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Kapitel 3

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Die Weinflasche sauste auf der eigenen Achse drehend im Kreis.

Der mangelnde Inhalt war in diesem Fall durchaus von Vorteil.

Erst zauderte sie, doch dann machte sie bei Sabine Halt.

„O.K. hab schon verstanden, ich geh’!”

Etwas wacklig auf den Beinen begab sie sich auf den Weg zu Peter, dem Herrn der großen Weinfässer in Trinknähe.

„Hey, lass ihn schlafen, es ist schon spät!” brüllte ihr Kathrin nach.

„Ruhe, da unten!” tönte es prompt aus einem der oberen Fenster.

Sabine strauchelte bei der Steintreppe. „Uupps!”

Kathrin kam ihr nachgetorkelt. „Lasch es doch!”

„Isch doch lustig grad, oder?”

„Verdammt noch mal Ruhe, es ist schon fast zwölf!” Das Fenster bebte.

Kathrin wollte Sabine zurück lotsen, was aufgrund deren instabilen Zustandes gar nicht so einfach war. „Gehn mehr zurucki!”

„Lasch mich!” Sabine zog Ihren Arm zurück und kam dabei aus dem Gleichgewicht.

„Autsch’”, die Landung war offensichtlich unsanft.

„Fritz, jezze hilf mir doch!” Fritz erbarmte sich und erhob sich von seinem bequemen Gartenlager.

Er ergriff Sabines rechten Arm, Kathrin zog am linken.

„Hey du Sau, begrabsch mich nich!” Sabine schlug nach Fritzens Arm.

Renate, die bisher zum Kreis der untätig Gebliebenen gehörte, stach weiter ins Wespennest.

„Haste wohl zu viel Gefallen an Sabines Oberweite gefunden?”

Fritz, der einzig männliche Teilnehmer des Selbsterfahrungskurses, hatte einen schweren Stand in der weiblich dominierten Gruppe.

Fritz errötete sichtlich.

Renate stachelte weiter: „Ne, was des Mädel aber auch so ein enges T-Shirt anziehen muss. Grad so, als ob wir bei ner Party wären, net bei so einem Kurs!“ Die Röte wuchs.

„Vielleicht haben wir da ja schon ein Thema für morgen?“ schlug Helene vor.

„Welches Thema genau meinste?“ Renate tat unschuldig.

„Warum einige hier herum zicken müssen und andere erröten!“

„Und warum hier einige die Oberlehrerin spielen müssen!“

„Und warum hier keine Ruhe ist nach Mitternacht“, ein mit einem Stock Bewaffneter im Schlafanzug gesellte sich zu der Gruppe im Garten der Mühle. Der Stock hatte bedrohliche Ausmaße.

„Das kann ja interessant werden“, Klara, die bisher noch wenig Gelegenheit gefunden hatte mit der Gruppe ins Gespräch zu kommen, meldete sich mutig zu Wort.

„Ihr macht Euch jetzt ins Bett, alle wild gewordenen Psychoten, es gibt hier schließlich auch noch andere Gäste“ schlug der Schlafanzug vor.

Sabine trudelte nicht nur geistig wieder im Kreise ein: „Hab isch was verpasst?“

„Alle ins Bett! Sofort!“ brüllte der Schlafanzug.

„O.k., ich geh jetzt ins Bett, buona notte!“, Helene strich die Segel.

„Ich komm mit!“ das war neben dem „Hallo“ heute Nachmittag bei der Ankunft das Einzige, was von Cindy zu hören war.

„Und Tschüss!“, Renate wurde unverschämt frech.

„Dass Fred schon ins Bett gegangen ist, obwohl er doch weiß, wie minenreich der erste Abend von so einer Gruppe sein kann?“ Helene blickte ratlos in die Runde.

„Typisch Kursleiter eben, interessiert sich nicht die Bohne für seine Schützlinge!“

Klara kannte diese Sorte.

„Die Cindy ist wohl von drüben, weil sie den Mund nich aufkriegt, oder hat was zu verbergen!“ meinte Renate.

„Jetzt lass es aber gut sein, nicht jeder reißt das Maul so weit auf wie du!“ Fritz wagte sich weit vor.

Renate sprang von ihrem Gartensessel hoch, ihre Augen blitzten böse, gerade als Peter, der Hausherr der Mulino Pino, in ihre Mitte trat: „Das Licht in der Toilette ist ausgefallen, ich habe Euch Taschenlampen mitgebracht, damit ihr Euch nicht fürchten müsst! Zeit auch für Euch ins Bett zu gehen!“ Er blinzelte dem Schlafanzug vertraulich zu.

„Das isch aber lieb von dir“, Sabine versuchte Peter einen Kuss auf die Wange zu drücken und versuchte sich zu stabilisieren.

„Morgen früh, da sieht die Welt schon wieder anders aus. Nun, dann buona notte!“

Buona notte!“ Sabine krallte sich Klaras Arm, schließlich waren sie Zimmernachbarinnen.

Da keiner den Streit vertiefen wollte, gingen auch alle auf mehr oder minder direktem Wege tatsächlich ins Bett.


Und mit der Mulino Pino legte sich auch hier die sorgenvolle Dunkelheit über das restliche Tal des Prino und versuchte, sich eventuell gerade entwickelndes Unheil in die Unsichtbarkeit zu entlassen.


Nachdem jeder am nächsten Morgen für sich allein frühstückte, konnte das Seminar ohne vorherige Dispute beginnen. Fred wollte zuerst in der Vorstellungsrunde Persönliches von jedem Teilnehmer erfahren. Zudem sollte jeder über den Grund, weshalb er hier war, berichten. Alle waren gespannt, wie sich Renate nach dem gestrigen Abend präsentieren würde. Sie erzählte, dass sie glücklich verheiratet war mit einem Arzt, 2 Kinder, sie selbst war Apothekerin, sie hatten ein Haus am Starnberger See. Ihr würde es an Sinn im Leben mangeln, daher der Kurs. Danach stellte sich Sabine vor: Geschieden, eine Tochter, die schon groß war, bisher freie Journalistin, es lief aber gerade nicht so gut, irgendwie Midlife-Krise oder so ähnlich, daher der Kurs. Nacheinander stellten sich alle Teilnehmer mehr oder weniger ehrlich vor. Dann schickte sie Fred auf eine Art Sinnesspaziergang. Alle sollten innerhalb des unmittelbaren Mühlengeländes bleiben, dort über das Gehörte und das Gesprochene nachdenken. Vielleicht würde man dann ja auch einen Gegenstand finden, der das repräsentierte, was im Moment ein Symbol für das Wichtigste darstellte.

„Aber bitte nicht miteinander sprechen und wenn es geht auch nicht mit anderen Gästen des Hauses. Bleibt ganz bei Euch selbst, schließlich geht es hier um Euch selbst!“ Hier hatte Fred zumindest einen klaren Plan.

Nur durch die Sache mit dem Wichtigsten und dem Gegenstand, der dieses verkörpern sollte, machte sich etwas Unsicherheit in der Gruppe breit.

Sabine machte sich trotzdem in Richtung Ponte Ripalta auf den Weg.

Renate verließ die Mühle in die entgegengesetzte Richtung, sozusagen über den Hinterausgang. Sie wollte keinesfalls nochmal mit einer der gestrigen Schnepfen aneinandergeraten. Sabine wanderte den steilen Weg hinab, vorbei am Riesenschilfgras. Noch nie hatte sie so imposantes Gras in solcher Dimension gesehen. Besonders gefiel ihr auch das Wasser des Rio dei boschi mit den zahlreichen Gumpen. Bestimmt könnte man an den tiefen Stellen auch Baden. Das wäre aber erst einmal auf später verschoben, zwecks Zeitmangels.

Nur welchen Gegenstand sollte sie mitbringen?

Wenn sie gewusst hätte, was das Wichtigste in ihrem Leben war, wäre sie nicht hier in diesem sogenannten Selbsterfahrungskurs. Sie hielt an der ersten Ponte inne und blickte auf das Wasser. Es hatte eine unglaubliche Dynamik, es bildeten sich vereinzelte Strudel, mal rann es hauchdünn über einen riesigen Stein, mal schuf es tiefe Furchen oder Gumpen, dabei zeigte es überall unterschiedliche Färbungen: vom Ultramarin zum Aquatürkis, tiefes unergründliches Violett und noch Vieles darüber hinaus.

Ja, so war auch ihr Leben.

Es rann dahin. Wohin?

Der Fluss hatte wenigstens ein klares Ziel, darauf konnte man wirklich neidisch sein.


Vom Süden her näherte sich eine blonde Frau der Ortsmitte von Dolcedo.

Gio wedelte aufgeregt mit seinem weichen Naturpinsel und streichelte dabei mehr oder weniger sanft über ihre stoffumflatterten Beine. Was für ein Glück, dass Marina Spaziergänge liebte, so konnte Gio seine SDM’s (die hündische Variante der SMS, also die Short-Dog-Message) absetzen oder dort Hinterlassene einer gründlichen Überprüfung unterziehen. Also weiter bergan. Was stört es einen kräftigen maremmanischen Schäferhund schon, dass hinten an der Leine noch ein Gewicht dran hängt? Marina hatte sich für heute eigentlich vorgenommen, den dolcedischen Sachstand zu überprüfen, also zu gucken, was sich seit ihrer Abwesenheit inzwischen alles so zugetragen hatte. Dabei hatte sie natürlich eine klare Wegvorstellung und vor allen Dingen eine gewisse Prioritätenliste.

Ebenso Gio.

Dessen Liste schien aber von anderen Prioritäten gespeist, so dass er an jeder Weggabelung einen anderen Weg einschlug. Marina musste sich erst an den Kräftezehrer gewöhnen und ihre Zugkraft besser portionieren. Für Außenstehende bot sich ein skurriles Bild, das einem altertümlichen Schreit- und Zerrtanz glich, wie man es bei den bajuwarischen Völkern auch heute noch beizeiten zu sehen bekommt.

Nichts desto trotz näherten sich beide Tanzpartner dann doch noch dem Kern des Hauptortes und Marina beschloss erst einmal einen Stuhl im Torbogen zum Ausruhen zu nutzen. Um weitere Diskussionen mit Gio zu verhindern, band sie ihn kurzerhand an einem der Tischbeine an. Und weil der Stuhl mitsamt dem Tisch zu einer Ihrer Lieblingsbars gehörte, bestellte sie noch ein großes Bier bei Eugenio, dem Barbesitzer: „Una birra grande!”

Runzeln, Augenbraue hochziehen: „Grande?”

„Si,si, grande!” Was stellte der sich so an, mit so einem kleinen Bier (0,33 l, Anmerkung des Verfassers) kann man bei dieser Affenhitze sowieso nichts anfangen?!

Murrend und zögerlich zog Eugenio von dannen.

Womit Marina aber keinesfalls rechnete, war, dass sich seit ihrer Abreise wohl so eine Art Anpassungsprozess vollzogen hatte. Eine Anpassung der Dolceder an die Gebräuche ihrer liebsten Kunden, der Bajuwaren, oder so etwas Ähnliches. Denn das was kam, war kein italientypisches Bier im Mezzolitro Look, nein, der Ober brachte eine Maß, eine echte Maß Bier.

Prego, una birra grande!” Triumphierend ließ er die Maß auf die Tischoberfläche knallen, so dass der Tisch nur so ächzte.

Marina starrte wie gebannt auf dieses Monsterbier und brachte vor Schreck keine Silbe mehr über ihre Lippen. Nun hatte sie ihr großes Bier, das würde den Tag unendlich beflügeln.

Also nur mutig ran an das Gebräu!

Mit jedem Schluck wurde Dolcedo noch ein Stück romantischer.

Vielleicht...

...lautes Rattern...

...Blechansturm von rechts...

Ein Mountainbike-Fahrer, eng auf Figur gedresst und tatsächlich mal gut aussehend, flog förmlich um die Ecke und sondierte den Sachstand in der Bar. Das Bike hatte er wohlweislich vorher elegant zum Stehen gebracht. Glücklicherweise noch bevor er gegen Marinas Tisch prallte. Gio war vor Schreck aufgesprungen und starrte den Fremdling misstrauisch an.

Mit einem galanten „Permesso - Darf ich?” lehnte er das Bike an Marinas Tisch, selbstverständlich ohne auf eine Erwiderung ihrerseits zu warten.

Was hätte sie auch erwidern sollen?

Etwa:

„Nein, danke! Lehnen sie ihr Fahrrad doch bitte außerhalb meiner Blickrichtung etwas abseits vom Durchgang an einer geeigneteren Stelle an die Hauswand oder an die Blumenkübel mit dem verkümmerten Inhalt. Dort stört es (mich und andere!!!) weniger!”

...

Wie bestellt kam eine Frau mit einem Kinderwagen aus dem hinteren Bereich Dolcedos und wollte den Durchgang in der Passage auch tatsächlich passieren.

...

Der Bike-Inhaber verhandelte gerade aufgeregt mit dem Barbesitzer.

...

Der sonst so passable Durchgang verweigerte seine Aufgabe.

Was diesem aber durchaus nicht anzulasten war, denn konnte man etwa damit rechnen, dass die Barbestuhlung die Durchgangsbreite verringerte? Und das Bike mit seiner gesamten vorderen Hälfte über den Tischrand hinausragte? Und last but not least, Gio sich aufgrund notwendiger Distanzierungen vor diesem Blechesel auf dem verbleibenden freien Rest des Durchgangs in voller Länge platzierte?

Der Kinderwagen bräuchte aber so circa einen Meter mindestens.

Dieser Meter war aber beim besten Willen nicht aufzutreiben.

Marina versuchte Gio zum Weichen zu überreden.

Zunächst säuselte ihm Worte wie „Vieni qua - Komm doch her!” in sein schlappes Ohr.

Wahrscheinlich war Gio taub.

Dann zerrte sie etwas tatkräftiger an seiner Leine.

Diese Aktion fand jedoch bei ihm keinerlei Zustimmung.

Im Gegenteil, wenn sie dies wollte, so war heute eben Tauziehen angesagt.

Und keine Frage, wer heute gewinnen sollte.

Oder kennen Sie einen fast zentnerschweren maremmanischen Schäferhund, der sich von einer etwas schwereren, deutschen, weiblichen Person irgendwo hin ziehen lassen würde? Eben!


Inzwischen hatte sich eine kleine Menschenmenge um Marina geschart.

Italiener sind eben sehr hilfsbereit.

Filippo kannte Gio, bzw. eigentlich eher Antonio, seinen Besitzer und gerade deshalb wusste er genau, wie man mit ihm umgehen musste. Er redete also pausenlos auf ihn ein. Selbst Marina konnte diesen ligurischen Dialektwörtern kaum folgen.

Nur die Wörter... „culo”... und „cazzo”... ließen sie vermuten, dass Filippo nicht gerade zimperlich mit ihm umsprang.

Filippo war etwa ihm selben Alter wie Antonio, seine Haare waren aber noch mit mehr Silberstreifen, nicht ganz so weiß. Er trug Arbeitsklamotten, so richtig voll von...naja,

Das gehört nicht hierher.

So, eine Hoffnung auf eine weise Lösung, das war es, was Marina nun brauchte.

Gio zeigte sich nach wie vor unbeeindruckt.

..., der Barbesitzer hatte seine Verhandlungen mit dem Biker abgebrochen und wandte sich der

Problemgruppe zu.

Die Italienerin hatte nun angefangen lauthals zu schimpfen.

Ihr Gezeter enthielt in etwa:

...Blöde Mountainbiker...

...scheiß Touristen...

...Mistbar...

Den genauen italienischen Wortlaut lohnt es sich nicht hier widerzugeben.

Inzwischen war eine weitere Person am Problemort eingetroffen

Es handelte sich wohl um eine ganz ansehnliche Touristin, die sehr interessiert den lautstarken Gesprächen folgte, bzw. zu folgen versuchte. Zeitgleich mit ihr, war noch der Rest der Biker eingetroffen, die die Blecheselparade ergänzten. Wahrscheinlich war der Einzelmann nur die ungefährliche Vorhut gewesen. Man kann schon sagen, dass es nun in dem gesamten Torbogen-Durchgang inklusive Bar nur so wimmelte.

In diesem Gewimmel begann die neu angekommene Frau plötzlich die Tische und Stühle umzusortieren. Nach einem ganz neuen Schema. Einige der muskelbepackten Mountainbiker halfen ihr dabei. Ganz klar, diese Frau hatte echt Ahnung und offenbar auch einen Plan!

Und das was Marina eigentlich vom Eingreifen Filippos erwartet hatte, nämlich eine Bereinigung der schwierigen Situation, das hatte sie in Null Komma Nix geschafft, diese Fremde.

Der Kinderwagen konnte passieren, die Mountainbiker belagerten fünf aneinander gestellte Tische und Filippo genoss noch ein Bier auf Kosten des Hauses.

Selbstverständlich war er mit einem Piccolo zufrieden.

Für diese Heldentat, die Rettung Gios, hätte diese Fremde eigentlich einen Orden verdient, doch in Ermangelung des selbigen, lud Marina sie auf ein birra grande ein. Die Hitze, das Bier, die Fremde... alles zusammen ergab plötzlich einen ganz neuen Sinn... das war gar keine Fremde... diese tatkräftige Frau kannte Marina doch irgendwoher?!?

Tutto bene – Alles gut?”, Marina lächelte leicht besäuselt.

Sabine war etwas irritiert. Warum fragte sie diese Deutsche, ob alles gut war?

Hatte der gestrige Abend doch ungewollt deutliche Spuren an ihrem Äußeren hinterlassen?

„Ja, tutto bene! Ich heiße Sabine und wohne in der Mulino Pino”, dazu lachte sie verhalten.

„Gestatten, Marina. Den Peter aus der Mühle kenne ich schon lange. Der hat fast die ganze Anlage

alleine umgebaut, und das waren nur noch Gebäudereste. Ein toller Mann!”

„Unter toller Mann hätte ich mir aber jetzt ganz was anderes vorgestellt!” Sabine warf einen Blick auf den Blecheselchef und zwinkerte Marina lächelnd zu.

„Der ein toller Mann?.” flüsterte Marina ihr leise zu, denn sie hatte den Verdacht, dass in der Biker- gruppe doch ein paar deutschsprachige Touristen untergekommen waren. Sein Benehmen ließ doch deutlich zu wünschen übrig, „…der hat mir seinen Esel direkt vor den Tisch gestellt.”

„Ja, gutes Aussehen ist eben nicht alles! Bei einem Mann zählen eben auch die inneren Werte, welche sich in guten Manieren manifestieren sollten.” Sabine musste selbst über ihre geschwollene Wortwahl lachen. Der bestellte Aperol Spritz wurde über die Köpfe der beiden Frauen gehievt.

„Und wenn dann nix da ist als die inneren Werte?”, Marina zog eine Augenbraue hoch.

„So wie bei Peter, meinst du?”. Mit so viel Vertrautheit hatte sich das Du von ganz alleine eingeschlichen.

„Ja, zum Beispiel. Aber Peter hat bereits eine tolle Frau, da muss ich dir leider jede Hoffnung nehmen. Die ist Israelin und macht Super Yogakurse!”

„Das habe ich gesehen, da liegt so ein Faltblatt in der Mühle rum!”

„Kann ich dir nur empfehlen. Tut gut, besonders in unserem Alter!”

„Ja, wir sind wohl ungefähr gleich alt.”

„Sieht so aus. Magst du ABBA und Alan Parsons Projekt?” Das überraschend Direkte lag wohl an dem Bier.

„Und Michael Holm oder Chris de Burgh?”, war das etwa reiner Sarkasmus, der Sabine da geritten hatte.

Beide lachten.

„Dein Lachen kenne ich!”, die Erkenntnis lag im Hopfen.

„Ich würde gerne auch so gut italienisch können wie du!” Themenwechsel aus unerfindlichen Gründen.

„Ich komme ja auch schon viele Jahre hierher, ich habe sozusagen eine italienische Familie. Es ist zwar nur eine Schwiegerfamilie, aber die ist topp!”

„Und die Italiener quasseln den ganzen Tag!?”

„Nein, eigentlich nur beim Essen, aber wir essen viel!” Marina rieb sich genussvoll ihr Bäuchlein. ”Aber ganz im Ernst, du kommst mir so bekannt vor...?”

„Wenn du jetzt ein Mann wärst, dann würde ich geradewegs denken, du machst mich an!”

„Nein, ohne Quatsch, ich habe zwar schon ein paar Promille auf der Schwarte,” und zur Bekräftigung hob sie den noch halb gefüllten Humpen, ”aber, ich kenne dich irgendwo her!”

„Hmmh.”

„Ja, echt! Wo kommst du denn her?”

„Aus Augsburg.”

„Ich bin zwar aus München, aber ich war mal in Augsburg.” Marina hörte sich an, als ob sich nur ganz selten Menschen aus München in Augsburg aufhielten oder als ob die Entfernung ungefähr so groß wie zwischen Rom und Hamburg sei.

„Klar, Fuggerei besichtigen und so, oder Shopping?” Sabine feixte weiter ’rum.

„Nein, in der Grundschule. Für fast zwei Jahre. Meine Mom hatte einen neuen Lover und wollte probieren, ob das mit dem Zusammenleben klappt.”

„Und hat’s?”

„Nein, sie hat’s vermasselt. Sie hat immer ihre eigenen Pläne und weicht in keinster Weise davon ab.”

„Das kenne ich.” Sabine war eben auch eine starke Frau mit klaren Plänen.

„ Aber vielleicht warst du zur selben Zeit auch dort?”

„Ich habe meine ganze Kindheit in der schwäbischen Metropole verbracht!”

„Ich war eigentlich nur ein Jahr dort auf der, hm ... Schule, irgend so ein Namen von einem Dichter...”, Marina rief sich alle ihr bekannten Dichter ins Gedächtnis. Viele waren das leider nicht mehr nach zwei birra grande.

„ Doch nicht etwa die Eichendorff-Schule?”

„Ja, doch genau! So hieß die.”

„In welchem Jahr?”

„1976 oder 77 in etwa.”, Marina kramte in Gedanken ihre Fotoalben durch.

„Also, daher der Hase!” Sabine fasste sich schmunzelnd an die Stirn.

„Wo siehst du hier Hasen?”

Die beiden konnten sich kaum noch halten vor Lachen.

Klar mit einem Dreiviertelliter Bier fallen schon mal die Schranken.

Marina war sich jetzt ganz sicher „Wir sind uns da bestimmt schon einmal begegnet. Kennst du die Frau Hiermeier?”

„Ja, die Frau Hiermeier, diesen Alptraum von Lehrerin, jeder nannte sie nur Frau Wegmeier...”, Wortspiele waren nicht nur eine Lieblingsbeschäftigung in ihrem Beruf als Journalistin, sie belebten auch jedes Gespräch.

Ein Hauch von Erinnerung berührte die beiden.

Daher also dieses vertraute Lachen.

„Und den Huber...?”

„Den Huber, den Hausmeister, oh ja, der ist mir mal mit dem Besen nachgelaufen!”

„Oh nein, doch nicht etwa...?”

„Ja doch, um mich zu verhauen!”

„Was hast du angestellt, um diesen Gemütsmenschen so aus der Räson zu bringen?”

„Kennst du diese dreieckigen Safttüten, die man auf alle Seiten stellen konnte?”

„Klar doch!”

„Die gab es doch damals im Pausenverkauf.”

„Stimmt.”

„Naja, die habe ich mit Kaugummi festgeklebt.”

„Wohin hast du die geklebt?”

„Überall dahin, wo sie hingeworfen wurden.”

„Und der arme Huber musste die wieder entfernen, kein Wunder, dass er sauer war.”

„Der hielt mich auch immer für den übelsten Lausebengel der Schule. Ich hatte damals kurze Haare und sah aus wie Michel aus Lönneberga. Einem Mädchen hätte er so viel Unfug auch gar nicht zugetraut.”

„Dann weiß ich endlich auch, wer du warst!”, Marina pries ihr doch noch funktionierendes Gedächtnis. „Aber ich dachte auch, du wärst ein Junge...?”

„Wenn man für einen Jungen gehalten wird, kann man jede Menge Mist machen. Aber ich kann dir versichern, dass ich schon immer weiblichen Geschlechts war!” Sabine lachte herzerfrischend. „Und um meine Untaten von damals aufzuarbeiten, mache ich jetzt einen Selbsterfahrungskurs oben in der Mühle. Das sind Typen sage ich dir! Wehe, wenn sie losgelassen, da geht es ganz schön ab. Wird wohl spannend werden!”

„Ja, das hört sich auf alle Fälle vielversprechend an. Bei mir ist dagegen eher Müßiggang angesagt, mit Gio spazieren gehen und so...”

„Ach, das ist also dein neuer Begleiter. Etwas stur der Typ, oder?!”, Sabines Lachen konnte richtig ansteckend sein.

„Aber sonst ganz in Ordnung. Und das Tolle ist, dass man ihn bei Regenwetter auch als Wischmopp einsetzen kann.” Marina lachte vergnügt und dachte an die gestrige etwas stürmisch geratene Begrüßung.

„Na, was für ein Glück, dass es heute nicht regnet!”

...

Eine grau getigerte, dickbäuchige Katze überquerte behäbig den Barvorplatz.

...

Gio, sonst so träge, sprang auf wie ein Wiesel und jagte hinter ihr her. Naja, er wollte hinter ihr herjagen. Da er jedoch am Tischbein festgebunden war, nahm er dasselbe, also mitsamt Tisch im Gefolge, einfach mit. Der Tisch aber wehrte sich verzweifelt gegen eine unerwünschte Standortveränderung, insbesondere, da um ihn herum mehrere Blechesel standen. Im nächsten Moment standen sie schon nicht mehr, denn der herumwirbelnde Tisch sorgte für eine gewisse physikalische Unordnung im Eselsland. Auch die Maß Bier, naja, eher der ehemalige fast leere Maßkrug und der Aperol Spritz wurden unsanft vom Glas getrennt, flogen durch die Luft und landeten auf einem der Bikertische. Und bedauerlicherweise auch auf einem der Biker...

Nun setzte ein gewisser Tumult ein. Einige der betroffenen Personen waren auch nicht untätig und wollten zur Rettung ihres Sportgeräts unverzüglich einschreiten. Leider unterschätzte der Chef der Biker die Auswirkung einer gespannten Leine und küsste demzufolge unsanft die Pflastersteine. Dabei öffnete sich zum Glück der Karabinerhaken und Gio konnte endlich seine geplante Tat, nämlich die Verfolgung des Sofatigers, zeitnah fortsetzen.

Der vom Glas getroffene Biker lag bewusstlos mit dem Gesicht auf dem Tisch.

Blutüberströmt.

Eine ungewöhnliche Stille breitete sich aus.

Sabine und Marina saßen immer noch unbewegt auf ihren Stühlen. Doch jetzt leider ohne Tisch.

Der ehemals gutaussehende Biker-Chef lag zu ihren Füßen.

Ihre Blicke trafen sich.

Zuerst die der Frauen.

Dann mit dem Biker.

Stille.

Am Nebentisch hob der scheinbar Bewusstlose seinen blutigen Kopf und sagte in gebrochenem Englisch:„Always problems with dogs!”

Das langsam aufkeimende Lachen war befreiend und erlöste Marina aus ihrer Starre, sie reichte dem Schönling zu ihren Füßen helfend die Hand.

Er strich sich nur galant durch die Haare, wischte sich den Dreck aus dem Gesicht und sagte: „Mi presento, Mike!” Also doch Manieren!

Jetzt wurde Marina auch klar, weshalb echte Biker an allen Stellen Schutzpolster trugen, man kommt dabei in jeder noch so unangenehmen Angelegenheit meist gut weg und macht dabei auch noch eine gute Figur.


Der Barbesitzer nahm das Ausmaß des Schadens auf:

Ein zerkratzter Tisch mit nur noch drei Beinen

Drei kaputte Gläser, zwei von den Damen, eines von dem Biker.

Und drei verletzte Gäste, einer davon mit einem Schnitt vor dem rechten Ohr, die anderen mit kleineren Schürfwunden. (Diesmal zwei Biker und eine Dame – Marina wurde bedauerlicherweise vom Pedal eines Esels gestreift).

Wenn das nicht Glück brachte, das mit der Zahl Drei?


Marina gab noch eine Bar Runde aus, schließlich hatte ihr Leihhund Gio all diesen Unfug verursacht. Das mit dem Schaden würde man später noch regeln. Sie war erst einmal froh, dass die Sache mit der befürchteten Barleiche doch noch so gut ausgegangen war. Sie verabredete sich mit Sabine für den nächsten Tag an der Ponte nach Ripalta, um weiter in gemeinsamen Erinnerungen zu schwelgen und machte sich dann daran, den Unhold wieder einzufangen.

Die beiden Frauen trennten sich, beide nun nach den morgendlichen Ereignissen deutlich auf- und angeheitert und gingen weiter ihrer Wege.

Sabine ging wieder hinauf zur Mulino Pino, schnappte sich dabei noch ein Schilfrohr als Stellvertreter für das Element Wasser, das sie wohl in den Handschalen schlecht transportieren können würde.

Marina schaute derweil noch auf einen Sprung bei Renzo vorbei, der einen kleinen Laden mit Kunstgewerbe in der Touristenauffanggasse von Dolcedo hatte. „Ciao, Renzo, che cosa fai di bello?“ Renzo machte immer irgendwas Schönes, irgendeine Schnitzerei oder eine Collage, die das Interesse Marinas fanden.

Ciao, Rina, seit wann bist du wieder im Land? Ich arbeite gerade an einer Skulptur. Schau nur, was der Prino alles angeschwemmt hat!“ Renzo hatte seine Fundstücke zu einer Art Marterpfahl zusammengebaut. Alte Wurzelstücke waren dabei noch die unverfänglichsten Exponate. Marina mochte gar nicht wissen, was da alles so drin und drauf montiert war.

„Mir gefallen deine Collagen besser!“, Marina konnte mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg halten, nicht nach diesem feucht-fröhlichen Morgen.

„Das ist auch so eine Art Collage nur etwas grösser und dreidimensional.“

Renzo zwinkerte ihr zu: „Oben ist wieder ein neue Gruppe Touristen angekommen, vielleicht sind da ein paar Verrückte dabei, die mir das Ding abkaufen?“

„Ein paar Verrückte sind da wohl immer dabei,

aber zum Abkaufen hättest du das Ding besser etwas kleiner gemacht!“

„Es passt schon in ein Auto!“

„Ja, in deines schon, aber du hast auch ein großes und langes!“

Marina lachte. Es war immer wieder nett, wie Renzo einfach so drauf los arbeitete ohne sich Gedanken um die Vertriebsmöglichkeiten zu machen. Ein richtiger artista eben.

Der gut aussehende italienische Künstler machte sich auch sonst eher wenig Gedanken und lebte einfach in den Tag hinein. Das war wohl auch der Grund, weshalb Marina ihn gerne aufsuchte. Diese Art, das Leben leicht zu nehmen, konnte ansteckend sein. Zumindest ein kleines Scheibchen hätte sie sich davon gerne abgeschnitten.

Sie durchkramte noch sein Ladenatelier um die letzten Arbeiten zu begutachten und machte sich dann weiter auf den Nachhauseweg. Gio würde bestimmt schon angekommen sein. Hoffentlich ohne Katze.


Zuhause warteten schon Bruno und Chiara, schließlich hatten doch noch – trotz aller Zweifel – alle mitgebrachten Geschenke Gefallen gefunden und heute sollte es endlich zum Baden an die Küste gehen. Wahrscheinlich nahmen sie den Kiesstrand in Oneglia, da konnte man auch in der Hochsaison noch ein Plätzchen finden, ohne sich wie die Sardine in die Büchse zu begeben.

Marina freute sich schon auf den Ausflug mit Ihren nipoti.

Es blieb ihr nur noch wenig Zeit, um ihre Unbeschwertheit zu genießen.

Aber das wusste sie in diesem Moment noch nicht.

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