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DER SKANDAL MIT DER MASKE Wiener Stadttheater und Petersburger Zwischenspiel

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Wien, im Frühjahr 1873. In der Rotunde findet die Weltausstellung statt. Kaiser Franz Joseph trifft bei der Eröffnung mit dem russischen Zaren, Kaiser Wilhelm von Deutschland und König Viktor Emanuel von Italien zusammen. Eine Woche später findet die glorreiche Gründerzeit mit dem historischen Börsenkrach ihr jähes Ende. Industrielle, Kaufleute und Bankiers hatten sich zu wilden Spekulationen hinreißen lassen und damit Schiffbruch erlitten. Zahlreiche Pleiten sind die Folge.

Ein Jahr zuvor hatte Dr. Heinrich Laube die Direktion des neueröffneten Stadttheaters auf der Seilerstätte übernommen. Für die Wiener war das die Sensation gewesen, denn die Person Laubes hatte bereits seit Jahrzehnten für Gesprächsstoff gesorgt. Schon als provokanter Schriftsteller des »Jungen Deutschland« hatte der gebürtige Schlesier solche Aufregung hervorgerufen, daß er in Preußen zu Festungshaft verurteilt wurde. 1848 schloß er sich der Revolution an, später war er, für viele überraschend, Direktor des Wiener Burgtheaters geworden – und zwar einer der erfolgreichsten, die diese Bühne je erlebt hat. Selbst ein bedeutender Autor und Regisseur, pflegte er besonders das klassische Drama und brachte das Hoftheater zu einer neuen Blüte. Laube gilt als Entdecker der Charlotte Wolter und Adolf von Sonnenthals. Auch als Grillparzer-Biograph machte er sich einen Namen.

Aus dem Burgtheater schied er – wie das in Wien so üblich ist – mit einem Skandal: Nachdem man ihm den Dramatiker Friedrich Halm als neuen »Generalintendanten« vor die Nase gesetzt und Laube einige seiner angestammten Rechte genommen hatte, kündigte er und zog beleidigt ab, um zunächst als Kritiker über die »Burg« und deren neuen Direktor Dingelstedt in verschiedenen Zeitungen herzuziehen. 1872 nahm er dann die erste Gelegenheit wahr, ein eigenes Theater zu gründen – das Stadttheater.

Kaum war die Schratt bei Laube, stand auch sie sofort im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Nun war sie auch hier – im Gegensatz zu dem Angebot, das ihr Laube noch ein Jahr zuvor gemacht hatte – im »Ersten Fach« engagiert. Sie hatte sich schon in der Theater-Akademie und in der Berliner Spielzeit durch eifriges Rollenstudium ein nicht unbeträchtliches Repertoire geschaffen. So konnte sie jetzt bei Laube eine Rolle nach der anderen übernehmen, ohne sie erst lernen zu müssen. Sie spielte – wie schon in Berlin – die Titelrolle in Heinrich von Kleists Käthchen von Heilbronn, sie war ebenfalls ein Käthchen in Shakespeares Widerspenstiger Zähmung – in jener Vorstellung, in der sie, wie erwähnt, zum ersten Mal von Kaiser Franz Joseph gesehen wurde – und gefiel dem Publikum in unzähligen Komödien und Schwänken als jugendliche Naive.

Doch sowohl ihr Direktor als auch Katharina Schratt selbst wußten, daß in ihr mehr Talent steckte. Laube sprach es als erster aus: Sie spielt im falschen Fach! Er war es dann auch, der das komische Talent der bisherigen Naiven entdeckte und aus ihr eine Charakterdarstellerin werden ließ. In einem Zeitungsartikel meinte er Jahre später: »Schratt, ein bildhübsches Mädchen, hatte im ›Käthchen von Heilbronn‹ ihr Glück gemacht, mit anderen sentimentalen Rollen aber nicht sonderlich gewirkt. Wie herkömmlich, warf man ihr bereits die Schönheit vor, welcher ihr Talent nicht gleichkomme. Da entdeckte ich, daß reale Aufgaben, naiv-komische, kurz, was die Franzosen ›une ingénue‹* nennen, eine Fülle von Talent in ihr weckten. In diesem Fache wurde sie dann binnen kürzester Zeit eine erste Schauspielerin … Soll sie sentimental spielen, so muß sie den Ton suchen und findet ihn schwer. Heiter, noch besser lustig, ist er von selbst da.«

Die komödiantische Charakterdarstellerin Katharina Schratt wurde sehr bald das Zugpferd des Stadttheaters, ihr Name auf dem Spielplan garantierte volle Häuser. Doch hatte es die völlig subventionslose Bühne trotz aller Erfolge nicht leicht, sich gegen die Konkurrenz des mit fast grenzenlosem Reichtum ausgestatteten Hofburgtheaters durchzusetzen. Zudem waren am »Schwarzen Freitag«, dem großen Börsenkrach, auch etliche der privaten Financiers Laubes in arge Schwierigkeiten geraten. Laube, dessen aufwendige Inszenierungen immer kostspieliger wurden, überwarf sich mit seinen Geldgebern und legte – wieder einmal – die Direktionsgeschäfte nieder. Fräulein Schratt fühlte sich ihrem eigentlichen Entdecker und Förderer gegenüber verpflichtet und kündigte ebenfalls.

Waren die Eltern froh gewesen, ihr Töchterchen vom entfernten Berlin wieder im nahen Wien zu haben, so stürzte sie die Kathi nach ihrem Abgang vom Stadttheater in noch ärgere Verzweiflung. Diesmal nahm sie nämlich ein Engagement an, das sie noch viel weiter von zu Hause forttreiben sollte: Sie ging an das Deutsche Hoftheater der Zarenresidenz Petersburg. Doch währte dieses Engagement nur kurze Zeit. Nachdem sich Laube wieder mit seinen Geldgebern geeinigt hatte, kehrte auch Katharina Schratt nach Wien zurück. Aus ihrer Korrespondenz mit den Eltern geht hervor, daß sie es allerdings »auch ohne Stadttheater-Angebot nicht mehr lang in Petersburg ausgehalten hätte«. Das Heimweh war zu groß.

Wieder in Wien, spielte sie nun fast en suite, Laube versuchte die Schratt so oft wie möglich einzusetzen. Sie war das Gretchen in Goethes Faust (ein Kritiker machte ihr in dieser Rolle das Kompliment: »Frl. Schratt war ein Gretchen, das lügt, wenn es sagt ›bin weder schön …‹, in dieser Richtung kann sie wahrlich mit allen Gretchens des deutschen Sprachraums in die Schranken treten«), sie spielte die Lebensgeschichte der gefeierten Soubrette Therese Krones in dem gleichnamigen Musikstück von Karl Haffner. Jubel bei der Presse und im Publikum – nur eine Einschränkung gibt es: »Mit dem Singen ist es freilich nichts.« Die Schratt war tatsächlich vollkommen unmusikalisch.

Laube war nicht nur ein hervorragender Theatermann, der sich hinter den Kulissen zu produzieren verstand, er wußte auch immer wieder, für sein erfolgreiches Haus Reklame zu machen.

Im Oktober 1878 wagte er sich – mit Katharina Schratt in der weiblichen Hauptrolle – an ein Stück heran, das schon einmal in Wien für einen Theaterskandal gesorgt hatte. Friedrich Spielhagens Hans und Grete war wenige Jahre zuvor am Burgtheater mit großem Erfolg uraufgeführt worden. Doch schon nach der ersten Vorstellung erschien es nie wieder auf dem Spielplan. Man rätselte damals, warum das Stück mit dem gefeierten Adolf von Sonnenthal in der Hauptrolle vom Repertoire gestrichen worden war. Nach der Schratt-Premiere am Stadttheater brachte die Deutsche Zeitung endlich Aufklärung: »Heute kann man es wohl sagen, daß es eine Maske war, die dem Stück den Gnadenstoß versetzte. Herr Sonnenthal, der in dem Herzog eine geradezu hinreißende, unübertreffliche Leistung geschaffen hatte, wählte zufällig eine Maske, die lebhaft an den Coburger Herzog Ernst erinnerte. Ein hochgestellter Beamter, welcher der Theater-Vorstellung beigewohnt hatte, war von diesem Zufall so unangenehm berührt, daß er der Direction des Burgtheaters den Wink zugehen ließ, das Stück solle nicht mehr gegeben werden. Der Wink genügte.«

Ein Schauspiel, das bereits einmal verboten worden war, lockte die Wiener natürlich verstärkt ins Theater. Der »Fall« des Coburger Herzogs war jetzt Gesprächsstoff und viele wollten das Stück sehen. Dank der Schratt, »die in der Grete eine prächtige Gestalt voll Wärme und tiefer Empfindung lieferte«, wurde die Inszenierung nicht nur ein geschäftlicher, sondern auch ein künstlerischer Erfolg.

Katharina Schratt war bereits ab Mitte der siebziger Jahre eine ungeheuer populäre Frau, also noch lange bevor man sie mit dem Kaiser in Verbindung bringen konnte. Wobei Popularität damals eine noch viel intensivere Form der Verehrung kannte als etwa heute. Nach jeder Vorstellung bildeten sich neben dem »Bühnentürl« mehrere hundert Meter lange Schlangen; unzählige begeisterte Anhänger warteten, um ein Autogramm ihres Lieblings zu erhaschen, um vielleicht den Zipfel ihres Rocks berühren zu können.

Dabei liebte die Masse diese Schauspieler meist, ohne sie je auf der Bühne gesehen zu haben, denn in ein teures Theater zu gehen, war für die wenigsten Menschen erschwinglich. Auch Stefan Zweig wundert sich in seinen Erinnerungen Die Welt von gestern über dieses Phänomen. Er erzählt von einer Episode mit der Köchin seiner Eltern, die – im Juni 1897 – mit Tränen in den Augen ins Zimmer stürzte, weil sie soeben erfahren hatte, daß Charlotte Wolter – die berühmteste Tragödin der »Burg« – verstorben wäre. Zweig: »Das Groteske dieser wilden Trauer bestand selbstverständlich darin, daß diese alte, halb analphabetische Köchin nicht ein einziges Mal selbst im Burgtheater gewesen war und die Wolter nie auf der Bühne oder im Leben gesehen hatte; aber eine große nationale Schauspielerin gehörte in Wien so sehr zum Kollektivbesitz der ganzen Stadt, daß selbst der Unbeteiligte ihren Tod als eine Katastrophe empfand. Jeder Verlust, das Weggehen eines beliebten Sängers oder Künstlers verwandelte sich unaufhaltsam in Nationaltrauer.«

Neben Charlotte Wolter zählten Sonnenthal, Hugo Thimig, Lewinsky, Josephine Wessely – die Tante der Paula Wessely übrigens – und etwas später dann Josef Kainz und Alexander Girardi zu den Wiener Theatergöttern. Und eine der wenigen, die es schon außerhalb des Burgtheaters geschafft hatte, vom breiten Publikum wirklich geliebt zu werden, war die knapp über 20jährige Kathi Schratt. Auch sie war, frei nach Stefan Zweig, zum »Kollektivbesitz der ganzen Stadt« geworden.

Und nicht nur der Stadt. Gutbezahlte Gastspiele führten sie etwa nach Budapest, Riga, Triest, Temeswar, Innsbruck, in die Kurorte Karlsbad und Marienbad, nach Preßburg und Brünn. Und überall derselbe Jubel, dieselbe Begeisterung des Publikums, stürmischer Beifall nach jeder Vorstellung: »Wievielmal Frl. Schratt vor den Vorhang gerufen wurde, haben wir nach dem ersten Dutzend nicht mehr gezählt«, schreibt der Brünner Tagesbote, nachdem sie in dem Schauspiel Dorf und Stadt von Charlotte Birch-Pfeiffer als Lorle – eine ihrer populärsten Rollen – aufgetreten war. In Czernowitz gar, wo die Schratt als Cyprienne »große Triumphe feierte, spannte ihr die Studentenschaft, von der Leistung enthusiasmiert, die Pferde aus«. Ansonsten erlebte sie ihre Gastspielerfolge meist als Käthchen von Heilbronn und als Therese Krones.

Stieg die Schratt in der Provinz nun schon in den nobelsten Hotels ab, so logierte sie bald auch in Wien standesgemäß: Nachdem sie zuvor in etlichen Untermietwohnungen gelebt hatte, bewohnte das angesehene Mitglied des Stadttheaters jetzt schon ein stattliches Appartement auf der eleganten Ringstraße. Ihr Meldezettel aus dem Jahre 1876 ließ sich noch auffinden.

*im Theaterjargon: Naive

Katharina Schratt

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