Читать книгу IN DER HITZE DES TAGES - Gerd Thieme - Страница 7
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ОглавлениеHarald geht in seinem alten Zimmer umher und bleibt vor einem Jugendfoto stehen. Es zeigt Regina und die drei Brüder, alle lachen in die Kamera. Er greift zum Telefon, wählt und wartet ungeduldig, bis sich der Anrufbeantworter meldet.
„Hallo Regina, vielleicht bist du ja da, ich wollte dich nicht stören, aber vorhin vor dem Haus …“
Eine hörbar verstörte Stimme meldet sich.
„Ja, Harald, entschuldige bitte, ich bin noch nicht ganz da und wollte mit niemandem reden.“
„Ich mach mir Sorgen, du warst so durcheinander.“
„Harald, bitte, ich will nicht darüber sprechen. Sicher hast du schon mit Mischa geredet.“
„Was ist mit deiner Stimme, Regina?“
„Lass uns kein Theater spielen, Harald, du weißt, dass ich getrunken habe.“
„Mischa ist es nicht wert.“
„Nein, Harald, es hat wirklich keinen Zweck. Ich lege jetzt auf.“
„Bitte, Regina, warte. Es gab mal eine Zeit, da hast du mich geliebt.“
„Was soll das, wir waren zehn Jahre alt.“
„… und ich nicht behindert, wolltest du sagen.“
„Harald, bitte, nicht schon wieder … Du kennst uns Frauen nicht, ich liebe Mischa, ganz gleich, was da kommt.“
„Ich lasse es nicht zu, dass du wieder dein Leben wegzuwerfen versuchst!“
„Ich war 21 Jahre alt“, seufzt Regina.
„Ich bin nicht immer in deiner Nähe. Bitte sei vernünftig.“
„Gut, ich verspreche dir, vernünftig zu sein.“
„Schwör es, Regina!“
„Ich will und kann jetzt nicht mehr mit dir reden.“
Harald hält den Hörer noch in der Hand, aus dem jetzt das Freizeichen summt. Er legt auf und schaut aus dem Fenster. Verweist stehen die Liegestühle und ein Tisch am Pool und über allem liegt die flimmernde Hitze. Harald lässt das Eis in seinem Glas klingeln und stöbert in den Schallplatten. Er schaltet den Plattenspieler ein und setzt den Tonarm auf. Es ist „Tosca“, die Arie „E lucevan le stelle“ – „Und es leuchten die Sterne“. Beniamino Gigli singt. Harald hört eine Weile zu, geht zum Fenster und blickt in die Dunkelheit.
Er hört jetzt deutlich Mischas Stimme, der unten auf der Terrasse mit jemandem telefoniert, vielleicht sollte man besser sagen kokettiert, denn immer wieder hört man lautes Lachen.
„Das ist unfair, mir all diese wunderbaren Versprechungen am Telefon zu machen. Du kommst jetzt sofort zu mir, du ungezogenes Ding. Das könnte dir so passen, ich weiß nicht, ob ich bis Morgen warten kann. Also gut, versprochen ist versprochen, bis morgen dann. Ich liebe dich.“
Das Gespräch scheint beendet und Harald wendet sich wieder der Musik zu, als unten das Telefon abermals klingelt.
„Hallo Liebling“, hört er seinen Bruder sagen, bevor die Stimme plötzlich umschlägt in Wut. „Sind Sie verrückt! Wissen Sie, wie spät es ist? Für uns gab und gibt es nur dieses eine Geschäft. Ich mache Sie dafür verantwortlich. Sie allein tragen die Schuld am Tod meines Bruders!“
Harald hält jetzt den Atem an, während Mischa genervt zuzuhören scheint, bis er wieder abrupt unterbricht. „Sie sollten lieber auf sich selbst aufpassen, und drohen können Sie mir schon gar nicht.“ Das Geräusch des Hörers, der auf die Gabel knallt, fegt wie ein Schuss durch die Luft. Danach herrscht Stille.
Der leuchtende Pool liegt in der tiefschwarzen, warmen Sommernacht wie eine unwiderstehliche Verführung. Die Unterwasserbeleuchtung flimmert über die leicht bewegte Wasserfläche und vereint sich zu einer geheimnisvollen Milchstraße. Mischas Kopfsprung bringt Chaos in diese Ordnung, als er zwischen den Sternen in der Dunkelheit des Wassers verschwindet.