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Endlich gesehen werden!

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An dieser Stelle blende ich nochmals kurz zurück in meine Kindheit. Wie bei den meisten Menschen wurde in meinem Elternhaus meine kindliche Offenheit, Unschuld und Natürlichkeit selten belohnt. Auch ich musste früh feststellen, dass meine Eltern, Großeltern, Lehrer und Verwandten mich nicht wirklich sahen und verstanden. Sie waren nicht in der Lage, mein Wesen zu erfassen und zu spiegeln. Natürlich war mir dies damals noch nicht bewusst.

Ich erhielt eine Fülle von Botschaften und Anordnungen, die meine inneren Qualitäten entweder ignorierten oder diese grundsätzlich in Frage stellten. Nur äußerst selten fühlte ich mich wirklich erkannt, gefördert und in meinem freien, natürlichen Ausdruck unterstützt. Bei aller Liebe und Fürsorge, die mir auch zuteil wurden, stellte ich irgendwann fest, dass es besser ist, mich nicht mit allen meinen tiefsten Regungen zu zeigen. Doch viel schlimmer noch war dieser nagende, unterschwellige Zweifel an mir selbst, an meiner Richtigkeit, meinem Wert, meiner Liebenswürdigkeit.

Weil ich mich immer wieder in Frage stellte und gestellt fühlte, glaubte ich mit der Zeit, dass etwas mit mir und meiner menschlichen Natur nicht stimme. Als Folge davon war mein Selbstbewusstsein sehr labil und ich wagte kaum darauf zu hoffen, dass die Mädchen, von denen ich mich angezogen fühlte, die ich insgeheim verehrte und von denen ich träumte, sich je für mich interessieren würden. Ich begann, mich zu verbergen, hielt mich viel allein in der Natur auf und spielte mit unseren Haustieren. Dadurch grenzte ich mich selber aus, wurde zum Außenseiter und ging menschlichen Konflikten lieber aus dem Weg.

Mit der Zeit lernte ich, mich bei den Eltern und Erwachsenen nur noch mit jenen Angelegenheiten zu zeigen, bei denen ich sicher sein konnte, dass sie auch zu deren Denkweisen und Wertesystemen passten. Vor allem der Bereich meiner Erotik und Sexualität musste verheimlicht werden. Die strenge Moral meines engen religiösen Umfeldes sah dafür bei Kindern und Jugendlichen keinen Platz. So schwankte ich hin und her zwischen Selbstverleugnung und Heimlichkeiten, mit einem unterschwellig schlechten Gewissen. Meine wahren Regungen waren tabu. Auf keinen Fall durfte ich mich damit zeigen! Mein Verlangen nach liebeserotischen Erkundungen und Erfahrungen sowie meine natürliche Neugierde blieben für lange Zeit unterdrückt und ungestillt.

Umso überwältigender war es dann später, als einige der schönsten und anziehendsten Mädchen sich plötzlich doch für mich interessierten. Dies waren für mich jedes Mal Momente voll unfassbaren Glücks. Die offensichtliche Tatsache, dass ich doch gewollt und begehrenswert war, lockte mich nach und nach aus meiner Isolation. Ich erlebte mich endlich anerkannt und als sexuelles Wesen angenommen und gewollt.

Doch konnte ich dieser „Liebe“, diesem Gewollt- und Angenommensein auch wirklich vertrauen? Diese Frage kam auch in späteren Zeiten regelmäßig auf, wenn sich aus der Verliebtheit eine „feste Beziehung“ entwickelte. Auf einmal war wieder nicht alles an mir willkommen, vor allem nicht meine Neigung, den Ausdruck meiner Lebendigkeit und Zuneigung auf Dauer nicht nur auf eine einzige Frau zu begrenzen. Ich verliebte mich gern und häufig, war vielleicht auch süchtig nach diesen erhebenden, ekstatischen Gefühlen und rang darum, diese mit einer für mich wichtigen und tiefgehenden Partnerschaft zu vereinbaren. In meinem Empfinden schloss sich beides überhaupt nicht gegenseitig aus. Im Gegenteil: Je freier ich mich fühlen konnte, desto näher und stärker präsent war ich auch für meine jeweilige Partnerin, mit der ich mein Leben teilte. Doch die meisten fühlten sich davon bedroht und reagierten eifersüchtig. Schon bald erlebte ich mich dann wieder überwacht, kontrolliert und gefangen, wie ich es in den engen moralischen Begrenzungen meines Elternhauses und in der damals lebenswichtigen Beziehung zu meiner vereinnahmenden Mutter erlebt hatte.

Und so schien es, als würden mir meine Überzeugungen, mit meinem Menschsein stimme etwas nicht, immer wieder aufs Neue bestätigt. Ich begann, mich erneut innerlich zurückzuziehen und suchte nach Wegen, die Erfahrungen, die mir wichtig erschienen, doch irgendwie einzulösen. Notgedrungen musste dies verdeckt und heimlich geschehen, denn die ganze Wahrheit hatte in der Regel Liebesentzug, endlose Konflikte und den Verlust des häuslichen Friedens sowie des harmonischen Miteinanders zur Folge. Der offene, ehrliche, freie Ausdruck meiner Liebesbegegnungen schien unvereinbar mit einer Nähe und Verbundenheit, in der ich mich zuhause, geborgen und angenommen fühlen konnte.

Immer wieder musste ich einsehen, dass Heimlichkeiten und Unwahrheiten früher oder später ans Licht kamen und die ersehnte vertrauensvolle Nähe und Geborgenheit dadurch erneut zerstört wurden. Mein Glaube an mein Nicht-Richtig-Sein schien sich dadurch immer wieder zu bestätigen. Ganz allmählich begann ich, meine Träume von der Vereinbarkeit von Liebe und Freiheit zu begraben.

Erst sehr viel später in meinem Leben, als ich mich weitgehend selbst gefunden hatte, wurden mir ganz überraschend Erfahrungen geschenkt, in denen offene und ehrliche Nähe und Freiheit, tiefes Einlassen und freier Liebesfluss miteinander versöhnt und gelebt werden konnten. Diese neuen Erfahrungen vertieften für mich die Heilung und Befreiung, die offensichtlich bereits in mir begonnen hatte.

Allen Frauen dieser Lebensphase fühle ich mich in besonderer Dankbarkeit verbunden. Aus jeder Liebesverbindung ist eine spürbare Seelenliebe und zutiefst wertschätzende Verbundenheit und Freundschaft hervorgegangen. Auch in diesem Kontext sehe ich heute klar, dass es vor allem eine grundlegend wichtige Beziehung gibt, nämlich die zu uns selbst. Alle Begegnungen und Verbindungen zu den Menschen unseres Lebens spiegeln exakt und unmittelbar die Qualität dieser unserer ersten Partnerschaft mit uns selbst, im Schönen wie im Schrecklichen.

Wer liebt hat alles

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