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Seit meiner Kindheit komme ich jeden Sommer nach Givisiez bei Freiburg in das alte Haus der d’Affry, in dem der Geist der Geschichte weht wie ein Hauch, dem man sich nicht entziehen kann. Unter den Vorfahren hat mich Louis d’Affry immer am meisten interessiert, besser gesagt angesprochen. Sein Porträt als Greis mit dem sanften, sich in der Weite verlierenden Blick faszinierte mich: Ich wunderte mich, dass es keine Biografie über den ersten Landammann der Schweiz gab. Ich wollte mehr wissen und sammelte mit meinem Vater alle sich auf ihn beziehenden Urkunden, Briefe und Objekte. Daraus entstand dann der Plan, ihn zur 200-jährigen Wiederkehr der Mediationsakte im Jahre 2003 aus dem Schatten der Vergessenheit herauszuholen. Die Stiftung d’Affry verdankt den Historikern Georges Andrey und Alain-Jacques Tornare die Umsetzung dieses Projekts. Als ich im November 2003 die Freude hatte, die Biografie von «Louis d’Affry, premier Landammann de la Suisse» vorzustellen, habe ich nicht nur den Wunsch, sondern das Versprechen ausgedrückt, dass eine deutsche Fassung des Buches in einigen Jahren erscheinen würde. Von dem Vorsatz bis zu seiner Verwirklichung war es ein langer Weg. An dieser Stelle möchte ich die hervorragende Leistung des Übersetzers, Herrn Paul Zurfluh, unterstreichen, dem wir die deutsche Fassung verdanken. Die Vielfalt der Sprachen ist ein Reichtum und ein Merkmal Europas, aber zu oft auch ein Hindernis. Diese Veröffentlichung will dem deutschsprachigen Publikum den Zugang zu einem Buch ermöglichen, dessen Gegenstand alle 19 Kantone der Mediation und die Entwicklung der gesamten modernen Schweiz angeht.
Dass die Mediationszeit (1803–1813) für viele Schweizer immer noch ein umstrittenes Kapitel ihrer Geschichte darstellt, wurde im Jubiläumsjahr 2003 sichtbar. Einige Kantone feierten großzügig, wie zum Beispiel die Waadt, die ihre Erhebung zum eigenständigen Kanton der Mediationsakte verdankt, andere, wie die Kantone Bern oder Zürich, kaum. Die Person von Louis d’Affry, dem ersten Landammann der Schweiz nach dem Willen von Bonaparte, wurde in vielen Artikeln gewürdigt, dabei aber auch als eine Kreatur Napoleons kritisiert. Diese Zwiespältigkeit hat Louis Auguste Philippe d’Affry selbst bewusst erlebt wie ein Schicksal, dem er nicht entfliehen konnte. Die Biografie von Georges Andrey und Alain-Jacques Tornare beschreibt das Leben eines Mannes, der die Wirren seiner Zeit mit Weitsichtigkeit beobachtet und unbeirrbar den Weg verfolgt, der nach seiner Meinung seinem Land am besten dient. Der Sohn des Generalobersten der Schweizergarde am französischen Königshof konnte nicht vorhersehen, dass er in fortgeschrittenem Alter der erste Präsident einer Schweiz werden sollte, die im Unterschied zu vielen von Frankreich annektierten Gebieten ihre Selbstständigkeit bewahren konnte, wenn auch in einem kaum verschleierten Vasallenverhältnis.
Der Handlungsspielraum von Louis d’Affry war angesichts des unaufhaltsamen Aufstiegs Frankreichs unter Napoleon Bonaparte sehr eng. Die Mediationsakte von 1803 verschaffte der Eidgenossenschaft den bestmöglichen Rahmen einerseits für die Wiederherstellung des inneren Friedens nach den Unruhen der letzten Jahre der Helvetischen Republik und andererseits für die Bewahrung des äußeren Friedens in einer Zeit, in der kaum einem Land Europas der Krieg erspart wurde. Der aufgeklärte Aristokrat Louis d’Affry wird in den sechs Jahren bis zu seinem Tod alle seine Kräfte einem Ziel unterordnen: der unabdingbaren Einhaltung der Mediationsakte. Diese war die Grundlage für eine erneuerte Schweiz, welche die Gleichberechtigung aller Personen und Kantone garantierte. Sie ist auch der Schild gegen offene oder versteckte Drohungen gewesen, die aus Frankreich kamen. Immer wieder wurden d’Affry delikate Missionen anvertraut. Mit diplomatischem Geschick, unendlicher Geduld und zäher Beharrlichkeit bemühte er sich – auch bei seinen Landsleuten –, die dünnen Fäden dieser Schutzkonstruktion zusammenzuhalten. Seine guten Beziehungen zu Napoleon nutzte er aus, um den grossen Mediator zu besänftigen und zur Einhaltung der Mediationsakte zu beschwören. Einfach war es nicht, und man kann sagen, dass er im Dienste seines Landes gestorben ist – am 26. Juni 1810 unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Paris, wo er ein langes Gespräch mit Napoleon geführt hatte.
200 Jahre nach dem napoleonischen Epos erschienen viele Bücher in Frankreich und anderen Ländern, die verschiedene Aspekte dieses Kapitels der europäischen Geschichte neu beleuchten. Meine Dankbarkeit gilt dem Verlag hier + jetzt, der dem Buch über den ersten Landammann der Schweiz einen verdienten Platz in seiner Reihe von Biografien eingeräumt hat. Mit Bildern illustriert, mit Verweisen, einer Genealogie, Chronologie und einem Index bereichert, soll das Buch einem breiten Publikum das Leben eines Mannes näherbringen, der einen Epochenwechsel erlebt und mitgestaltet hat.
Viel liegt an dem Engagement einzelner Personen. Ohne Herrn Anselm Zurfluh, Leiter des Museums der Schweizer in der Welt, wären Übersetzung und Veröffentlichung dieses Buches nicht zustandegekommen. Meinen besonderen Dank an ihn verbinde ich mit dem Wunsch, dass in Zukunft immer mehr historische Werke in mehreren der Landessprachen der Schweiz erscheinen.
Berlin, im Oktober 2011. Monique von Wistinghausen, Vorsitzende der Stiftung d’Affry