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Aufforderung zum Gespräch
ОглавлениеFür den 11.11. erhielt ich eine Aufforderung zum persönlichen Gespräch bei der Abteilung Inneres im Rathaus Köpenick.
Dieses Gespräch fand nicht statt, die Bearbeiterin sei erkrankt teilte man mir im Rathaus mit. Ich fuhr wieder heim und nutzte die verbleibende Arbeitszeit für private Dinge.
Eine nächste Aufforderung erhielt ich brieflich für den 28.11.86 / 13:00 Uhr, Abteilung Inneres, Rathaus Köpenick.
Seit Mitte November war ich wegen extrem hohen Blutdrucks krankgeschrieben, nahm dieses aber nicht zum Anlass das anberaumte Gespräch abzusagen.
Nachdem ich auf dem Weg zum Rathaus noch Schwiegermutters Weihnachtsbesuch bei der Polizei beantragt hatte, im Lampengeschäft fünfundzwanzig elektrische Weihnachtskerzen erstand, nach denen wir schon zwei Jahre suchten, sprach ich pünktlich im Rathaus vor.
Ich gab die Aufforderungskarte, Personalausweis und Versicherungsausweis ab. Einige Minuten später wurde ich in das Büro der ‚Abteilung Inneres‘ gebeten.
Anwesend waren Frau Bönisch sowie der dicke Müller in seiner Funktion als Kaderleiter und Parteisekretär des Betriebes. Mir fiel auf, dass Frau Bönisch das gleiche Kleid trug wie bei unserem ersten Zusammentreffen. Es mag ein Zufall gewesen sein aber bei den hiesigen Preisen kann sich kaum eine Normalverdiener einen größeren Kleidervorrat anlegen. Diese Betrachtung registrierte ich automatisch, so wie ich mir jeden Menschen bewusst betrachtete um mir meine eigene Meinung über ihn zu bilden.
Etwas erstaunt war ich über die Anwesenheit des dicken Müller, das hatte ich nicht einkalkuliert, war aber auch nicht von sonderlicher Bedeutung für meine Argumentation.
Durch ihn wurde der Hauptteil des Gespräches oberflächlich geführt und beschränkte sich auf Agitation sowie die Herausfindung von imaginären Gründen, mit besonderem Augenmerk auf die im Antrag vermerkte konträre Einstellung zur praktizierten Sicherheitspolitik.
Frau Bönisch verstand sich in der Rolle der Schriftführerin. Sie machte sich Notizen und ergriff zum Ende das Wort für die Rechtsmittelbelehrung.
Der dicke Müller folgerte, dass meine Gründe zum Austritt aus der Partei und zur Antragstellung annähernd gleich seien.
Neben meinem dargelegten Standpunkt unterstrich ich im Besonderen, dass ich mich gegen diese formalistische Politik nach innen wende, die die ideologische zur Schaustellung über alles hebe und die fachliche Seite dann nebensächlich, sekundär beurteile. Ich bekräftigte, dass ich trotz, meiner Glatze mit Haut und Haar Seemann sei. Das Verbot zur weiteren Berufsausübung wegen der innerfamiliären Westkontakte könne meinerseits nicht widerstandslos hingenommen werden. Der DDR- Staat wende sich gegen alle Westkontakte in allen Leitungsebenen und versuche diese mit allen Mitteln zu verhindern. Darüber könne die Lockerung bei den Verwandtenbesuchen auch nicht hinwegtäuschen.
„Es ist meine Ansicht, dass es gerade die persönlichen Kontakte sind, die uns einander näher bringen. Eine Ideologie kann sich nur in der stetigen und direkten Auseinandersetzung mit der gegnerischen beweisen. Wie im Arbeitsleben müssen auch hier Theorie und Praxis dicht beieinander liegen. Wenn man die Kontakte unterbindet, dann löst man die Praxis von der Theorie und bewegt sich nur auf einer Ebene. Diese eingeschränkte Ebene schafft aber Widersprüche und Dissonanzen, die man durch Einschaltung beider Ebenen sowie durch die sich hierbei bildende größere Toleranz und mehr Freiheit umgehen kann.
Zwanzig Jahre internationale Freizügigkeit und selbständiges Handeln prägten meine Entwicklung in der Ausübung des Seemannsberufes. Jetzt wurde ich auf ein eingegrenztes Territorium beschränkt, wodurch ich mich eingesperrt fühlte. Bereits seit meiner früheren Jugend lehne ich die Privilegierung einzelner Menschen aus politischer Sicht und damit die Einengung persönlicher Freiheit ab.“
Mit meiner Überzeugung, dass die Sicherheitspolitik der DDR auf eine sozialistische Isolationspolitik in der Privatsphäre ausgerichtet sei und auf eine möglichst totale Überwachung hinziele, konfrontierte ich ihn mit meinen Gedanken zum System der DDR und kam dabei so richtig in Fahrt .
‚Wenn wir ermitteln könnten, was jeder denkt, dann wären wir einen ganzen Schritt weiter‘, waren die Worte eines sicherheitspolitischen Referenten während des Lehrganges für Leitungskader, an dem ich noch im Januar 1986 in Woltersdorf teilgenommen hatte. Damit ist der Gedanke der totalen Ausschaltung des freien und geistigen Individuums als Konzeption, sowie die einseitige Meinungsausrichtung festgelegt.
Georg Orwells „1984“ als Funktionärstraum. Eine solch übersteigerte Haltung war Grundlage des Maoismus und der Kulturrevolution in China. Aus dieser Haltung der Überbewertung einer inneren Sicherheitspolitik, der ständigen Angst auch innere Gefahren erfolgreich abwehren zu müssen, des Privilegs für einige, entstand die unabhängige Gewerkschaft Solidarnocz in Polen.
Die DDR sollte einen ähnlichen Weg nehmen, da die Staatsführung vom übrigen Volk abgekoppelt wurde, keiner wagte es mehr eine stark differierende Meinung zu äußern. Kaum einer merkte noch bewusst, dass er zwei Meinungen vertrat, die eine zurückgehaltene, im Verborgenen oder gerade noch im Freundeskreis geäußerte, und die der offiziellen Medien in der Arbeitswelt.
Die Sicherheitspolitik in der DDR macht sich das Eindringen in die Persönlichkeitssphäre jedes Einzelnen offen zum Ziel, indem vom Zeitpunkt der ersten Berufsausbildung bis hin zur Rente eine Kaderakte geführt wird, die alle wichtigen persönlichen Angaben und subjektiven Beurteilungen der jeweiligen Vorgesetzten sowie überwachungsrelevanter Berichte enthält. Die in der Akte gesammelten Daten, wie Beurteilungen, Einschätzungen und Personalbögen, die alle Angaben zu Eltern, Verwandten, Kontaktunterhaltungen, gesellschaftlicher Betätigung und dergleichen, führt zu Vorverurteilungen.
Meine Kinder wurden beispielsweise durch meinen Parteiaustritt in ihrer Ausbildung belastet, denn diese Angaben sind Teil des Personalbogens, der Verwandtenaufstellung mit zugehörigen Angaben. Zu dieser Problematik könnte noch vieles mehr aufgeführt werden, brachte ich in meiner überzeugenden Darlegung zum Ausdruck aber aufgrund des einseitig bestimmenden Standpunktes des Gesprächsleiters war kein objektiver, tiefgreifender Gedankenaustausch möglich. Jede eigene Begründung der abweichenden Haltung wurde bereits in ihren Ansätzen als nichtig bzw. Fehleinschätzung oder staatlicherseits als undurchführbar abgetan. Meinen Gedanken hatte er nichts entgegen zu setzen als lose Parolen. So antwortete Genosse Müller zum Beispiel auf meine Bemerkung, dass ich gegen die Stationierung von Atomwaffen in der DDR als Antwort auf die Stationierung der Pershing-A-Raketen in der Bundesrepublik sei, mit der Bemerkung: “In der DDR gibt es keine Atomraketen. Wir sagen zwar, dass wir welche aufgestellt hätten aber das entspricht nicht den Tatsachen“.
Der Kaderleiter hob meine besonders starke familiäre Bindung hervor und brachte die dann auftretenden Probleme für die verbleibenden Familienangehörigen, meine Mutter, den Bruder und meinen Sohnes aus erster Ehe ins Gespräch.
„Meine Mutter kann mich als Rentnerin auch in Westberlin besuchen. Die Kontakte zu meinem Bruder sind trotz örtlicher Nähe sehr einseitig. Er war schon seit Jahren nicht mehr bei uns und zu meinem Sohn aus erster Ehe besteht nur die Verbindung der Alimenten Zahlung, was nicht mein Verdienst ist.“
„Dein Sohn könnte ja in die Fußstapfen seines Vaters steigen“, schlussfolgerte der dicke Müller.
„Das ist nicht mein Problem!“
„Du hast ganz schöne persönliche Werte“, setzte Müller fort. „Du hast ein Auto, ein schönes Haus – das willst du alles zurück lassen? Du brauchst dir nicht einzubilden, dass du dein Haus verkaufen und auf irgendeine Weise das Geld transferieren kannst. Ist dir nicht bewusst, dass das Haus dem Staat zufällt?“
Ich erwiderte:“ Eine solche Haltung kann mich nicht von meinem Vorhaben abbringen. Dieses ist ein weiterer Grund zur Bekräftigung meiner Ansicht. Die Einigelung und Zurückziehung in einen goldenen Käfig ist für mich und meine Familie nicht lebensqualitätsbestimmend. Nicht die wirtschaftlichen sondern die ideologischen Gesichtspunkte bewegen mich zur Ausreise und Ablegung der DDR-Staatsbürgerschaft, ich bin deutscher Staatsbürger.“
Frau Bönisch wies darauf hin, dass auf Grundlage der Madrider KSZE-Vereinbarungen Familienzusammenführungen nur auf minderjährige Kinder und auf Eheschließungen angewendet würden d.h., dass in unserem Falle nur eine Ausnahmeregelung in Anwendung kommen könne. Erschwerend für diese Ausnahme sei das Vorhandensein von minderjährigen Kindern, die diesen Schritt mit unternehmen müssten. Sie wies darauf hin, dass unser Antrag noch nicht abgelehnt sei und dass die Gesetze der DDR für uns weiterhin voll wirksam seien. Das nächste Gespräch solle mit der Tochter Ende Januar, Anfang Februar geführt werden, eventuell auch weiter einzeln oder mit Partner, je nach Erwägung. Die Aufforderung hierfür käme wieder mit der Post.
Ich bekräftigte nochmals unseren Antrag wie bereits im Oktober, dass diese Antragstellung kein unüberlegter Schritt sei, sondern die Folge eines Entwicklungsprozesses und ich, wenn ich mich einmal mit einer fachlichen oder ideologischen Sache identifiziert habe, diese auch konsequent weiter verfolgen werde. Eine Umkehrung oder Zurückziehung werde es nicht geben.
Der dicke Müller hatte genug und bemerkte abschließend dass die Frau Bönisch noch andere Aufgaben zu erledigen hätte.
„An mir soll es nicht liegen. Diese Gespräche sind nicht mein Anliegen. Ich will nichts weiter als eine kurzfristige Bearbeitung und Bestätigung meines Antrages“, beendete ich meine Aussage und brach auf.
Zuhause angekommen berichtete ich Gabi von den Kernpunkten der Unterredung. Es ist wichtig, dass man sich austauscht und auf spezielle Aussagen der Behörde seine Reaktionen für kommende Begegnungen klar legt.
Für uns registrierungswert war die Bemerkung des dicken Müller über unser Haus, das im Grundbuch auf Gabis Namen eingetragen war - ihr Elternhaus.
Sie wird ihrerseits entsprechend darauf eingehen. Von der Zusammenkunft im Rathaus fertigte ich eine protokollarische Notiz an.