Читать книгу Der Scharfrichter von Rothenburg - Georg Scheurlin - Страница 4

Einleitung.

Оглавление

Der Blick auf irgendein bedeutsames Blatt einer der Chroniken unserer deutschen Städte gleicht in seiner märchenhaften Wirkung oft der träumerischen Einkehr in unsere eigenen, wundersamen Jugend-Erinnerungen. Da wie dort treffen wir meist auf den Boden kindlich inniger und hinwiederum tiefernster Anschauungen, oft derb und Ungestüm in ihrer ungebrochenen Erscheinung, immer aber urkräftig und kerngesund an ihrer treibenden Wurzel. Wie tief bedauernd wir daher nicht selten in jenen schauerreichen Gedenkbüchern des deutschen Mittelalters, besonders aber des verheerendsten aller Religionskriege blättern: gleichwohl geschieht es mit dem Gefühle, dass auch jene trübe, ja schreckliche Zeit ihre notwendige Bestimmung erfüllt und uns mit dem Blute von hundert Schlachten und den Rauchsäulen von tausend Brandstätten die religiöse wie bürgerliche Freiheit erkämpft hat. So lässt sie nun den grauenvollen Zauber ihrer Charaktere und Erscheinungen umso mächtiger auf die Gegenwart wirken, je seltener diese jetzt noch ein großes ideales Element zur Geburt bringt, je mehr sie ins Ungemessene hinausstrebt und alle Höhen und Tiefen unserer Geschichte auf das Niveau der materiellen Interessen zu verflachen trachtet. In unbewusst großer, oft rauer und ungefüger Kraft schritten dortmals die Helden des Jahrhunderts über die Weltbühne, ihre Schatten zum Teil noch in den Vordergrund der Gegenwart werfend. Die Stimme des Wittenberger Doktors hatte Deutschland aus seiner kindlich naiven Selbstbeschauung aufgeschreckt und in das Bewusstsein seiner geistigen Reife sowie zur Prüfung seiner spirituellen Waffen gerufen. Die Frucht vom Baum der Erkenntnis war gepflückt; aber der Herr antwortete mit den Donnern eines dreißigjährigen Krieges und lagerte fortan den Engel mit dem Flammenschwerte zwischen Deutschland und das Eden seiner Kindheit. In schwachen und schwächeren Bebungen verhallten allmälig die Nachklänge väterlicher Art und Weise und lassen uns nur noch in geschichtlichen Überlieferungen oder bedeutungsvollen Sagen die Erinnerung jener Zeit zurück.

Auch die nachfolgende Erzählung versucht es, eines der Bilder aus jenem sturmbewegten Jahrhundert zu sinniger Beschauung einzurahmen. Der Leser findet den Schauplatz der Begebenheit in dem Theile des bayerischen Frankenlandes, welcher einem seiner kleineren aber höchst anmutigen Gewässer — der Tauber — den Ursprung gibt. Bald zwar verlässt sie dort ihre mütterliche Heimat, um dem benachbarten Württemberg zuzueilen; aber als könne der dankbare Fluss nicht ohne die zärtlichsten Erinnerungen von der trauten Stelle scheiden, so schlingt er noch seine Silberarme in den lieblichsten Windungen um den heimischen Boden und schmückt hier sein enges Rinnsal noch mit all der Anmut, all den Reizen, die nur immer innerhalb eines Tales sich zusammendrängen ließen, dessen obere Ränder sich über dem Bette des Gewässers fast die Arme reichen.

In der Tat wird nicht leicht eine Gegend des mittleren Deutschlands auf so kleinem Raume einen so lieblichen Wechsel von Berg- und Hügelland, von lachenden Ebenen und reizenden Talgewinden bieten, als dieser Fleck Erde, den die Natur zugleich mit allem Reichtum der Vegetation in Gärten, Feld und Wald gesegnet hat. Während dort über die weithin gedehnte Ebene der Blick durch üppige Fluren nach den Höhen schweift, welche der Steigerwald und die fränkische Höhe näher oder ferner an den Taubergrund heranlegen, und unter denen der Lug ins Land, der Franken- und hohe Landsberg ihre blaugrünen Häupter erheben, versenkt sich hier das Auge in einen schlangenhaft gewundenen Taleinschnitt voll Weingärten, lieblicher Wiesenflächen, dichter Gehege und Baumgruppen, freundlicher Dörfer, Mühlen und Gehöfte, nach welchen die tiefeingeschnittenen Talwände teils in kühnen, schroffen Felsenwürfen, teils in sanften, grünbestreuten Bogen sich hinabsenken. All diese Bilder ziehen an dem Wanderer vorüber, als töne ihm eine innerliche, sonst unhörbare Musik, oder als belausche er den Traum eines schlafenden Engels, oder er beträte das trauliche Brautgemach der jungfräulichen Natur, darin sie ihr sinniges Busengeschmeide zu sinniger Beschauung niedergelegt hat.

Hoch über diesem Talboden, zum Teil hart an den jählings abfallenden Felsenhalden erhebt sich im Schmuck zahlreicher Kirchen und ehrwürdiger Baudenkmale, sowie unter dem Schutze tiefer Gräben, mächtiger Mauern, stolzer Türme und gewaltiger Basteien eine Stadt, von deren bemoosten Zinnen herab die Schatten vergangener Jahrhunderte beredten Schweigens zu uns sprechen und uns erzählen von alter Herrlichkeit, Macht und Würde, von Zeiten und Geschlechtern, nach denen die Gegenwart nur mehr mit traumhafter Verwunderung zurückschaut.

Rothenburg’s Geschichte — der freundliche Leser hat diesen Namen längst erwartet — ist abgeschlossen; die ehemalige Reichsstadt „ob der Tauber“ zehrt heutigen Tages nur noch von ihren Erinnerungen. Einst aber schritten über diese stillen, friedlich begrasten Straßen und Plätze mächtige Grafengeschlechter; Kaiser und Könige des heiligen deutschen Reichs betteten hier — gern verweilend —- ihre Häupter und verliehen der Stadt edle Rechte und Freiheiten, und eine ehrbare Bürgerschaft entfaltete unter schirmenden Privilegien, eine Reihe von Jahrhunderten hindurch, den ganzen Stolz und das Selbstgefühl reichsfreier Würde. -- Inmitten der sich ewig verjüngenden Natur, umrauscht von den lauten, drängenden Stimmen einer hastenden Zeit liegt die ehrwürdige Stadt noch immer da wie der versteinerte Gedanke eines ihrer alten Senatoren, wie das verzauberte Schloss eines Elfenfürsten; die Gegenwart mit ihren ungestümen Weckungen und Mahnungen lagert vergeblich vor diesen mächtigen Gräben, Doppelmauern, Türmen und Basteien: — der greise Torwächter rührt die verrosteten Schlüssel noch immer nicht zum willfährigen Einlass, die alte Reichsstadt will nichts von Übergabe wissen.

Nirgends wohl ist tiefer und unverwischbarer als hier jenes Gefühl selbstgenügender Geltung in das Fleisch der Bürgerschaft gedrungen und schwerlich auch lebt in einer andern der vormaligen deutschen Reichsstädte die Geschichte ihrer Vergangenheit so verkörpert im Volksbewusstsein, in Mären und Sagen fort. Fast jedes dieser altersgrauen „Herrenhäuser“ bewahrt seine historischen Erinnerungen, Gedächtnisschriften, oder sonst eine Reliquie aus der Väter Zeit; das Kind lernt plaudernd die Namen der vormaligen Machthaber und Gesetzgeber seiner Vaterstadt und betrachtet sich täglich auf seinem Schulwege deren steinerne Chronik, ihr stattliches berühmtes Rathaus. —

Der Scharfrichter von Rothenburg

Подняться наверх