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1. Zwei Sinnes- und Aktionssysteme

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Das Reden ist ein psychisch-physischer Vorgang, der zwei Sinnes- und Aktionssysteme beim Redner/Sender und zwei Sinnes- und Aktionssysteme beim Zuschauer/Rezipienten aktiviert. Diese zwei Sinnes- und Aktionssysteme produzieren zum einen (natürlich) den bewussten Sprechvorgang. Hinzu treten aber eine Fülle von Aktivitäten der unbewussten Verarbeitung von rhetorisch relevanten Aktionen und Signalen. Die revolutionäre Erkenntnis der Neurobiologie war, dass das Ausmaß der unbewussten Verarbeitung von Eindrücken und die Generierung von Erkenntnissen daraus den Umfang der bewussten Gedankenarbeit um ein Vielfaches übersteigen. Dies kann mithilfe von Scans der Denkprozesse in modernen MRTs gemessen werden (vgl. Eagleman, Inkognito, S. 57ff., S. 59ff.; ders., The Brain, S. 45ff.). Dieser Prozess der „verkörperlichten Kognition“ („Embodied Cognition“) im Unterbewusstsein ist der eigentliche Kernmechanismus (vgl. Wehling, S. 21f.) für das Denken und Sprechen. Unterbewusstsein und Bewusstsein widmen sich parallel dem Ziel, eine Rede zu produzieren und den Redner ganzheitlich diese Aufgabe bewältigen zu lassen.

Der Redner nutzt also nicht nur bewusst seine Stimme – er ist auch ganzheitlich darauf eingestellt, zu reden, gesehen und gehört zu werden. Sein nonverbales Körperverhalten – also die Gesamtheit der körperbezogenen Transaktionen als Oberbegriff zur Körpersprache – ist daher automatisch – und zumeist unbewusst – überdurchschnittlich aktiviert. Es gibt eine wesentliche rhetorische Sondersituation, in der ein Redner diesen Zustand buchstäblich am eigenen Leib erfährt: Es ist die Situation, in der er subjektiv glaubt oder fürchtet, seine Rede gehe schief – also die Empfindung des Lampenfiebers. Kurt Tucholsky hat diese Empfindung in einem berühmten Zitat in treffende Worte gefasst: „Ein Podium ist eine unbarmherzige Sache – da steht der Mensch nackter als im Sonnenbad“ (Tucholsky, Ratschläge für einen guten Redner, abgedruckt in Lay, S. 257).

Den zwei Sinnes- und Aktionssystemen des Redners entsprechen die beiden Sinnes- und Aktionssysteme des Rezipienten/Zuschauers: Er hört und sieht dem Redner bewusst zu und analysiert und reflektiert den Gesamteindruck in seinem Denken. Aber auch beim Rezipienten werden die meisten empfangenen Reize unbewusst verarbeitet: Die menschliche Erzeugung von Wirklichkeit ist weit überwiegend eine Denkleistung des Unterbewusstseins (Eagleman, The Brain, S. 45ff.). Durch den Mechanismus der sogenannten Spiegelneutronen findet eine überwiegend unbewusste kognitive Simulation statt, die von Elisabeth Wehling so treffend beschrieben wird: „Wir begreifen, was einer sagt, indem unser Gehirn so tut, als würden wir selbst es sagen“ (Wehling, S. 23).

Klassisches Beispiel dafür ist die berühmte Untersuchung zu der Frage, welche Eindrücke wesentlich für die Einschätzung eines Redners sind: Ist es der bewusst aufgenommene Inhalt des gesprochenen Wortes? Oder sind es vielmehr die Faktoren Stimme und Mimik sowie das Aussehen? Wir wissen mittlerweile eines sicher, auch wenn die Untersuchungen hierzu im Einzelnen unterschiedliche Prozentsätze gebracht haben: Unser Zuhörer-Eindruck wird zu einem wesentlichen Anteil durch die nonverbalen Faktoren beeinflusst, sicher zu mehr als 50 Prozent. Der Anteil des bewusst wahrgenommenen Inhalts unserer Rede hat in Studien selten mehr als 25 Prozent erreicht. Moderne Neurolinguisten und Verhaltenspsychologen gehen aufgrund ihrer Forschungen sogar so weit, dass sie dem bewussten Denken nur 2 Prozent der gesamten Denkleistung zubilligen (vgl. Wehling, S. 48ff. mit weiteren Nachweisen). Eine wirkungsvolle Präsentation der nonverbalen „Show“ für unseren Redeinhalt ist daher ausschlaggebend für den Erfolg als Redner.

Die Rhetorik-Matrix

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