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Kapitel 2
ОглавлениеDie Tischplatte bog sich beinahe.
Bei den Bianchis stapelten sich die Vorspeisen, Hauptspeisen und undefinierbare andere Delikatessen mitsamt den Tellern, Gläsern und anderen Tischutensilien auf dem großen Eichentisch.
Dazwischen einige Kabel, Ladegeräte und Handys.
Ein munteres Gespräch war in vollem Gange. Bei dem Inhalt konnte es sich offensichtlich nur um die baldigst zu erwartende Ankunft von Marina handeln, was den Wortfetzen ganz deutlich zu entnehmen war. Silvo, der patrone und damit das unvermeidliche allererste Familienoderhaupt in vorderster Front, sprach als erster ein Machtwort:
„Basta, non aspettiamo più! - Schluss jetzt, wir warten nicht mehr länger! Die Deutschen sind immer zu spät!“ Die Faust landete zur Bekräftigung des Gesagten auf dem Tisch.
Brrrr...Grrr...Klirr.
„Ruf sie doch mal auf ihrem telefonino an, vielleicht ist sie schon in der Nähe?“, meinte seine bessere Hälfte, Orla versöhnlich.
„Du weißt genau, dass ein Handy auf dieser Küstenautobahn nur selten Empfang hat, wegen der vielen Tunnel und der Berge!“
„Sie ist auch nicht böse, wenn wir ohne sie anfangen!“
„Ich finde auch, dass wir genug gewartet haben, lasst uns essen!“ Enzo rieb sich das schon ziemlich erwachsene Bäuchlein und zwirbelte an seinem Hemdknopf. Orla und Silvos Sohn liebte das Essen, konnte aber mit der geduldigen Warterei gar nichts anfangen. Schon gar nicht wegen seiner Schwägerin. Besser dieser quirligen Deutschen mit vollem Magen begegnen, da ließ sie sich eher aushalten. Also griff er mutig in das Speisenangebot und handelte sich wohl deshalb einen strafenden Blick seiner Mutter ein.
Bruno, Enzos Sprössling, schnappte sich missmutig seinen Kabelsalat und riss damit beinahe das Weinglas von Enzo in den Abgrund.
„Pass doch auf, du Idiot!“ fauchte Chiara ihren Bruder an „Ich sitze heute neben Antonio! Basta!“ Schon platzierte sie ihren Hintern neben Antonio, ihrem einzigen Lieblingsgroßonkel, der hinter seinem weißen Schnurrbarthaaren nur verschmitzt lächelte.
Lucia, Enzos unvermeidlich bessere Hälfte, versuchte ihre vorlaute Tochter etwas abzulenken:
„Freust du dich schon auf Marina?“
„Ich freue mich auf das Geschenk, das sie mitbringen wird.“
„Eh, beh... Hoffentlich bringt sie dir wieder so eine hässliche Puppe im Dirndl mit!“ Bruno grinste schadenfroh und stopfte sich die rote Pasta ungeschickt zwischen die Zähne.
„Das ist gemein von dir Bruno!“, schalt Lucia ihn, „Marina bringt sicher nicht zweimal dasselbe Geschenk mit. Außerdem sind solche Oktoberfestpuppen bestimmt wertvoll.“
„Die sind nicht wertvoll, dieser Ramsch wird auf dem Oktoberfest an dumme Touris verkauft!“, Enzo hatte schließlich das Oktoberfest schon einmal besucht und galt daher als Experte auf diesem Gebiet.
„Und außerdem spiele ich schon lange nicht mehr mit Puppen! Mach jetzt endlich das blöde Handy beim Essen weg.“ Chiara wurde handgreiflich und riss an Brunos Handykabel.
„Wir hatten Handys sowieso bei Tisch verboten und über Geschenke sollte man sich nicht schon im Voraus beschweren!“ Orla versuchte Sanftmut in ihre Stimme zu legen.
Antonio brummelte und formte den Rest seines schütteren Barts unter der Nase.
Wahrscheinlich nur um seinen Unmut kundzutun.
„Immer diese Streitereien! Ich freue mich schon auf Marina!“
Was für ein Fehler. Jetzt löste er geradezu eine Explosion aus, an der Chiara und Bruno erheblichen Anteil hatten. Insgesamt lässt sich wohl Folgendes rekonstruieren: Beide waren nicht unerheblich eifersüchtig auf Marina, weil wohl durch Marinas Aufenthalt in Dolcedo einige Nachteile auf sie beide warteten:
Zum einen spielte Marina zumindest bei Antonio und Gio, seinem treuen maremmanischen Schäferhund, während ihrer langen Anwesenheit die allererste Geige. Außerdem mussten Bruno und Chiara in einem Zimmer schlafen, da Marina das zweite Kinderzimmer als Gästezimmer zur Verfügung gestellt bekam.
Zu allem Überdruss versuchte Marina, Bruno immer auf ihren Touren mitzuschleppen, obwohl es Bruno hasste, zu Fuß zu laufen. Und auch der Speiseplan und die Essenszeiten wurden geändert, damit Marina einen ordentlichen italienischen Haushalt zu sehen bekam …und... und... und!
Diese Liste ließe sich noch unendlich fortsetzen, davon aber an anderer Stelle.
„Jetzt reicht es!“, ermahnte Silvo die Kinder, „manche Dinge sagt man nicht, die denkt man nur!“
„Eh, beh...Aber wenn man sie nur denkt, woher sollen die anderen dann wissen, was man denkt?“ fragte Bruno entgeistert.
„Die anderen sollen eben nicht wissen, was man denkt! Non fare domande stupide. Basta! - Frag’ nicht so blöd!“
Nach dem Pasta Gang wurden die Kinder zu Bett geschickt, wahrscheinlich weil die Erwachsenen doch etwas genervt von den Streitereien waren. Aber vielleicht waren Sie von dem Streitinhalt auch nur so angeregt, dass sie nun doch in Abwesenheit der Kinder, die manchmal unerbittlich ehrliche Zeugen waren, weiter tratschen konnten.
„Orla, meinst du nicht auch, dass wir nach so langer Zeit endlich mal den Alltag Alltag sein lassen könnten?“ Silvo kraulte ihr die Küchenschürze.
„Was meinst du damit genau?“
„Naja, jetzt gehört doch Marina schon so gut wie zur Familie. Da musst du sie nicht mehr beeindrucken!“
„Beeindrucken womit?“
„ Zum Beispiel gibt es immer grandiose Vorspeisen, wenn Marina da ist. Bei uns gibt es sonst nur alici oder olive con pane. Und die Essensausgaben reißen auch immer ein großes Loch in unseren Geldbeutel. Lass’ es doch endlich, wie es immer ist.“
„Dann denkt Marina nur, dass wir arme Leute sind!“, Orla bearbeitete ihren Schürzenzipfel.
„Vielleicht denkt sie dann gar nicht so falsch!“
Enzo benutzte jetzt auch den Faust auf den Tisch Trick.
Grrrrrh...Brrrrhhhh....Klirrrr. Na, also.
„Aber ich möchte nicht, dass sie das denkt! Sie denkt sonst noch, wir hätten es ohne Pietro nicht mehr so weit gebracht!“
„Aber das stimmt doch auch in gewisser Weise“, Lucia bearbeitete ihre falsche Perlenkette im Akkord, „Pietro hat die Familie immer finanziell unterstützt.“
„ Dann reicht dir mein Einkommen also nicht!“, Enzo erhob schon wieder seine Faust. „Gewiss ich bin kein Pilot, nur Mechaniker für Schiffe. Aber ich mache meine Arbeit gut und ich bin glücklich. Ich habe Meerblick, wenn ich arbeite. War es denn wirklich besser als Pietro noch lebte?
Oder fängst du an, ihn in deinen Erinnerungen zu verklären? Es ist so wie es ist, er wird nicht wieder lebendig werden.“
Lucia zwang sich Röte ins Gesicht und streichelte die stark beanspruchte Tischplatte: „ Ich möchte auch nicht, dass wir Marina immer etwas vormachen, wir sind zwar nicht arm, aber reich sind wir wohl noch weniger!“
„Meckere nicht rum! Du brauchst gerade reden, du spielst ihr immer die liebende Schwägerin vor und in Wirklichkeit bist du nur eifersüchtig!“ Enzo bekräftigte diese Erkenntnis mit zwei trommelnden Fäusten.
Brhhh.......Grrrrhh......Brrrhhhhhhhhhh.........Klirrhh. Der Sound übertraf alles bisher Gehörte.
„Ich will nur nicht, dass wegen meiner Schwägerin alles durcheinander kommt. Und dann noch die ständigen Streitereien der Kinder. In dem Alter sollten sie nicht mehr in einem Zimmer schlafen!“ Die Perlenkette hatte inzwischen wohl die Strecke bis Rom hinter sich gebracht.
„Soll Marina etwa zu Antonio ins Zimmer ziehen?“, Orla rümpfte schon vorab ihre Nase.
„Nein, das geht nun wirklich zu weit!“ entgegnete Antonio entsetzt und schob den Teller weit von sich.
„Fangen wir doch mal mit dem Essen an, das ist am einfachsten zu lösen“, Silvo streichelte dazu seinen Tellerrand, wahrscheinlich um den Bildimpuls für die eher visuell Orientierten zu verstärken, „wir essen nicht mehr wie Festtags, sondern ab morgen wie immer und auch die Zeiten bleiben wie immer, eben nicht jeden Mittag zur selben Zeit, abends kann es ja so bleiben wie es ist. Aber es geht nicht an, dass wir mittags alle zur gleichen Zeit am Tisch sitzen müssen, nur wegen Rina! Jeder isst, wenn er Zeit hat und manchmal auch mehrere zusammen. Wie sonst auch. Und... „ an Orla gewandt, „ein Pasta Gericht reicht, die alici kann sich ja jeder selbst aus dem frigo nehmen.“ Er fummelte wieder an Ihrer Schürze rum.
Orla haute ihm eins auf das Patschehändchen und schluckte schon, um Anlauf für die Widerrede zu nehmen.
„Dann muss ich nicht einmal mehr aus dem Orto zurückkommen!“ Antonio warf Zustimmung in die Tischrunde, um Orlas Redeschwall zuvor zu kommen. „Ich nehme mir meine merenda einfach mit und ich gehe jetzt zu Bett!“ Antonio wollte sich das gute Ende des Abends nicht versauen und dazu noch einen Schlusspunkt setzen. Basta!
„Buona Notte!“-„Buona notte!“
Orla schwieg grummelnd und bearbeitete nun wieder selbst ihre Schürze.
Enzo und Silvo gingen zum Rauchen nach draußen, auch um die Damen des Hauses nicht beim Tischabräumen zu stören. Da war es bei den Bianchis wie bei den meisten italienischen Familien. Die Hausarbeit gehörte den Frauen, die Ligurer waren und sind in dieser Hinsicht sehr traditionell eingestellt.
Besonders die Männer halten gerne an diesem Rollenverhalten fest und nutzen dann die Abwesenheit der Frauen, um über sie zu lästern.
„Ich hätte mir das nicht gefallen lassen!“ Silvo versuchte Enzo anzuspitzen und reichte ihm Feuer.
„Was ...?“ Enzo spitzte das Zigarillo mit den Lippen an und zog kräftig.
„Naja, die Bemerkung mit dem Auskommen, dass ihr dein Geld nicht ausreicht!“
„Aber das hat sie doch gar nicht so gesagt!“ Ein Dreifaches Paff, Paff, Paff.
„Aber sie hat es so gemeint! Mir hätte das Orla nie gesagt. Schon gar nicht vor der Familie!“
„Ja, Orla ist eine andere Generation.“ Enzo schickte Rauchkringel in den Abendhimmel.
Wahrscheinlich Friedenspfeife.
„Generation hin oder her, es gehört sich nicht, dass sich die Frau offen über das Gehalt ihres Mannes beschwert! Ist sie denn nie zufrieden?“ Das Ei des Unfriedens musste schon gelegt werden.
„Hai ragione, -Du hast recht-, ich habe auch den Eindruck, dass sie nie zufrieden ist. Das mit dem Zimmer ist schon lange ein Thema. Sie sagt, wenn wir uns endlich ein eigenes Haus leisten könnten, dann bekämen Bruno und Chiara ein eigenes Reich mit Kinderbadezimmer. Und wir hätten ein eigenes Gästezimmer, da gäbe es viele Probleme erst gar nicht.“
„Beh! Bist du etwa Onassis? Wer glaubt sie denn, wer das bezahlen soll? Ihr bekommt eh nach unserem Tod das Haus, das könnt ihr doch wohl abwarten!“ Silvo fasste sich an die Brust, wahrscheinlich um sein baldiges Herztodende anzudeuten.
„Darum geht es doch gar nicht, sie möchte nur unabhängig sein. Außerdem ist ihr das Haus zu alt. Sie möchte eins in den Siedlungen an die Küste.“
„Jetzt schlägt es aber dreizehn! Deine Frau möchte die ganze Zeit, und wer, bitte, wer soll das bezahlen? Du etwa?“ Silvo schnappte nach Luft.
Ein alter Cinquecento ratterte erlösend die Auffahrt herauf.
„Das muss Marina sein!“ Enzo wirkte erleichtert, dass auch dieses Gespräch irgendwann ein Ende nehmen sollte. Er warf das ausgelutschte Zigarillo ins Rosenbeet.
„Ich sag Orla und Lucia Bescheid!“ Enzo verschwand kurz in der cantina.
Als Marina sich aus dem Auto faltete, schien schon wieder jeder Streit vergessen.
Zuerst flog ein riesiger weißer Wischmopp durch die Türe.
Mit großem Gejaule riss er Marina von den Beinen, so dass sie gerade noch den, neben der Türe stehenden, Olivenbaum ergreifen konnte, um den kompletten Umfall zu verhindern.
Ein großes Begrüßungsumarmen und –küssen machte die Runde. Und ein ciao, come stai?
Tutto bene? Come va? - Was hast du in der letzten Zeit so gemacht? Marina bedauerte zwar, dass Antonio und die Kinder schon zu Bett gegangen waren, was aber aufgrund der vorgerückten Stunde kein Wunder war. Es gab aber auch mit dem Rest der Familie noch ausreichend Gesprächsstoff.
Schließlich waren seit ihrem letzten Hiersein drei ganze Monate vergangen. Orla servierte noch einige Vorspeisen inklusive aufgewärmter Pasta und dabei wurden die Erlebnisse der letzten Monate ausgetauscht.
Ein forderndes Klingeln durchtrennte eine kurze Atempause. Orla fühlte sich als einzige angesprochen und erhob sich behäbig, um den Grund der Störung zu erfahren. Am Hörer konnte man nur ihre nach oben wandernden Augenbrauen sehen, ihr Stirnrunzeln vervollständigte das Bild vom ungeliebten Anrufer. Ihre Lippen blieben daher ungewohnt einsilbig.
Schweigen in der vorher so redseligen Runde erwartete sie.
Und Neugierde.
„Es war Frau Wieler...“, damit war wohl das Wichtigste gesagt.
„Mist, ich hatte Ihr versprochen Bescheid zu geben, wenn ich heil angekommen bin!“
„Frau Wieler war sehr verärgert.“
Seltsamerweise konnte Orla Mamu nicht ausstehen, und das obwohl sie sich nur bei der Hochzeit kurz gesehen hatten. Es blieb bei ‚Frau Wieler’, wahrscheinlich der Inbegriff allen Deutschseins in den Augen von Orla.
Marina versuchte das Thema zu wechseln „Wie wäre es gleich morgen mit einem bagno?“
„Du kannst ja die Kinder fragen, aber ich für meinen Teil habe morgen zu tun!“ Lucia hasste es, wenn Marina dachte sie würde nur so zur Dekoration herum sitzen und gab sich geschäftig. „Deshalb gehe ich jetzt auch zu Bett. Gute Nacht!“
Die Ehepaare verzogen sich in ihre camere.
Enzo hatte das Gespräch mit Silvo keine Ruhe gelassen, so dass er im Bett liegend doch noch mal kleinlaut bei Lucia anfragte: „Du, wie hattest du das mit dem wenigen Geld eigentlich wirklich gemeint?“
„Jetzt fängst du schon wieder damit an! Ich weiß nicht, was daran nicht zu verstehen ist.
Seit Jahren schon verdienst du das gleiche Geld. Seit dem Euro sogar fast gar nichts mehr. Du bist einfach zu wenig durchsetzungsstark, um dich um eine Angleichung deines Gehalts zu bemühen. Andere verdienen jährlich mehr. Deshalb können sie sich auch mehr leisten.“ Sie drehte sich auf die andere Seite.
„Du willst also, dass ich mehr Gehalt fordere?“ Enzo setzte sich entsetzt auf.
„Das wäre zum Beispiel einmal ein Anfang!“ Lucia zog sich die Bettdecke bis unter das Kinn.
„Ich weiß nicht, wie du dir das vorstellst. Die Werft steht nicht gerade rosig da, schon einige Male dachten wir, wir müssen schließen. Ich bin froh, dass ich diese Arbeit habe!“
„Und das weiß auch Carlo. Carlo erzählt Euch nur wie schlecht es der Werft geht, damit ihr alle die Klappe haltet. Und ihr macht das, wie dumme Jungen.“
„Du willst damit sagen, dass ich ein dummer Junge bin?“ Leider funktionierte der Fausttrick im Bett nur begrenzt.
„Nicht nur das, du bist nie erwachsen geworden, du hast nie gelernt für die Interessen deiner Familie einzutreten. Ich weiß gar nicht mehr, warum ich dich geheiratet habe.“
Brodelndes Schweigen.
Diese Nacht ging dunkel und schweigend in Enzos und Lucias Schlafzimmer zu Ende.
Im Schlafzimmer von Orla und Silvo ging es noch weiter zur Sache.
Orla keifte: „Was sollte dieser blöde Vorschlag, mit der Gästebewirtung etwas sparsamer zu sein? Marina denkt doch dann, dass ich nicht mehr so gut kochen kann. Wahrscheinlich denkt sie sogar, dass ich alt geworden bin und meinem Haushalt nicht mehr gewachsen wäre-incredibile!“
Silvo widersprach nicht, das hatte gar keinen Sinn.
Leider hatte Orla gute Ohren und daher hatte sie mitbekommen, dass Silvo sich Enzo vorgenommen hatte, um ihn gegen Lucia aufzuwiegeln.
„Was musst du dich um die Ehe deines Sohnes kümmern? Ständig musst du Unfrieden stiften! Lucia ist schon immer eine Nörglerin gewesen! Und du musst Enzo mit der Nase dahinein stoßen. Jetzt streiten sie wieder ums Geld, wie so oft.“
Silvo brummte.
„Und du sagst dann nichts? Erst stiftest du Unruhe und dann sagst du nichts!“
Orla wurde sehr laut und ihre Augen blitzten angriffslustig. Auch sie hatte sich im Bett aufgesetzt.
Silvo konnte diesem Angriff nichts entgegensetzen und zog sich die Decke erst mal weiter hoch.
„Du bist schuld, wenn die Ehe jetzt den Bach runter geht!“
„Daran sind die beiden schon selbst schuld!“, brummelte er unter die Bettdecke hinein.
„Ach, du kannst ja doch reden!“
Silvo fixierte die Deckenbalken.
Nur keine Widerrede mehr leisten, sonst bist du verloren.
Orla konnte sich nach dem heutigen Abend nicht mehr erinnern, weshalb sie Silvo geheiratet hatte. Silvo jedoch wusste noch genau, warum er Orla geheiratet hatte: Weil sie nicht so streitsüchtig wie die anderen Mädels aus dem Dorf gewesen war. Aber er hatte schon gehört, dass sich im Alter Vieles ändern sollte, was genau und mit welcher Tragweite war ihm aber bisher nicht bewusst gewesen.
Das sollte sich ab diesem Tag nun schlagartig ändern.
Im Schlafzimmer von Chiara und Bruno, das eigentlich das Schlafzimmer von Chiara war, ging der Streit vom Abendtisch weiter, noch lange bis in die Nacht hinein. Schließlich musste Bruno eine lange Liste unterschreiben, was er in Chiaras Zimmer tun und lassen sollte.
Naja, eher mehr lassen. Eigentlich war es eher eine Not to do-Liste. Solche Listen findet man übrigens ausdrucksreif im Internet unter knebelvertr.....eu. Upps.
Diese Liste bezog sich aber nicht nur auf das Zimmer von Chiara, sondern auch auf dem Umgang mit Tante Marina und Tanten im Allgemeinen. Weil Bruno schon genervt war, unterschrieb er alles. Was sicherlich sein größter Fehler des heutigen Tages war.
Und im Schlafzimmer von Antonio?
Hier herrschte Ruhe. Gio, der riesige, nur selten wirklich weiße, maremmanische Schäferhund, lag auf dem Teppich vor dem Bett seines Herrchens. Die beiden hatten selten Streit. Gio hatte einfach nie gelernt zu widersprechen.
Was für Antonio ein Glücksfall war.
Und auch für Gio.
Und in Brunos ehemaligem Kinderzimmer, derzeit Gästezimmer?
Marina war glücklich dem Abschleppdienst in Albenga gerade noch mal davon gekommen zu sein. Und so preiswert! Das hatte sie alles ihrer italienischen Familie zu verdanken. Marina stellte ein in Gold gefasstes Bild von Pietro auf den Nachttisch. Es zeigte einen gutaussehenden Italiener in Pilotenuniform. Dazu legte Marina ein navy striped Halstuch, das sie gerade aus einer Plastiktüte genommen hatte. Sofort strömte der Geruch von Armanis Acqua di Gio in den Raum.
Sie hatte noch einige dieser Tüten auf Lager.
„Buona notte, Pietro!“ Marina drückte ihre Lippen auf das Glas und zog den Geruch aus dem Tuch förmlich in ihre Nasenflügel. Soweit zum täglichen Gutenachtritual.
Zufrieden schlüpfte sie unter die Decke.
Wie schön es wieder gewesen war, heimzukommen. So eine tolle Familie hätte sie in Deutschland auch gerne gehabt. Mit den traumhaften Gedanken an ein intaktes Familienleben und das mediterrane Meer schlief Marina glücklich im Hause Bianchi ein.
Und die unheilschwangere Dunkelheit legte sich über das Tal von Dolcedo, in der Hoffnung einen Deckel auf die brodelnde Suppe zu bekommen.