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KENNEDY & KAISERHAUS Eine ungewöhnliche Familiengeschichte
ОглавлениеEines Tages läutet mein Telefon. Die Anruferin teilt mir mit, dass in den nächsten Tagen eine alte Dame nach Wien käme, die ich unbedingt treffen müsse, weil sie eine hochinteressante Familiengeschichte zu erzählen hätte.
Nun treffe ich immer wieder alte Damen, die mir hochinteressante Familiengeschichten erzählen, wobei sie einmal mehr und einmal weniger hochinteressant sind. Diese Familiengeschichte sollte sich allerdings in der Tat als außergewöhnlich erweisen. Bringt sie doch eine Verbindung zwischen den Häusern Habsburg und Kennedy zustande. Aber davon hatte ich vorerst noch keine Ahnung.
Die Anruferin erklärte, dass die Freundin mit der hochinteressanten Familiengeschichte Lisa Lanett heiße und als gebürtige Österreicherin seit vielen Jahren in den USA lebe. Ich gab mich zurückhaltend, auch als die Dame am Telefon sagte, dass Lisas Großvater ein echter Erzherzog gewesen sei – schließlich gibt es immer wieder solche Fälle, weil eine nicht unerhebliche Anzahl von Angehörigen des ehemaligen Kaiserhauses illegitime Kinder in die Welt gesetzt hat, deren Enkel und Urenkel nach und nach ihre Geschichten erzählen wollen.
Ich kann beim besten Willen nicht alle Leute treffen, die über hochinteressante Familiengeschichten verfügen, ich schaff es einfach nicht. Vielleicht war’s Zufall, vielleicht Intuition – Glück war’s auf jeden Fall. Denn ich sagte zu und traf die Anruferin ein paar Tage später in Begleitung ihrer mittlerweile in Wien eingetroffenen Freundin Lisa Lanett im Café Diglas auf der Wollzeile.
Mrs. Lanett war damals 87 Jahre alt, in sehr guter Verfassung und immer noch berufstätig. Sie lebt in San Antonio im US-Bundesstaat Texas, wo sie trotz ihres hohen Alters ein kleines Immobilienbüro betreibt. Sie hat ein aufregendes Leben hinter sich, war Fotomodell, Tänzerin, Schauspielerin, eine wunderschöne Frau – und sechs Mal verheiratet. Aber das große Geheimnis ihres Lebens hatte sie bisher für sich behalten. Es betrifft ihren Sohn Tony, heute 65 Jahre alt.
»Also, Mrs. Lanett«, sagte ich, nicht ahnend, was da auf mich zukommen würde, »erzählen Sie mir Ihre Geschichte.«
Und sie erzählte: Dass sie am 7. August 1921 als Elisabeth Hortenau in der Hinterbrühl bei Wien zur Welt gekommen, dass ihr Vater Alfred von Hortenau ein unehelicher Sohn der Hofoperntänzerin Marie Schleinzer und des berühmt-berüchtigten Lebemannes Erzherzog Otto gewesen sei.
Nun ist in der Geschichtsschreibung der Familie Habsburg hinlänglich bekannt, dass »der schöne Otto«, wie man ihn in der Monarchie nannte, als Schürzenjäger verschrien war. Man weiß auch von seiner Liaison mit der Tänzerin Marie Schleinzer, der zwei Kinder entsprangen. Lisa Lanetts Herkunft als Enkelin der Marie Schleinzer ist nachweisbar, die Beziehung des Erzherzogs mit der Solotänzerin vielfach dokumentiert und unbestritten. Das also war die Geschichte, die Lisa Lanett mir erzählen wollte. Der Name John F. Kennedy war bis dahin nicht gefallen.
Ob sie selbst auch Kinder hätte, fragte ich Frau Lanett.
»Ja, einen Sohn«, antwortete sie.
»Und welcher Ihrer sechs Männer ist der Vater?«, wollte ich noch – eher aus Höflichkeit denn aus ehrlicher Neugierde – wissen.
»Keiner von ihnen.«
»Wer sonst?«, staunte ich.
Frau Lanett wandte sich nun ihrer Freundin Verena Fischer zu, der seinerzeitigen Anruferin, und fragte sie: »Soll ich’s ihm sagen?«
»Ja«, nickte Frau Fischer, »sag’s ihm.«
»Der Vater meines Sohnes ist John F. Kennedy.«
In diesem Moment drohte ich an einem Stück Kuchen zu ersticken, den ich an dem kleinen Kaffeehaustisch zu mir nahm. »Wie bitte? Wer ist der Vater Ihres Sohnes?«
»Präsident Kennedy.«
Ich sah sie ungläubig an und ließ Lisa Lanett weiterreden. Sie ist in Wien, Abbazia, Mailand, Paris, London und Salzburg aufgewachsen. Als Hitler 1938 in Österreich einmarschierte, war sie siebzehn und besuchte gerade eine Schauspielschule in Rom. Gemeinsam mit ihrer Mutter beschloss sie, nicht nach Wien zurückzukehren, sondern in die USA zu reisen. Nach ihrer ersten kurzen Ehe ging Lisa mit ihrer Mutter nach Phoenix, der Hauptstadt von Arizona, wo sie mit dem bisschen Geld, das sie aus Europa mitnehmen konnten, ein kleines Motel, das Monterey Lodge, eröffneten.
Dort wurden während des Krieges amerikanische Offiziere und Soldaten einquartiert. »Einer von ihnen hieß John F. Kennedy«, erzählte Lisa. »Er war auf dem Weg nach Florida und blieb für ein paar Tage bei uns im Monterey Lodge.«
Wir schreiben das Jahr 1942. Der gutaussehende Millionärssohn ist 25 Jahre alt, die bildschöne Lisa vier Jahre jünger. »Wir verliebten uns, und ehe er weiterzog, lud er mich ein, ihn in Miami zu besuchen. Danach verbrachten wir ein Wochenende in Kuba und waren dann einige Zeit in New York. Das ging drei Jahre so, bis ich im Frühjahr 1945 feststellte, dass ich schwanger war. Ich fuhr zu ›Jack‹ und teilte es ihm mit. Er bot mir daraufhin an, mich zu heiraten.«
»Jack«, wie Kennedy von Freunden gerufen wurde, gehörte einer damals schon sehr prominenten Familie an, war aber natürlich noch lange nicht der Kennedy. »Ich hatte bis dahin ein wunderbares, freies Leben geführt«, fuhr Lisa Lanett an jenem Nachmittag im Café Diglas fort, »und dieses freie Leben wollte ich nach meiner ersten Scheidung, die ich bereits hinter mir hatte, auch nicht aufgeben. Deshalb kam eine Ehe für mich zu dieser Zeit nicht infrage. Ich muss auch sagen, dass ›Jack‹ nicht unbedingt die große Liebe meines Lebens war. Wir waren jung, und er hat mir gefallen, weil er fesch war. Und umgekehrt war’s wohl ebenso. Dass mehr daraus wurde als ein Gspusi, wie man in Wien sagt, liegt nur daran, dass ich 1945 unseren Sohn Tony zur Welt brachte. Kennedy ist damals aus allen Wolken gefallen und hat wohl auch nur im ersten Schock gemeint, dass wir heiraten sollten.«
Und doch blieben Lisa und »Jack« auch nach dem 29. September 1945, dem Tag an dem Tony zur Welt kam, in Kontakt. Auch noch nach 1953, als »JFK« Jacqueline Bouvier, Amerikas spätere First Lady, heiratete. »Wir trafen uns immer wieder, auch als seine politische Karriere begann und er Senator in Massachusetts wurde. ›Jack‹ kam für die Kosten der Peekskill Militärakademie bei New York auf, die unser Sohn Tony besuchte.«
Das war Lisa Lanetts Erzählung während unseres ersten Treffens in einem Kaffeehaus in der Wiener Innenstadt. Ich verabschiedete mich, glücklich eine so aufregende Geschichte erfahren zu haben, und beschloss ihr auf den Grund zu gehen.
Als erstes nahm ich Kontakt mit ihrem Sohn Tony auf. Antonio Bohler lebt in der kalifornischen Stadt Fairfield, er ist mittelgroß, hat graue Haare, einen dichten Bart und ist als kaufmännischer Angestellter bereits in Pension. Seine Ehe mit einer gebürtigen Sizilianerin, der die Söhne Richard und Michael entsprangen, ist geschieden.
Tony Bohler sprach gleich ganz offen mit mir. »Als ich jung war, sagte mir meine Mutter, dass ihr erster Mann, Juan del Puerto, mein Vater sei. Eine Zeitlang habe ich das geglaubt, aber irgendwann begann ich daran zu zweifeln. Denn Juan war Mexikaner und sah auch sehr mexikanisch aus. Ich aber gar nicht. Als ich etwa dreißig war und sie meine Zweifel bemerkte, gestand sie mir, dass mein tatsächlicher Vater ein anderer sei. Ich fragte sie nach seinem Namen. Und sie sagte John F. Kennedy.«
Und dann erzählte sie ihrem Sohn, wie sie den späteren US-Präsidenten kennen gelernt und sich in ihn verliebt hätte.
Tony Bohler war, wie er mir berichtete, zunächst fassungslos. »Ich bin mit Mutters Geschichten von österreichischen Erzherzögen aufgewachsen, die ich in meiner Kindheit alle nicht recht glauben konnte, aber heute weiß ich, dass sie stimmen. Also vielleicht stimmt auch die Geschichte mit Kennedy. Bitte, sie war eine wunderschöne Frau, es würde mich nicht wundern.«
Tony heißt übrigens Bohler, weil er als Kind von Lisa Lanetts Mutter Charlotte adoptiert wurde, die in zweiter Ehe mit dem österreichischen Industriellen Richard Böhler verheiratet war. In den USA wurde der Name Böhler dann auf Bohler geändert.
Einen Beweis für Kennedys Vaterschaft konnte Lisa ihrem Sohn nicht liefern. Als der Präsident der Vereinigten Staaten 1963 in Dallas ermordet wurde, war Tony achtzehn Jahre alt. Es gab damals noch keine DNA-Analysen, mit deren Hilfe verwandtschaftliche Beziehungen festgestellt werden können. Lisa hat auch zu Kennedys Lebzeiten nie einen Vaterschaftstest beansprucht. Es gibt also keine Beweise.
Jedoch eine nicht unerhebliche Kette von Indizien, die belegen, dass Lisas Geschichte stimmen kann:
•Erstens haben sich alle nachweisbaren Details der von ihr geschilderten Familienchronik in meinen Recherchen als korrekt erwiesen.
•Zweitens handelt es sich bei ihren Erinnerungen zweifelsfrei nicht um die Fantasien einer alten Frau, die mit weit über achtzig Jahren ihre Lebensgeschichte neu erfunden hat. Das ist schon deshalb nicht möglich, weil sie ihrem Sohn bereits dreißig Jahre zuvor erzählt hatte, dass John F. Kennedy sein Vater sei.
Weitere Hinweise finden sich in Wien:
•Die Arztwitwe Verena Fischer, die mir Lisa Lanett vorgestellt hat, kennt sie seit mehr als zwanzig Jahren: »Etwa im Jahre 2005 sahen wir uns gemeinsam Bilder aus ihrer Familie an, und bei dieser Gelegenheit hat sie mir zum ersten Mal erzählt, dass Kennedy der Vater ihres Sohnes ist. Ich kenne sie sehr gut und habe keinen Zweifel an dem, was sie sagt. Ich glaube zu hundert Prozent, dass es stimmt.«
•Der Wiener Rechtsanwalt Professor Nikolaus Lehner vertrat Lisa Lanett in den 1990er-Jahren in einer Erbschaftsangelegenheit. »Sie erzählte mir schon damals plausibel und glaubwürdig davon, dass Präsident John F. Kennedy der Vater ihres Sohnes sei«, erinnert sich Lehner. »Ich habe, da ich als Anwalt an die Verschwiegenheitspflicht gebunden bin, natürlich nie darüber gesprochen.«
Um Lisa Lanetts Geschichte weiter zu verfolgen, versuchte ich herauszufinden, ob John F. Kennedy in der fraglichen Zeit überhaupt in Phoenix in der Nähe des damaligen Wohnsitzes der gebürtigen Österreicherin gewesen sein konnte. Die Stationen seines Lebens sind angesichts seiner historischen Bedeutung als 35. Präsident der Vereinigten Staaten penibel dokumentiert: in der John F. Kennedy Library in Boston ebenso wie im Berliner Kennedy Museum, in seiner umfangreichen Korrespondenz wie in Dutzenden Biografien.
John F. Kennedy war seit 1941 Mitglied der US-Armee und wechselte nach dem Angriff auf Pearl Harbor zur Marine über. Tatsächlich befand er sich zur Jahreswende 1942/43, wie von Lisa behauptet, auf dem Weg nach Florida, genau genommen nach Jacksonville, einer am Atlantischen Ozean gelegenen Stadt, in der er auf weitere Befehle warten sollte. In Joan und Clay Blairs Biografie The Search for J.F.K., die sich im Besonderen mit den Kriegsjahren des späteren Präsidenten beschäftigt, ist sein Leben in dieser Zeit minuziös dokumentiert. Interessanterweise fehlen – so schreiben die Autoren – in sämtlichen Aufzeichnungen am Beginn des Jahres 1943 dreizehn Tage. Dreizehn Tage, von denen niemand weiß, wo Kennedy sich aufhielt, und über denen ein geheimnisvoller Schleier des Schweigens liegt. Verbrachte »Jack« diese Zeit im Monterey Lodge?
Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass im März 1942, wenige Monate ehe seine Beziehung mit Lisa begonnen haben soll, Kennedys erste große Liebe auf dramatische Weise zu Ende gegangen war: »Jack« hatte als blutjunger Armeeangehöriger ein Verhältnis mit der verheirateten Journalistin Inga Arvad. Was er nicht wissen konnte, war, dass die gebürtige Dänin unter ständiger Beobachtung des FBI stand, da sie während der Zeit ihrer journalistischen Tätigkeit in Berlin in Nazikreisen, auch mit Hitler und Göring, verkehrt haben soll. Kaum in die USA eingereist, stand sie unter Spionageverdacht. Als »Jacks« Vater, Joseph Kennedy, davon erfuhr, untersagte er seinem Sohn jeden weiteren Kontakt mit der schönen Inga, da diese seiner weiteren Karriere, egal ob bei der Marine oder im Staatsdienst, im Wege gestanden wäre.
John F. Kennedy hatte mittlerweile erfolgreich die Marineoffiziersschule absolviert und wurde als Kommandant des Schnellbootes PT 109 in den Pazifik entsandt. Als das Kriegsschiff am 2. August 1943 von einem japanischen Zerstörer gerammt wurde, erlitt er schwere Verletzungen, die seine ihn seit Jugendtagen plagenden Rückenschmerzen erheblich verschlimmerten. Ende November 1944 wurde Lieutenant Kennedy deshalb nach zwei Operationen, die sein Leiden nicht lindern konnten, für »dauerhaft dienstuntauglich« erklärt.
Und damit gelangen wir in die Zeit, in der Lisa Lanett den späteren US-Präsidenten – so ihre Geschichte stimmen sollte – getroffen haben muss, da sie nun schwanger wurde. Es gibt mehrere Hinweise darauf, dass Kennedy und Lisa einander in der »fraglichen Zeit« gesehen haben können. So schreibt JFK im Herbst 1944 an Paul B. Fay* aus dem Marinespital in Chelsea: »Von hier werde ich zu Weihnachten nach Hause fahren und dann ungefähr ein Jahr in Arizona bleiben, um wieder eine gute Kondition zu bekommen.«
Kennedy ist kein ganzes Jahr geblieben, wie er es vorhatte, hielt sich aber mehrere Monate in Arizona auf, wo auch Lisa Lanett lebte. Laut Robert Dalleks Kennedy-Biografie Ein unvollendetes Leben verbrachte er den Winter 1944/45 zur Rekonvaleszenz in einem Vorort von Phoenix/Arizona – und zwar in der für ihre heilenden Quellen berühmten Kuranstalt Castle Hot Springs. Dort wurde er mehrmals von seinem behandelnden Arzt Frank Lahey besucht, der Joseph Kennedy schriftlich über den jeweiligen Zustand seines Sohnes informierte.
Mit anderen Worten: John F. Kennedy war nachweislich zu dem Zeitpunkt in der Stadt, in der er Lisa Lanett rund drei Jahre zuvor kennen gelernt hatte, in der sie nach wie vor lebte und in der sie neun Monate später ihren Sohn Tony zur Welt brachte.
Das ist natürlich noch immer kein Beweis für John F. Kennedys Vaterschaft, aber ein weiteres Indiz dafür, dass Lisa Lanett jedenfalls keine Märchenerzählerin ist.
Bei unserer zweiten Begegnung, diesmal in der Wohnung ihrer Freundin Verena Fischer, ging Mrs. Lanett auf ihre Verbindung zum österreichischen Kaiserhaus ein. »Meine Großmutter Marie Schleinzer war eine berühmte Tänzerin«, setzte Lisa die Erzählung aus ihrem Leben fort. »Eines Abends bemerkte sie nach der Vorstellung, dass ihr ein eleganter Herr von der Oper bis zur Straßenbahnstation gefolgt war. Er stieg in denselben Tramwaywagen ein und sprach sie an. Der Mann hatte sie während der Aufführung im Opernhaus beobachtet und an ihr Gefallen gefunden.«
Der elegante Herr war Erzherzog Otto, eine der schillerndsten Figuren des österreichischen Kaiserhauses:
•Er war der Neffe Kaiser Franz Josephs,
•der jüngere Bruder des 1914 in Sarajewo ermordeten Thronfolgers Franz Ferdinand,
•der Vater des späteren Kaisers Karl und
•der Großvater Otto von Habsburgs.
Die Beziehung zwischen Erzherzog Otto und Marie Schleinzer dauerte von 1891 bis zu seinem Tod im Jahre 1906. Damit erlebte die Tänzerin an seiner Seite die wohl aufregendsten Jahre im Leben des Habsburgers, da dieser 1896 – sieben Jahre nach dem Tod Kronprinz Rudolfs und unmittelbar nach dem Tod seines Vaters Karl Ludwig – an die zweite Stelle der Thronfolge rückte. Besonders dramatisch wurde die Situation, als sein älterer Bruder Franz Ferdinand an einer lebensbedrohlichen Tuberkulose erkrankte und man Otto schon als künftigen Kaiser sah, was in der Monarchie angesichts seines ausschweifenden Lebenswandels für gehörige Unruhe sorgte.
»Aus der Beziehung meiner Großmutter mit dem Erzherzog gingen mein Vater und dessen Schwester Hildegard hervor, die vom Erzherzog beide offiziell als seine Kinder anerkannt wurden.«
Marie Schleinzer war eine von vielen Affären des Erzherzogs, eine weitere hatte er mit der Schauspielerin Louise Robinson. Und verheiratet war er natürlich auch – und zwar mit der sächsischen Königstochter Maria Josepha, die er ständig mit seinen außerehelichen Skandalen brüskierte. Zur berühmtesten Eskapade kam es in einem Séparée des Hotel Sacher, das er fluchtartig verließ, als ihn ein eifersüchtiger Ehemann in den Armen seiner Frau ertappte. Das Pikante an der Szene war, dass Otto beim Verlassen des Hotels nur mit einem Säbel »bekleidet«, ansonsten aber splitternackt gewesen ist. Der »Auftritt« des Erzherzogs machte noch am selben Abend in Wien die Runde.
Offiziell wohnte Otto mit seiner Frau und seinen beiden ehelichen Söhnen – unter ihnen der spätere Kaiser Karl – im Augartenpalais, tatsächlich aber mit Marie Schleinzer und den unehelichen Kindern Alfred und Hildegard in einer Villa in der Anton-Frank-Gasse in Wien-Währing.
Marie Schleinzer hat im Übrigen den Beweis erbracht, dass sie mehr als eine Mätresse war: Sie pflegte den Erzherzog in seinen letzten Lebensjahren aufopfernd, ehe er im November 1906 qualvoll an den Folgen seiner Syphiliserkrankung zugrunde ging.
Dabei hatte die Tänzerin noch zu Ottos Lebzeiten den angesehenen, in Abbazia ordinierenden Kurarzt Julius Hortenau geheiratet, der später von Kaiser Franz Joseph in den erblichen Adelsstand erhoben wurde. Derartige »Vorgänge« waren durchaus üblich, um den Konkubinen des Kaiserhauses und ihren Nachkommen eine gutbürgerliche Existenz zu ermöglichen. Den Namen »von Hortenau« nahmen dann auch Ottos und Marie Schleinzers Kinder an.