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Kapitel 4 Das erste Jahr nach der Wende.

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1990 ist angebrochen und es ist, als ob alle Menschen in unserer Kleinstadt in der Nähe von Brandenburg, die Luft anhalten. So recht weiß keiner mehr, was er darf und was nicht. Was ist jetzt erlaubt, nach welchen Gesetzen soll man sich richten?

Wer hat überhaupt noch was zu melden? Die neue große Freiheit liegt in der Luft, und keiner weiß etwas damit anzufangen. Ein Steinchen fällt in einen

Ameisenhaufen und bringt die eingespielte Ordnung durcheinander. Alle laufen und laufen und wissen nicht, wohin. Es ist einfach keiner da, der sagt, wo es langgeht. Eine Nation, die nie gelernt hat, selbständig zu denken, ist auf einmal auf sich selbst angewiesen. Die Selbständigkeit aber, steht noch auf wackligen, unsicheren Füßen und vielen fehlt der Mut. Sie wissen nicht, was sie anfangen sollen mit der neuen Freiheit.

Eine sozialistische Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern, zersplittert in kleine Einzelteile und plötzlich ist jeder sich selbst der nächste.

Nach der anfänglichen Besinnungsphase schießen im neuen Jahr 1990 die ersten privaten Initiativen einiger Mitbewohner unseres kleinen Städtchens wie Pilze aus dem Boden und geben dem neuen Leben einen bunten Anstrich.

Endlich kommt Farbe in den grauen Alltag. Die ersten Autogaragen werden mit Pornovideos und merkwürdigem Sexzubehörschweinkram ausgestattet. Die neue große Freiheit ist da und mit ihr gehen alle Tabus flöten. Alle fühlen sich, der neuen Toleranz wegen, großartig. Die Fülle der neuen Möglichkeiten des freien Lebens überschütten die Menschen mit ungeahnten Ideen und Aktivitäten.

Jetzt gibt es überall viele Zeitschriften mit nackten Weibern. Endlich. Die Wende küßt unser biederes Städtchen und es erwacht endlich, wie Dornröschen, nach seinem hundertjährigen Schlaf. Alles ist aufregend, neu und einfach großartig. Woche für Woche werden die Schaufenster immer voller und schöner.

Selbst das alte, klapprige Kino entzückt die Vorbeieilenden mit einer üppigen, fast nackten Schönheit im Großformat, die allen Vorbeieilenden von ihrem Plakat zuzwinkert. So manche ältere Dame zuckt bei ihrem Anblick zusammen, greift sich ans Herz und wechselt die Straßenseite.

Dann werden die Einwohner mit neuen Obst- und Gemüseläden überflutet, und es gibt endlich Südfrüchte. Was es da alles zu entdecken gibt.

„Lisa, du mußt einmal eine Kiwi probieren“, sagt mir meine Arbeitskollegin Karin und begeistert nicken wir uns zu, als wir uns ein Stück davon in den Mund stecken. Nur die Schale war ein bißchen zäh. Auch die Kinder in meinem kleinen Dorfkindergarten profitierten vom Einzug des Kapitalismus, denn ihre lieben Mamis steckten ihnen nun gerne kleine, süße, und bunte Überraschungen in die Brottasche. Nicht gesund und nicht gerade zahnfreundlich, aber toll eingepackt und so aufregend.

Ihre Erzieherinnen aber stehen da und wissen nicht so recht, wie es mit der Bildung und Erziehung dieser Knirpse weitergehen soll. Ich lege alle Monats- und Wochenpläne ganz unten in den Schrank und beschließe, den Tagesablauf beizubehalten, aber alle sozialistischen Einflüsse zu streichen. Sozialismus ist nicht mehr.

Irgendwann fahren wir nach Hof, Bruno, die Kinder und ich.

Wir holen uns unser Begrüßungsgeld ab und freuen uns über die vielen winkenden Menschen, die unserem Trabi nachschauen. Das Geld ist schnell verbraten und kleine persönliche Wünsche werden mit Freude erfüllt.

Dann entdecken wir einen riesigen Baumarkt. Bruno ist ganz aus dem Häuschen und verliert die Fassung. Man, wenn man jetzt richtig viel Westgeld hätte. Er schwebt durch die Gänge und ist erschüttert. Ein Mann wie ein Baum kämpft mit den Tränen. Er streichelt über so manches Werkzeug und manche Maschine, als ob es ein Baby wäre. Auf der Rückfahrt schweigt er und knetet das Lenkrad in seinen Händen.

Die Mädels kichern und freuen sich über ihr neues Spielzeug und über wunderschöne Sportschuhe in Rosa.

Irgendwann öffnet ein großer Supermarkt auf unserem alten Sportplatz die Türen. Nur eine provisorische große Halle, die bis unter die Decke mit Waren in riesigen Kisten vollgestapelt ist. Der Sportplatz ist ein einziger Schlammplatz, denn es hatte lange und ausgiebig geregnet. Die Menschen ziehen trotzdem mit ihren Einkaufswagen durch den Matsch und wühlen wie die Kinder in den bunten Kisten herum.

Ja, die ersten heißersehnten Produkte der westlichen Welt überfluten auch dieses kleine graue Nest und lassen die Herzen aller Menschen höher schlagen. Keiner braucht mehr seiner Verwandtschaft in Westdeutschland einen Bettelbrief zu schreiben und jeder ahnt: Das ist erst der Anfang.

Die Stimmung im Ort wird durch ein Ereignis unterbrochen, und einer erzählt es dem anderen. Der erste Tote. Ja, ein Mitglied unserer Gesellschaft, ein lieber Familienvater und vorbildlicher Parteigenosse hat seinem Leben plötzlich und unerwartet ein Ende bereitet. So etwas gab es noch nie. Ein Selbstmörder, hier, bei uns…...

Man fand ihn in seiner Wohnung auf dem Fußboden seines Badezimmers sitzend und beide Arme hingen blutend in zwei Wassereimern.

Kein schöner Anblick für seine Ehefrau und ein Schock für alle.

Nun muß seine Frau allein das neue Häuschen abzahlen und das Geschwätz der Nachbarn hinter ihrem Rücken ertragen.

Als ich das Ereignis mit Verblüffung und Anteilnahme meiner Kollegin Anneli erzählte, sagt sie nur: „ Ach Lisa, laß mal, das war ein großes Stasischwein, das andere Leute hinter Gitter gebracht hat.“

Diese Nachricht haut mich um, denn ich kenne seine Frau und die Kinder und kann es nicht glauben.

Meine Arbeit im Kindergarten stellt mich nicht zufrieden. Es ist ein ruhiges Leben, einige Kinder fehlen, denn die Mütter sind jetzt mehr zu Hause und holen ihre Kinder eher ab oder schicken sie erst gar nicht.

Die ersten Personaleinsparungen greifen um sich in den Betrieben.

Im Kindergarten ist es ruhig. Unser Conny, der Oberrabauke des Kindergartens, ist im Krankenhaus. Es wurde bei ihm zufällig ein Tumor hinter seinem Ohr entdeckt. Die Operation verlief sehr gut und er hatte noch mal Glück gehabt. Nun hatten wir alle die Erklärung für sein boshaftes Verhalten und seine spontanen Anfälle von gut zu böse. Die ärztliche Voruntersuchung für die Schule verlief für ihn besonders gründlich, da ich der Ärztin ein viele Seiten umfassendes Persönlichkeitsgutachten überbrachte und sie dadurch auf die Verhaltensstörungen dieses Kindes endlich aufmerksam wurde. Die Ärztin wurde auch von der Schuldirektorin informiert, denn bei einem Vorstellungs- und Einschulungsgespräch trat er ihr vor das Schienbein und nannte sie „alte Mistsau“.

In einer Probeunterrichtsstunde, in der er unbedingt zur Toilette wollte und nicht gleich durfte, pinkelte er seinem Vordermann unter den Stuhl, durch seinen Hosenschlitz durch. Jetzt wissen wir alle, warum er sich so benahm. Ich wünsche ihm alles Gute und freue mich, daß er bald ein Schulkind ist und ich ihn dann von weitem sehen kann.

Um meiner Arbeit eine neue Richtung zu geben und für die neue Zeit etwas zu lernen, nehme ich Kontakte zu einem Kindergarten in Braunschweig auf. Dort möchte ich unbedingt einen Tag lang hospitieren. Sehen, wie es meine Kolleginnen dort so machen und platze fast vor Neugier und Tatendrang. Das Wetter ist ganz gut und ich fahre das erste Mal in meinem Leben mit der Eisenbahn über Magdeburg und Helmstedt nach Braunschweig. Ich will mit neuem Schwung und tollen Ideen meine Arbeit modern und unsozialistisch fortführen. Das nehme ich mir vor und mit freudiger Erwartung packe ich mir im Zugabteil einen Schokoriegel aus. Als der Zug plötzlich langsamer fährt, stehe ich auf und schaue aus dem Fenster. Draußen sehe ich die Reste des Grenzübergangs Helmstedt. Ich habe noch nie direkt und hautnah so einen Grenzübergang aus der Nähe gesehen, da ich noch niemals so dicht dran war.

Die Wachtürme und Stacheldrahtreste und Betonklötze und die verlassenen Häuschen, all das jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Was sich hier abspielte, wußte ich nur vom Hörensagen. Am schlimmsten sollen die unfreundlichen, meist fetten Weiber gewesen sein, die ihre Arbeit sichtlich genossen und sie ausnutzten, um die westlichen Ein- und Ausreisenden zu provozieren und zu schikanieren. So, jedenfalls, sagte man es allgemein. Der Zug rollt weiter Richtung Braunschweig und ich packe den restlichen Schokoriegel ein. Mir ist der Appetit vergangen, und ich verbringe den Rest der Fahrt in einer beklemmenden Stimmung.

Irgendwann blicke ich wieder aus dem Fenster, denn ich möchte endlich sehen, wo nun eigentlich der Westen anfängt. Ich drücke mir die Nase an der Scheibe platt und erwarte nun mit Pauken und Trompeten und vielen grellbunten Werbeplakaten die schillernde westliche Welt. Aber nichts. Die Bäume und Wiesen und Felder sehen genauso grün aus wie bei uns. Komisch. Dann sehe ich eine kleine Brücke. An ihren Seiten links und rechts hängen Blumenkästen am Geländer mit vielen roten Hängegeranien. Ein schönes Bild. Auch die Straßen, die ich dann sehe, sind so breit, so sauber, so ohne Löcher. Und die Häuserfassaden sind so hübsch, als ob der Maler gerade sein neues Bild fertig gemalt hätte. Ein Bauernhaus schöner als das andere. Ich bin tief berührt und sauge die neuen Eindrücke auf. Freude macht sich wieder bei mir breit und ich hüpfe wie ein kleines Mädchen in Braunschweig aus dem Zug. Angekommen.

Ich werde abgeholt und meine zwei westlichen Kolleginnen erkennen mich gleich und winken. Wir fahren mit dem Auto nicht sehr lange und ich schwöre mir, daß ich wiederkomme und mir dann in Ruhe Braunschweig mit seiner alten Innenstadt ansehen werde. Hier ist alles so spannend für mich, daß mein Herz laut klopft.

Aber die Neugierde ist auf beiden Seiten groß. Ich werde herumgeführt und finde alles recht schön und normal. Eben ein Kindergarten.

„Warum stehen bei euch im Haus alle Türen zu den Gruppenräumen sperrangelweit auf?“ ,frage ich erstaunt.

„Weil die Kinder hier selbst entscheiden können, wo sie hingehen und was sie mitmachen möchten.“

Aha, die Kinder dürfen das selbst entscheiden und, wenn sie keinen Bock haben, gehen sie zum Spielen auf den Spielplatz. Kein Lerndruck, kein Muß. Das ist ja toll. So wie im echten Leben, alles locker und entspannt. Aber wie zum Teufel haben dann die Erzieherinnen noch den Überblick, denn die ewigen Drückeberger können sich ungehindert dem Spielen und Raufen hingeben, ohne auch nur ein klitzekleines bißchen auf die Schule vorbereitet zu werden. Wie kann man da feststellen, wo der persönliche Entwicklungsstand der Kinder ist und wie will man die Kinder einzeln fördern, die es nötig haben. Schwachstellen entdecken, Hilfeleistung geben, lenken und leiten, motivieren und begeistern. So ganz verstehe ich das Prinzip hier nicht und werde nicht schlau daraus. Wie auch immer.

Zum Schluß des Tages lade ich meine neuen Kolleginnen, die ich aufgeschlossen und irre nett finde, zu uns in den Dorfkindergarten an der schönen Havel ein. Man sagt nicht nein. Super!

Dann drei Wochen später.

Mit einem Minibus reisen sie an, meine frisch eroberten Arbeitskolleginnen aus dem Westen. Auch sie sind neugierig. Es kommen vier Erzieherinnen und zwei Praktikantinnen. Über die vielen Wiesen und Felder sind sie voll des Lobes, aber die Landstraßen ... solche Löcher.

Wir zeigen ihnen unser Reich und mit viel Stolz auch den kleinen Garten der Kinder und die Minigartengeräte im Geräteschuppen. Weil das Wetter so schön ist, singen und tanzen die Kinder unseren Gästen auf der Wiese etwas vor. Dann gibt es für alle selbstgebackenen Kuchen und Westkaffee, den unser Besuch mitgebracht hat.

Die Frauen werden immer lockerer und sehen sich das Spiel- und Lernmaterial, sowie die kleinen Musikinstrumente an. Gar nicht so schlecht, die Ossis.

Als dann die Kinder schlafen, sitzen wir alle fachsimpelnd um einen großen Tisch und die Aufregung ist auf beiden Seiten groß. Die Frauen zeigen sich sehr interessiert und sind voll des Lobes. Dann treten sie die Heimreise an und sagen mir und meinen Kolleginnen hier beim Händeschütteln, daß sie das alles so nicht erwartet hatten.

Sie wünschen uns alles Gute und drücken uns an ihr Herz. Ein schöner Tag für alle, mit neuen Erfahrung auf beiden Seiten, geht zu Ende.

Es dauert wenige Wochen und die Gemeinde muß die Kosten für den Kindergarten selber tragen. Im Klartext heißt das: Unsere Praktikantin verliert ihren Job und die Eltern müssen für ihre Kinder tiefer in die Tasche greifen. Viel tiefer. 50 Pfennig für Essen, 30 Pfennig für Milch und 2 Mark für sonstiges mit dem Namen Kulturbeitrag war gestern. Ende, Sense, nix Sozialismus.

Bruno hat sich ein langes Wochenende freigenommen. Er muß unbedingt mit seinem Angelfreund Paul nach Hamburg, auf die Reeperbahn natürlich. Es macht mir nichts aus und ich freue mich auf ein ruhiges Wochenende.

In unserer Kleinstadt stehen viele Wohnungen leer, sie wurden Hals über Kopf von ihren Bewohnern verlassen. Einige Familien sind unüberlegt und kopflos bei der Grenzöffnung abgehauen. Auch die Kinder meiner Kollegin Elli sind über Ungarn als eine der Ersten nach Bayern gefahren. Gerade als ich daran denke, entdecke ich sie, zwischen den Regalen im Supermarkt. Sie, meine alte, liebe Kollegin Elli.

„Sag mal, eben habe ich an dich gedacht und dann treffe ich dich nach so langer Zeit“, sage ich und falle ihr um den Hals.

Elli freut sich und drückt mich an ihr Herz.

„Was ist denn mit dir los, du siehst gar nicht gut aus. Elli, bist du krank? “

Da bricht es aus ihr heraus, und sie hält sich mit ihren Händen ihr kleines Gesichtchen zu und heult und schluchzt in ihr Taschentuch. Da habe ich wohl voll ins Schwarze getroffen. Auch das noch. Elli erzählt mir, daß ihre einzige Tochter mit dem Ehemann und dem Enkelkind jetzt fest in Bayern wohnt. Sie haben beide eine Arbeit gefunden. Nein, sie freut sich nicht, denn sie vermißt sie alle sehr und hält diesen Zustand nicht mehr aus. Kann nicht mehr essen, nur noch heulen. Ich nehme sie in die Arme.

21„Elli, wart es ab, bald haben wir auch hier die gleiche Währung und dann kommen sie bestimmt zurück.“

Elli nickt und hört gar nicht auf zu nicken, und ich schenke ihr eine Packung Taschentücher, die nach 4711 duften.

Am Sonntag abend ist Bruno wieder da und er versprüht gute Laune. Hatte wohl ein schönes Wochenende in Hamburg. Von mir aus. Es kümmert mich wenig. Hauptsache, es ist Ruhe im trauten Heim.

Dann kam eine Nachricht für uns aus Holland. Es gibt in Westberlin einen Bruder namens Eberhard. Der wollte uns in seiner unendlichen Freude über die Grenzöffnung, die er im Nachthemd und in Hausschuhen erlebte, einladen nach Westberlin.

Er will uns seine Stadt zeigen und fragt, ob wir dazu Lust hätten? Wir hatten, und ob!

Als Schulkind durfte ich, Klein Lieschen, bei einem Besuch des Fernsehturms mit der Schulklasse, damals vor unendlich vielen Jahren, vom Fernsehturmcafefenster einmal in Richtung Westberlin gucken. Und jetzt dies.

Um es kurz zu machen: Familie Kleinschmidt fährt mit dem Trabi nach Westberlin, hautnah an den Ort des Geschehens, direkt an die Reste der Grenze. Welch ein Wahnsinn. Wir wechseln die Sitzplätze unseres Trabis dann dort angekommen, gegen die Sitzplätze in einem schwarzen BMW ein und fahren staunend und mit Riesenaugen durch Westberlin. Mein Gott, daß ich das mal erleben darf. Gänsehaut ohne Ende. Wir bröckeln uns ein kleines Stück Mauer ab und betrachten es wie ein Weltwunder.

„Lisa, wach auf. Möchtest du dir das Kaufhaus des Westens ansehen? „

Das KaDeWe und Lisa Kleinschmidt mittendrin. Mein Herz rast und ich bin völlig fix und fertig. Kann mich nicht satt sehen. Alice im Wunderland gleich, schwebe ich durch die Etagen. Es ist ein Glimmern und Glitzern um mich herum und ich sauge die Düfte der großen weiten Welt genüßlich in mich ein.

„Kinder, bitte nichts anfassen und um Himmels willen nichts kaputtmachen.“

Wir sind mit der Rolltreppe im Obergeschoß in der Lebensmittelabteilung. Ich brauche jetzt einen Stuhl. Es ist einfach zu viel für mich. Sabine und Kathleen sind ganz aus dem Häuschen, als sie die vielen Fische sehen, die dort auf den Eiswürfeln mit Salat und Zitrone dekoriert die Einkäufer anlocken. Die Krebse und Tintenfische und all das Meeresgetier da an den Theken ist ein Augenschmaus und sieht sehr abenteuerlich aus. Eine riesige Languste glotzt mich an und sie ist so schön, daß ich meinen Blick nicht von ihr nehmen kann. Die Welt ist groß und bunt und wunderschön.

„Wollt ihr etwas trinken, ihr seht mir so geschafft aus?“, sagt Eberhard zu uns und ein stolzes Lächeln huscht über sein Gesicht. „ Aber wir haben doch kein Westgeld und alles ist so teuer.. Eberhard drückt mich an seine Brust. „ Ach, Kleines, mach dir mal keine Sorgen.“

Wir tranken eine Cola und Bruno bekam ein Bier, also so was von einem Bier, in einem so was von tollem Bierglas. Nein, es verschlug uns Ossis direkt die Sprache.

Oh Gott, das ist bestimmt sehr, sehr teuer.

Als ich den Preis höre, möchte ich das Bier am liebsten zurückschicken. „ Das können wir doch gar nicht annehmen. Das ist so teuer, ist da gleich das Glas mit dabei?“, sage ich im Spaß.

„Ja“, sagt Eberhard. Das ist schon mit einkalkuliert, das kannst du dir einstecken.“

Mein Kopf läuft rot an und die Hitze steigt mir in die Schläfen und läßt sie laut pochen.

„Bloß nicht, so was kommt gar nicht in Frage, mein Lieber. Du machst wohl Witze.“

Dann fahren wir zum Kaffeetrinken los und ich bin froh, daß ich hier weg bin.

Dieses Kaufhaus ist einfach zuviel für meine schwachen Nerven.

Eberhards Frau begrüßt uns lieb an der Tür ihres schönen Einfamilienhauses, und es duftet nach Westkaffee. Natürlich, wonach sonst. Im Flur entledigen wir uns unserer Mäntel und Oberstudienrat Eberhard ruft: „ Lisa, Schatz, guck mal, was ich für dich habe ... „

Da holt doch tatsächlich dieser alte Halunke das kostbare, goldene Bierglas aus seiner Manteltasche und drückt es mir in die Hand. Ich stehe da wie vorn Donner und Blitz getroffen und fasse es nicht.

„Ja, ja, das könnt ihr euch mitnehmen, als Souvenir. Mußt du bloß noch abwaschen.“

Das übernahm dann seine Frau. Als sie es abtrocknete, rief sie uns alle in die Küche. „ Guckt mal, hier steht auf dem Glas in Goldschrift in drei Sprachen: geklaut im KaDeWe.“

T' schuldigung, wo geht' s denn hier nach Westdeutschland?

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