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Grundlagen I. Einleitung: Wozu reden in Zeiten von WhatsApp und Twitter?

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Die Nachfrage nach gutem Reden und guten Rednern ist heute konstant hoch. Gute Kommunikation spielt in einer als zunehmend komplizierter empfundenen sozialen und technischen Umwelt sowohl in Wirtschaft, Gesellschaft und natürlich auch Politik eine unveränderte große Rolle. Durchaus seriöse Schätzungen gehen alleine bei den sogenannten „Keynote-speaker“-Reden in Deutschland von einem Marktvolumen in Höhe von 400 Millionen Euro aus – pro Jahr! (Vgl. www.keynotespeakers.eu unter Bezugnahme auf den bekannten Redner, Autor und Trainer Hermann Scherer.) Ich muss gestehen: Wäre ich nicht Professor, könnte ich wohl auch als Rhetorik-Trainer meinen Lebensunterhalt durchaus passabel verdienen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass viele Studierende ihre Chance auf rhetorische Ausbildung an der Hochschule nicht nutzen. Einige durchaus repräsentative Erfahrungsdaten von meinen bisherigen Hochschulen belegen, dass die Rhetorik als Lerndisziplin von vielen so lange unterschätzt wird, bis sie selbst in der Erfolgsfalle sitzen, eine Rede halten zu müssen: Obwohl fast alle Hochschulen Rhetorik-Seminare anbieten, liegt der Anteil der Studierenden, die ein solches Seminar belegen, bei maximal 5 bis 8 Prozent eines Studienjahrgangs. Das heißt, dass sich über 90 Prozent potenzieller künftiger Führungskräfte und Politiker, Manager und Forscher, aber auch Lehrer, Sozialarbeiter, Journalisten und Marketingfachleute während ihrer zentralen akademischen Ausbildung an der Hochschule nicht mit diesem Thema vertieft beschäftigen (wollen), vom Rest der deutschen, ach so hochentwickelten Zivilgesellschaft ganz zu schweigen.

Erfahrungsgemäß stellen sich im Berufsleben dann für viele der „Nicht-Rhetoriker“ die typischen Notlagen ein, in denen sie spüren, gerade in einer Redesituation weit unter den persönlichen Selbsterwartungen zu bleiben. Bereits bei Studierenden sind rednerische Defizite für jeden Prüfer ein Anlass, in Zweifelsfällen kritischer zu bewerten; dies sehen die meisten akkreditierten Prüfungsordnungen durchweg vor. Im beruflichen und gesellschaftlichen Alltag trennt sich nicht selten bei der Berufung zu Führungs- und Verantwortungspositionen die Spreu vom Weizen, wenn es darum geht, ob ein Kandidat gut reden, auftreten und präsentieren kann. In vielen Segmenten in Handel und Industrie bleibt das Kundengespräch der zentrale Point of Sale, egal ob für das Dax-Unternehmen oder den Existenzgründer. Und wer als Klassenlehrer einen Elternabend unbeschadet überstehen will, wird dankbar auf sein rhetorisches Rüstzeug zurückgreifen.

Beispiele: Wo ist gutes Reden heute notwendig?

 PersonalführungMitarbeiter motivieren: für neue Projekte begeistern – Krisensituationen meisternMitarbeiter integrieren, lenken und auch das Controlling gewährleisten

 Mit Mitarbeitern verhandeln: von der Gehaltsverhandlung über die Abmahnung bis zur Betriebsvereinbarung und den TarifvertragAls Mitarbeiter verhandeln, einen Redebeitrag bei einer Projektdiskussion einbringen, sich bei einer Betriebsversammlung positiv durch einen Diskussionsbeitrag präsentierenWissenschaftliche TätigkeitenErfolgreich präsentieren: von der Keynote Speech eines Professors bis zum Referat eines BachelorstudentenGut und wirkungsvoll argumentieren im wissenschaftlichen Seminar, einem Planspiel oder einer FallstudieMotivieren – in vielen Situationen hängt der nächste Pitch für ein wissenschaftliches Projekt von der exzellenten Vorstellung eines Projektes ab

 MarketingÜberzeugen im Kundengespräch: gezielt und interessenkonform informieren, den Kunden geschickt überzeugen, unmittelbar zur Kaufentscheidung motivieren

 ÖffentlichkeitsarbeitStatements zu Firmendaten und Unternehmensereignissen sowie InnovationenKrisenmanagementPodiumsdiskussionen und Interviews

 GesellschaftslebenFeiern im „circle of life“: Taufe, Geburtstag (von eins bis zum hohen „runden“), Konfirmation/ Erstkommunion, Hochzeit, TodesfälleAnlässe im „circle of the year“: Weihnachtsfeiern, Mutter- und Vatertag, JahreswechselVeranstaltungen im Vereinsleben: Jahreshauptversammlungen, Vereinsjubiläen, Festreden

Gutes Reden ist ein unverzichtbares Instrument für das moderne Management, die Politik, die Wissenschaft und das Gesellschaftsleben

Gleichwohl: Die Rhetorik als „Kunst gut zu reden“ (lat. ars bene dicendi) halten viele Zeitgenossen auch und gerade im deutschsprachigen Raum nach wie vor für sehr verdächtig, seitdem auch zwei Titanen der deutschen Geisteswissenschaft sie als eher minderwertig eingestuft haben: Immanuel Kant und Johann Wolfgang von Goethe. So schimpft etwa Kant: „Rednerkunst ist, als Kunst sich der Schwächen der Menschen zu seinen Absichten zu bedienen (diese mögen immer so gut gemeint, oder auch wirklich gut sein, als sie wollen) gar keiner Achtung würdig“ (Kant, Kritik der Urteilskraft, 1790). Und Goethe äußert sich in „Maximen und Reflexionen“ (Nr. 1251) vergleichbar abschätzig: „Die Redekunst ist angewiesen auf alle Vorteile der Poesie, auf alle ihre Rechte; sie bemächtigt sich derselben und missbraucht sie, um gewisse äußere, sittliche oder unsittliche, augenblickliche Vorteile im bürgerlichen Leben zu erreichen“ (vgl. Schlüter, Grundkurs, S. 9f., eingehend Kramer, Goethe und die Rhetorik). Der fürchterliche Missbrauch, den die Rhetorik im Nationalsozialismus in Deutschland und vielen anderen totalitären Staatssystemen des 20. Jahrhunderts erlitten hat, lieferte einen weiteren Beitrag dazu, sie zu diskreditieren. So muss man sich auch nicht wundern, dass die Redekunst in den Lehrplänen der deutschen Schulen seit Generationen ein Schattendasein führt.

Dies ändert aber nichts an der objektiven Notwendigkeit der Rhetorik für die Kommunikation einer modernen Gesellschaft in allen Bereichen. Ein guter Beleg sind die Manöverkritiken zum Medienverhalten der beiden Kanzlerkandidaten im Bundestagswahlkampf 2017 in Deutschland (vgl. SZ vom 4.9.2017, „Duell versemmelt“). Auch die Schlammschlachten in den sozialen Medien während des Wahlkampfs zum österreichischen Nationalparlament 2017 zeigen, wie wichtig rhetorische Analysen und eine gute rhetorische Praxis wären. Es gibt aber offensichtlich noch vieles, was richtigzustellen ist. Der fundamentale Irrtum, dem etwa Kant erlag, war auf sein damaliges Unvermögen zurückzuführen, die Rhetorik als wissenschaftlich fundiertes Instrumentarium überhaupt begreifen zu können (vgl. zu den Nachweisen Plett, Systematische Rhetorik, S. 248ff.). Die moderne Psychologie, die sogenannte Verhaltensökonomie und die Neurobiologie haben mit ihren Erkenntnissen dazu beigetragen, dass unser Verständnis von Rhetorik komplett neu zu bewerten ist. Dies gilt für die Performance von Reden in allen Medien, vom klassischen Podium bis hin zum selbstproduzierten Redebeitrag in Youtube (vgl. dazu die wirklich sehenswerten Beiträge des ehemaligen kalifornischen Gouverneurs Arnold Schwarzenegger gegen Präsident Donald Trump, z.B. Message on Charlottesville violence).

Die Rhetorik-Matrix

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