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NICHT IMMER IM DREIVIERTELTAKT Bekannte und weniger bekannte »Sträuße«

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Wer hätte das gedacht. Neben den berühmten Strauß-Brüdern gab es noch zwei Schwestern. Doch von denen weiß man bislang wenig, obwohl es sogar den Plan gab, auch sie im Walzergeschäft unterzubringen.

Anna und Therese Strauß waren um vier beziehungsweise sechs Jahre jünger als der Walzerkönig und im Gegensatz zu Johann, Josef und Eduard nicht besonders attraktiv. Auch sie hatten die damals übliche musikalische Ausbildung erfahren und sollten nach dem Willen ihrer Brüder Dirigentinnen werden. Der Grund war ein kommerzieller: Der Name Strauß hatte zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine solche Popularität erreicht, dass es weit mehr Konzert-Angebote gab, als die »Firma Strauß« annehmen konnte. So entstand 1862 die Idee, auch die Schwestern in die Leitung des Strauß-Orchesters mit einzubeziehen. Das war zu der Zeit, als Johann sich verstärkt aufs Komponieren konzentrierte und neben Josef und »Nachzügler« Eduard weitere Kapellmeister gesucht wurden, die man als der Familie Strauß zugehörig verkaufen konnte. Einmal tauchte sogar die Idee auf, die »Strauß-Mädeln« auf das Podium des Musikpavillons im Volksgarten zu stellen.

Sie wurde wieder fallengelassen, als man erkannte, dass die Konzertbesucher eigentlich nur den »Schani«, den »Pepi« oder den »schönen Edi« sehen wollten. Therese und Anna, genannt Netti, blieben unverheiratet und ohne Beruf. Sie wurden zeitlebens vom Walzerkönig finanziell unterstützt, der die engste Beziehung zu ihnen hatte. »Der Johann«, schrieb Therese nach dessen Tod im Illustrierten Wiener Extrablatt, »hat ein Herz wie Gold gehabt. Wie er ein berühmter Mann geworden ist, da hab ich müssen jeden Freitag bei ihm speisen.«

Anna sollte noch eine delikate Rolle in Johanns Leben spielen. Als ihr nämlich im Herbst 1881 die undankbare Aufgabe zufiel, ihren Bruder darüber zu informieren, dass seine zweite Frau Lili ein Verhältnis mit Franz Steiner, dem Direktor des Theaters an der Wien, hatte. Das wusste zwar »ganz Wien« – nur Johann Strauß Sohn selbst hatte keine Ahnung davon. Der Walzerkönig war zutiefst enttäuscht, nicht nur von seiner Frau, sondern auch von Steiner, der ihm einige der größten Publikumserfolge seiner Direktionszeit zu verdanken hatte.

Als wenige Tage nach Bekanntwerden der Affäre just im Theater an der Wien die neue Strauß-Operette Der lustige Krieg Premiere hatte, kursierte der Witz: »Der häusliche Krieg mit Lili, der lustige Krieg mit Girardi.«

Johann Strauß zog, als Anna ihn informiert hatte, die Konsequenzen. Er trennte sich von Lili und heiratete 1887 ein drittes Mal und fand in Adele die Partnerin für den Rest seines Lebens.

Wenn schon nicht als Dirigentinnen, so gingen die Strauß-Schwestern dennoch in die Musikgeschichte ein, als Johann sie in seiner Komposition Traumbilder charakterisierte, über die er 1895 an Bruder Eduard schrieb: »Du kommst auch dran, niemand ist vor meiner Grausamkeit gefeit. Denke an das Portrait der Netti und der Therese.«

Während die Schwestern in Johanns Testament mit einem lebenslangen Nutzungsrecht seiner Häuser bedacht wurden, verlief sein Verhältnis zu den Brüdern nicht immer im Dreivierteltakt. Da muss in der Kindheit viel passiert sein, was bei den schwierigen Familienverhältnissen nicht weiter verwundert.

Der durch die Schöpfung des Radetzkymarschs selbst unsterblich gewordene Vater der Strauß-Brüder und -Schwestern stammte aus einer Gastwirtsfamilie und war erst sieben, als seine Mutter starb und zwölf, als sein Vater – hoch verschuldet – in der Donau ertrank. Bis dahin hatte er in den elterlichen Schänken Zum heiligen Florian und Zum guten Hirten die dort aufspielenden Musiker beobachtet und sich oft einfach dazugesetzt, um sie zu begleiten.

Johann Strauß Vater hatte vierzehn Kinder, sechs mit seiner Ehefrau Anna geborene Streim und vermutlich acht mit seiner Geliebten, der Modistin Emilie Trampusch. Neben den drei berühmt gewordenen Musikern Johann, Josef und Eduard und den Töchtern Anna und Therese gab’s aus der Ehe noch einen Sohn, Ferdinand, der im Jahr seiner Geburt an einem »hitzigen Wasserkopf« starb.

Strauß Vaters Abgang aus der ehelichen Wohnung zu der 21-jährigen Emilie war nicht gerade nobel. Nur zwei Monate nachdem seine Frau im März 1835 ihren jüngsten Sohn Eduard zur Welt gebracht hatte, gebar die Geliebte bereits ihr erstes Kind.

Johann Strauß Vater hatte die schöne Hutmacherin auf einem Ball, dessen musikalischer Leiter er war, kennen gelernt. Er zog aus der ehelichen Wohnung in der Taborstraße 17 aus, um mit Emilie zunächst in ein anderes Haus in der Leopoldstadt und später in die Kumpfgasse zu ziehen. Da er sich von seiner Frau nach dem für Katholiken geltenden Recht nicht scheiden lassen konnte, kamen die acht Kinder der Emilie Trampusch in den Jahren 1835 bis 1844 unehelich zur Welt, wobei eines wie Johanns ältester Sohn den Namen Johann erhielt und ein anderes wie eine der beiden ehelichen Töchter den Namen Therese. Auch darüber war man in der »verlassenen Familie« empört: Josephine Streim, die Schwester der sitzengelassenen Anna, bezeichnete ihren Schwager verächtlich nur noch als den »Bettgeher der Trampusch«.

Für die drei genialen Strauß-Buben war die eheliche Krise ein persönliches Drama – musikalisch jedoch ein Glücksfall. Denn während der Vater gegen Johanns Wunsch, Berufsmusiker zu werden, ankämpfte und ihm sogar die Geige weggenommen haben soll, die dieser sich durch Klaviernachhilfestunden selbst verdient hatte, unterstützte Mutter Anna inmitten eines regelrechten »Rosenkriegs« die Ambitionen ihres ältesten Sohnes. Da aber nach seinem Auszug Strauß Vaters Einfluss schwand, konnte Johann bald ungestört seiner Berufung nachgehen. Entsprechend war das Verhältnis Johanns zu seinen Eltern: Während er die Mutter liebte, bewunderte er den Vater zwar, aber fürchtete ihn auch.

Josef und Eduard stiegen erst nach dem Tod des Vaters in das Musikunternehmen Strauß ein.

Der erste uns namentlich bekannte Strauß war der Großvater von Strauß Vater: Johann Michael Strauß stammte aus Budapest und übersiedelte nach Wien, wo er am 11. Februar 1762 die Jägertochter Rosalia Buschin ehelichte. Als die Nationalsozialisten 1941 im Dompfarramt St. Stephan die Heiratsurkunde mit dem Vermerk, Johann Michael sei »ein getaufter Jud«, fanden, musste etwas unternommen werden. Keine anderen Melodien waren so populär wie die des Walzerkönigs, die als »deutsche Musik« in der Nazi-Presse verherrlicht wurden. Sein Werk wegen seines jüdischen Ahnherrn zu sperren, war undenkbar. Wie sollte man Fledermaus, Zigeunerbaron oder den Donauwalzer verbieten? Das Problem wurde an Joseph Goebbels in Berlin herangetragen, der eine Lösung fand: Der Propagandaminister ließ das Trauungsbuch in das Reichssippenamt nach Berlin bringen, wo die verräterische Seite herausgeschnitten und unter Weglassung der Strauß-Hochzeit an die Pfarre St. Stephan in »beglaubigter Kopie« zurückgegeben wurde. Das Dokument war »gerettet« und mit ihm die Walzer und Polkas des nunmehrigen »Ehrenariers« Johann Strauß. Nach dem Krieg wurde das Original wiederentdeckt und an das Dompfarramt St. Stephan retourniert.

Johann Strauß Vater wurde, als er 45 Jahre alt war, von einem seiner unehelichen Kinder mit Scharlach infiziert, er starb in der Nacht vom 24. auf den 25. September 1849 – nur etwa ein Jahr nachdem er die Komposition seines Lebens, den Radetzkymarsch, geschaffen hatte. Emilie Trampusch verließ noch in der Nacht seines Todes mit ihren Kindern fluchtartig die gemeinsame Wohnung. Allerdings hatte sie nicht – wie später fälschlich behauptet wurde – Geld und Wertgegenstände mitgenommen.

Als die einst schmählich verlassene Anna Strauß die Nachricht vom Tod ihres Mannes erhielt, schickte sie ihren mittleren Sohn Josef in die Kumpfgasse, wo er den Leichnam seines Vaters vorfand und sich um dessen Abholung und die weiteren Formalitäten kümmerte. Auf der Parte unterschrieb Anna Strauß als Witwe, als hätte es weder Trennung noch Geliebte mit acht Kindern gegeben, und nannte den Verstorbenen »meinen innigst geliebten Gatten«.

Und das, obwohl dieser die »erste Familie« auch in seinem Testament mehr als schofel behandelt hatte: »Letzter Wille, kraft dessen ich endesgefertigter Johann Strauß zu Erben meines Nachlasses die Emilie Trampusch, k. u. k. Kameralarztenstochter, zum einen und deren Kinder Johann, Emilie, Clementine, Maria und Therese Trampusch zum anderen Theile einsetze. Meine Kinder aus meiner Ehe mit Anna Strauß geb. Streim, sollen auf den Pflichtteil gesetzt werden.«

Drei seiner Kinder mit Emilie Trampusch waren zu diesem Zeitpunkt bereits tot, auch die anderen wurden nicht sehr alt. Emilie Trampusch starb im Alter von 43 Jahren.

Johann Strauß, der Walzerkönig, ging weder zum Begräbnis seines Vaters noch zu dem seiner Mutter, seines Bruders Josef oder zu dem seiner ersten Frau »Jetty«, weil er eine panische Angst vor Krankheit und Tod hatte.

Anna Strauß hatte sich nach dem Schock, als sie von ihrem Mann über Nacht mit fünf Kindern allein gelassen worden war, für ihre Söhne und Töchter aufgeopfert und ihnen unter schwierigsten finanziellen Umständen das Musikstudium ermöglicht. »Die glänzende Laufbahn ihrer Söhne«, schrieb das Neue Wiener Tagblatt im Februar 1870 in einem Nachruf, »entschädigte die Greisin in hohem Maße für so viel Ungemach, das sie in jungen Jahren hat erleiden müssen.«

Annas mittlerer Sohn Josef Strauß überlebte seine Mutter nur um fünf Monate, er starb am 22. Juli 1870. Mit seinem Tod brach ein Familienzwist aus, zumal Johann noch ehe sein Bruder begraben war, aus dessen Wohnung von einem Diener alle auffindbaren Noten des Verstorbenen abholen ließ. Kistenweise wurden sie abgeschleppt, ohne je wieder aufgetaucht zu sein. Am 29. März 1886 fragte Josefs Witwe Lina Strauß in einem Brief an ihren Schwager Johann nach dem Verbleib der Originalhandschriften: »Der damalige Verleger Spina wollte mir dieselben mit 5000 Gulden* abkaufen, doch Du ließest dies nicht zu, mit der Bemerkung, man kann daraus viel mehr bekommen, indem diese Skizzen auch eine Operette enthielten, welche das einzige Kapital repräsentierte, was Dein Bruder seiner Familie hinterlassen hat. Pepi ist nun 16 Jahre tot. Und ich habe von diesem Vermächtnis nichts bezogen.«

Eduard Strauß erklärte, er würde es seinem Bruder Johann durchaus zutrauen, Kompositionen des nicht minder genialen Josef als seine eigenen auszugeben. Musikforscher schließen nicht aus, dass Johann für seine drei Jahre nach Josefs Tod entstandene Fledermaus bei diesem Melodien »entwendet« haben könnte. Der jüngste Bruder ließ auch sonst kein gutes Haar an Johann. Dieser, behauptete Eduard, hätte sich über ihn lustig gemacht, indem er sich etwa beim Einkauf in eleganten Stadtgeschäften mit den Worten vorstellte: »Johann Strauß, der Bruder vom Eduard.«

Allerdings war Eduard auch kein ganz einfacher Patron. Er, der als einziger von den »Strauß-Buben« Söhne in die Welt setzte, gab diesen die Namen Johann und Josef, was darauf schließen lässt, dass er in jungen Jahren jedenfalls auch mit seinem Bruder Johann ein gutes Einvernehmen gehabt haben muss. Doch eben diese Söhne bereiteten Eduard später große Sorgen. In einem Brief an »Schanis« dritte Frau Adele beklagt sich Eduard Strauß 1889 über deren »Streiche«, die ihm und seiner Frau den Schlaf raubten und gesundheitliche Schäden zufügten. Im Besonderen lässt er sich über seinen Sohn Josef aus, der »sein tolles Leben mit Schauspielerinnen fortsetzt, und jetzt mit einer dem Kronprinzen nahe gestandenen Hetäre« verkehren würde. »Die scheußlichsten notorischen und stadtbekannten Lumpen sind in seiner Gesellschaft! Und fort und fort neue Schulden! Was nützt, liebe Adele, da bei einem Menschen Erziehung und Familie – wenn einer zu solcher Entartung geeignet ist. Bedaure mich und Marie.«

Mit der »Hetäre« meint Eduard Strauß die langjährige Geliebte des Kronprinzen Rudolf, die Prostituierte Mizzy Caspar, mit der dieser – noch ehe er die Baronesse Mary Vetsera traf – die Nacht vor Mayerling verbrachte und die jetzt offensichtlich in einer Beziehung mit seinem Sohn Josef stand. Eduards Söhne hatten exorbitante Spielschulden, die sie durch Plünderung seines Bankkontos auszugleichen trachteten. An seinen älteren Sohn, der sich unter dem Namen »Johann Strauß III.« als wenig erfolgreicher Komponist und Dirigent versuchte, schreibt Eduard 1897: »Ich bin nicht mehr in der Lage, mit Dir verkehren zu können. Meide meine Wohnung. Dein Vater.«

Obwohl der wohlhabende Walzerkönig wusste, dass sein jüngster Bruder zeitweise in beengten Verhältnissen lebte und dessen Besitz mehrmals gepfändet werden musste, schloss er ihn aus seinem Testament* aus.

Eduards »Rache« ist schrecklich: Acht Jahre nach dem Tod des übermächtigen Bruders bringt er das Notenarchiv der gesamten Familie – bestehend aus mehreren Wagenladungen mit musikhistorisch unwiederbringlichen Originalhandschriften und noch ungedruckten, nie kopierten Werken – in zwei Ofenfabriken im sechsten und im neunten Wiener Gemeindebezirk, um das Material verbrennen zu lassen. Der Ofenfabrikant Karl R. erklärte später im Neuen Wiener Journal:

Ich redete ihm zu, die Sache noch rückgängig zu machen, Strauß starrte eine Weile vor sich hin, dann rief er: ›Ich kann nicht!‹ … Eduard Strauß setzte sich in einen Fauteuil vor den Ofen, meine Arbeiter öffneten die Pakete und streuten die Notenblätter vor den Augen des Hofballmusikdirektors in die auflodernden Flammen des mannshohen Ofenraumes. Bei einzelnen Notenpaketen, die besondere Familienerinnerungen enthielten, war er sichtlich bewegt. Er stand auf, blickte weg und ging für kurze Zeit in das Bureau zurück. Er verließ aber die Fabrik erst, nachdem das letzte Notenblatt verbrannt war. Von dem Umfang des Archivs hat man vielleicht eine Vorstellung, wenn ich mitteile, dass das Verbrennen der Musikalien von zwei Uhr nachmittags bis sieben Uhr abends dauerte.

Laut Eduards im Jahre 1906 veröffentlichten Memoiren hätte es einen Vertrag zwischen ihm und Johann gegeben, demzufolge der den anderen überlebende Bruder »alle Arrangements des Verstorbenen zu vernichten« habe. Mit dieser Aussage versuchte der jüngste Strauß-Bruder offensichtlich sein Vorgehen zu rechtfertigen – der Vertrag ist jedoch nie aufgetaucht.

Die Nachkommen des 1916 verstorbenen Eduard sollten sich nach den familiären Turbulenzen doch noch »erholen«: Sein Enkel Eduard Strauss II. war ein weltweit anerkannter Dirigent, dessen Sohn Eduard Strauss ist Senatspräsident am Wiener Oberlandesgericht und Präsident des Wiener Instituts für Strauss-Forschung (und legt Wert darauf, dass der Name seiner Familie nicht »Strauß«, sondern »Strauss« geschrieben wird).

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