was kann ich Ihnen denn anbieten?“

„Du willst mich bestechen?“

„Nein, nein, keinesfalls!“

„Das sieht den Deutschen wieder mal ähnlich, dass sie denken, sie könnten mit ihrem Geld alles kaufen...“

„Aber das habe ich gar nicht gedacht!“

„...dabei sind wir seit einigen Jahren auch ein Euroland und haben denselben Euro...“

„...ich habe aber gar nicht viel Geld...“

„Was machst du dann in Italien?“, der carabiniere sah ziemlich verwirrt aus.

„Meine italienische Familie besuchen!“

„…ah, wie denn das?“

Also erzählte Marina in Kurzform von Pietro und den anderen Bianchis.

Der Herr mit der Wichtigmütze wurde zunehmend freundlicher.

Zu den anderen Herren gewandt sagte er nur:

„Insieme Sima la Liguria!“ Der Werbeslogan kam Marina zu Hilfe.

Marina zückte einen Zwanziger und bedankte sich freundlich und als waschechter Ligurierin wurde ihr selbstverständlich nach Tausend mille grazie die unverzügliche Weiterfahrt zugesichert.

Gerade noch konnte sie verhindern, dass man ihr einen Escortservice anbot.

Nach ca. zweieinhalb Stunden Fahrtunterbrechung begab sich Marina wieder auf die Küstenautobahn, um womöglich doch noch mit heutiger Datumsangabe in Dolcedo bei den Bianchis einzutreffen.

Wenn Sie allerdings gewusst hätte, wie sich ihr Urlaub dort entwickeln würde, hätte sie auf der Stelle kehrt gemacht.

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