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I. Einleitung 1. Das auslösende Problem
ОглавлениеDen Anlass zu den Forschungen, die hier vorgelegt werden, gab eine Beobachtung, die sich dem Verständnis nicht leicht erschloss. Bischof Bonizo von Sutri, Autor einer Streitschrift im sogenannten Investiturstreit, ein enger Vertrauter Papst Gregors VII., schreibt in seinem Liber ad amicum etwas sehr Überraschendes. Seine Aussage relativiert die Verpflichtung des Christen zur unbedingten Friedens- und Feindesliebe, wie sie in der Bergpredigt ihren starken Ausdruck fand, doch sehr beträchtlich: Es seien die selig zu preisen, die Verfolgung ausübten um der Gerechtigkeit willen, sie seien denen gleich, die Verfolgung erlitten um der Gerechtigkeit willen.1 Als Autorität führte er keinen Geringeren als den Kirchenvater Augustinus an. Eine Nachprüfung der Belegstelle ergibt jedoch, dass Augustinus keineswegs als Gewährsmann für die ungewöhnliche Behauptung herangezogen werden kann. Seine Ausführungen lauteten anders und waren von Bonizo oder anderen tendenziös interpretiert, um nicht zu sagen bewusst missverstanden worden.2 Gelten aber sollte die neue Doktrin für die Zeit Gregors VII., die Zeit der Kirchenreform und der Etablierung der päpstlichen Suprematie.
In welchen Zusammenhang gehört eine solch tendenziöse Auslegung der Tradition? Wie hängt sie mit den vieldiskutierten Vorstellungen und Zielen des Reformpapsttums zusammen, das die Befreiung der Kirche vom Einfluss der Laien auf seine Fahnen geschrieben, zudem aber eigene neue Geltungsansprüche in Kirche und Welt formuliert hat? Welche Rolle spielte in den neuen Konzepten von der päpstlichen Machtfülle nicht nur die Binde- und Lösegewalt im Himmel und auf Erden, sondern auch die Berechtigung zur Ausübung von physischer Gewalt gegen Ungehorsame und Widerspenstige? Die Bonizo-These und ihre für moderne Christen wohl eher schockierende Fremdartigkeit, die dennoch bisher in der Forschung wenig Aufmerksamkeit gefunden hat, weist auf Schwachpunkte und blinde Flecken in unserem Verständnis der Reformprozesse des 11. Jahrhunderts und ihrer argumentativen Grundlagen hin. Es scheint nicht wirklich verstanden worden zu sein, warum Bonizos Traktat sich sehr ernsthaft mit der Frage beschäftigt, ob es dem Christen erlaubt sei, für die Wahrheit Gewalt anzuwenden. Und warum er diese Frage mit einem entschiedenen Ja beantwortete. Der „Sitz im Leben“ dieser These ist daher das Thema der folgenden Abhandlung. Oder anders gesagt: Woher nahm das Reformpapsttum die Legitimation, die eigenen Ziele durch den Einsatz von Gewalt erreichen zu dürfen? Erklärt sich vielleicht das so oft beschriebene übersteigerte Sendungsbewusstsein Gregors VII., sein religiöser Fundamentalismus, aus der gleichen Quelle, aus der auch die Gewissheit kam, für die Glaubenswahrheit Verfolgung ausüben zu dürfen? Mit dieser Frage begibt man sich in ein intensiv erforschtes Terrain.
Vielfach beschrieben worden ist die Ereignisgeschichte dieser Reformbewegung, vielfach zitiert sind auch die Belege, die ihre zentralen Ansprüche und Anliegen dokumentieren. Weniger im Blick ist dagegen die normative Grundlage, auf der diese Ansprüche erhoben wurden und die bisherige theologische Begründung des Selbstverständnisses der Kirche aufgegeben oder hintangestellt wurde. In diesem Buch geht es daher vorrangig um die Frage, unter welchen Bedingungen und mit welchen Argumenten die Päpste seit dem 11. Jahrhundert die Anwendung von Gewalt im Dienste und im Auftrag der Kirche als legitim deklarierten. Und mit welchen Autoritäten sie diese neue Sicht begründeten.
Die zitierte Stelle gehört in einen Kontext, der die Untersuchungen in eine bestimmte Richtung lenkt. Bonizo beschäftigte sich in dem genannten Werk mit einer grundsätzlichen Frage, die er zu Beginn und am Ende explizit formulierte: „Ist es dem Christen erlaubt, für die Wahrheit mit Waffen zu kämpfen?“3 In dieser Formulierung ist vor allem die Benutzung des Wortes veritas von Gewicht, das eine zentrale Bedeutung für das kirchliche Selbstverständnis hat. Die Formulierung lebt von der Gewissheit, dass die Kirche im Besitz der Wahrheit Christi sei, die Christus symbolisch mit den „Schlüsseln des Himmelreiches“ an Petrus übertragen habe und die von diesem in den Besitz der Päpste, der Nachfolger Petri, gelangt sei. Diese Gewissheit hat gerade Papst Gregor VII. in seinen Briefen immer wieder betont.4
Für die Wahrheit mit Waffen zu kämpfen meinte also, es für die Kirche zu tun. Bonizo ging es in seiner Schrift darum, zu beweisen, dass man im Dienst und Auftrag der Kirche berechtigt sei, Gewalt anzuwenden. Zu diesem Zweck sammelte er einschlägige Aussagen der Bibel, der Kirchenväter und Beispiele aus der Geschichte, die nach seiner Auffassung Antworten auf diese Frage gaben. Die Tendenz und das Ergebnis der Schrift sind eindeutig: Gewalt im Dienste und Auftrag der Kirche ist unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Das belegen die Stellungnahmen der von ihm zitierten Kirchenväter ebenso wie die exempla heiliger und gottesfürchtiger Männer aus der Heiligen Schrift und der Geschichte. Das Werk war vielleicht an die Markgräfin Mathilde von Tuszien gerichtet, die mit ihren Vasallen Papst Gregor VII. in seinen vielfältigen Konflikten mit den Anhängern Heinrichs IV. militärisch unterstützte und so in der Tat im Dienste der Wahrheit Gewalt anwendete.5 Bonizos Werk sollte also der Legitimierung realen bewaffneten Kampfes für die Kirche dienen und zeigt exemplarisch, mit welchem Aufwand man im Umkreis Gregors und gewiss auch im Einvernehmen mit ihm Belege für diese Legitimierung sammelte und zu einer neuen Gewalttheorie der Kirche verarbeitete.