Читать книгу Der Scharfrichter von Rothenburg - Georg Scheurlin - Страница 6

Zweites Kapitel: Vater und Sohn.

Оглавление

Der Saal begann sich allmälig zu leeren. Nur aus seiner dämmerig erleuchteten Tiefe tauchten noch zwei dunkle Gestalten in den Vordergrund auf. Ein ziemlich weiter Raum hatte sie bisher von den übrigen Bürgern getrennt; es« schien, als ob eine gewisse Absichtlichkeit, eine unheimliche Scheu sie in diese Zurückgezogenheit gebannt hätte. Die beiden Männer, dem Alter und den Verhältnissen nach — Vater und Sohn, glichen sich in Farbe und Schnitt ihrer Tracht. Ein dunkelgrünes Gewand von eigentümlichem Zuschnitt, an den Oberschenkeln wie an den Ärmeln rot ausgebauscht, lag eng anschließend um die runden, schwellenden Formen des jüngern, in weiterer, bequemerer Umkleidung aber um die Glieder des älteren Mannes.

Dieser Farbe und einer Waffe nach, die hirschfängerartig an der Seite des Alten hing, möchte man die Beiden für Försterleute angesehen haben, wenn nicht die scharlachrote Verbrämung ihrer Gewänder an Schlitzen und Enden eine andere dunklere Deutung aufgedrungen hätte.

Tiefen schweigsamen Ernst in den Zügen, war bisher der Alte dagestanden; — eine eigentümliche, fast ehrwürdige Gestalt. Die kahle Rinne seines Scheitels und das schimmernde Grau der dünnen Locken an Schläfen und Hinterhaupt, während noch volles glänzendes Schwarz um Kinn und Mund wucherte, ließen einen mittlern Sechziger vermuten, das warme sonnige Abendroth seiner Wangen bekundete Gesundheit und Zufriedenheit. Es war ein männlich schöner Greis. Die Ruhe seiner grauen Augen, die Unbeweglichkeit der geheimnisvollen Linien und Furchen auf der edel gehobenen Stirne, die Kälte dieser Lippen, welche ein kohlschwarzer Bart umschattete, möchten eine völlige Teilnahmslosigkeit an dem, was um die Beiden her vorging, verraten haben, hätte nicht der sanfte Druck, mit dem er die Hand seines jüngeren Gefährten erfasste, so oft dieser eine unruhige Bewegung zeigte, den schärferm Beobachter überzeugen müssen, dass nur die Oberfläche dieses Gemüts in überwachter Ruhe lag, während seine Tiefe in lebendig wogenden Wellen ging.

Stumm wie der Alte stand auch der Jüngling da; aber weit beredsamer wie bei jenem sprachen aus den Bebungen seiner Gesichtsmuskeln, aus der wechselnden Farbe seines Antlitzes und aus dem bald auflodernden, bald verglimmenden Feuer seiner Blicke die krampfhaften Bewegungen seiner Seele. Vielleicht zwei oder drei und zwanzig Jahre alt und bereits über das mittlere Maß der Mannsgröße hinaus — durfte man seinen Wuchs für abgeschlossen halten; die runden, kernigen Glieder schienen aber dafür in noch größere Fülle treten zu wollen. Die bereits ausgebildeten körperlichen Anlagen versprachen an ihm dereinst eine männliche Schönheit der edlern Art. Seine dichten braunen Locken waren aus dem Gesichte weg nach dem Hinterhaupte zu gestrichen, so dass die hohe kühne Stirn sich in ihrer ganzen freien Wölbung öffnen konnte. In unendlicher Weichheit bogen sich die trotzig süßen Brauen um die dunkelbraunen Augen, aus denen, wenn er sie forschend über die Versammlung hinwarf, auf flüchtige Augenblicke die Flammen eines herausfordenden Mutes, die Blitze einer entschlossenen Seele leuchteten, während wieder in andern Momenten ein träumerisches Halblicht, wie ein fliehender Mondstrahl über die dunkeln Rubinen streifte.

Derselbe kecke, sichere Zug, wie um seine Stirne, spielte auch um die sein gerundete Nase, dem einzigen Teil dieses männlich schönen Antlitzes, an welchem vielleicht die Mutter Natur um einige Linien hätte sparen dürfen. Die bräunlich geröteten Wangen, in Jünglingsfrische glühend, verrieten nur erst einigen Ansatz zu dereinstiger größerer Fülle; den unteren Teil derselben, so wie das Kinn umkräuselten kleingeringelte Locken, die nicht ohne Sorgfalt gepflegt zu sein schienen.

In vollendeter Ebenmäßigkeit und Lieblichkeit zeichneten mitten in dies Labyrinth von Ringeln und Löckchen die heitern Lippen ihre schwellenden Rosenlinien. Hier abermals derselbe schwärmerische und zugleich kecke Zug, wie um Stirn und Wimpern, nur dass in diesen Augenblicken eine bittere Bewegung, die man fast als stillen Hohn oder dunkle Lebensverachtung deuten konnte, um dieselben zuckte. Woher in diesem sonnigreinen Angesicht, in diesen glücklich heiteren Bildungen, in dieser ganzen jugendlich reichen Gestalt, bei all diesen Ansprüchen an einen blühend schönen Lebensfrühling — solch ein kalter entfremdender Zug? Wozu diese gesenkte, ja gebeugte Stellung, die ein so kühner Körperbau Lügen strafte? Welch ein zerstörender Wurm nagte an dieser üppig schwellenden Frucht? —

Die beiden Männer näherten sich zögernd, bescheiden dem Ratstische.

„Nur heran, Meister Meder, nur immer näher!“ rief der Bürgermeister herablassend dem Alten entgegen. —

Der Greis trat festen, ruhigen Schrittes vor. An dem steinernen Geländer; welches den hohen Rat von der Gemeinde trennte, blieb er in ehrerbietiger aber würdiger Haltung stehen. Sein jüngerer Begleiter hatte etwas hinter ihm zur Linken Stand gefasst.

„Gott zum Gruße!“ — erwiderte der Konsul auf die stumme Verbeugung der beiden Männer. „Auch du, Meister Meder, bist zum Wahltag erschienen, um vor dem hohen Rat die Erneuerung Deines Dienstes nachzusuchen?“ —

„So ist’s!“ — antwortete der Gefragte.

„Der hohe Rat“ — sprach der Bürgermeister — „erkennt den Eifer und die Treue; darin du noch immer deinem Beruf obgelegen, und er erneuert darum gern eine Verpflichtung, welche du allgemach eine schöne Reihe von Jahren her zur Zufriedenheit erfüllt hast.“

„Es sind heute siebzehn Jahre“, entgegnete der Vorige — „dass ich als Fremdling in dieser Stadt nicht bloß freundliche Aufnahme, sondern auch durch euer Verwenden meinen jetzigen Dienst und damit mein genügendes Auskommen gefunden. Ich werde dessen mein Lebtage nie ohne Segen gedenken.“

„Nichts davon, Meister“, — versetzte der Konsul — „es freut uns alle, wenn du zufrieden bist. Du führst zwar ein beschwerliches, peinliches Amt, aber du führst es mit treuem und biederem Herzen. Nicht jederzeit pflegt der Stand den Mann zu ehren; aber immer ehre der Mann seinen Stand. Einer regiert, Tausende gehorchen; aber jeder ist nützlich und achtenswert, der auch nur eine kleine Speiche an dem Räderwerke des Staats stützt oder trägt. Also zur Sache, wackrer Meister! — Doch wie ich sehe, kommst du nicht allein. Wer ist der junge Mann bei dir? was will er?“

„Es ist mein Sohn, gestrenger Herr!“ — antwortete Meder. „Ihr seht meine grauen Haare. Die alternden Knochen werden mürber und vermögen wohl nicht mehr lang des oft beschwerlichen Dienstes zu warten. Ich habe mir deshalb in meinem Sohn Konrad, den ich bereits in allen Pflichten meines Berufs unterrichtet, einen kräftigen Gehilfen ausersehen und wollte bitten, ihn als solchen anzuerkennen und zu bestätigen.“

„Ein schmucker Bursche!“ — summte ein tiefer Bass vom Ratstische herüber. Es war der Altbürgermeister Nusch, der in wohlgefälliger Betrachtung des Jünglings diese Bemerkung gegen seinen Nachbar gemacht hatte.

„Tritt näher, junger Gesell!“ — fuhr der Konsul fort. „Sicher sollt ich dich kennen. Bist du nicht der Sänger, den ich schon öfter des Abends unter Lautenspiel in meinem Garten hörte?“

Dunkle Glut übergoss die Wangen des Jünglings, seine Augen suchten den Boden; er stand wie vernichtet und jeder Erwiderung unfähig.

„Wir besitzen einen kleinen Weinberg in der Nähe eurer Gartenanlagen, gestrenger Herr“ — ergriff der Alte das Wort. „Dem Burschen hängt das Herz an seinem Instrument sowie an seiner Laube und um die dunkeln Seiten seines dereinstigen Berufs in etwas zu erhellen, hab’ ich ihm bisher seine Freude nicht verderben wollen.“

„Ganz wohl!“ — erlaubte sich hier abermals der Altbürgermeister einfallend hineinzustreuen. „Wer wollte auch Jemanden die Musika verwehren? Haben doch selbst die Vöglein unterm Himmel Freiheit zu singen; und es bleibt allezeit ein wahr und kräftig Sprüchlein, so der Doktor in Wittenberg gemeint:

Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang,

Der ist ein Narr sein Lebenlang.

Aber nichts für ungut, Herr Collega, wenn ich unterbrochen habe.“

Der Vorsitzende unterdrückte ein Wort, das vielleicht nicht eben so launig geklungen hätte und begnügte sich zu bemerken, dass der dämmernde Morgen zur Vollendung ihres Werkes mahne. Dann gegen den Jüngling gewendet, fragte er: „Willigst du aus eignem freiem Antriebe in den Wunsch Deines Vaters? Ich darf annehmen, dass dir die Pflichten deines künftigen Berufs, so wie die Vorurteile gegen denselben bekannt sind. Bist du bereit, die einen auf dich zu nehmen und die andern gelassen zu ertragen?“ —

In der Brust des Jünglings arbeitete ein herbes Gefühl gegen einen letzten auf immer bindenden Entschluss. Auf jeder Fiber seines Antlitzes zuckte der verzweiflungsvolle Kampf um die Scheide des schmalen Stegs, der ein freies grünendes Jetzt unwiederbringlich von der trüben, gefangenen Zukunft trennte. Die glühende Röte seiner Wangen wich allmälig einer geisterhaften Blässe; als nähme er mit dem einzigen Worte von Liebe, Leben und allem Glück Abschied, holte er tief Atem und presste aus der krampfhaft gehobenen Brust die vernehmbaren Worte hervor: „Ich will’s!“

„Tragt den Namen des jungen Gesellen und sein Vorhaben in die Liste ein!“ — befahl der Bürgermeister dem Protokollführer.

Der Ratsschreiber, bisher rücklings gegen die beiden Männer sitzend, zeigte, indem er sich nunmehr nach ihnen umwandte, einen blonden, vorgespitzten Kopf, den tieferen zwanziger Jahren angehörend. Sein glattgeschorenes, fast farbloses Gesicht trug weder besonders einnehmende noch abschreckende Züge; nur aus den kleinen, grünlich grauen Augen stach etwas sinnend Kluges, rätselhaft Feines, das vielleicht zu Zeiten in die Schärfe eines Schlangenblicks übergehen konnte, hervor. Unter dem ehrerbietigsten Senken dieser blinzelnden Augen erwiderte er jetzt dem Bürgermeister:

„Um Verlaub, Euer Gestrengen; erst zu kurz in hiesiger Stadt heimisch — kenne ich noch wenige ihrer Bewohner. Ihrer Kleidung nach führen. Diese Männer ein blutiges Handwerk. Nun denn, ihr als der Vater, nennt mir euren Namen und Stand?“

„Ich, Christoph Meder“, — sprach langsam und vernehmlich der Ältere, —„bin Scharfrichter in hiesiger freien Reichsstadt und ihrem Gebiet.“

„Henker?“ fragte der Schreiber gedehnt und widerlich betonend. „Und du?“ fuhr er gegen den Jüngling gewendet fort.

„Sein Sohn, Konrad Meder“, — antwortete dieser kurz und bestimmt.

„Also Henkersknecht!“ äußerte der Vorige leichthin weiter. „Mein Gehilfe!“ berichtigte der Vater wichtig und mit Nachdruck.

„Mein Gehilfe in einem schweren Amt, ohne das leider schwerlich ein Staat bestehen könnte, so lang noch gewissenlose Menschen das Heiligtum fremden Lebens und fremder Ehre mit Füßen treten. Und glaubt mir, Herr Ratsschreiber, mein Schwert hat seit einer langen Reihe von Jahren schon mit manchem vorweilen gar hochfährtig getragenen Haupte, dem man‘s wohl in der Jugend nicht vorgesungen, Bekanntschaft gemacht“

Der Schreiber schoss einen giftigen Blick nach dem zürnenden Greise; der Bürgermeister aber endete das Gespräch mit den Worten:

„Schreibt: Christoph Meder, Scharfrichter in unserer reichsfreien Stadt, erscheint heute vor dem ehrbaren Rate, um seinen Sohn Konrad als Gehilfen vorzustellen, was ein ehrbarer Rat vorläufig mit dem Bemerken genehm findet, dass über Weiteres bei nächster Gelegenheit beschieden werden soll.“

„Diese — bemerkte er gegen den Scharfrichter — „wird nicht lang auf sich warten lassen, Meister Meder. Die Gerechtigkeit wird allem Anscheine nach bald deines strafenden Schwertes bedürfen, um einer argen Missetäterin, einer Kindesmörderin, genug zu tun. —

„Ich bin bereit, gestrenger Herr; will’s Gott, zum letzten Mal, dass meine alternden Arme das Schwert der Gerechtigkeit über einem Haupte schwingen.“

„Nun noch dein Handgelübde, Alter!“ — sprach der Konsul, und hieß den Ratsschreiber, ihm den Handschlag auf treue und gewissenhafte Erfüllung seines Berufes abzunehmen.

Ein schlecht verhehltes Zucken um die Lippen, verbunden mit einem sonderbar gedehnten: „Wie, euer Gestrengen? — Ziemt es mir, die Hand eines Unehrlichen“ — verkündeten den ob wahren oder erheuchelten Abscheu gegen diesen Auftrag.

Ein unbeschreibliches Feuer blitzte bei diesen Worten aus den Augen des Jünglings. So flammt der Blick eines jungen Panthers, den der Pfeil eines Negers verwundet hat. Eisige Blässe überlief sein Angesicht und ließ die blühenden Lippen zu Marmor erstarren. Seine Schultern hoben sich um die Breite einiger Finger und seine Hände krampften sich zu bedeutungsvollen Ballen. Dem Schreiber dürfte in der Tat nicht zu raten gewesen sein, anders als in seiner jetzigen sichernden Umgebung, diesem gereizten Löwen gegenüber zu stehen.

„Hm“, zischte etwas, dem Rauschen eines löcherigen Schmiedebalgs nicht Unähnliches von der Seite her, wo der Wachtmeister Klinger stand — „hätte nur der hergelaufene Federheld die halbe Ehrenhaftigkeit und einiges von dem übervollen Herzen des braven Jungen oder seines Vaters!“ —

Unerschüttlichen Ernstes stand der Alte. Seine Linke um die geballte Faust seines Sohnes legend, fasste er den vernichtenden Blitz seiner Augen mit dem Ausdruck der kältesten Ruhe, mit einem unwiderstehlichen Blick auf; und so gewaltig war die Macht seines Auges, so widerspruchlos gebietend, dass der Sturm in der Seele des Jünglings sich vor derselben zu legen schien. Der Bürgermeister aber, während dieser Scene hinter der langen Ratstafel hervorgetreten — sprach mit warmer Betonung: „Unser Schreiber im Rat hat nicht ganz Unrecht; denn vor Andern geziemt es zunächst dem Oberhaupte der freien Stadt, dir, wackrer Meister, das Gelöbnis treuen Gehorsams abzunehmen. Deine Rechte also! — So! — Mit diesem Handschlag macht der edle Rat dich zugleich für deinen Sohn verantwortlich, dessen Unterstützung du dich vorkommenden Falls bedienen magst, indem wir ihm aber noch bis auf weiteres die Freiheit seines Entschlusses ausdrücklich sichern wollen. Hiermit Gott befohlen! —

„Gott segne Bürgermeister und Räte dieser Stadt!“ — sprach der Greis in ehrbietiger Verbeugung und schritt an der Seite seines Sohnes langsam aus dem Saale. Der Jüngling hatte scheidend nochmals die Versammlung der ehrbaren Herren überflogen; sein treues, volles Auge hing wie dankend an dem Antlitz ihres würdigen Oberhauptes und streifte zuletzt mit unendlicher Verachtung an dem Ratsschreiber vorüber.

„Gewiss“ — brummte hier wieder die vorhin schon vernommene Stimme des Grobschmieds, der als Wachtmeister auf dem Platz zu bleiben hatte, „er ist ein Ehrenmann, unser Bürgermeister Bezold; hab’s auch nie anders gemeint, nur musst’ es mich verdrießen, seinen Vorgänger gegen ihn zurückgesetzt zuhören. Wie aber kommt unser edle Rat in den Besitz jener hochfahrenden Schreiberseele dort, die nicht weiß, wie sie vornehm genug ihre Nase über gemeines Bürgervolk tragen soll?“

„Bst, Bst! — flüsterte der Schneider Horn; — „etwas leiser, Meister Klinger! Schon die Wände pflegen Ohren zu haben, wie viel mehr der Ratsschreiber Markhart, von dem es heißt, dass er mit dem jetzigen Reichsrichter Nusch nahe verwandt sei.

„Ich weiß zwar nicht, wie weit diese Verwandtschaft her ist, aber so viel ist gewiss, dass der junge Mann von der hohen Schule ab ein Empfehlungsschreiben an den hiesigen Rat mitgebracht hat, dass er binnen Jahresfrist Konsulent und dann, wer weiß“ — hier spitzte sich die lange Nase des Sprechenden zu einer äußerst diplomatischen Feinheit — „der Schwiegersohn unsers gestrengen Herrn regier — “

Ein großer Blick, welchen der soeben vorüberschreitende Sohn des Scharfrichters nach dem Schneider hinwarf, ließen diesem die letzten Worte zwischen den Lippen stocken. Vater und Sohn stiegen die Wendeltreppe hinab und verloren sich bald darauf in das Dunkel jener schmalen, winkligen Gässchen, die vom Rathause nach der nördlichen Stadtmauer hinführen.

Die Sitzung war beendet. Der neue Bürgermeister schritt Arm in Arm mit seinem Gevatter, dem nunmehrigen Reichsrichter Nusch über den Marktplatz, den die ersten Lichter des dämmernden Morgens streiften. Sie standen jetzt demjenigen Teil des Rathauses gegenüber, unter welchem jene finstern Gefängniszellen lagen, in deren grausenhaften Ausstattung das Mittelalter seinen fruchtbaren Erfindungsgeist anstrengte. Aus einer der engen, stark vergitterten Öffnungen, die von der Straße aus in die Tiefe dieser feuchten, fürchterlichen Gruben hinabsahen, ohne doch das Tageslicht anders als in schauervoller Dämmerung einzulassen, klirrten Schlösser und drang der Schimmer einer Laterne empor.

„Der Kerkermeister macht die Frührunde;“ — sprach der Konsul — „vermutlich kommt er aus der Zelle der armen Sünderin. Ich bedaure die traurige Erbschaft, so du, lieber Gevatter mit der Aburteilung dieser Elenden überkommen hast. — “

„Wohl ist es eine schwere, herbe Aufgabe —“ antwortete der Reichsrichter — „und eine sonderliche Sache des Gewissens, doch denke ich sie mit Gottes Hilfe gerecht zu lösen; und zudem leistet mir unser geschickter Ratsschreiber, mein Vetter Markhart, die treulichsten und trefflichsten Dienste. Er hat allen Verhören der Missetäterin beigewohnt und bereits vorläufigen Bericht erstattet. Seinem Scharfsinn, seiner Ruhe und seinem wunderbaren Einfluss auf die arme Sünderin, verdanken wir allein das Geständnis ihres Verbrechens und die nötigen Aufschlüsse über ihre frühem Lebensverhältnisse. Wir können den jungen fähigen Mann unmöglich mehr lange in dieser untergeordneten Stellung lassen.“ —

„Die Räte werden sicherlich gegen seine Verdienste nicht undankbar bleiben“ — sprach der Bürgermeister. „Indessen war es eine seltsame Erscheinung, dass die Verbrecherin zuweilen schon seine Person in ihre Bekenntnisse mischte“ —

„Die Wirkung ihres zeitweisen Irrsinns!“ — meinte der Reichsrichter. „Wie kann es befremden, wenn die Elende im Wahnwitz die Person des Verhörenden unter die Bilder ihrer wilden Phantasie mengt?“

„Du kannst ihre Begnadigung nicht vertreten?“ — fragte der Bürgermeister.

„Nach dem Gutachten unseres Ratsschreibers, der ein trefflicher Rechtsgelehrter zu sein scheint, sind keine Gründe dafür da. Ich werde inzwischen mit mir und ihm noch gewissenhaft zu Rate gehen und dann tun was meine Pflicht verlangt. Hiermit Gott befohlen, Herr Bruder“, schloss der Senator — „und einen herzlichen Gruß an Frieda, unsre liebe Patin, auf den Weg! —“

„Danke, danke, lieber Gevatter!“ — erwiderte der Konsul. „So auch einen schönen guten Morgen an deine werte Hausehre!“

Mit diesen Worten schritt der Bürgermeister auf seine Wohnung zu, die links vom Markt, am Eingang in die obere Schmiedegasse herübersah. Schon nickte ihm aus dem Fenster ein holdes Köpfchen entgegen, und eine weiche, liebliche Stimme begrüßte ihn bald darauf unter der Türe mit einem traulichen: „Guten Morgen, lieber Vater!“ —

Der Altbürgermeister Nusch war inzwischen rechts nach der Herrengasse einem jener stattlichen Gebäude zugeschritten, die noch jetzt unter der ehrenden Benennung der „Herrenhäuser“ im Herzen Rothenburgs die Erinnerung an die vormaligen Stammsitze seiner Patrizier bewahren. —

Der Scharfrichter von Rothenburg

Подняться наверх