Читать книгу Der Scharfrichter von Rothenburg - Georg Scheurlin - Страница 7

Drittes Kapitel: Nachtstück.

Оглавление

Das Rathaus der alten Reichsstadt enthält noch in seinen unterirdischen Räumen jene dunklen, geheimnisvollen Gänge, jene dumpfen, modrigen, vom Tageslicht nie begrüßten Winkel und Verstecke, die wohl in keiner dieser stolzen Burgen fehlen, und welche aus den ersten Ritterromanen her, die wir verstohlen vor den Augen unsrer Jugendwächter lasen, noch in ihrer ganzen Schreckhaftigkeit vor unsrer Phantasie stehen. — Diese tiefen, todesschaurigen Zellen, darin einst die gepriesene gute alte Zeit nicht bloß ihre Verbrecher, sondern auch manche verkannte Tugend auf immer dem Licht und dem Leben entzog, waren nicht minder furchtbar als die Verließe eines gefürchteten Raubschlosses. Nur wenigen Eingeweihten öffneten sich zum freien Zugang diese verschlungnen Höhlen mit ihren schweren, keuchenden Türen, mit den unförmlichen, kreischenden Schlössern und klirrenden Bändern und Riegeln; denn außer dem Kastellan führten nur der regierende Bürgermeister und der als Richter fungierende Senator, die Schlüssel in die Schauer dieser Unterwelt.

Nacht und Stille lagen über diesen langen, schaurigen Gängen und Kammern. Der Wächter des Rathausturmes hatte den letzten Schlag auf seine Glocke getan, aber keiner ihrer einförmigen Klänge drang in diese Tiefen, höchstens der grelle Ruf der Nachtwache rang sich, einem scharfen Ohr vernehmbar, in mattem Nachhall durch die massenhaften Wände und Mauern. Diese schwachen, erstorbenen Laute einer menschlichen Stimme oder das dumpfe Gerassel der über ihren Häuptern hinpolternden Wagen waren die einzigen Zeichen, woran die unterirdischen Bewohner Tag und Nacht erkannten; denn so unzugänglich waren die letzten Kettchen allem äußern Lichte, dass auch nicht der leiseste Tagesschimmer sich durch ihre Laien zu stehlen vermochte.

Um diese Stunde geschah es, dass eine ungewohnte Erscheinung die Todesstille dieser Räume unterbrach. Zwei Männergestalten, der Eine ein Sechziger, mürrischen Ansehens, im grauen, pelzgefütterten Flaus, ein schweres Schlüsselbund in der Rechten, in der Linken aber eine große plumpe Laterne so weit sein Arm reichte vor sich her tragend, — der Andre ein höherer Zwanziger, in einen dunklen Mantel gehüllt, unter welchem eine Blendlaterne zuweilen ein flüchtiges Streiflicht hervorwarf, stiegen leis und vorsichtig als scheuten sie verräterisches Geräusch, die Treppe hinab, welche in den Unterbau des alten Rathauses führte. Ein langer Gang, an dessen Seiten sich die Türen des städtischen Archivs hinzogen, nahm sie auf. Die beiden nächtlichen Gäste schritten schweigend vorüber. Das Ziel ihrer Wanderung lag noch bei weitem tiefer. Sie hielten jetzt am Ende des Ganges; jeder Ausweg schien verschlossen. Da blickte sich der Alte, nach einer schmalen Ritze spähend, die sich, einem fremden Auge kaum bemerkbar, am Boden zeigte. Ein Druck seiner kundigen Hand und die starke Diele erhob sich. Sein Schlüsselbund klirrte an einer eisenfesten Falltür. Auch diese tat sich auf, und die Männer gelangten, noch immer wortlos, auf einer sehr steilen Treppe in ein tieferes, ziemlich geräumiges Gemach. Eine breite Folterbank mit Schraubenstöcken, spanischen Stiefeln, gespickten Hasen, Brandeisen und ähnlichen Weckern verschlossener Herzen zeigten deutlich die Bestimmung dieses Ortes. „Hier, Kastellan“ — unterbrach der jüngere der beiden Männer zum ersten Mal das Schweigen — „hier lass uns einen Augenblick halten.“ —

Stumm gehorchend stellte der Alte seine Laterne auf den Boden, indem er aufmerksamen Blicks das Vorhaben seines Begleiters verfolgte, dessen forschende Augen erst an den Wänden, dann aber an der Marterbank umherschweiften, bis sie an einer Stelle des Bodens haften blieben, wo um ein großes Kohlenbecken, wie als wären sie erst vor Kurzem gebraucht worden, die sinnreichsten Mordwerkzeuge herlagen. Der junge Mann griff nach einem Instrument, das halb einer Zange, halb einer gezahnten Schere glich und neben seinem Gebrauch als Brandeisen zugleich als furchtbares Schreckmittel auch in ungeglühtem Zustande dienen konnte; — er verbarg es unter seinem Mantel.

„Wozu das, Herr Ratsschreiber?“ — brummte der Kastellan. „Ihr tut gegen unsere Verabredung. Ich weiß ohnedem nicht, ob ich’s verantworten kann, dass ich euch —

„Ruhig, alter Murrkopf!“ — war die Antwort. „Du handelst in deinem Amt, wie ich in dem meinen; und wenn ich dich angegangen habe, mir zu dieser Stunde das Gefängnis jener Verbrecherin zu öffnen, so geschah es, weil ich nur so hoffen darf, den Schleier völlig zu lüften, der noch über der Geschichte dieser Wahnsinnigen schwebt. Zweifle nicht, dass damit meinem Oheim, dem Reichsrichter, ein wichtiger Dienst geleistet wird, und dass ich“ — fügte er vertraulichen Tons hinzu — „und dass ich deine Verschwiegenheit zu lohnen wissen werde.“ — „Nichts davon, Herr Ratsschreiber;“ — murrte der Kerkermeister — Ihr seid des hohen Blutgerichts Schriftführer und kommt im Namen der Gerechtigkeit, deshalb schloss ich euch diese Pforten auf. Sprecht ihr mir dagegen von Lohn, so müsste ich Schlimmes von eurer Sache halten und Bedenken tragen, euch weiter zu führen. Wozu also dies Mordeisen, Herr Ratsschreiber?“ Markhart, von dieser Anrede so überrascht als beschämt, bemeisterte glücklich einen Anflug giftigen Zorns, und — wohl merkend, dass er dem ehrlich derben Kastellan gegenüber nur als Beisitzer des hohen Rats imponieren konnte — erwiderte er mit empor geworfenem Kopf und strenger Miene: „Verlangst du, dass ich vor einer Rasenden waffenlos erscheine? Bedarf es noch des besondern Versicherns, dass ich von diesem Eisen nicht anders denn nur zu meiner Verteidigung Gebrauch machen werde?“ — Der greise Schließer, von diesen möglichst nachdrucksvoll gesprochenen — Worten weit mehr beruhigt, als durch die vorige geschmeidige Manier des Ratsschreibers, brummte etwas Unverständliches in den Bart und griff wieder nach seiner Laterne. Abermals empfing die beiden Männer ein dumpfer, feuchter Gang, so eng und niedrig, dass sie nur hinter einander und gebückt fortschreiten konnten. Kalter, moderiger Hauch strömte aus den erdigen Wänden, die fast die Wangen des Schreibers streiften. Die grabesfeuchte Luft, die todesleise Stille einer solchen Tiefe belasteten die Seele des jungen Mannes mit einem Gefühl von Furcht und Entsetzen, mit den Schauern eines lebendig Begrabenseins. Sein Atem stockte, er suchte nach Entschlossenheit und Mut, und gleich einem sich fürchtenden Kinde, das wenigstens halb beruhigt ist, wenn es sich selbst hört, sprach er gleichgültige Dinge vor sich hin. Der Alte gab ihm keine Antwort; er hatte soeben noch eine schwer verriegelte Pforte geöffnet, und der Schreiber befand sich abermals in einem größern, jedoch völlig leeren Raum, dem Vorplatz der tiefsten Gefängniszellen. Ein frischer Luftzug, durch eine lange Röhre von der Straße herab in diese Öde dringend, hob seine beklemmte Brust; er fühlte sich von einer pressenden Angst befreit. An den Wänden umher zeigten sich einige durch Schlösser, Bänder und Stangen verwahrte Türen.

„Welche?“ — fragte Markhart.

Ein jammerndes Stöhnen, von Kettengerassel begleitet, ächzte aus der mittleren dieser Grabespforten.

„Öffnet und harret hier meiner Rückkehr!“ — befahl der Vorige.

„Wohl! Aber macht es kurz!“ — erwiderte der Alte. Die mächtigen Riegel wichen; jene erste und noch eine zweite Türe knarrten in ihren Angeln. Der Ratsschreiber schmiegte sich gebückt durch den niedrigen, schmalen Eingang. Er fühlte seine Knie zittern, seine Brust gegen lastende Erinnerungen der Vergangenheit und entsetzliche Bilder der Gegenwart kämpfen. Mit einem zaghaft kecken Schritte trat er das letzte Pochen des ungeschickten Mahners nieder und — stand vor seinem elenden Opfer. —

Der Scharfrichter von Rothenburg

Подняться наверх