Читать книгу Katharina Schratt - Georg Markus - Страница 11

»DER DIREKTOR WOLLTE MICH KÜSSEN« Katharina Schratt wird Schauspielerin

Оглавление

Katharina Schratt wuchs also in einer wohlbehüteten, bürgerlichen Umgebung auf, ihre ganze Erziehung war durch tiefe Religiosität geprägt, die Eltern – vor allem die Mutter, die einem Großbauerngeschlecht aus dem ungarischen Sauerbrunn entstammte – waren streng katholisch. Die Religion spielte dann auch im späteren Leben der Schauspielerin eine große Rolle und der Gottesglaube war ein weiterer Berührungspunkt mit dem ebenfalls praktizierenden Katholiken Franz Joseph.

Auch die »schmerzliche Erinnerung aus der Jugendzeit« – als der Vater die Sechsjährige von der Bühne holen mußte – konnte den Weg der kleinen »Kathi« nicht aufhalten. Sie mußte zum Theater, oder wie es ihre Nichte Katharina Hryntschak ausdrückte, die sie in späteren Jahren auch noch auf der Bühne erlebte: »Das Talent war einfach in ihr, sie konnte gar nicht anders als Menschen nachzuahmen. Was jeden faszinierte, war ihre unglaublich schöne, reine Sprache.« So war ihr Weg von vornherein klar vorgezeichnet.

Mit 15 hatte sie dann ihren ersten »richtigen« Auftritt. Im März 1868 gab die Dilettanten-Bühne in Leobersdorf – unweit von Baden – an einem Abend mehrere Einakter. Über Vermittlung ihrer Schulfreundin, deren Vater beim Theater gewesen war, erhielt »Frl. Katharina Schratt« die Rolle der Bedienten Lisbeth in dem Lustspiel Eigensinn von Heinrich Benedix.

Die Zeitschrift Der Sport meldet am 21. März 1868 auf der Seite der Lokalnachrichten:

»Herzig im vollsten Sinne war Frl. Katharina Schratt als Lisbethchen, dem die Aufgabe zu Theil geworden, den Knoten des Stückes zu schürzen. Sie war wie geschaffen zu dieser Rolle, die wie auf den Leib geschrieben zu ihrer niedlichen Erscheinung paßte.«

Den Eltern paßte die Sache hingegen überhaupt nicht. Katharina besuchte zu dieser Zeit die Mädchenschule Krones in Baden, ein Privatlehrinstitut für höhere Töchter. Doch ihr ganzes Interesse galt nach wie vor und ausschließlich dem Theater. Nun meinten die Eltern, sie könnten sie durch einen Ortswechsel auf andere Gedanken bringen. Mama ließ sie im Internat der Schwestern Haas in Köln einschreiben.

Obwohl Vater Anton Schratt in seiner Jugend selbst am liebsten Schauspieler geworden wäre – schon als Schüler trat er im Badener Stadttheater als Fürst Dagobert in Hermann der Retter Deutschlands auf – opponierten er und seine Frau lange Zeit verbissen gegen eine Bühnenlaufbahn der einzigen Tochter. Und das ist aus der damaligen Sicht verständlich. Der Prototyp des Schauspielers dieser Zeit war der Schmierenkomödiant, der sein Leben lang über kleine Provinzstädtchen nicht hinauskam. Und so ein Künstler führte ein wahrhaft armseliges Dasein, das Ansehen in der Bevölkerung war durch den Satz »Hängt’s die Wäsch’ weg, die Komödianten kommen« hinlänglich charakterisiert. Diese Schauspieler waren oft bettelarm, ihre Gagen wurden nicht selten in Naturalien ausbezahlt, soziale Sicherheiten gab es überhaupt keine. Eine solche Zukunft wollten die Eltern ihrer Kathi verständlicherweise ersparen.

Doch der Erfolg der Übersiedlung nach Köln war gleich Null. In unzähligen Briefen an die Eltern flehte Katharina förmlich, nach Baden zurückkehren zu dürfen. Einzig und allein des Theaters wegen. Der Vater, der die kleine Kathi über alles liebte, sah ein, daß jeder Widerstand zwecklos zu sein schien. Ohne jeglichen Schulabschluß wurde die Tochter nach einigen Monaten heimgeholt.

Nun galt es, Katharina eine entsprechende Sprechausbildung zu verschaffen. Man entschied sich für die angesehene Theater-Akademie des pensionierten Burgtheater-Schauspielers Eduard Kierschner in der Wiener Canovagasse. Der berühmte Rezitator Alexander Strakosch wurde hier ihr Lehrer und er verstand es, ihre vorhandenen Anlagen in die richtigen Bahnen zu lenken.

Schon nach kurzer Zeit hatte Katharina Schratt – und zwar in ihrer Heimatstadt Baden – Gelegenheit »als Gast der Wiener Theater-Akademie« öffentlich aufzutreten.

Die Kritiker erkannten ihr hervorstechendes Talent sofort. So meint etwa der Berichterstatter der Wiener Theaterchronik, nachdem er dem Debüt der 17jährigen – man gab die drei Einakter Eigensinn, Goethes Geschwister und Gartenszenen aus Faust – beigewohnt hatte: »Frl. Schratt sieht einer sehr bedeutsamen Zukunft entgegen. Der Applaus war ein so stürmischer und wohlverdienter, daß der nüchterne Kritiker selbst mit fortgerissen wurde und gerne bekennt, unter die Claqueure gegangen zu sein.«

Doch den größten Weitblick hatte – ohne erahnen zu können, wie sich seine Prophezeiungen verwirklichen würden – der Redakteur der Zeitung Reporta im Februar 1872. In den Räumlichkeiten der Theater-Akademie wurde eines Abends unter anderem der Schwank Die schöne Müllerin gegeben. Der Kritiker, offensichtlich kein besonderer Anhänger des seinerzeitigen Burgschauspielers Kierschner, meinte: »So war ich während der Aufführung des Lustspiels ›Die schöne Müllerin‹ nahe daran, dem damaligen Schauspieler Alles zu vergessen, und den nunmehrigen Director zu umarmen. – Ein Fräulein Schratt, welches in der Titelrolle auftrat, trägt die Schuld an meinem Enthusiasmus. Eine so blendende Erscheinung, ein so liebenswürdiges Spiel! Ich habe wahrhaft ein paar Mal den Kopf meines Theaterzettels angeschaut, um mich zu versichern, daß ich wirklich in der Theater-Akademie und nicht im Hoftheater sitze. Ich werde unsere Leser einmal an meinen heutigen Bericht erinnern, wenn Frl. Schratt als vielumworbene Künstlerin die bezüglichen Spalten unserer Tagesblätter beherrschen wird. – Indessen versichere ich ihre Neider mit meinem Ehrenworte, daß ich das Fräulein weder je gesprochen habe noch überhaupt von ihr gekannt bin, um ihnen die billige Verdächtigung meiner Kritik im Voraus unmöglich zu machen.«

Der Kritiker sah sich wohl deshalb dazu veranlaßt, möglichst deutlich zu betonen, daß er mit dem Fräulein noch nie persönlichen Kontakt hatte, da Katharina Schratt mittlerweile zu einem bildschönen Mädchen gereift war. Zu diesem Zeitpunkt zählte die Elevin schon zu den heftigst umworbenen Badener Mädchen. Von einem Leutnant Alfons de Dragoni ist bekannt, daß er sich intensivst um sie bemühte, der Schauspieler Leopold Gréve aus Baden hielt mehrmals um ihre Hand an. Doch Katharina wollte noch frei bleiben. Frei für ihre schauspielerische Laufbahn, die jetzt nicht mehr aufzuhalten war.

Bald hatte sich der Name Schratt auch in den Direktionskanzleien der großen Wiener Bühnen herumgesprochen. Die drei bedeutendsten Theaterdirektoren wollten die junge Schauspielerin kennenlernen, nachdem diese im Frühjahr 1872 die Kierschner’sche Akademie absolviert hatte. Burgtheaterdirektor Franz von Dingelstedt (durch Vermittlung des großen Komödianten Carl La Roche), der Direktor des Stadttheaters, Heinrich Laube, und Anton Ascher, der Direktor des Carltheaters. Den »Wettlauf«, der nach der Abschlußprüfung an der Schauspielschule um sie einsetzte, beschrieb die Schratt selbst, an einer anderen Stelle des erwähnten Artikels in der Schönen blauen Donau, der den Kaiser so sehr interessierte, daß er ihn zweimal las:

»Nun trat die ernste Frage eines Engagements an mich heran. Mein Lehrer Strakosch wollte mich durchaus an das damals neueröffnete Stadttheater bringen, und La Roche, der sich lebhaft für mein Talent interessierte, befürwortete mein Engagement ans Burgtheater. Während nun diese beiden Gönner für mich bei Laube und Dingelstedt eintraten, erhielt ich eines Tages von Direktor Ascher einen Brief, in welchem er mich aufforderte, ihn am nächsten Tage, Donnerstag Nachmittags, zu besuchen und ihm Einiges aus meinem Repertoire vorzusprechen. Ich zeigte diesen Brief meinem Lehrer Strakosch, welcher sofort zu Laube eilte. Kurz danach erhielt ich von Seite des Stadttheater-Sekretariats die Aufforderung, mich am nächsten Tage, Donnerstag, halb ein Uhr Mittags, zu einem Probespiel bei Direktor Laube einzufinden. Der Zufall fügte es, daß eine meiner Jugendfreundinnen, durch welche ich im Hause La Roche bekannt geworden war, dem Altmeister die Mitteilung machte, daß ich am nächsten Tage vor Laube Probe spielen sollte. La Roche verständigte sofort Dingelstedt, und ich erhielt noch am selben Tage von Seite der Burgtheater-Kanzlei die Aufforderung, mich Donnerstag um zehn Uhr Vormittags behufs eines Probespiels im Bühnenhause auf dem Michaelerplatz einzufinden. Ich hatte also an einem Tage drei Probegastspiele in drei verschiedenen Theatern zu absolvieren, ich, die früher kaum an ein einziges zu denken gewagt hätte. Na also! Am nächsten Tag nahm ich allen Muth zusammen und ging in Begleitung einer alten Verwandten, welche mir als Gendarmerie beigegeben worden war, ins Burgtheater. Das Haus war stockfinster, auf der Bühne befand sich keine Seele. Ich trat an die Rampe und machte einige Verbeugungen gegen das mir pechschwarz entgegenstarrende Haus, in dessen Parquet, wie ich wußte, Direktor Dingelstedt und die Regisseure saßen. Nachdem ich meine Schüchternheit und Beklommenheit überwunden hatte, begann ich eine Scene aus Grille, Gustel von Blasewitz und Faust (Gretchen) zu sprechen. Sobald die mir total unsichtbaren Herren von einer Rolle genug hatten, tönten mir aus der Finsternis die Worte entgegen: ›Genug! Bitte jetzt etwas Anderes!‹ – Das Probespiel war nach einer Stunde zu Ende, und die Stimme verkündete mir, daß ich in einigen Tagen hinsichtlich meines eventuellen Engagements Bescheid bekommen würde.

Darauf verfügte ich mich in Strakosch’ Begleitung und mit meiner Adjutantin zu Laube. Er saß, als wir eintraten, an seinem Schreibtisch und schrieb. Strakosch stellte mich vor und Laube knurrte, während er mich strenge anschaute: ›Also, das ist das junge Frauenzimmer?‹ – ›Ja, Herr Professor!‹, stotterte ich in meiner Angst. – Schöne Müllerin, Grille, brummte hierauf Laube, indem er sich in seinen Sessel zurücklehnte und zum Plafond emporblickte. Ich begann nun diese beiden Rollen zu rezitieren. Nachdem ich zu Ende war, fällte Laube in sanfterem Tone folgendes schmeichelhafte Urtheil über meine Leistung: ›Das ist alles Kalbfleisch! Muß compacter werden! Wollen sehen, was sich machen läßt! Nicht früher anderswo abschließen. Adieu!‹

Nachmittags begab ich mich zu Ascher. Der damalige Direktor des Carltheaters fixierte mich scharf, als ich mich ihm, von den Aufregungen des Tages halb geistesabwesend, vorstellte, und bat mich, ihm aus Wildfeuer und Ungeschliffen Diamant Einiges vorzusprechen. Während ich spielte, erhob er sich plötzlich und forderte mich kategorisch auf, ihm einen – Kuß zu geben. Diese unerwartete Wendung verwirrte mich derart, daß ich in einen Thränenstrom ausbrach und sagte: ›Ich bitt’, ich möcht’ fortgehen!‹

Vergeblich suchte mich der über mein convulsives Schluchzen ganz desparate Direktor zu beruhigen. Er schwur, daß ihn mein Spiel zur Bewunderung hingerissen habe und daß er im Übermaß der Freude, eine so ausgezeichnete Künstlerin zu gewinnen, sich zu diesem beim Theater nicht ungewöhnlichen Zeichen der Verehrung habe hinreißen lassen, er habe es ja nicht böse gemeint, etc. Ich konnte mich trotzdem nicht fassen und rief unter Thränen: ›In das Engagement geh’ ich nicht! Ich bitt’, ich möcht’ aussi‹ – Und ich verließ mit meiner schreckensstarren Begleiterin das Haus des zur Bewunderung so hinneigenden Direktors. Nachträglich erinnerte sich Ascher oftmals lachend dieser originellen Scene und versicherte mir, daß er einen so ›dalkerten‹, unwiderstehlich komischen Gesichtsausdruck, wie ich ihn damals zeigte, weder vorher noch nachher jemals gesehen habe.

Aus diesem dreimaligen Probespiel entwickelten sich für mich recht unliebsame Folgen. Laube und Ascher wollten mich sofort engagieren, während Dingelstedt mir ein fixes Engagement nach einem Probegastspiel anbot. Meine Familie und meine Gönner schwankten so lange zwischen den Anträgen, bis ich endlich keinen einzigen davon annahm und einem mittlerweile vom Berliner Hoftheater an mich gerichteten Rufe Folge leistete.«

Talent und natürliche Anmut der angehenden Schauspielerin hatten sich tatsächlich bis in die Hauptstadt des Deutschen Reichs durchgesprochen. Dem dortigen Hoftheater-Intendanten Botho van Hülsen genügte es, zu wissen, daß sich die drei führenden Wiener Bühnen für Katharina Schratt interessierten. Ohne sie persönlich kennengelernt, geschweige denn je in einer Rolle gesehen zu haben, gab er ihr einen »Dreijahresvertrag ohne jede Gastspielprobe«.

Katharina Schratt setzte sich in die Eisenbahn und fuhr nach Berlin.

Katharina Schratt

Подняться наверх