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Verständigung mit der Leserschaft

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Der Gegenstand dieses Buches beschäftigt mich seit der Promotion in Göttingen im Jahr 1975 über Simon den Magier1. Von ihm ist zuerst in Apg 8 die Rede. Er gilt als erster christlicher Ketzer. In der Folgezeit habe ich das Thema in mehreren Monographien und Aufsätzen weiter vertieft.2

Einzelne Kapitel entstanden während der Mitarbeit am McMaster-Forschungsprojekt über »Normative Selbstdefinition im frühen Christentum und Judentum« in Hamilton/​Ontario (1977 – 1979), andere bildeten die Grundlage von Vorträgen in der June Ramsey Sunday School Class der First Presbyterian Church in Nashville/​Tennessee und wurden später in Vorlesungen sowie Seminaren an der Vanderbilt Divinity School und in Göttingen weiter ausgearbeitet.

Die z. T. heftigen Auseinandersetzungen in Kirche, Theologie und Öffentlichkeit um mein Buch »Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie«3 sind der Kontext, dem dieses Werk angehört. In der genannten Kontroverse wurde eine schwerwiegende Unwissenheit4 der Kritiker im geschichtlichen Bereich deutlich, gleichzeitig aber auch ein Auseinanderbrechen von Glaube und Wissenschaft. Aus Interesse an der historischen Wahrheit und am Christentum selbst schien es nötig, nach der Auferstehung einen weiteren Pfeiler von Kirche und Theologie, und zwar die Heilige Schrift und ihre Autorität, unter die Lupe zu nehmen.

Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist die bereits von Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781) in seinem Streit mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze (1717 – 1786) entwickelte Einsicht, dass christlicher Glaube und christliche Kirche bereits bestanden, bevor es eine heilige Schrift des Neuen Testaments gab.5 Demnach ist »das Neue Testament … ein Werk der katholischen Kirche, und die Berufung auf neutestamentliche Schriften als an sich glaubensverbindlich … ein Dogma der katholischen Kirche. Daraus mag … jeder den Schluss ziehen, den er für gut und richtig hält.«6

Demgegenüber kann man den Eindruck gewinnen, dass dies in Kirche und Theologie zwar bekannt, aber in seinen Konsequenzen nicht erfasst und der Öffentlichkeit verschwiegen worden ist.

Es steht aber nun einmal fest: Die Heilige Schrift ist eindeutig Menschenwort (und nicht Gotteswort), von Menschen zu einer Zeit zusammengestellt, als das Christentum seine Anfänge bereits hinter sich gelassen hatte. Sie ist die Sammlung der siegreichen Partei, die die Dokumente der unterlegenen Gruppen aussortiert, unterdrückt und schließlich vernichtet hat.7

Gerade unter diesem Gesichtspunkt sind die aufsehenerregenden Funde im oberägyptischen Nag Hammadi von 1945, welche über die jüngste Diskussion um die Schriftrollen vom Toten Meer8 in den Hintergrund getreten und seit 1977 vollständig in englischer Übersetzung zugänglich sind9, ein unentbehrliches Korrektiv, um bei gleichzeitiger Berücksichtigung der schon vorher vorhandenen Quellen eine unparteiliche Sicht der christlichen Anfänge zu gewinnen. Während die Forschung sich vor dem Nag-Hammadi-Fund fast ausschließlich damit begnügen musste, aus polemischen Traktaten der Kirchenväter die von ihnen bekämpften Lehren zu erschließen, hat sich die Lage nunmehr gründlich geändert. Die »Ketzer« sprechen für sich selbst, und wir erhalten Gelegenheit, ja, sind in die Pflicht genommen, unsere Vorstellungen von den christlichen Ursprüngen zu prüfen und zu korrigieren.10

Fast möchte man in Anlehnung an Friedrich Nietzsche sagen, dass wir uns durch diese Funde in Bezug auf die Geschichte des Urchristentums wieder im Jugendzeitalter der Wissenschaft befinden und der Wahrheit wie einer schönen Fee, die uns geradezu verzaubert, nachgehen können. »(W)ie anders reizt dies an, als wenn alles Wesentliche gefunden ist und nur noch eine kümmerliche Herbstnachlese dem Forscher übrigbleibt (welche Empfindung man in einigen historischen Disziplinen kennenlernen kann).«11

Ich habe das vorliegende Buch aber auch publiziert, um den Blick auf Jesus zu lenken, und zwar aus der Überzeugung heraus: Das Christentum aller Zeiten muss sich zu Jesus von Nazareth in eine Beziehung setzen können, wenn es glaubwürdig sein will. Dies gilt für die Anfänge der christlichen Religion, die an Jesus zu messen sind, ebenso wie für alle späteren Entwicklungen. Diese Berufung auf Jesus kann heute allerdings nicht ohne Folgen sein, sondern verlangt der theologischen Wissenschaft und der Kirche nach Jahrzehnten massiver Beeinflussung durch Kerygma- bzw. dialektische Theologie Veränderungen ab.12

Im Folgenden geht es aber auch darum, eine andere, unbekannte Seite des Christentums nachzuzeichnen. Ich möchte neugierigen Christen ihr Eigenes als ein Fremdes zeigen, um so zum eigentlich Christlichen hinzulenken.

Ketzer

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