Читать книгу Elvis - Mein bester Freund - George Klein - Страница 7
ОглавлениеMein erster großer Moment hinter einem Mikrofon in Memphis war nicht gerade ein glanzvoller Auftritt: An einem sonnigen Herbstnachmittag des Jahres 1954 saß ich im Bauch eines riesigen Holzindianers, der auf dem Parkplatz von Katz’s Drug Store stand.
Der geräumige Sperrholzbauch des Indianers war in eine provisorische Sendekabine verwandelt worden, und von diesem privilegierten Ort aus begleitete ich die feierliche Eröffnung des Lamar Airways Shopping Centers im Osten von Memphis – des ersten großen Einkaufszentrums, das im Raum Memphis gebaut worden war. Ich hatte Osceola Ende des Sommers verlassen und war in meine Heimatstadt zurückgekehrt, um mein Studium an der Memphis State fortzusetzen. Zwar hatte ich nicht erwartet, dass sich die nächste berufliche Gelegenheit in Gestalt eines hölzernen Indianers bieten würde, doch stellte mich eine Werbeagentur ein, die Eröffnung des Zentrums als DJ live vor Ort zu begleiten. Es war ein Zweitagesjob, bei dem ich für die Kunden Platten auflegte und zwischen die Stücke Werbebotschaften für die neuen Geschäfte einbauen musste:
»Hallo, meine Damen und Herren, hier ist ›GK‹ George Klein, und das war Big Joe Turner mit ›Shake, Rattle And Roll‹ – und vergessen Sie nicht, schnell noch bei Jimmy Jones’ Farbengeschäft vorbeizurocken, wo heute Latexfarbe im Vier-Liter-Eimer im Sonderangebot zu haben ist …«
Für den zweiten Abend der Einweihungsfestlichkeiten war ein Live-Konzert geplant, bei dem mein Klassenkamerad Elvis Presley und seine Begleitmusiker, der Gitarrist Scotty Moore und der Bassist Bill Black, auftreten sollten. Ich hatte mein Exemplar von »That’s All Right« zwei Tage, nachdem ich das Stück bei Dewey gehört hatte, auch in Osceola aufgelegt (ich denke also, ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich der zweite Diskjockey war, der Elvis Presley im Radio spielte). Begeistert hatte ich mitverfolgt, wie Elvis’ zweite Single, »Blue Moon Of Kentucky«, die Country-Charts emporgeklettert war. Unlängst hatte ich gehört, dass er und seine Band in der Konzertmuschel im Overton Park in Memphis beide Titel zum Besten gegeben und das dortige Publikum ordentlich aufgemischt hatten. Nun gehörte es zu meinen Pflichten, Elvis vor seinem ersten öffentlichen Auftritt unter eigenem Namen anzukündigen. Ich konnte es kaum erwarten, meinen alten Freund aus der Humes High wiederzusehen.
An meinem Arbeitsplatz im Inneren des Indianers konnten mich die Zuschauer nicht sehen, ich hingegen hatte einen Spalt, durch den ich nach draußen blicken konnte. Als ich sah, dass Scotty und Bill draußen auf dem Parkplatz eintrafen, legte ich eine Pause ein. Ich ging die Stufen hinab, die aus dem Rücken meines Indianers ins Freie führten, um sie zu begrüßen (ich kannte Scotty flüchtig durch seine Studioarbeit für Sam Phillips bei Sun Records). Wir hatten gerade eine kleine Unterhaltung begonnen, als ich sah, wie sich ein bekanntes Gesicht näherte – ein Gesicht, dem man die Überraschung ansah, als es mich erblickte.
»GK – was machst du denn hier?«
»Ich bin hier, um ihnen von dir zu erzählen, Elvis. Ich habe den ganzen Tag schon von dir gesprochen.«
Wir lachten, schüttelten einander die Hände und brachten uns gegenseitig wieder auf den neusten Stand. Ich erzählte ihm, wie sehr ich seine Platten mochte, und er sagte, er habe gehört, dass ich mit Dewey zusammengearbeitet hätte. Man konnte uns immer noch nicht als enge Freunde bezeichnen, daher war es fast ein wenig seltsam, wie sehr ich mich freute, ihn zu sehen, und wie gut es tat, dass er sich ebenso sehr freute.
Ich war nicht der Einzige, der an jenem Tag unter ungewöhnlichen Umständen zu arbeiten hatte – statt auf einer Bühne mussten Elvis, Scotty und Bill auf der Ladefläche eines Lastwagens auftreten, der hinter dem Katz’s abgestellt war. Als sie bereit waren, kletterte ich auf den Laster und machte meine Ansage:
»Meine Damen und Herren, der Augenblick, auf den Sie gewartet haben, ist nun gekommen. Auf vielfachen Wunsch präsentieren wir nun das heißeste neue Talent aus den Billboard Charts, den Stolz der Humes High, den Mann, den sie Hillbilly Cat nennen – meine Damen und Herren, hier ist er, aus Memphis: Elvis Presley mit Scotty und Bill!«
Während ich die provisorische Bühne verließ, stimmte das Trio »That’s All Right« an, dem einige weitere Coversongs folgten, die sie einstudiert hatten. Zum Schluss spielten sie »Blue Moon Of Kentucky«. Der ganze Auftritt dauerte vielleicht 30 Minuten. Elvis bewegte sich weniger als sonst, weil er ja schließlich auf der Ladefläche eines Lastwagens stand, doch die Energie, die er und seine Jungs erzeugten, war phänomenal.
Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob ich bei Elvis’ Auftritt an jenem Tag bereits ahnte, dass er ein Star werden würde, aber es war klar, dass er die Musik zu seinem Beruf machen würde. Das allein erschien damals schon ganz schön viel. Das andere, was ich an diesem Tag mit Bestimmtheit wusste, war, dass es im Inneren eines hölzernen Indianers entsetzlich heiß wird. Ich wollte alles tun, um wieder in einem richtigen Studio arbeiten zu können.
Mein nächster Job in Memphis war richtige Radioarbeit, obwohl er nicht einmal so lange dauerte wie das Engagement im Einkaufszentrum: Ich arbeitete einen Tag lang bei WDIA, dem wegweisenden Sender, der schwarze Diskjockeys einstellte und viele von uns weißen Jugendlichen auf den Geschmack für Rhythm and Blues brachte. Sämtliche Diskjockeys bei WDIA waren schwarz, doch die Techniker am Mischpult waren weiß. Diese Typen bedienten die Regler, während die DJs auf Sendung waren, und verlasen stündlich live die Nachrichten. Ich hatte ein paar Sprechproben im Studio abgegeben, und ein Programmleiter namens David James hatte offenbar befunden, dass ich eine Chance verdient hätte. Er ließ mich während Rufus Thomas’ Nachmittagssendung Hoot and Holler die Nachrichten lesen. Ich weiß bis heute nicht genau, ob ich nun zu jung, zu weiß oder nicht »nachrichtenmäßig« genug klang, aber am Ende des Tages sagte man mir, die Sendeleitung bedürfe meiner Dienste am kommenden Tag nicht mehr. Es war ein harter Schlag. Herr James tröstete mich ein wenig, als er sagte: »Nimm dir das nicht so zu Herzen, George. Du fängst ja gerade erst an, aber du hast Talent. Mach was draus, dann wird ganz bestimmt noch etwas aus dir.«
Ich verinnerlichte diese Worte. Nur wenige Wochen später bekam ich eine neue Chance, wenn es auch nicht gerade die Art von Radiosendung war, die mir vorgeschwebt hatte. Ein kleiner Sender namens KWEM stellte mich für ihr religiöses Sonntagsprogramm ein. Nach so vielen verrückten Nächten mit Dewey war es ein komisches Gefühl, früh am Sonntagmorgen in der Wellblechhütte aufzukreuzen, wo der Sender untergebracht war, religiöse Musik zu spielen, Übertragungen aus Kirchen zu überwachen und Predigten vom Band laufen zu lassen. Ich musste sogar Prediger in die Hütte einladen, die dort live über den Äther sprachen. Einer dieser Prediger finanzierte seine Radiozeit, indem er seinen Zuhörern »Gebetstücher« verkaufte. Ich erinnere mich noch gut, dass er einmal eine angeblich wahre Geschichte aus dem Koreakrieg erzählte. Er behauptete, von der Brust eines Soldaten sei eine Kugel abgeprallt, weil dieser sein Gebetstuch in seiner Hemdtasche nahe dem Herzen getragen habe. Ich hatte zwar meine Zweifel, der Prediger indes verkaufte daraufhin eine ganze Menge Tücher.
Als mir KWEM eine einstündige Country-Sendung am Samstag anbot, griff ich zu und hörte mich rasch in die einschlägige Musik ein. Zu dem Job gehörte auch, dass ich samstagnachmittags das Studio hütete, wenn praktisch jeder, der sich die Investition leisten konnte, für 25 Dollar eine Viertelstunde Sendezeit kaufen konnte. Eines Nachmittags klopfte es an die Tür des Studios, und herein trat ein großer, imposanter, dunkelhaariger Typ mit Gitarre, der sich höflich vorstellte. Er hieß Johnny Cash. Sein Arbeitgeber – die Home Equipment Company – hatte ihm das Geld gegeben, um mit seiner Band, den Tennessee Two (Luther Perkins und Marshall Grant), bei uns aufzutreten. Nicht lange, nachdem ich Elvis’ ersten Auftritt auf der Lastwagenladefläche angesagt hatte, war ich also Teil eines weiteren historischen Augenblicks in der Musikgeschichte: des ersten Radioauftritts von Johnny Cash.
Johnny und seine Gruppe spielten ein paar ihrer frühen Eigenkompositionen, etwa »Wide Open Road« oder »Belshazzar«. Zwischen den Stücken machte Johnny Werbung für die Markisen, Vordächer und Maschendrahtzäune, die es bei der Home Equipment Company zu kaufen gab. Noch vor Jahresfrist begegnete ich Johnny wieder, diesmal im Studio von Sam Phillips, als er begann, Aufnahmen für Sun Records zu machen. Johnny ließ mich wissen, wie dankbar er mir für meine aufmunternden Worte bei KWEM gewesen war.
Schließlich bekam ich das Angebot, die Rhythm-and-Blues-Sendung bei KWEM zu moderieren, die Jack the Bellboy Morning Show. Da ich Dewey bei der Arbeit zugesehen hatte, wusste ich, dass ich unbedingt etwas tun musste, das mich zu mehr als nur einer Stimme zwischen den Songs machte. Etwas, das mich als Persönlichkeit von anderen DJs abhob. Ich hatte genug Zeit mit Musikern verbracht, um ein paar Brocken des Szene-Slangs aufzuschnappen, der gerade in Mode kam – Phrasen wie »Alles cool, Baby« klangen damals noch ganz unverbraucht und hörernah. Ich fing an, auch in meiner Sendung so zu reden und stellte bald fest, dass ich eine Begabung für spontane Reime hatte: »Hey, hier ist der verrückte DJ GK, der sich jeden Montag mit frischen Platten zum Sender schwingt und die Szene mit seiner Rock’n’Roll-Maschine zum Kochen bringt. Das mach ich jetzt gleich, und auch nicht nur vielleicht, bleibt dran und zweifelt nie, ihr da draußen in Memphis, Tennessee –«
Man mag es glauben oder nicht, aber innerhalb von sechs Monaten galt ich als »heißer« Diskjockey. Mein Sender war zu klein und konnte es sich daher nicht leisten, seine Einschaltquoten zuverlässig messen zu lassen, doch wir maßen unseren Erfolg an der Menge der Post, die wir bekamen. Es dauerte nicht lange, da erhielt ich jeden Tag über 100 Briefe und dazu noch einen ganzen Stapel Telegramme. Ich musste ein paar Stunden früher da sein, nur um meine Post durchzusehen. Beim Verlesen der Musikwünsche während der Sendung entstand mein spezieller Radiospitzname. Viele Briefe waren mit »DJ GK« adressiert, aber wenn ich es in der Sendung laut vorlas, pausierte ich manchmal kurz, weil ich das Geschriebene überflog, um zu sehen, welcher Titel gewünscht wurde. Also kam das Ganze mit einem leichten Stottern heraus: »Lieber DJ – äh – GK.« Das geschah so häufig, dass die Hörer es irgendwann erwarteten, also versuchte ich gar nicht mehr, es korrekt zu lesen. So wurde »DJ – äh – GK« zu meinem Markenzeichen. (Wenn ich mich mit Elvis in der Stadt traf, verkürzte er diesen Spitznamen noch weiter und nannte mich nur noch »DJ Äh«.)
Meine Vormittagssendung machte mir großen Spaß, doch bald schon überstürzten sich die Ereignisse. Eines Morgens bekam ich einen Anruf von Bill Grumbles, einem Mann, der während meiner Zeit mit Dewey Geschäftsführer bei WHBQ gewesen war und mittlerweile WMC leitete, einen NBC-Sender auf der anderen Straßenseite des Hotels Chisca. »George, sind Sie sich bewusst, dass Sie heute Morgen die Nummer zwei sind?«
»Was meinen Sie mit ›Nummer zwei‹, Herr Grumbles?«
»Sie haben die Morgensendung mit den zweithöchsten Einschaltquoten von ganz Memphis – der ganzen Stadt. Glückwunsch.«
Er rief aber nicht nur an, weil er mir etwas Nettes sagen wollte. Er bot mir an, mir das doppelte Gehalt zu bezahlen, wenn ich die nachmittägliche Rock’n’Roll-Sendung auf WMC übernähme. Einen Namen für diese Sendung hatte er sich auch schon ausgedacht: George Klein’s Rock’n’Roll Ballroom. Das gefiel mir ausgesprochen gut.
Im Herbst 1955 war »Rock and Roll« eine große Sache. Der Begriff wurde in zunehmendem Maße als Etikett für die Musik von Künstlern wie Chuck Berry, Little Richard, Fats Domino und Bo Diddley verwendet und klang wesentlich moderner als »Rhythm and Blues«. Wenn eine Platte die Rock’n’Roll-Ära vollends einläutete, dann war es wahrscheinlich Bill Haleys »Rock Around The Clock«. Nachdem der Titel im Vorspann des Films Die Saat der Gewalt Verwendung gefunden hatte, wurde er 1955 zu einem Riesenhit. Es war der erste Rock’n’Roll-Song, der in den nationalen Charts auf den ersten Platz gelangte.
Freilich war nicht jedermann glücklich über den Siegeszug des Rock’n’Roll. Im ganzen Land verdammten konservative Professoren, Priester oder Bürgermeister den »primitiven Rhythmus«, die »unkontrollierten Gefühle« und »sexuellen Inhalte« des neuen Stils. Man hielt Rock’n’Roll-Musik für etwas höchst Unmoralisches und fürchtete, dass die Jugend durch sie auf die schiefe Bahn geriet. Hinter den Protesten verbarg sich aber auch die unausgesprochene Angst vor einer Vermischung der Rassen, was für viele eine vollkommen inakzeptable Vorstellung war.
Diejenigen, die im Rock’n’Roll den drohenden Niedergang der westlichen Zivilisation sahen, waren der Überzeugung, dagegen ankämpfen zu müssen, wo es nur ging. Die Schulen erließen Kleiderordnungen, Tanzveranstaltungen wurden abgesagt. Auf jeden neuen Rock’n’Roll-Hit in den Charts folgte in den Zeitungen eine Flut von Leitartikeln, die gegen den neuen Sound wetterten. In einem misslungenen Versuch, den Einfluss des Rock’n’Roll zu schwächen, lieferte die Musikindustrie sogar eine ganze Reihe weißer Coverversionen der bekanntesten Songs schwarzer Künstler. Es zeigte sich jedoch ziemlich schnell, dass die Jugendlichen »Ain’t That A Shame« in der Version von Fats Domino hören wollten – und nicht von Pat Boone. Offen gesagt, waren die meisten von uns viel zu beschäftigt mit dieser neuen Musik, um sich allzu viele Gedanken über ihre möglichen negativen Auswirkungen zu machen.
Elvis zählte natürlich zu den Pionieren des Rock’n’Roll und machte seinen musikalischen Standpunkt mit großartigen Sun-Singles wie »Good Rockin’ Tonight« unmissverständlich klar. Als er bekannter wurde, bezog er ständig Prügel dafür, dass er angeblich eine Gefahr für die Jugend der Nation sei. Im Jahre 1955 jedoch verband er in seinem Sound immer noch Country, Blues, Gospel und Pop und wurde von vielen als Country-Musiker betrachtet, weil er das ganze Jahr hindurch in den Radiosendungen Louisiana Hayride auftrat. Ich kann mich noch gut an ein Gespräch mit Elvis in jenem Jahr erinnern. Es war an einem Abend, als wir beide wieder einmal bei WHBQ landeten und darauf warteten, bis Dewey mit seiner Sendung fertig war, damit wir mit ihm gemeinsam noch etwas anstellen könnten. Ich wusste, dass Elvis mit seinen Auftritten in den Louisiana Hayride-Sendungen großen Erfolg hatte und er rasch vom Newcomer zum ernstzunehmenden Musiker und schließlich zum Star aufgestiegen war.
»Elvis, es sieht so aus, als würdest du bald Webb Pierce, Ferlin Husky und Hank Snow Konkurrenz machen«, sagte ich und nannte damit drei der bekanntesten Country-Stars, mit denen er dort aufgetreten war.
Er schüttelte den Kopf und musste ein wenig lachen.
»Nein, George. Ich will es mit Bill Haley aufnehmen.«
Wir konnten es zu diesem Zeitpunkt freilich noch nicht wissen, aber nur wenige Monate später rockte Elvis tatsächlich an der Spitze der Charts. Niemand hielt ihn nun noch für einen Country-Schnulzensänger.
Als ich an meinem ersten Tag bei WMC zum ersten Mal mit The Rock’n’Roll Ballroom auf Sendung ging, war mir sehr wohl bewusst, dass der Rock’n’Roll eine Kraft besaß, die als erregend, aber auch als anstößig empfunden werden konnte. Ich beschloss, dass ich, wenn ich schon anstößig sein wollte, dies gleich im ganz großen Stil tun sollte. Ich stellte mich den WMC-Hörern mit der lautesten, härtesten Rock’n’Roll-Platte vor, die mir in den Sinn kam: Little Richards neuester Single »Tutti Frutti«. Ich war nun offiziell ein Rock’n’Roller.
Auf WMC spielte ich auch weiterhin die lauten und harten Rock’n’Roll-Platten, die ich so mochte, und ziemlich schnell bekam ich ebenso viel Post wie zuvor bei KWEM. Es dauerte nicht allzu lange, da tauchten die Briefschreiber selbst auf. Damals gestatteten viele Sender Jugendlichen, den DJs während der Sendung zuzusehen, doch gab es in den WMC-Studios nicht sonderlich viel Platz. Also beschloss die Geschäftsführung, mir einen richtigen Ballsaal zur Verfügung zu stellen – ein Auditorium mit 300 Plätzen im Gebäude des Goodwyn Institute, wo die Studios ihren Sitz hatten. Man baute speziell für mich eine Sendekabine, damit ich auf der Bühne arbeiten konnte, wo ich meine Sendung wie gewohnt moderierte. Die Jugendlichen konnten kommen, Platz nehmen und wie bei einem Live-Konzert zuschauen. Manchen Radioleuten wäre es vielleicht nicht so recht gewesen, wenn man sie plötzlich derart zum Live-Unterhalter machte. Ich hingegen muss offen gestehen, dass ich es in vollen Zügen genoss. Es war ein tolles Gefühl, die Energie des Publikums zu spüren, und nichts machte mich glücklicher, als einen Song zu spielen, zu dem die Leute in den Seitengängen des Saales tanzten.
Elvis hatte inzwischen eine ganze Reihe von Singles bei Sam Phillips’ Label Sun Records veröffentlicht, und ich spielte sie alle. Stets beeindruckte es mich, dass seine Musik immer besser zu werden schien (»Milk Cow Boogie« fand ich zwar ein bisschen unbeholfen, aber Songs wie »Mystery Train« und »Baby Let’s Play House« waren Abräumer). Gelegentlich schaute Elvis auch selbst während meiner Sendung herein, um eine neue Platte abzugeben. Dann leistete er mir in der Sendekabine Gesellschaft, genauso, wie er es auch bei Dewey schon getan hatte. Es schien ihm sehr zu gefallen, wie ich meine verrückten Reime aus dem Ärmel schüttelte, wenn ich eine Platte ansagte. Außer »DJ Äh« fiel ihm daher noch ein weiterer lustiger Spitzname für mich ein: »Der verrückte Dichter unter den Bühnenlichtern«.
Besonders gut gefiel ihm ein Spruch, den ich immer häufiger verwendete, um seine Platten anzusagen: »Jetzt singt der King.« Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, ob ich der erste DJ war, der Elvis »King« nannte, aber weder er noch ich hatten es zuvor irgendwo gehört.
Da ich für vornehmlich weiße Jugendliche hauptsächlich schwarze Rock’n’Roll-Platten spielte, hätte ich mich eigentlich mittendrin im kulturellen Spannungsfeld dieser Musik befinden müssen. Ich kann mich, ehrlich gesagt, jedoch nicht daran erinnern, jemals einen wütenden Brief von einem Priester, einem Lehrer oder besorgten Eltern erhalten zu haben. Ich lebte zwar im von der Rassentrennung geprägten Süden, aber ich glaube, in Memphis herrschte eine ganz besondere Atmosphäre, die es den Menschen gestattete, über die Musik zueinanderzufinden. In anderen Bereichen war dies freilich nicht möglich. Es wäre undenkbar gewesen, dass Schwarze zu Jack’s gingen, einem Hamburger-Imbiss und Teenagertreff ganz in der Nähe der Humes High (es kam uns jedoch auch gar nicht in den Sinn, dass eine schwarze Person vielleicht einen Hamburger bei Jack’s essen wollte). Aber wenn ich in die Plattenläden ging, traf ich dort auf schwarze und weiße Musikfans, die bestens miteinander auszukommen schienen. Für viele von uns war die Liebe zur Musik schlicht viel wichtiger als die Frage der Hautfarbe – eine Einstellung, die mir Dewey und Sam Phillips vorlebten, wenn ich ihnen bei der Arbeit zusah.
Ich sah die berühmten Nachrichtenausschnitte, in denen Sendeleiter im ganzen Land Rock’n’Roll-Platten zerbrachen und erklärten, sie würden bei ihrem Sender keine »Niggermusik« dulden. Bei den Sendern, für die ich arbeitete, hörte ich solche Sprüche jedoch nie. Obwohl man auch außerhalb von Memphis ab und zu Menschen das »N«-Wort sagen hörte, so galt es doch zumindest in meinem Bekanntenkreis nicht als cool, so daherzureden. Im Allgemeinen betrachtete man das Wort als etwas, das eher zum Wortschatz der ungebildeteren Schichten gehörte.
Menschen, die nicht aus Memphis stammten, staunten bisweilen darüber, wie wir dort miteinander zurechtkamen. Nun, da ich bei einem der größeren Sender der Stadt arbeitete, suchten mich zunehmend Betreiber von Plattenfirmen und Werbeleute auf, die Exemplare ihrer neuesten Aufnahmen vorbeibrachten und mich davon zu überzeugen versuchten, dass ich die Platten in meiner Sendung spielte. So lernte ich einige der legendären Schwergewichte aus diesem Bereich des Musikgeschäfts kennen – Leonard Chess von Chess Records, Joe Kolsky von Diamond Records, Jerry Wexler von Atlantic, Morris Levy von Roulette Records, die Brüder Bihari von RPM. Das waren ziemlich hartgesottene Jungs, und manchen sagte man Verbindungen zur Mafia nach. Ich stieß immer auf die gleiche Reaktion: Sie konnten es einfach nicht fassen, dass ein kleiner Jude aus Memphis ihre energiegeladenen, heftig umstrittenen schwarzen Rock’n’Roll-Platten für ein jugendliches weißes Südstaaten-Publikum spielte.
Eines Abends besuchten Elvis, Dewey und ich zusammen den Variety Club. Der Privatclub war der einzige in der Stadt, der bis nach Mitternacht geöffnet hatte, und außerdem gab es gute Cocktails. Dort bekam ich einen guten Eindruck von der Freundlichkeit und der guten Laune, die Elvis als Mensch ausmachten. In seinem Abschlussjahr an der Humes hatte Elvis im Loews State-Kino als Platzanweiser gearbeitet, das an der Main Street im Zentrum von Memphis lag. Dadurch hatte er Gelegenheit, die dort gezeigten Kinofilme mehrfach zu sehen, und nach und nach wurde er ein richtiger Cineast. Er sah James Dean, Montgomery Clift und Marlon Brando, beobachtete, wie sie sich bewegten, sprachen und mit winzigen Gesten große Wirkung erzielten. Er war äußerst aufmerksam und erwarb ein intuitives Verständnis für das Medium. Als Elvis später begann, seine eigenen Filme zu drehen, staunten die Hollywood-Leute darüber.
Wenn Elvis nicht gerade auf die Kinoleinwand sah, verbrachte er offenbar viel Zeit damit, ein bildhübsches Mädchen anzustarren, das an der Theke für Süßes arbeitete – ein Mädchen, das seine Aufmerksamkeit dadurch erwiderte, dass sie ihn gratis mit Süßigkeiten versorgte. Als ein anderer, eifersüchtiger Platzanweiser dem Kinomanager von diesen Zuwendungen berichtete, entbrannte zwischen Elvis und seinem Kollegen ein Faustkampf. Prompt wurde Elvis von dem Manager, einem gewissen Arthur Groom, gefeuert.
Als Elvis, Dewey und ich den Variety Club betraten, saß an der Bar niemand anderes als besagter Arthur Groom. Er sah, wie wir an einem Tisch Platz nahmen und kam herüber, um hallo zu sagen. Elvis war bereits so erfolgreich, dass es durchaus gerechtfertigt gewesen wäre, wenn er jemanden, der ihn einmal gefeuert hatte, zurückgewiesen hätte. Er war jedoch extrem höflich und zuvorkommend und redete seinen ehemaligen Arbeitgeber immer noch mit »Herr Groom« oder »Sir« an. Die beiden lachten ein wenig miteinander, und Groom gratulierte Elvis zu seinem Erfolg. Hätte er ihn damals nicht gefeuert, so scherzte er, wäre Elvis inzwischen womöglich stellvertretender Geschäftsführer des Loews State. (Hier bleibt anzumerken, dass Elvis’ erster Film, Love Me Tender, im Jahr darauf sein Memphis-Debüt in genau dem Kino feiern sollte, das ihn einst vor die Tür gesetzt hatte, nämlich im Loews State an der Main Street.)
Um Weihnachten 1955 herum besuchten Elvis, Dewey und ich abermals den Variety Club. Dewey und ich hatten Elvis eine Zeitlang nicht gesehen. Er hatte gerade einen großen Karriereschritt hinter sich, nämlich den Wechsel von den in Memphis ansässigen Sun Records zu dem viel größeren Major Label RCA. Vielleicht lag es daran, dass Ferien waren, aber wir drei waren an jenem Abend die einzigen Gäste. Etwa um ein Uhr nachts setzte sich Elvis an das ramponierte Klavier des Clubs.
»GK, Dewey, kommt mal her«, sagte er. »Ich will, dass ihr euch diesen neuen Song anhört, den ich aufnehmen werde.«
Auf der Bühne spielte er Gitarre, aber Klavier war sein zweites Instrument – er spielte nach dem Gehör und konnte praktisch jeden Song interpretieren, der ihm gefiel. Er begann etwas zu spielen, das ganz anders klang als alles, was wir bislang von ihm gehört hatten. Es war kein hochenergetischer Rocker, keine flotte Country-Nummer, auch kein getragener Blues. Es war beinahe ein bisschen schaurig, mit einem harten Blues-Rhythmus, der einen regelrecht in den Song hineinzog.
Er spielte »Heartbreak Hotel«.
Während er die Strophen sang, blickten Dewey und ich einander an und wussten beide, was der jeweils andere dachte: Dieser Song war ein Knüller. Als Elvis die letzte Zeile »Feel so lonely, I could die …« sang, konnten wir nicht mehr an uns halten. »Scheiße, Elvis«, jubelte Dewey. »Das ist ja total phantastisch! Wo hast du diese Nummer denn her?«
Elvis erklärte, sie stamme von einer Lehrerin aus Florida namens Mae Axton, die für Elvis’ neuen Manager Colonel Tom Parker als lokale PR-Managerin tätig sei. Sie hatte ihm gegen seinen Willen sogar ein Drittel der Rechte an dem Song abgetreten, weil sie hoffte, dass er dann genug Geld verdiente, um mit seinen Eltern in Florida Urlaub machen zu können.
»Verdammt, das ist ein Smashhit, Elvis«, sagte ich.
Elvis lächelte schüchtern und klimperte noch ein bisschen auf dem Klavier herum. »Ich weiß«, sagte er. »Es wird meine erste Veröffentlichung bei RCA. Ich glaube, das ist ein ganz guter Anfang.«
Besser hätte dieser Anfang gar nicht sein können. Im Januar 1956 nahm Elvis »Heartbreak Hotel« während seiner ersten Aufnahmesession für RCA in Nashville auf. Nur wenige Wochen später wurde der Titel zu seinem ersten Nummer-eins-Hit. Die Platte verkaufte sich millionenfach. Nie wieder würde er auf einer Ladefläche auftreten. Er hatte es mit Bill Haley aufgenommen und war sogar an ihm vorbeigezogen.
Dewey Phillips war nicht nur verrückt und äußerst unterhaltsam, er hatte auch ein ausgesprochen gutes Ohr für Musik. Er kostete die Freiheit bei der Musikauswahl voll aus, stellte aber anderseits auch eine Sendung zusammen, die Jungs wie ich nicht verpassen durften, wenn sie wissen wollten, was in der Musikszene passierte. Durch die Zusammenarbeit mit Dewey erfuhr ich ein Geheimnis seines Erfolges – er war einer der ganz wenigen DJs, die regelmäßig zu den Vertrieben fuhren, um sich dort vor allen anderen die neusten Singles anzuhören. Den Bestelllisten konnte er entnehmen, welche Singles bald im ganzen Land angesagt wären. Außerdem konnte er in den Vertrieben Exemplare mitnehmen, bevor eine andere Radiostation sie hatte. Immer wieder war er der erste Diskjockey in der Stadt, der die neuesten Hits von Chuck Berry, Bo Diddley und anderen Stars spielte.
Als ich meine eigene Radiokarriere begann, folgte ich Deweys Beispiel. Ich machte es mir zur Gewohnheit, dieselben Lagerhallen aufzusuchen, und sondierte dort die neuen Platten, sobald sie eintrafen. Auf diese Weise bekam ich viele spätere Rock’n’Roll-Hits in die Finger, darunter auch Elvis’ bis dato größten Erfolg, die Single »Don’t Be Cruel« mit »Hound Dog« auf der Rückseite. Die Platte war im Sommer 1956 in aller Munde, und als Elvis Anfang September nach Hollywood ging, um sein zweites Album aufzunehmen, konnte ich es kaum erwarten, mehr von seinem Rock’n’Roll-Zauber zu hören.
Ich musste nicht halb so lange warten, wie ich vielleicht gedacht hatte. Eines schönen Herbsttages entdeckte ich beim Vertrieb der RCA sein zweites Album – mehrere Wochen vor dem offiziellen Veröffentlichungstermin. Das Album (wie sein erstes schlicht betitelt mit Elvis) hatte ein tolles Coverfoto, das ihn vor einem goldenen Hintergrund zeigte. Er trug ein grau-rosa gestreiftes Hemd, spielte auf seiner Gitarre und blickte gen Himmel. Ich bemerkte sofort, dass unter den Songs auch »Paralyzed« von Otis Blackwell war, dem Verfasser von »Don’t Be Cruel«, und »Love Me« von Jerry Leiber und Mike Stoller, einem genialen Songschreiber-Duo, das schon für »Hound Dog« verantwortlich zeichnete. Daneben war ich ein wenig überrascht, als ich feststellte, dass sich auf dem Album auch der erste Song fand, den ich Elvis je hatte singen hören – die Ode an einen treuen Hund, die er damals an der Humes High in Fräulein Marmanns Unterricht zum Besten gegeben hatte, »Old Shep«.
Ich ging direkt zum WMC-Studio und spielte in einem leeren Regieraum das komplette Album, um es in aller Ruhe genießen zu können. Als ich zu »Ready Teddy« auf Seite zwei gelangte, wurde mir plötzlich eines klar: Immer dann, wenn ich dachte, ich hätte Elvis nun in absoluter Topform erlebt, verblüffte er mich aufs Neue. Sofort nach dem Ende des letzten Stücks (»How Do You Think I Feel« von Webb Pierce) griff ich zum Telefon und rief Elvis zu Hause an. Ich wusste, dass er gerade von den Dreharbeiten zu Love Me Tender in die Stadt zurückgekehrt war. Seine Mutter holte ihn an den Apparat, und ich teilte ihm mit, was ich von dem neuen Album hielt. Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille, dann sagte er: »Von welcher Platte sprichst du, GK?«
»Von deinem zweiten Album, Elvis.«
»Du machst wohl Witze. Wo hast du das denn her?«
»Ich bin einfach zum Vertrieb gegangen und habe dort eine Platte mitgenommen. Dann bin ich gleich zum Sender rüber, um sie zu spielen, und sie ist einfach klasse.«
»Mensch, GK – ich wusste nicht mal, dass das Ding schon raus ist, und habe selbst noch kein Exemplar«, sagte er. »Könntest du mir die Platte nicht rasch vorbeibringen?«
Selbstverständlich sagte ich gerne zu. Ich bat Elvis zwar nur selten um einen Gefallen, doch an jenem Tag fragte ich ihn, ob es in Ordnung wäre, wenn ein Fotograf von WMC mitkäme, wenn ich ihm die Platte überreichte. Elvis war einverstanden. Am Ende hatte ich phantastische Bilder, auf denen wir gemeinsam das Album hielten. Entweder saßen wir dabei auf seiner dicken Harley Davidson oder standen neben seinem blitzblanken Mark II Lincoln Continental.
An einem Nachmittag Anfang Dezember 1956 besuchte mich Elvis bei WMC und lud mich zu einer Spazierfahrt in einem Auto ein, wie ich noch keines gesehen hatte – einem brandneuen Cadillac Eldorado. Während dieser Fahrt erwähnte ich ihm gegenüber, dass WDIA am Abend seine alljährliche Wohltätigkeitsveranstaltung »Goodwill Revue« im Ellis Auditorium veranstalten werde. Es handelte sich dabei um eines von zwei großen Benefizkonzerten, die der Sender jedes Jahr organisierte, um Geld für bedürftige schwarze Kinder und Familien zu sammeln. Bei dieser Wohltätigkeitsveranstaltung traten regelmäßig schwarze Topstars vor einem riesigen schwarzen Publikum auf, und die Veranstaltung war entsprechend bekannt. Die Liste der Künstler umfasste diesmal Ray Charles, den ehemaligen DIA-DJ B.B. King, einen aufregenden Pianisten namens Phineas Newborn und mehrere Gospelgruppen. Moderiert wurde das Ganze von Rufus Thomas, der als »Häuptling Schaukelpferd« verkleidet war. Elvis war sofort Feuer und Flamme und schlug vor, gemeinsam hinzugehen.
Ein paar Stunden später war es so weit, und wir betraten den Garderobenbereich des Ellis Auditorium. Einer der Ersten, die uns über den Weg liefen, war Rufus Thomas, der kürzlich reichlich Schelte bezogen hatte, weil er die Rassengrenze überschritten und Elvis-Platten auf WDIA gespielt hatte. Er eilte mit breitem Grinsen herbei, packte Elvis und dankte ihm für sein Kommen.
»Du singst also heute Abend was für uns, Elvis?«, fragte Rufus.
Elvis’ Hauptinteresse beim Besuch der Show war es, so unauffällig wie möglich zu bleiben und nichts zu tun, was den planmäßigen Ablauf des Konzerts in irgendeiner Form stören konnte.
»Das ist dein Abend, Rufus«, sagte er. »Ich habe auf dieser Bühne nichts verloren.«
»Wenn ich dich schon nicht zum Singen bewegen kann, dann lass mich dich doch wenigstens vorstellen, und du verbeugst dich kurz«, sagte Rufus. »Viele Leute da draußen würden sich wahnsinnig freuen, dich zu sehen.«
»Na gut«, sagte Elvis. »Von mir aus gerne.«
Wir hingen eine Weile backstage herum, wo wir die Künstler des Abends trafen. Wir begegneten B.B. King, mit dem sich Elvis eine Weile unterhielt – ein Augenblick, den der große Fotograf Ernie Withers festhielt (dessen Bilder von der Bürgerrechtsbewegung später um die Welt gingen). Mit wem er auch sprach, so horchte Elvis doch stets mit einem Ohr auf die Musik, die von der Bühne kam. Ich hatte mittlerweile sehr viel Zeit damit zugebracht, Elvis’ Musik zu hören. Nun war es hochinteressant zu sehen, wie ungeheuer stark die Musik von anderen auf ihn wirkte.
Als Rufus Thomas Elvis endlich ankündigte, musste er ihn buchstäblich auf die Bühne zerren. Sobald ihn die Menge erblickte, begann der Saal zu toben. Ich glaube nicht, dass Elvis bewusst war, dass er damit eine Rassengrenze überschritt, denn in solchen Dimensionen dachte er nicht. Er war einfach nur zur »Goodwill Revue« gegangen, weil er Ray Charles und all die anderen Künstler hören wollte. Freilich muss es ihm gutgetan haben, dass man ihn dort so freundlich und begeistert empfing. Elvis erwiderte das stürmische Willkommen mit einer seiner kleinen Beinbewegungen, woraufhin die Menge in ein Geschrei ausbrach, dass die Wände erzitterten. Junge schwarze Mädchen drängten sich vor die Bühne, wie es bei anderen Auftritten die weißen Mädchen taten.
Im Radio hatte Dewey Phillips die Frage der Hautfarbe ignoriert und einfach »gute Musik für gute Leute« gespielt. Ich hatte seinem Beispiel zu folgen versucht, indem ich großartige Rock’n’Roll-Musik auflegte, ohne mich darum zu kümmern, ob der jeweilige Künstler oder sein Publikum nun schwarz oder weiß waren. Nun führte Elvis ganz locker sämtliche dummen Vorurteile ad absurdum, welche die Menschen angeblich voneinander trennten: Er musste nur auf der Bühne des Ellis Auditorium mit dem Bein wackeln.
Ja, es waren »unkontrollierte Gefühle« damit verbunden. Aus dem Geschrei zu schließen, das diese Mädchen von sich gaben, waren auch »sexuelle Inhalte« nicht ganz von der Hand zu weisen. Vielleicht war Elvis tatsächlich eine Bedrohung für die etablierten gesellschaftlichen Normen und Werte, aber vielleicht war das gar nicht so schlecht. Vielleicht hatten die Leute, die sich so sehr vor dem Rock’n’Roll fürchteten, ja Recht: Er besaß tatsächlich die Macht, die Welt zu verändern.