Читать книгу Die ganz Großen - Georg Markus - Страница 13

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Es muss in den frühen Sommertagen des Jahres 1978 gewesen sein, da läutete bei mir zu Hause das Telefon. Ich glaubte meinen Ohren nicht trauen zu können, als sich eine markante Stimme mit den Worten »Hier spricht Paul Hörbiger« meldete. Wäre der Anruf des Filmstars bei einem damals noch jungen und unbekannten Reporter nicht schon außergewöhnlich genug gewesen, so folgte die eigentliche Überraschung erst. Als er mich nämlich fragte, ob ich nicht mit ihm gemeinsam seine Memoiren schreiben wollte.

Paul Hörbiger. 84 war er damals und selbstverständlich längst eine Legende. Seit vielen Jahren hatten sich prominente Autoren und Verlage um die Veröffentlichung der Lebenserinnerungen eines der letzten lebenden Filmstars im deutschen Sprachraum bemüht. Und dieser große alte Mann rief jetzt ausgerechnet bei mir zu Hause an.

Natürlich gab es eine Vorgeschichte. Ein bekannter Verlag hatte einen noch bekannteren deutschen Schriftsteller als »Ghostwriter« für Paul Hörbigers Memoiren engagiert. Nach Jahrzehnten beharrlichen Schweigens zeigte sich der Liebling mehrerer Generationen endlich bereit, sein bewegtes Leben zu erzählen. Doch die Sache ging nicht gut aus. Dem bekannten Schriftsteller kann man vielleicht gar keinen Vorwurf machen: Paul Hörbiger war – wie ich bald erfahren sollte – sicher kein einfacher Partner für ein so schwieriges Projekt. Es gab immer wieder Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden, zum Bruch kam es aber erst, als der Autor dem Schauspieler die ersten Manuskriptseiten für das geplante Buch vorlegte.

Das Urbild des Wiener Charmeurs, die Inkarnation der vom Heurigen genial inspirierten Kaiser-Franz-Joseph-Girardi-Strauß-Schrammel-Walzerseligkeit, blätterte also in seinen Erinnerungen und musste da im Originalton – Zitat Paul Hörbiger – den nicht gerade wienerischen Satz »Das kommt nicht in die Tüte!« lesen.

»Des gibt’s net«, »Aber net mit mir«, »Das könnt’s doch net machen« – das wären wohl seine Worte gewesen. Doch mit einer Tüte hatte ein Paul Hörbiger nichts, aber auch schon gar nichts im Sinn.

Das Manuskriptfragment beiseite gelegt und den bekannten deutschen Schriftsteller um Verständnis gebeten, dass er unter diesen Umständen lieber gar keine Memoiren veröffentlichen würde, war eins.

Paul Hörbiger wollte durchaus sein Leben erzählen. Aber wem? Ein Wiener, das wusste er jetzt, sollte es sein, ein Deutscher kam sozusagen nicht mehr in die Tüte.

Ich hatte das eine oder andere Interview mit ihm geführt und mir dabei offensichtlich sein Vertrauen erworben. Und so kam es dann eines Tages zu dem erwähnten Anruf.

Das Jahr, in dem wir dann intensiv an dem Buch arbeiteten, wird für mich eines der großen Abenteuer meines Lebens bleiben. Unvergesslich, wie der alte Mann, der fast siebzig Jahre Theater- und Filmgeschichte geschrieben hatte, erzählen konnte.

Nein, erzählen ist der falsche Ausdruck. Er erzählte nicht, er spielte. Er war ein solcher Vollblutkomödiant, dass er mir jede Szene seines Lebens vorspielte, vorspielen musste. Ging es beispielsweise um den Mordanschlag, der auf ihn verübt wurde, dann hat er nicht einfach davon erzählt, wie jeder andere das tun würde, sondern er spielte mir das Attentat vor: den Täter, der auf ihn schoss, ebenso wie die geschockte Kronzeugin und sich selbst, das schwerverletzte Opfer. Und er war dabei nie ein Herr in den Achtzigern, sondern immer so jung wie damals, als es passierte.

Tatsächlich, auf den jungen, noch unbekannten Schauspieler Paul Hörbiger war ein Eifersuchtsattentat verübt worden. Das Kapitel »Mordanschlag auf Paul Hörbiger« schien mir freilich ein wenig zu sensationell, man kennt ja derartige »Enthüllungen« aus diversen Biografien. »Ohne Beweis wird uns das kein Mensch glauben«, stimmte er mir zu und befand: »Wir müssen in die Nationalbibliothek gehen.« Er erinnerte sich, dass es damals »in irgendeiner Zeitung« eine winzige Erwähnung des Attentats gegeben hätte.

Das war der Augenblick, da ich zum erstenmal das Handtuch werfen wollte. »In den zwanziger Jahren gab es in Österreich zahllose Zeitungen«, entgegnete ich, »wir wissen weder das Jahr noch den Titel des Blattes und sollen eine winzige Erwähnung finden?«

»Wir müssen sie finden«, sagte er in seiner bestimmenden Art.

Tagelang durchwühlten wir Berge alter Zeitungen. Und fanden im Neuen Wiener Journal vom 10. August 1921 den Artikel »Die treulose Naive – Liebesdrama zwischen Schauspielern«. Wenn Paul Hörbiger sich etwas vorgenommen hatte, dann zog er es durch. Präzise und kompromisslos.

Ähnlich aufregend ging’s dann weiter in seinem Leben – und auch in unserer Zusammenarbeit.

Paul Hörbiger, das ist ein Spiegel der Zeit- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, von der Monarchie über die Nazidiktatur bis zur Ära Kreisky. Vom Stummfilm- ins Fernsehzeitalter. Geboren 1894 in Budapest, weil sein Vater dort gerade mit der Planung einer U-Bahn für die ungarische Metropole beschäftigt war, wächst Paul als echte »Kaisermischung« in wohl behüteten, gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Da sind drei Brüder: Hanns und Alfred, die beiden älteren, und Attila, der jüngere. Vater Hanns Hörbiger ist ein erfindungsreicher Ingenieur, der es versteht, seine Patente in klingende Münze umzusetzen. Die Konstruktion eines revolutionären Ventils bringt der Familie Wohlstand. Berühmt wird Hanns Hörbiger jedoch als Begründer der »Welteislehre«, einer damals Aufsehen erregenden Theorie zur Entwicklungsgeschichte des Planetensystems.

Als Paul neun Jahre alt ist, übersiedelt er – ohne ein Wort Deutsch zu können – mit Eltern und Geschwistern nach Wien. Schon früh begeistert er sich, wie sein Bruder Attila, fürs Theater und den in den Kinderschuhen steckenden Stummfilm. Nach Ende des Ersten Weltkriegs, in dem er es zum Oberleutnant brachte, absolviert er ganze sieben Stunden einer Schauspielschule. »Einen geraden Satz sprechen zu können, erschien mir und meinen Klassenkollegen weniger bedeutsam als die Frage ›Was nimmst du für einen Künstlernamen?‹ Das war unser Hauptthema, darüber konnten wir stundenlang diskutieren.« Paul Hörbiger entscheidet sich für »Paul di Pauli«, bleibt später aber doch seinem wahren Namen treu.

Nach dem ersten Engagement im böhmischen Reichenberg wird er vom Theaterdirektor Leopold Kramer nach Prag geholt, der ihm bald »das Fach der guten Rollen«, wie Hörbiger sagte, zuwies.

Unter den vielen Schauspielern, die ich getroffen habe, gab’s keinen Zweiten, der auch nur annähernd so pointiert aus dem Vollen schöpfen konnte, wenn es darum ging, Theateranekdoten wiederzugeben. Und wie er sie erzählen konnte: »Als eine unserer nächsten Premieren am Deutschen Theater in Prag war Roda Rodas Feldherrnhügel angesetzt«, schilderte er einmal, »ich spielte den Korporal Koruga. Roda Roda kam persönlich ins Theater und meldete dem Portier: ›Ich möchte, bitte sehr, zu Herrn Direktor Kramer!‹

›Ich darf leider nicht stören, der Herr Direktor ist auf einer Probe von der Widerspenstigen Zähmung.‹

›Gehen Sie hin und sagen Sie ihm, der Autor ist da.‹

›Ah so, verzeihen Sie, Herr Shakespeare!‹ «

In einer Prager Hamlet-Aufführung tritt die junge Schauspielerin Josepha Gettke als Ophelia auf. Hörbiger verliebt sich Hals über Kopf in ›Pippa‹, wie sie von allen genannt wurde, und will sie heiraten.

Und dann das Attentat. »Pippa war in dem tschechischen Dorf Wisowitz auf Urlaub. Nach einem Gastspiel in Marienbad bin ich dort hingefahren, um sie zu besuchen. Wir saßen im Extrazimmer des Dorfgasthauses, als die Tür aufgerissen wurde. Ein Mann raste herein und zielte mit seiner Pistole auf uns.«

Paul Hörbiger breitet seine Arme schützend vor seiner Verlobten aus und ruft: »Auf mich können Sie schießen, aber tun Sie der Pippa nichts!« Der eifersüchtige Verehrer lässt sich jedoch nicht beirren. Drei Schüsse fallen. Der erste trifft Paul, nur wenige Millimeter unterhalb des Herzens, der zweite verfehlt die junge Frau. Dann richtet der Amokläufer die Waffe gegen sich selbst, drückt ab und bricht – nur leicht verletzt, wie sich später herausstellen sollte – zusammen.

Ein Arzt legt Paul Hörbiger auf eine Bahre und ruft den Schaulustigen zu: »Gehen Sie auf die Seite, damit er ruhig sterben kann!«

Tagelang schwebt er zwischen Leben und Tod. Hörbiger wird in das Wiener Sanatorium Hera gebracht, mehrmals operiert, ohne dass sich sein Zustand bessert. Der junge Schauspieler hat noch einen letzten Wunsch: Er will Pippa heiraten. Ein Priester kommt ins Spital. »Zuerst hat er mir die letzte Ölung gegeben, dann hat er uns getraut. Der Attila hat schwarze Lackschuhe mitgebracht, die ich anziehen sollte, aber ich hab ja gar nicht aufstehen können.«

Paul Hörbigers »Rossnatur« siegt. Fünf Monate nach dem Attentat kehrt er zurück nach Prag und feiert als Liliom einen Sensationserfolg. Bald werden die Direktoren anderer Bühnen auf den Star des Deutschen Theaters aufmerksam. Ein Agent unterbreitet ihm das Angebot, nach Frankfurt am Main zu wechseln, doch Hörbiger lehnt selbstbewusst ab: »Wenn ich jemals aus Prag weggehen sollte, dann gibt’s nur zwei Möglichkeiten. Entweder ans Burgtheater nach Wien oder zu Max Reinhardt nach Berlin. Was anderes kommt für mich nicht in Frage.«

»Ob du es glaubst oder nicht«, fuhr er fort, als er mir aus seinem Leben erzählte, »zwei Wochen später meldeten sich bei mir fast gleichzeitig die Direktion des Burgtheaters und das Büro von Max Reinhardt.«

Hörbiger entscheidet sich für Berlin, Europas damalige Unterhaltungsmetropole – und Bruder Attila tritt in Prag seine Nachfolge an. Paul wird in den »wilden« zwanziger Jahren schnell ein Liebling des Publikums und die Berliner nennen den unübertroffenen Interpreten des »Fiakerliedes« liebevoll »Fiaker-Paule«. Max Reinhardt ist es schließlich, der Paul einen entscheidenden Rat erteilt, den er sein Leben lang beherzigen sollte: »Herr Hörbiger, bemühen Sie sich nicht allzu sehr, hochdeutsch zu reden. Bleiben Sie beim Wiener Dialekt, das haben die Berliner gern.«

In Berlin kommen die ersten Stummfilmrollen auf das Naturtalent Paul Hörbiger zu, 1928 dreht er Spione unter der Regie von Fritz Lang. »So schwer wir es hatten, uns alles zu erarbeiten«, sagte Paula Wessely einmal zu mir – »dem Paul ist’s einfach zugeflogen.«

»Um besser extemporieren zu können, habe ich das Textbuch meistens nur schnell überflogen«, bestätigte er diese Aussage seiner Schwägerin. »Und kurz vor Drehbeginn habe ich mir die jeweilige Stelle im Buch schnell noch angeschaut, damit ich weiß, worum es geht. So passierte es, dass ich mitten unter den Dreharbeiten des Edgar-Wallace-Films Der Zinker den Regisseur Carl Lamac fragte: ›Entschuldige, wer ist in diesem Film eigentlich der Mörder?‹

Seine Antwort kam prompt: ›Na du, natürlich, du Depp!‹ «

Dreihundert Filme – und damit mehr als jeder andere deutschsprachige Schauspieler – hat er gedreht. Aber jetzt, als Paul Hörbiger im hohen Alter zurückblickte auf ein reiches Leben, da wollte er in erster Linie über seine Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg berichten und nicht so sehr von den Filmen und den schönen Partnerinnen, die mit ihm spielten. Fragte ich ihn über Marlene Dietrich oder Zarah Leander, dann winkte er schnell ab und kam einmal mehr auf die Schützengräben zu sprechen, in denen er liegen musste. »Millionen Männer waren im Krieg«, unterbrach ich ihn, wenn er wieder allzu ausführlich vom Kasernenleben in Möllersdorf berichtete, »aber eine Filmkarriere wie du hat sonst niemand gemacht. Darüber wollen die Menschen etwas erfahren.« Er indes kam neuerlich auf die Brussilow-Offensive oder die Schlachten am Isonzo zu sprechen und ich hatte rechte Mühe, ihn über Dreharbeiten mit Willi Forst, Hans Albers und Heinz Rühmann erzählen zu lassen. Er fand das alles nicht so bedeutsam wie den Zusammenbruch der alten Donaumonarchie, der geradewegs in die Katastrophe führte. Das war wohl auch das große Trauma seiner Generation, und deshalb ließ ihn das Thema nicht los. Irgendwie ist es uns dann aber doch gelungen, seinen Anteil an der Filmgeschichte aufzuarbeiten.

Die Nationalsozialisten kommen an die Macht, und Hörbiger empfindet die Situation in Berlin zunehmend als unerträglich. Er fällt mehrmals »unangenehm« auf, schützt seinen jüdischen Sekretär, verhilft ihm dann zur Flucht. Obwohl Hitler ihm bei einem Empfang mitteilte, er sei einer seiner Lieblingsschauspieler, wird Hörbiger zeitweise mit einem Drehverbot belegt. Als er 1940 auf Anweisung von Goebbels eine Rolle im Deutschen Theater nicht übernehmen darf, zieht er die Konsequenzen. Inzwischen geschieden, geht er mit seinen drei Kindern nach Wien und wird Mitglied des Burgtheaters.

Auch hier hat er immer wieder Probleme mit den Behörden. Schon nach seiner ersten Premiere – er spielt die Titelrolle in Der Franzl von Hermann Bahr – erteilt ihm der »Reichstheaterdramaturg« die Anweisung, das (verbotene) Wort Österreich in dem Stück wegzulassen. Hörbiger weigert sich und sagt jeden Abend, oft unter stürmischem Applaus, »Österreich«.

So geht es bis kurz vor dem Ende des Krieges weiter. Im Frühjahr 1979 fanden wir, während der Recherchen zu seinem Buch, im American Document Center in Berlin einen dicken »Paul-Hörbiger-Akt«, in dem sämtliche »Untaten« des aufmüpfigen Volksschauspielers penibel aufgelistet sind. Daraus geht auch hervor, dass er lange Zeit viel zu populär war, um ganz »aus dem Verkehr gezogen« zu werden.

Doch Hörbiger ging noch weiter, »zu weit« für die Machthaber. Nachdem er schon einmal in Prag vorübergehend festgenommen wurde, weil er dort das von den Nazis verbotene Lied »Pisnička Česka« gesungen hatte, wird er in Wien ein zweites Mal verhaftet. Der Grund: In den Räumen einer Widerstandsgruppe tauchte ein Scheck über 3000 Mark mit Paul Hörbigers Unterschrift auf.

»Am 20. Jänner 1945 kamen Gestapoleute in mein Hietzinger Haus, um mich abzuholen. Da hab ich plötzlich die Nerven verloren.« Hörbiger läuft ins Badezimmer, schneidet sich mit einer Rasierklinge die Pulsader der linken Hand auf. Nachdem ihm ein benachbarter Arzt erste Hilfe erteilt, wird der Schauspieler ins Gefangenenhaus abgeführt.

Ich habe mit ihm, als wir sein Leben dann auch für das Fernsehen verfilmten, die Zelle besucht, in der er bis Kriegsende gesessen ist. Wiener Landesgericht, E-Trakt, 4. Stock, Zelle 289. Paul standen die Tränen in den Augen, als er hier die Stunden seiner Todesängste nach 35 Jahren noch einmal Revue passieren ließ. »Da bin ich g’sessen, und es war furchtbar. Wir haben alle mit unserem Ende gerechnet, keiner konnte ernsthaft glauben, dass er da wieder lebend herauskommt. Dann brach auch noch Typhus aus, wir wurden kahl geschoren, und es hat entsetzlich gestunken. Viele meiner Zellennachbarn sind an der Epidemie elend zugrund gegangen.«

Seine Tochter erhielt in diesen Tagen die Nachricht, dass im »Feindsender« BBC eine Aufnahme von Pauls Fiakerlied gespielt und danach vom Sprecher gemeldet wurde: »Diese Stimme ist für immer verklungen, der beliebte Wiener Schauspieler Paul Hörbiger wurde heute Nacht im Wiener Landesgericht hingerichtet«.

Das war zwar ein wenig übertrieben, »aber meine Familie stand unter einem großen Schock, man hat mit dem Schlimmsten gerechnet«.

Am 5. April 1945 ist der Spuk vorbei. Als die Truppen der Alliierten näher rücken, werden die Gefangenen überraschend freigelassen. Paul Hörbiger ist der erste »Politische«, der durch das große Tor des Wiener Landesgerichts in Freiheit gelangt. Ihm folgen der spätere Bundeskanzler Leopold Figl und dreitausend weitere Häftlinge.

Paul Hörbiger hat sich nie als Held gesehen, er lehnte es ab, Widerstandskämpfer genannt zu werden – »dafür habe ich zu wenig geleistet. Ich habe nichts weiter getan, als meine Meinung gesagt. Was eine Diktatur wirklich ist, das habe ich, wie die meisten anderen, viel zu spät erkannt.«

Die Gespräche führten wir fast immer in seinem Haus in Wieselburg. Dass es in der Paul-Hörbiger-Gasse lag, war verständlich – die Gemeinde hatte ihren berühmtesten Sohn auf diese Weise geehrt –, dass das Gasthaus, in dem wir hin und wieder einkehrten, »Haus Moser« hieß, war hingegen reiner Zufall – der Wirt hieß wirklich so. Meist bereitete Paul Hörbiger, der leidenschaftlich gerne kochte, unser Mittagessen aber selbst zu. Am Nachmittag erzählte er dann weiter aus seinem Leben, während wir, begleitet von mindestens vier Hunden, über das kleine Grundstück hinüber zu seinen Glashäusern spazierten, in denen der begeisterte Hobbygärtner jede Menge Orchideen, Obst, Gemüse und Salate gepflanzt hatte.

Irgendwann fragte ich ihn, warum er sich denn ausgerechnet in dem kleinen Städtchen, hundert Kilometer westlich von Wien, angesiedelt hätte. Weder der Ort noch das schmucklose Haus in einer Arbeitersiedlung entsprachen den Vorstellungen des Publikums, wie ein Filmstar zu wohnen hat.

»Ja, das ist so eine Geschichte«, lachte er. »Ich hab’ einmal in der Gegend gedreht, da lud mich der Verwalter eines benachbarten Schlosses ein, ich könnte auf dem an der Erlauf gelegenen Gut jederzeit fischen. Es war ein Paradies für Petrijünger, und so kaufte ich das kleine Grundstück hier im nahen Wieselburg und baute das Haus drauf. Ein paarmal habe ich dann auf dem herrschaftlichen Gut den Fischereihimmel auf Erden erlebt. Aber das Glück hielt nicht lange an. Mein Sohn Thommy hatte damals ein Tanzlokal in der Wiener Innenstadt, in dem eines Abends ein Betrunkener randalierte. Thommy wies ihn aus dem Lokal. Was soll ich dir sagen – der Randalierer war ausgerechnet der Sohn des Verwalters vom Schloss. Seither sitz ich in Wieselburg, aber zum Fischen bin ich nicht mehr gekommen.«

Paul Hörbiger setzte seine Karriere nach dem Krieg fort. Spielte wieder am Burgtheater – von dem aus er jeden Abend per Bahn ins entlegene Wieselburg fuhr – drehte Filme, vor allem und am liebsten mit seinem kongenialen Partner Hans Moser, der, wie er sagte, »ein einmaliger Glücksfall für mich gewesen ist«. Hofrat Geiger, Hallo Dienstmann, Ober zahlen, Hallo Taxi … zeugen davon.

Zwei Volksschauspieler, die auch außerhalb des Studios der Typ Wiener waren, den sie im Film verkörperten. Moser blieb, auch als reicher und berühmter Mann, der raunzende Kleinbürger. Hörbiger war immer Lebemann. Und wie sie lebten, so sind sie auch gestorben. Moser, der Sparsame, als Millionär. Hörbiger, der Bonvivant, hatte die Gagen seiner Filme aufgebraucht. Er hatte, im wahrsten Sinne des Wortes, gelebt.

Es bereitete Paul Hörbiger sichtliches Vergnügen, in den vielen Gesprächen, die wir miteinander führten, einmal noch sein langes, reiches Leben Revue passieren zu lassen. Seine Töchter Christl und Monica sagten mir nach seinem Tod, das Erinnern und der anschließende Erfolg des Buches, das wir Ich hab’ für euch gespielt nannten, hätten ihm ein Jahr voller Freude geschenkt.

Als wir, wie erwähnt, seine Memoiren, nach Erscheinen des Buches, an den Stätten seiner Karriere verfilmten, fuhren wir auch nach Berlin, Reichenberg und Prag. Im Prager Restaurant Opera Grill hatten wir nach Drehschluss, beim Abendessen, ein berührendes Erlebnis. Wie so oft, wenn der große Mann mit dem schlohweißen Haar ein Lokal betrat, applaudierten die Gäste spontan. Der Pianist unterbrach seine Musik, spielte eine andere Melodie, und Hörbiger rannen plötzlich – wie auch damals schon, in seiner Zelle – dicke Tränen über beide Wangen. Als das Lied verklungen war, stand er auf und umarmte den Klavierspieler.

Was war geschehen? Der Musiker Arnos Vrana hat jenes tschechische Volkslied »Pisnička Česka« intoniert, das 1940 Anlass für Hörbigers Verhaftung durch die Gestapo gewesen war, nachdem es die Nazis verboten hatten. Und jetzt, vierzig Jahre später, spielte derselbe Pianist, als er Hörbiger erkannte, dieses Lied noch einmal. Und beide lagen einander weinend in den Armen.

Paul Hörbiger stand bis zuletzt auf der Bühne des Wiener Burgtheaters. Er starb am 5. März 1981 im Lainzer Krankenhaus in Wien. Wo ich ihn wenige Tage vor seinem Tod ein letztes Mal besucht hatte. Fast 87 Jahre alt und gezeichnet von der Schwäche seines Herzens, war er auch im Angesicht des Todes der Alte geblieben, hatte seinen Humor nicht verloren. Als ich ihm am Krankenbett erzählte, dass dem beliebten Schauspieler Alfred Böhm – seinem Nachbarn in Wieselburg – als Nächstem die Goldene Kamera überreicht würde, sagte Paul, dem sie vier Jahre zuvor verliehen worden war: »Jetzt ist Wieselburg die Stadt mit den meisten Goldenen Kameras pro Kopf der Bevölkerung.«

Mit den Worten »Ihr werdet’s net so lang um mich weinen, wie ihr über mich g’lacht habt’s«, ließ Paul Hörbiger seine Memoiren ausklingen. Wenn wir heute einen seiner Filme sehen, sind wir glücklich, über ihn lachen zu können. Und traurig, dass es ihn nicht mehr gibt.

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