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Prolog Herbst 1989

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Ein ganzes Volk macht sich auf und feiert in bester Festtagslaune den 40. Geburtstag der DDR. Freudestrahlende Gesichter, Händeschütteln mit den beliebten politischen Repräsentanten des Volkes, überall Blumen, fahnenschwenkende Bürger, Arbeiter und Bauern. Zumindest scheint es so, will man den öffentlichen Reden, den staatlich gelenkten Medien, dem Fernsehen und Rundfunk der DDR oder den Zeitungen Glauben schenken.

Während sich die alten Männer von vorgestern zuprosten, sich mit viel Lob hochleben lassen, ist die Stimmung bei den Menschen draußen im Lande völlig anders. Die Luft ist spannungsgeladen. und schon ein kleiner Funke könnte die sogenannte heile DDR-Welt aus den Angeln heben. Haben die Regierenden denn nicht zugehört, als der hohe Gast aus Moskau, Michael Gorbatschow, darauf hingewiesen hat, daß die Zeit reif ist? Reif für eine Wende und Veränderungen, wie man das zu dieser Zeit auch immer verstehen mochte.

Das Land verfällt immer mehr. Die Umwelt ist in einem katastrophalen Zustand. Wirtschaftlicher Rückschritt, bankrotte Staatskassen und keine Aussicht auf Besserung. Aber Reformen, nein.

‘Frische Luft’ wird gebraucht, doch die Greise an der Regierung weichen von ihrem Weg nicht ab. Sie lehnen alles Neue von vornherein ab. Schon seit vielen Jahren halten sie die Menschen mit ihren Sprüchen hin, die nichts aussagen und die wahre Situation im Lande überdecken, beschönigen und verschleiern.

Die Zeit ist hier in diesem Teil Deutschlands, dem Land der Dichter und Denker, mit seinen deutschen Bürgern stehengeblieben. Dabei wären wirkliche Reformen so bitter nötig wie die Südfrüchte in den Regalen der Geschäfte und die bessere Lebensqualität eines ganzen Volkes. Wo ist der Stolz der Menschen auf ihr kleines Vaterland geblichen? Er weicht dem Zorn einer ganzen Nation, in der es vor allem die Jungen sind, die mehr vom Leben haben wollen. Sie denken auch an ihre Kinder, denen sie eine bessere Zukunftsperspektive geben wollen. Sie sind es, die nun endlich den Mut aufbringen, öffentlich das zu diskutieren, was sie in den vielen Jahren ihres Lebens bisher immer nur ganz vertraulich und nur andeutungsweise hinter vorgehaltenen Händen aussprechen konnten. Zu viele Spitzel sind unter ihnen in den eigenen Reihen, und so mancher wurde von seinem eigenen Nachbarn und Freund für eine unbedachte Meinungsäußerung in ein Gefängnis befördert. Diese sind voll mit politischen Gefangenen, doch das steht nicht in den Zeitungen, die die Bürger zu lesen bekommen. Ein ganzes Volk wird für dumm verkauft. Dabei hat die Welt da draußen so viel zu bieten, nicht nur die Freiheit zu reisen oder die eigene Meinung zu sagen.

Das begreifen inzwischen viele Menschen, auch der letzte kleine Bürger. Nur das Politbüro nicht. Alles können sie vorschreiben und kontrollieren, aber über eines haben sie keine Macht: die Menschen haben ihren eigenen Draht zur Welt nach draußen gefunden durch die grenzüberschreitende Technik des Fernsehens aus dem kapitalistischen Westen. Wenn dann abends um acht Uhr die Tagesschau beginnt, rennt eine ganze Nation seit Jahrzehnten zum Knopf des Fernsehers, um die Lautstärke runterzudrehen. Die Nachbarn sollen nicht hören, daß man verbotenes Westfernsehen schaut. Die wissen das aber nur zu gut, denn sie tun schließlich das gleiche.

Als dann die Intershops und Delikatläden zum Wohle des Staatshaushalts Einzug in dieses angeblich so fortschrittliche, aber leider so tristgraue Land halten, kommt ein neuer Duft rüber, Ein Duft von der großen weiten Welt, wo es all die Dinge gibt, denen man hier meist erfolglos hinterher rennt. Das schürte den Neid und die geheime Wut beim Arbeiter- und Bauernvolk noch mehr, denn warum gibt es all diese Dinge nicht in den eigenen Geschäften, wo doch alle Pläne meist zu hundertzehn Prozent erfüllt werden? Dinge, die das Leben so viel bunter, süßer und angenehmer machen würden, die aber in westdeutscher D-Mark bezahlt werden müssen, und die hatten viele Menschen nun mal leider nicht.

Als in Ungarn die Grenzen gelockert werden, fällt der erste Dominostein. Er fällt und stößt den nächsten um. Eine Welle des Aufbegehrens zieht durch das Land, und 130000 Menschen stellen mutig ihren Ausreiseantrag. Viele junge Menschen fahren nach Ungarn. Sie erhoffen sich eine winzige Chance, nach Österreich zu fliehen. Und tatsächlich: zum Volksfest in Sopran wird die Grenze für drei Stunden geöffnet. Viele wartende DDR-Flüchtlinge, die diese Gelegenheit nutzen, laufen mit ihren Kindern über die Felder nach Österreich. Sie lassen alles zurück für ihren Traum, im Westen in Freiheit leben zu dürfen.

In der Prager Botschaft der Bundesrepublik warten 4 000 von der DDR-Regierung als republikflüchtig gescholtene DDR-Bürger unter schlimmsten Bedingungen wochenlang auf ihre Ausreisegenehmigung und darunter sind auch viele Kinder und Jugendliche.

In Leipzig ruft Kurt Masur zur Besonnenheit und zum friedlichen Dialog auf. Brennende Kerzen leuchten in überfüllten Kirchen und eine ergreifende Stimmung ist in den Herzen eines ganzen Volkes, das genug von diesem Leben hat.

Auf den Montagsdemonstrationen treffen sie sich und es sind unglaublich viele Menschen. Keine Aufrührer und Randalierer, wie das DDR-Fernsehen behauptet, sondern friedlich und diszipliniert demonstrierende Bürger, die ihrem Land wieder eine Zukunft geben wollen.

„Wir sind das Volk“.

Aus Tausenden von Kehlen schallt es in die Ohren der alten Männer des Politbüros. Aber die halten sich ihre Ohren und wohl auch die Augen zu und tun so, als ginge sie dies alles nichts an. Viele Bürger der DDR sitzen mit klopfenden und bangen Herzen vor ihren Fernsehgeräten und schauen ungläubig zu, was sich da auf den Straßen und Plätzen ihrer Republik tut. Doch nur das westdeutsche Fernsehen überträgt die Ereignisse rund um diese Demonstrationen.

Der 10. September in Ungarn, der 30. September in Prag, der 9.

Oktober in Leipzig, das waren die Vorboten, die zu den Ereignissen am 9. November führen sollten.

T' schuldigung, wo geht' s denn hier nach Westdeutschland?

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