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IV.

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Wir fragen uns, wie so etwas möglich sei. Nach beinahe zweitausend Jahren Christentum scheint es fast unvermeidlich, im Zusammenhang mit diesen repräsentativen Beispielen aus dem alten Rom von Heuchelei oder Zynismus zu sprechen. Wie läßt sich dies alles zusammenreimen: ein Oberpriester, der zwar alle Theologien studiert hat, aber keine einzige für richtig hält; ein Hierarch, der die ehrwürdigen Gottesdienste in solenner Weise begeht und himmlische Winke durch Befragung des Vogelflugs sowie anderer Omina einholt, aber gar nicht recht weiß, ob es überhaupt Götter gibt, jedenfalls daran zweifelt, daß sich über die Dinge des Jenseits mit den Mitteln philosophischer Theorie bündig etwas ausmachen läßt? Für ein durch das Christentum geprägtes Bewußtsein ist ein solcher Mensch beinahe notgedrungen ein Monster und eine Religion, deren Kleriker ein solches Doppelleben führen, eine groteske Farce. Ein areligiöser Beobachter der Moderne wird kaum umhinkönnen, hier von perfidem Priestertrug und zynischer Volksverdummung zu sprechen.

Natürlich ist nicht zu bestreiten, daß zahlreiche Übungen der römischen Religion von den Pontifices und Auguren, insbesondere aber von den sich an sie wendenden Politikern, ganz bewußt zwecks Manipulation der Massen oder auch zur Ausschaltung konkurrierender Mitbewerber um hohe Ämter benutzt wurden. Wer das priesterliche Privileg hat, den Kalender laufend zu gestalten, der kann etwa durch Einlegung von Schalttagen oder -monaten die Amtsdauer eines Beamten zu dessen Vorteil oder Nachteil beeinflussen. Cäsar war nur kraft seines Pontifikalamtes in der Lage, neben einigen anderen Reformen auch die des Kalenders durchzusetzen, den sogenannten Julianischen Kalender, dem das reine Sonnenjahr zu Grunde liegt und der in Rußland bis 1918 gültig war. Auch der von dem katholischen Pontifex Papst Gregor XIII. 1582 eingeführte Gregorianische Kalender unterscheidet sich nur unwesentlich von dem Julianischen: bei Cäsar dauert ein Jahr durchschnittlich 365,25 Tage, Gregor XIII. setzte eine normale Jahreslänge von 365, 2425 Tagen fest. Wer für die zwingende Einhaltung der bei Staatsakten vorgeschriebenen Zeremonien zuständig ist, kann beispielsweise einen ihm mißfallenden Gesetzesbeschluß oder Versammlungsaufruf leicht wegen eines winzigen rituellen Formfehlers für ungültig erklären. Wenn ein Blitz genügte, um eine Staatsangelegenheit zu vertagen, weil er als ungünstiges Vorzeichen galt, dann brauchte ein gewitzter Konsul, dem daran lag, irgendetwas zu verzögern, bloß glaubwürdig zu behaupten, er habe am Himmel einen hellen Schein gesehen. Cicero zitiert den Ausspruch des älteren Cato, der sich darüber wunderte, daß ein Haruspex einen seiner Kollegen ansehen könne ohne zu lachen.

Aber damit haben wir die Eigenart altrömischer Religion nur mit aufklärerischer Oberflächlichkeit erfaßt. Sie ist uns durch den Siegeszug der griechischen Mythen, der bereits lange vor Cicero begonnen hat, weitestgehend fremd geworden. Wer durch das humanistische Gymnasium gegangen ist, wird durchwegs meinen, daß sich die römische Religion von der hellenischen im Grunde nur durch die voneinander abweichenden Götternamen unterscheide, daß Vergil, Horaz und Ovid eben statt Zeus Jupiter, statt Artemis Diana, statt Demeter Ceres, statt Aphrodite Venus und statt Poseidon Neptun gesagt haben. Die Gottesvorstellung und der Kult der Römer, so vermuten sogar mit den antiken Autoren einigermaßen vertraute Leser, seien bestenfalls geringfügige Abwandlungen des griechischen Originals. Das trifft aber schon bei den doch stark vom Griechentum geprägten Dichtern nicht völlig zu; und es ist ganz falsch im Hinblick auf die alltägliche, unreflektierte und sozusagen vorliterarische Frömmigkeit der Römer.

Ebenso hindert uns aber auch eine Übertragung von erst im Laufe der Ausbreitung des Christentums und seiner Säkularisierung aufgekommenen Begriffen auf die römische Religion daran, sie in ihrer Wesenheit zu verstehen. Kategorien wie Klerikalismus, Cäsaropapismus, Staatskirchentum oder totalitäre Verquickung von geistlicher und weltlicher Macht helfen da nicht weiter. Sie setzen allemal das Christentum voraus, die letzte überlebende antike Religion, die sich jedoch grundlegend sowohl von der des Olymps als auch der des Kapitols unterscheidet.

Es ist hier, wie sich von selbst versteht, nicht der Platz, die Wesensmerkmale der römischen Religion eingehender zu erörtern. Doch wenigstens einige Punkte seien in fast schon unzulässiger Verknappung festgehalten, weil sie uns Ciceros und Cottas Einstellung ein wenig näherbringen können.

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