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Sonntag, 10. Juli, 9.00 Uhr. Flugplatz.

Jade hatte sich über das rostige Geländer gelehnt, dass den Platz begrenzte. Irgendwo schlug eine Kirchturmuhr neun, aber von Fluggast Nummer vier war weit und breit nichts zu sehen. Hoffentlich ließ er nicht mehr lange auf sich warten. Jades Plan musste heute durchgezogen werden, eine bessere Gelegenheit gab es so bald nicht wieder. Hinter ihrem Rücken quiekte Beatrix wie Jade es vorausgesagt hatte. Sie hätte kotzen können.

Genauso hatte sie vor drei Monaten mit der aufkommenden Übelkeit gekämpft, als sich die Tür zur Krankenstation mit einem beatrixmäßigen Quietschen öffnete. Hastig war Jade in den dahinterliegenden Flur geschlüpft und hatte sich blitzschnell in die Lücke zwischen zwei Wäschewagen gequetscht. Dort wartete sie mit angehaltenem Atem, bis der krankenhausgrüne Pfleger an ihr vorbeigegangen war. Auf Zehenspitzen schlich sie weiter. Sie vermied es, den Aufzug zu benutzen. In Aufzügen war sie für eine gewisse Zeit mit anderen Menschen eingesperrt, und diese anderen Menschen bekamen Gelegenheit sich ihr Gesicht zu merken, Fragen zu stellen. Das konnte man auf einer Treppe vermeiden.

Jade erreichte das Erdgeschoss. In ihrem Kopf hämmerte noch dieser ekelhafte Schmerz, aber sie hatte sich nicht getraut, eine der Tabletten zu schlucken, die auf dem Rollwagen neben ihrem Bett aufgereiht lagen. In aller Eile hatte sie sich angezogen und das Zimmer verlassen. Sie wollte auf keinen Fall das Eintreffen einer Krankenschwester oder eines Arzt abwarten. Wer weiß mit welchen Mittelchen die sie ruhig gestellt hätten.

Vor ihr lag ein breiter Flur, an dessen Ende sie nur noch eine Glastür von der Freiheit trennte. Neben der Tür befand sich der Halbbogen des Empfangtresens, hinter dem eine Frau mit Ringerstatur über eine Zeitschrift gebeugt saß. Jetzt möglichst unbefangen daran vorbei schlendern und wie selbstverständlich das Krankenhaus verlassen.

„Hallo. Wo wollen Sie hin?“

Jade war, als ob die Stimme der Rezeptionistin sie mit eisigem Griff im Nacken packte. Hastig drehte sie den Kopf und überlegte fieberhaft, was sie antworten sollte. Will nur schnell zum Kiosk. Habe meinen kranken Vater besucht. Frische Luft schnappen.

„Ich … komme gleich wieder.“

Jade starrte den Kerl mit dem Tropf in der hochgestreckten Hand fassungslos an. Die Rezeptionistin hatte gar nicht sie gemeint. Mit schnellen Schritten hastete Jade durch die Tür, die sich automatisch geöffnet hatte. Ein Blick zurück hätte ihr gezeigt, dass die Rezeptionistin den Patienten mit dem Tropf freundlich aber entschieden zurückführte und an einen der krankenhausgrünen Pfleger übergab. Aber sie sah sich nicht um. Jade versuchte nicht zu rennen, was der Ringerin sicher verdächtig vorgekommen wäre, doch ihre Beine erhöhten wie von selbst das Tempo. Hoch ragte der Kirchturm von Sankt Orbit über den Dächern von Weißenhall. Die Turmuhr zeigte 10.50 Uhr. Jade würde noch vor dem elften Glockenschlag vor Meiers Schreibtisch stehen. Sie wusste noch immer nicht, welcher Tag heute war, aber auch das würde sie herausfinden.

„Frau Bronsky!“

Sie hasste es. Sie hasste Anita Behrlis Stimme, sie hasste ihr schrilles Makeup, und besonders hasste sie ihren mitfühlenden Augenaufschlag. Man konnte davon ausgehen, dass Anita Behrli keine fünf Minuten später mit demselben Augenaufschlag jedem der ihr vor die albernen Büro-Highheels lief, die neuesten Neuigkeiten über Jade steckte, selbstverständlich unter dem Siegel absoluter Verschwiegenheit und mit größter mitfühlender Anteilnahme. Diese falsche Schlange.

„Welcher ist heute?“

Jade hätte sich ohrfeigen können, die Frage war ihr heraugerutscht. Aber es gab im Real Life keinen Resetknopf. Leider.

Anita schaute sie mit erschrockenen aufgerissenen Augen an. Ein Wunder, dass die falschen Wimpern hielten. „Aber liebe Frau Bronsky …“

„Wo ist der Peugeot?“

„Jetzt lassen Sie sich doch erstmal anschauen, Sie sehen ja ganz blass aus. Also wirklich Ihnen täte mal etwas Ausspannen gut. Ich bin ja über die Feiertage in Abu Dhabi gewesen, wissen Sie, das wär auch was für Sie. Die Liwa-Oase, ich kann Ihnen sagen, da ist es schön warm, da könnten Sie mal so richtig …“

Jade hätte sie am liebsten geschüttelt. Oder gegen die Wand geschleudert. „Ist Meier im Haus?“

„Hilfe.“

Jade ließ sie stehen, bevor noch ein Unglück passierte.

Meiers Büro war leer. Immerhin war der altmodische Kalender auf Meiers Schreibtisch sorgfältig auf das heutige Datum umgestellt: 19. April, Dienstag nach Ostern. Am letzten Mittwoch war der Unfall passiert. Jade hatte also sechs Tage im Krankenhaus verbracht, sechs Tage, an die sie keine Erinnerung hatte. Was hatte man ihr gegeben, wovon hatte eine ganze Woche geschlafen? Und wann hatte sie diesen Traum gehabt, den Sturz in die Glaskugel, Katarinas Stimme, die Kobolde, die aus dem Berg kamen? Jades Blick fiel auf ihren linken Ellbogen. Eine bereits gut verheilte Schürfwunde, die sie bis jetzt nicht beachtet hatte. Das Datum konnte also stimmen. Natürlich stimmte es, Meier war da überaus penibel.

Neben dem Kalender lag ein dickes gebundenes Schriftstück. Der Titel in Großbuchstaben lautete: Planfeststellungsbeschluss Salzstock Helldor. Jade beugte sich über den Schreibtisch und schlug die erste Seite auf. Das Wichtigste fand sich gleich zu Anfang: Die Bezirksregierung Weißenhall und die Sonderabteilung Helldor 21 haben keinerlei Einwände gegen den sofortigen Beginn der Einlagerung von schwach und mittelstark strahlendem Abfall in den Stollen des ehemaligen Salsbergwerks Helldor. Darunter hatten vier Leute unterschrieben. Heribert Meier als Projektleiter von Helldor 21, Jasper Reineke als Bürgermeister und Vertreter des Stadtrats, Randolph Fischer, als Vertreter des Bundesumweltministers … und Graf Diopsid Kronk als Chef des Firmenverbunds AniBehConsort.

Jade war fassunglos. Man hatte bereits vollendete Tatsachen geschaffen. Und Kronk war mit allen Arbeiten beauftragt worden. In Windeseile hatten man den Antrag durchgeboxt. Über Ostern! Über die Feiertage, die Anita in irgendeiner warmen Oase verbracht hatte. Sie wollte weiterblättern.

„Was machen Sie da?“

Jade fuhr herum. Meier stand in der Tür. Entweder war er von Lovely Anita vorgewarnt worden und hatte sich angeschlichen, oder Jade war so sehr in das Schriftstück vertieft gewesen, dass sie die Geräusche der Umgebung ausgeblendet hatte.

„Ich …“

„Ja, genau Sie, Frau von Bronsky.“ Meier kam drohend einen Schritt näher. „Hat man Sie denn schon aus dem Krankenhaus entlassen? Sie sollten doch noch eine weitere Woche …“

„Woher wissen Sie das?“

Jade wusste, dass auch diese Frage zu schnell und zu laut gewesen war. Sie musste sich zurückhalten. Sie hatte schon eine Abmahnung in ihrer Personalakte wegen der Kongo-Sache, und sie wusste, dass Meier nur auf einen weiteren Ausraster von ihr wartete, um sie endgültig rausschmeißen zu können. Ich bedauere sehr, dass unsere Zusammenarbeit hier endet, aber mir sind in dieser Sache die Hände gebunden, ich handele lediglich auf höhere Weisung.

Meier lächelte, und Jade spürte den Wunsch, ihre Faust zwischen seinen Zahnreihen zu versenken.

„Ich habe mich als Ihr Vorgesetzter natürlich um ihr Wohl gekümmert.“

Jade konnte das blinkende Schild mit der Aufschrift LÜGE deutlich auf seiner Stirn sehen, aber sie musste das hinnehmen. Noch.

„Die Bremsen waren defekt.“

Meier lächelte noch immer. War ihm eigentlich klar, was für ein Glück er hatte, dass sie sich aktuell nicht in einer dunklen Seitenstraße um Mitternacht befanden?

„Die Bremsen?“

Jade biss die Zähne zusammen. Der wusste doch genau, wovon sie sprach.

„Die Bremsen von dem Peugeot.“

„Das kann nicht sein.“

Jade versuchte, ihre verkrampften Fäuste zu lockern und bemerkte gleichzeitig, dass Meier das registrierte. Und noch etwas breiter lächelte.

„Vielleicht hat jemand sie angesägt.“

Jade hatte keine Ahnung, was man tun musste, damit Bremsen versagen, und zu ihrem Ärger bemerkte sie, dass Meier das sehr genau wusste. Jetzt wechselte seine Visage auf fürsorglich.

„Ihr Dienstwagen kam frisch aus der Inspektion, Frau von Bronsky. Ich denke, Sie wollen den Mitarbeitern des städtischen Fahrzeugparks keine Sabotage unterstellen.“

„Nein.“ Jade atmete tief durch. „Aber ich bestehe auf einer genauen Untersuchung der Karre.“

Meiers Gesicht glitt ins Bedauern. „Leider, leider.“

„Leider was?“

„Leider ist die Karre bereits verschrottet. Haben Sie eigentlich eine Vorstellung, was davon noch übrig war, nachdem Sie in den Wald gebrettert sind? Sie haben unglaubliches Glück und einige einwandfrei funktionierende Airbags gehabt, denen Sie verdanken, dass Sie hier noch stehen. Bloß ein paar Schürfwunden und eine ordentliche Gehirnerschütterung, wegen der Sie eigentlich noch nicht wieder frei herumlaufen dürften.“

Meier hielt vermutlich seine letzte Bemerkung für witzig. Sollte er. Und er änderte nicht mal seine Miene, als Jade mit der Faust auf den Tisch schlug, dass der afrikanische Kopf, der nun als Briefbeschwerer diente, in die Höhe sprang. Er wirkte dabei erstaunlich lebendig.

„Sie haben gewusst, dass die Bremsen nicht funktionierten, als Sie mir ausgerechnet diesen Dienstwagen zuwiesen.“

„Frau von Bronsky …“

„Ich weiß, wie ich heiße.“

„Was haben Sie eigentlich auf der Südlichen Alleenstraße gemacht?“

Jade starrte ihn ungläubig an. Daher wehte also der Wind. Sie merkte kaum, dass sich ihre Faust um den Kopf mit dem krausen schwarzen Locken schloss. Die Locken fühlten sich verdammt echt an.

„Den Weg hat mir diese Tussi empfohlen, diese Dürre“, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „kurz nachdem die mit Ihnen telefoniert hat.“

Das war ein Schuss ins Blaue gewesen und Jade glaubte ein irritiertes Flackern in Meiers Augen bemerkt zu haben. Also hatte er tatsächlich die Tussi in Fleschbeck auf die Idee mit dem Rückweg durch den grünen Frühlingswald gebracht. Scheiße!

Meier kam noch einen Schritt auf sie zu. „Wenn ich Ihnen eines raten darf, Frau von Bronsky.“

Wusste er nicht, wie gefährlich er lebte? Jade roch seinen schlechten Atem.

„Zügeln Sie sich. Kommen Sie in einer Woche wieder zurück an Ihren Arbeitsplatz und machen Sie ihren Job. Dann wäre ich unter Umständen bereit, die soeben geäußerten Anschuldigungen zu vergessen.“

„Fassen Sie mich nicht an!“

„Und fassen Sie nie wieder“, hier machte er eine kleine Pause, in der er nach dem merkwürdigen Kopf in Jades Faust griff, „fassen Sie nie wieder irgendetwas an, das auf meinem Schreibtisch liegt. Haben wir uns verstanden?“

Für einige Sekunden sah es so aus, als würde Jade den Schrumpfkopf in Meiers Gesicht schleudern. Dann löste sich ihr Griff. Langsam ging sie an Meier vorbei zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um.

„Sie haben das über Ostern beschlossen. Ist das nicht sehr merkwürdig?“

Meier versuchte sein Lächeln wieder zu installieren, es gelang ihm nur mäßig.

„Kaum merkwürdiger als Ihre Eskapaden.“

„Und Sie glauben, das Genehmigungsverfahren würde einer unabhängigen Prüfung standhalten?“

Jetzt hatte Meier es geschafft. Das Grinsen saß wieder am gewohnten Platz.

„Ich habe Ihnen schon einmal geraten, sich nicht den Kopf über Dinge zu zerbrechen, die Sie nichts angehen, Frau von Bronsky. Wir sind schließlich Profis und waren nicht untätig während Ihrer … Krankheit. Und jetzt geben Sie mir Ihre Dienstschlüssel und verlassen augenblicklich das Haus. Ich möchte Sie nicht vor Ablauf der nächsten Woche hier sehen. Andernfalls sähe ich mich gezwungen die Polizei zu rufen. Und das hätte Konsequenzen. Ich hoffe, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt.“

Jade wurde schwindelig. Sie stolpert ein paar Schritte rückwärts und der Schmerz hinter der Stirn meldete sich wieder. Und brannte entlang der Linie, die die Narbe über ihre Wange zeichnete.

„Vielleicht gehen sie mal zum Betriebspsychologen“, hörte sie Meiers freundlich-besorgte Stimme durch den aufgekommenen Nebel, als sie ihre Büroschlüssel einfach auf den Fliesenboden fallen ließ. „Sie sind doch nicht gesund.“

Jade wusste nicht, wie sie es bis hinunter auf den Behördenparkplatz geschafft hatte. Hier lehnte sie sich an einen Laternenpfahl und wartete, bis sich der Nebel wieder lichtete.

Sie sind doch nicht gesund.

Was passierte mit ihr, was passierte um sie herum? Warum hatte sie das Wolfsgesicht gesehen, kurz vor dem Unfall, als hätten sich die Blätter des Waldes zu einer Grimasse verzogen. Dieses Gesicht, das sie schon vorher gesehen hatte, vorher in Fleschbeck, in der Nähe dieses seltsamen Hauses mit der Regenbogenfassade. Zufall? Der Unfall, die Tage im Krankenhaus, an die sie sich nicht erinnern konnte. Über die sie unbedingt Auskunft bekommen wollte.

Jade konnte nicht sagen, wie lange sie für den Rückweg gebraucht hatte. Zwischendurch war sie wie durch dichten Nebel gelaufen, jetzt klarte ihr Blick ein wenig auf. Sie stand auf dem Parkplatz, keine dreißig Meter vor dem Eingang des Krankenhauses. Auch die letzte Strecke würde sie noch schaffen. Irgendwer würde ihr Auskunft geben können, geben müssen. Dies war ein Rechtsstaat und niemand durfte ohne Grund festgehalten werden, nicht mal in einem Krankenhaus.

Genau in diesem Moment öffnete sich die Eingangstür. Ihre Beine gefroren mitten in der Bewegung. In der Tür erschien ein großer leicht gebeugter Mann mit unrasiertem weit vorspringendem Kinn. Die Augen verschwanden in den tiefen schattigen Höhlen. Dreimal, viermal ruckte Kopf in verschieden Richtungen, als ob er die Umgebung absuchte, dann eilte er quer über den Parkplatz auf die mächtige Eiche zu, hinter der sich Jade verbarg.

Jade spürte ihren Herzschlag bis in die Kehle. Sie wartete und hoffte, dass der Wolf an ihr vorbeilief und sie freie Bahn bis zum Eingang bekam. Stattdessen hörte sie wenige Sekunden später rasselnde Atemzüge auf der anderen Baumseite. Gleichzeitig kroch etwas um den Baum, das sie kannte. Muffig und dunkel. Und salzig. Der Geruch der Stollen von Helldor. Jade war oft dort unten gewesen. Als Kind mit Katarina, die ihr von den Kobolden erzählte. Sie kommen aus dem Berg, wenn die Menschen schlafen.

Ein tiefes Knurren riss Jade aus ihrer Erstarrung. Sie spürte mehr, als dass sie es hörte oder sah, dass er im Uhrzeigersinn um den Baum kam. Schritt für Schritt. Ob er sie witterte? War ihr Geruch für dieses … Wesen ebenso intensiv, wie der Salzgeruch für Jade? Jade atmete lautlos mit offenem Mund und tastete sich ebenfalls um den Baum. Etwas knirschte unter ihren Füßen. Ein kurzer Blick nach unten zeigte ihr weiße Krümel. Und der Nebel kam wieder zurück. Wenn der Wolf jetzt die Richtung wechselte. Sie würde nicht schnell genug fliehen können.

Fast hätte Jade geschrien, als er hervorschoss und mit langen Sätzen zum Ausgang des Parkplatzes sprang. Jade wagte nicht sich zu bewegen, bis er endgültig verschwunden war. Dann rannte sie, als ginge es um ihr Leben. Beinahe wäre sie direkt durch die gläserne Eingangstür des Krankenhauses geflogen, wenn die sich nicht im letzten Augenblick geöffnet hätte. Jade stützte sich auf den Tresen der Rezeption und glozte die Frau dahinter mit glasigen Augen an.

„Warum bin ich hier?“, keuchte sie.

Die Rezeptionistin war professionell, sie hatte in ihrem Job schon zu viele Überraschungen erlebt, um noch wirklich überrascht zu sein. Sie erhob sich aus ihrem Drehstuhl und fasste sanft Jades Handgelenk. Eine Vorsichtsmaßnahme, denn so konnte sie jederzeit zupacken, wenn die Patientin fliehen wollte.

„Wir werden eine Antwort auf Ihre Frage finden“, sagte sie sachlich, „kommen Sie bitte mit.“

Die Frau, auf deren weißen Kittel Schwester Amanda stand, schob sich um den Tresen herum, ohne Jades Handgelenk loszulassen. Jetzt konnte Jade deutlich sehen, dass sie auch mit härteren Kalibern fertig wurde. Mancher Kerl hatte gegen sie keine Chance und Amanda war es nur recht, dass man das sah. Mit sanftem Druck dirigierte sie Jade den Fur entlang.

„Sie suchen Doktor Grimminger, nicht wahr?“

Jade nickte fast willenlos, obwohl sie von Doktor Grimminger noch nie gehört hatte. Sie konnte sich an nichts aus der Zeit von Mittwoch bis heute erinnern, weder an Orte noch an Personen. Sie war mit dem Peugeot in einen Wald gerast und in einem Krankenhausbett aufgewacht, das war alles. Amanda hielt vor einem Glaskasten, hinter dem ein glatzköpfiger weißbekittelter Mann saß und in einer Zeitschrift las.

„Doktor Grimminger?“

Er blickte erst auf, als er einen Abschnitt beendet hatte. In aller Ruhe schob er seine Halbbrille in die Stirn und betrachtete Jade.

„Da ist ja unsere Ausreißerin.“

Er schob seinen Stuhl nach hinten, erhob sich und ging zu einer seitlichen Tür. Ausreißerin hatte er gesagt. Sie war ausgerissen, ja klar, aus dem Krankenhaus abgehauen, weil man sie hier wegsperren wollt. Meier hatte sich anders ausgedrückt, aber letztlich hatte er das gemeint. Noch mindestens eine Woche. Und plötzlich meldete sich auch wieder der Schmerz hinter ihrer Stirn und blies etwas Nebel beiseite. Als der lächelnde Doktor aus der Tür trat, riss Jade an ihrem Arm. Augenblicklich, so als hätte sie jederzeit mit einem solchen Versuch gerechnet, schlossen sich Amandas Finger um ihr Handgelenk. Wie ein Schraubstock, wie ein Raubtiergebiss.

„Nanana.“

Jade schossen die Tränen in die Augen, aber der Griff war nicht zu überwinden. Es war aussichtslos, also presste Jade in ohnmächtiger Wut ihre Zähne zusammen.

„Warum haben Sie das Krankenhaus verlassen?“ Doktor Grimminger schien ihre Wut und Anstrengung nicht zu bemerken.

„Niemand hat das Recht, mich hier festzuhalten“, zischte Jade, und mit einem Blick auf Amandas Raubtiergriff: „Das ist Freiheitsberaubung.“

„Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, die dem Selbstschutz des Personals dient“, entgegnete der Doktor. „Und ich muss Sie darauf hinweisen, dass einige weitere Tage hier im Haus nur zu Ihrem Besten sind.“

Jade war klar, dass sie bei einer Diskussion über medizinische Notwendigkeiten mit dem Arzt nur verlieren konnte. Sie zwang sich zu größtmöglicher Ruhe und wiederholte die Frage, die sie Amanda gestellt hatte.

„Warum bin ich hier?“

„Weil Sie eine mittelschwere Gehirnerschütterung, Schürfwunden und ein Schleudertrauma erlitten haben. Innere Verletzungen konnten wir ausschließen, was Sie nicht Ihrem Fahrstil, sondern einem ganz besonders gutgelaunten Schutzengel zu verdanken haben. Und den Airbags der Firma Peugeot.“

Eine einleuchtende Antwort, und den Verdacht, dass die Bremsen des Unglücksautos manipuliert worden waren, würde der Doktor nur belächeln. Aber immerhin eines konnte sie hoffentlich von ihm oder der Zehnkämpferin erfahren.

„Wer war der Mann, der das Krankenhaus verlassen hat, kurz bevor ich reingekommen bin?“

Jade hatte den kurzen Blick bemerkt, den Amanda dem Doktor zuwarf.

„Es haben mehrere Besucher und Patienten das Haus verlassen, kurz bevor Sie …“

„Sie wissen genau, wen ich meine“, fauchte Jade sie an. „Groß, hager, unrasiert, spitzes Kinn, dunkle Augen …“

„Ich weiß, wen Sie meinen“, sagte Amanda, und fügte zu Jades Erstaunen hinzu: „Ich habe keine Ahnung wer das war, aber ich habe ihn sofort wiedererkannt.“

„Er war also öfter hier?“

Amanda sah Jade in die Augen, als müsse sie noch abwägen, wieviel sie preisgeben wollte. Jade beschlich ein Verdacht.

„Hat er nach mir gefragt?“

Amanda blickte zu Doktor Grimminger, dessen Füße unruhig wurden, ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Jade reichte es. Das war ja wohl eindeutig.

„Er hat also“, zischte sie, „und wahrscheinlich mehrfach.“

„Hören Sie …“

„Nein, jetzt hören Sie mal zu.“ Jade sah dem Doktor fest in die Augen. „Ich weiß nicht was hier vorgeht, aber in diesem Gebäude bin ich nicht sicher. Und niemand kann mich hier festhalten, nicht Sie und nicht …“

Jade merkte, wie sich Amandas Griff tatsächlich lockerte.

„Ich verlasse jetzt die Klinik!“

Wenn sie erwartet hatte, dass der Arzt sie aufzuhalten versuchte, hatte sie sich getäuscht. Mühelos entwandt Jade ihren Arm aus Amandas Fingern und ging mit schnellen Schritten zum Ausgang. Vor der automatischen Tür blieb sie noch einmal stehen und registrierte, dass sie ähnlich ruckartige Kopfbewegungen vollführte wie vorher der Wolf. Was, wenn er ihr dort draußen auflauerte? Wer war er überhaupt und was wollte er von ihr? Bildete sie sich nur ein, dass er dort im Wald gestanden hatte? War sie bereits paranoid? Sie sind doch nicht gesund, hatte Meier gesagt.

Es war noch nicht Mittag, aber düster wie bei einer Sonnenfinsternis. Gewaltige Wolkengebirge hatten den Himmel geschwärzt. Jade rannte los und erreichte das Bronsky-Haus mit dem ersten Blitz, nur einen Wimpernschlag später gefolgt von einem krachenden Donnerschlag.

Es war, als hätte jemand die tief in die Erde reichenden Wurzeln von Mordent gekappt und die Burg ins All geschossen. Nicht die Regenwand vor den schmalen Fenstern stürzte herab, sondern das alte Gemäuer raste der unendlichen Schwerelosigkeit entgegen. Zahllose Kerzen flackerten im Thronsaal und verzerrte Schatten irrten über Wände, durch Nischen und die Säulen hinauf.

Mal Achit kniete auf den kalten Steinfliesen und wartete auf den Befehl sich zu erheben. Seine Augen verschwanden beinahe in den pechschwarzen Höhlen, seine Hände umklammerten einen groben Holzstab, seine Knöchel traten weiß und spitz hervor. Fast hätte er die leise scharfe Stimme im Nachhall des Donners überhört.

„Steh auf.“

Mal Achit streckte langsam die knackenden Knie, seinen Kopf ließ er gebeugt. Der auf dem Thron war der Herrscher über die Burg und die Mordent-Kobolde, und er war in keiner guten Stimmung. Mal wusste warum.

„Warum ist sie nicht tot?“ Der Graf hatte eine rostige Stimme, er benutzte sie selten. Über ihm hing wie eine Drohung das Zeichen von Mordent und starrte auf Mal Achit herab.

„Sie hat Glück gehabt“, murmelte Mal Achit und wagte sein vorstehendes Kinn eine Kleinigkeit zu heben, bis Graf Kronk am oberen Rand seines Blickfelds erschien. „Der Pfleger sagte, die Airbags hätten sie gerettet.“

Mal Achit war sich nicht sicher, ob der greise Graf Airbags kannte, aber es kam keine Gegenfrage.

„Sie besitzt die Glaskugel, die hat sie gerettet.“

Mal nickte vorsichtig. Er selbst hatte keine Glaskugel am Hals dieser Frau gesehen, als er sie getroffen hatte, in diesem Kaff. Fleschbeck.

„Ich bin mir sicher, dass es die Kugel ist.“ Der Alte hatte sich vorgebeugt. „Und ich will sie haben, hast du mich verstanden?“

Mal nickte wieder. Jede andere Reaktion war nicht möglich, sogar lebensgefährlich. Kronks Jähzorn war gefürchtet. Es standen ihm Mittel zur Verfügung, gegen die niemand etwas ausrichten konnte. So wurde erzählt.

„Nimm keine Rücksicht. Und … besser sie stirbt heute als morgen.“

Mal Achit sah dem Grafen kurz in die Augen, senkte aber sofort wieder den Blick.

„Geh jetzt.“

Das Wolfsgesicht deute eine Verbeugung an und verließ den Saal. Als er die schwere Eichentür schloss, erzitterte die Burg erneut von einem gewaltigen Donnerschlag. Mal hastete die Treppe hinunter zum Ausgang. Alles war nach Plan verlaufen, der Bürgermeister und dieser Amtsleiter hatten die Genehmigung unterschrieben. Es blieb ihnen auch nicht viel anderes übrig, das hatte Mal ihnen sehr deutlich gemacht. Im Übrigen profitierten doch alle von dem Deal, was wollte ein Haufen Kleinstadt-Politiker mehr?

Nur diese Frau stellte sich quer und Meier prophezeite, früher oder später würde sie an die Öffentlichkeit gehen und lauthals irgendwelche Untersuchungen fordern, das hätte sie schon einmal gemacht. Sie war eine Gefahr für das Projekt.

Mal Achit verschwand im strömenden Regen und in der Dunkelheit.

Kronk starrte lange die Eichentür an, durch die Mal Achit verschwunden war. Der Wolf war ihm treu, geradezu hündisch ergeben. Und trotzdem spürte Kronk, dass da noch etwas anderes war. Der Hund gierte nach dem Mordent-Thron, nach der Lordwürde. Kronk bezweifelte, dass Mal versuchen würde das Ende seines Herrn zu beschleunigen, aber er war auf der Hut. Er hatte nicht vor, sich so bald in die ewige Finsternis zu verabschieden. Erst recht nicht jetzt, wo die Erfüllung all dessen, worauf er Jahrzehnte hingearbeitet hatte, zum Greifen nahe lag.

Kronk hatte sie nie vergessen, jene Kugel. Und da tauchte sie ausgerechnet am Hals dieser hässlichen Frau auf. Kronk wusste woher ihre Narbe stammte, sehr genau wusste er das. Ein lautloses Lachen verließ seinen bewegungslosen Mund. Und aus den düsteren Schatten der Eichentür formte sich eine Gestalt. Viele Jahre waren vergangen, seit Bruno Bronsky dort gestanden hatte, betrunken, schreiend, den Wahnsinn in den Augen und ein kleines glitzerndes Ding in der zitternden Hand.

Er habe Lord Albion die Zauberkugel abgenommen, hatte er gebrüllt, und nun sei er der einzige, der das Tödliche Wort kenne. Kronk erschrak bis ins Mark.

„Du lügst!“, flüsterte er. Dann sprang er von seinem steinernen Sitz auf und schrie: „Wo sind meine Leute, was ist mit ihnen geschehen?“

Und Bruno spuckte vor ihm aus. Er, Bruno von Bronsky, werde bald über die ganze Welt herrschen, nicht dieser lächerliche Hitler. Niemand könne sich ihm in den Weg stellen und Kronk werde ihm dabei zu Diensten sein, sonst …! Mit diesen Worten streckte er ihm die Glaskugel entgegen.

Wenige Stunden später stieg Kronk in die lichtlose Tiefe von Helldor hinab und fand den zu Stein gefrorenen Albion mit einem eisernen Pfeil im Rücken – ohne die Kugel! Verrat!, gellte es aus der Finsternis. Jemand hatte Lord Albion aus sicherem Versteck den tödlichen Pfeil in den Rücken geschossen und ihm die Kugel abgenommen. Jemand? Bronsky hatte das alles von Anfang an so geplant. Bronsky hatte Kronk nur benutzt, wie er ihn auch jetzt für seine wahnsinnigen Pläne benutzen wollte.

Tief gebeugt schlich der Graf vorbei an dreiunddreißig versteinerten Croggs aus dem Helldor-Stollen. An der Mühle blieb er stehen. Das Rad stand still und von der Müllerin keine Spur. Als Kronk die Burg erreichte, stand sein Entschluss fest. Was konnte er gegen die Macht der Kugel in der Hand dieses Verrückten tun? Er würde sich seinem Willen unterwerfen müssen, oder … noch am selben Tag verließ er Mordent.

Kronk schiffte sich nach Argentinien ein, wie so viele damals, die schon 1941 ahnten, dass dieser elende Krieg nicht zu gewinnen war. Jahre später tauchte er in Afrika auf, im Kongo, und versuchte sich im Kobaltgeschäft. Kobalt stieg gerade zu einem der begehrtesten Metalle der Welt auf. Als Kronks Firma von einem chinesischen Konsortium aufgekauft wurde, ging er nach China und lernte wie ein Großkonzern funktionierte. Und hier hörte er zum ersten Mal von einem kleinen Unternehmen in der Nähe der Stadt Weißenhall, das PETRUS hieß und sich anschickte den europäischen Kobalt-Markt zu dominieren, sehr zum Ärger der Chinesen. Der Chef dieser Firma nannte sich Boris Koldan. Als Kronk ihn beim ICM – International Cobalt Meeting – am Rednerpult stehen sah, wusste er auf der Stelle, mit wem er es zu tun hatte: Mit niemand anderem als Bo Kold, dem neuen Helldor-Lord. Kronks alte Wunde riss wieder auf. Eigentlich sollte er dort stehen, sollte er Herr des Kobalts aus den Helldor-Tiefen sein. Das alles hatte er Bruno Bronskys Verrat zu verdanken. Aber was zum Teufel war aus Bronsky geworden? Wo blieb der Herrscher der Welt, dessen Erscheinen Kronk all die Jahre mit Schrecken erwartet hatte. Oder war alles nur ein Bluff gewesen? Die Kugel, die Bronsky ihm vor's Gesicht gehalten hatte, die Drohungen, die er ausgestoßen hatte, dort im Schatten der Tür.

Kronk verließ China. Heimlich kehrte er nach Mordent zurück und sammelte die letzten Getreuen, die sich in den Gängen unter der Burg verkrochen hatten. Einer von ihnen war ein gewisser Mal Achit, den ein besonderes Schicksal und ein glühender Hass mit Helldor verband. Er wurde Kronks rechte Hand, und seit Kronk ihm die Nachfolge auf den Thron von Mordent in Aussicht gestellt hatte, war er sein ergebener Diener.

Und dann entdeckte er ihn. Vor dem Tor der Firma PETRUS. Dies irae – der Tag des Zorns, der Tag der Rache war gekommen! Sicher, Kronk hätte wissen müssen, dass Menschen schneller altern als Kobolde, dass es nicht Bruno sein konnte, der dort lässig und ahnungslos in den Fiat Mirafiori stieg. Aber Kronk war blind vor Hass. In der folgenden Woche ließ er seinen Range Rover mit einem zu der Zeit noch nicht verbotenen Stahlvorbau ausrüsten, einem sogenannten Bullenfänger. Und er stellte sich vor, was von dem mickrigen Fiat übrigbleiben würde, wenn der zum Beispiel auf regennasser Fahrbahn im Morgennebel vielleicht einem Tier ausweichen müsste und frontal gegen den Bullenfänger …

WOMM!

Kronk schreckte auf. Draußen vor den hohen Fenstern des Saals krachte ein neuer Donnerschlag. Bruno Bronsky war aus dem Schatten der Tür verschwunden. Damals war Kronks Rache fehlgeschlagen, er hatte den Falschen erwischt, aber dieses Mal war alles sorgfältiger geplant. Kronk starrte in die Nacht. Die ersten Schritte waren getan, die Operation Bergfrieden nahm ihren Lauf und der Weißenhaller Stadtrat würde schweigen und nicken, ganz sicher, auch dafür hatte er gesorgt. Eine Eule schrie. Kronk war verschwunden.

Ela starrte auf den Bildschirm. Den ganzen Tag war das Netz wegen schwerer Unwetterschäden ausgefallen, erst jetzt am Abend gab es wieder eine Verbindung ins WorldWideWeb. Die WAAMPIRE-Site hatte Wolles langhaariger Alter eingerichtet, als er noch glaubte, in diesem Kaff eine grüne Bewegung ins Leben rufen zu können. Weißenhaller Anti-AtoM-PIRatEn. Außer zwei, drei Demos war aber nicht viel gelaufen. Jahre her. Inzwischen nutzte Wolle die Seite als private Homepage.

Sie waren fast alle on. Wolle, den seine Erzeuger in einem Anfall von Umnachtung Wolfram Richard Wagner genannt hatten. Hermine, die tatsächlich so hieß (und nicht erst seit Harry Potter) und die hinter allem und jedem irgendeine sprituelle oder außerirdische Macht vermutete, Beryll, der sich im Chat Rebell nannte, und Bambule.

Lupus [Wolle]: habt ihrs gesehn?

Rebell [Beryll]: was

Bambule: endlich funzt es wieder

Lupus: forestier+reineke heute morgen im tv

MissVerständnis: sie wollen in Helldor einlagern

Rebell: wie was?

Wolle: gibts noch mehr ahnugslose?

Bambule: IN HELLDOR???

Ein weiterer Gast hatte sich eingeloggt, wie die Liste am rechten Fensterrand anzeigte.

Rebell: sieh an der kobold

kobold: hi

MissVerständnis: hi

Rebell: ;-))

kobold: habt ihr tv gsehn

Wolle: wer bistn du

kobold: oper azionb ergfriden

Bambule: was für ne oper???

MissVerständnis: Operation Bergfrieden

Bambule: häää???

MissVerständnis: pause! ich erklärs

Bambule: oki

Wolle: jap

Rebell: !

MissVerständnis: die bezirksregierung weißenhall hat genehmigt in helldor atommüll einzulagern – schon bald – ist schon alles mit berlin besprochn

Bambule: bei den croggs?

Hermine: ich haps gespürt

Rebell: hermi jetz nicht!

Hermine loggte sich auf der Stelle aus.

Wolle: wer bist du?

Bambule: ich???

kobold: ich bin gegn den müll wie ihr

Bambule: sind wir das?

Rebell: ich heiße Beryll und du?

Wolle: komm doch morgen zum treffen

kobold: bo

Bambule: was bo

kobold: wo is das trefen

Wolle: alter hellweg 13

kobold: vileicht

Bambule: du ausländer?

MissVerständnis: bambi!!!!!!

kobold: ne

Wolle: muss los bis morgen

MissVerständnis: cu

Wolle hatte sich ausgeloggt, Sekunden später auch Ela.

Rebell: ciao

Auch Beryll verschwand.

Bambule: bo???

kobold: *lol*

Bambule saß noch eine Weile und betrachtete die letzten Sätze des Chats. Auch kobold war verschwunden.

Bambule: komischer Name

Bambule: ich heiß doch auch anders

Bambule: Bernd-Ullrich

Bambule: boa eh!!!

Bambule loggte sich als Letzter aus.

Ela stand am Fenster und schaute in die hereinbrechende Nacht. Wer war dieser seltsame kobold? Sollte sie Wolle anrufen und ihm sagen, dass sie ihn schon vor zwei Wochen im Chat angetroffen hatte, und dass der längst von der Operation Bergfrieden gewusst hatte? Wieso hatte er eigentlich?

Mit einem Ruck zog Ela ihren Kopf zurück. Neben der Haustür unter dem Rhododendron hatte sie ihn im schwachen Widerschein eines Handys entdeckt. Sekunden später klopfte es an der Haustür.

Tock-tock-tock – tock – tock.

Ela wagte kaum zu atmen. Hatte sie den zusätzlichen Riegel vorgeschoben, den ihr Vater vor kurzem erst angebracht hatte? Zur Sicherheit, hatte er gesagt. War die Kellertür abgeschlossen? Die Terrassentür? Das Küchenfenster stand auf Kippe, fiel ihr ein. Ela lauschte. Sie hörte ein Schaben an der Haustür, oder spielte ihr die Einbildung einen Streich?

Tock-tock-tock – tock – tock.

Es klopfte wieder. Dreimal kurz, zweimal lang, wie ein abgesprochener Code. Ela spürte ihr Herz bis in die Kehle. Stille. Dann wieder.

Tock-tock-tock – tock – tock.

Plötzlich waren schnelle Schritte auf losem Kies zu hören. Ela sah hinaus. Eine lange dünne Gestalt mit breitkrempigem Hut und wehendem schwarzen Mantel lief die Straße hinunter und verschwand um die nächste Hausecke. Es war der Wolf, ganz sicher. Was hatte er gewollt? Von ihrem Vater, oder gar – Ela rann ein Schauer den Rücken hinunter – von ihr!

Langsam ging sie zurück ins Zimmer. Sie wagte nicht Licht anzuschalten, sondern folgte dem Weg, den das blasse Mondlicht auf dem Fußboden zeichnete. Vollmond. Scharf hob sich der Schmetterling von der hellen Haut ihrer linken Schulter ab, ein „Erbstück“ ihrer Mutter. Der Schmetterling schlug mit den Flügeln und huschte durch den milchigen Mondpfad. Ela stockte der Atem. Es war eine Fledermaus gewesen, natürlich, oder was auch immer.

Sie schlich hinaus in den Flur. Rechts befand sich das Arbeitszimmer ihres Vaters. Er kam erst morgen aus Berlin zurück. Ela fasste die Klinke und drückte sie hinunter. Abgeschlossen.

Cave Cobaltum

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