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Hochmittelalterlicher Aufschwung – Blütezeit von Stadtgründungen und Landesausbau durch Binnenund Ostkolonisation

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Das Hochmittelalter war eine relativ lange Phase des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwungs, der das Land in mehrfacher Hinsicht stark verändert hat. Dies gilt für Deutschland und weite Teile Europas. Wesentliche Ursachen der hochmittelalterlichen Blütezeit waren zahlreiche Fortschritte in der Agrarwirtschaft und – wohl auch demzufolge – ein kräftiger Bevölkerungsanstieg.


Phasen der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung in Deutschland von 400 v. Chr. bis heute

Die Fortschritte in der Agrarwirtschaft zeigen sich in der Agrartechnik und Agrarverfassung sowie bei den Bodennutzungs- und Betriebsformen. Eine grundlegende Verbesserung der Bodenbearbeitung brachte u.a. der schollenwendende Beetpflug, mit dem man nun tiefer pflügen konnte und der den Hakenpflug ersetzte. Das Mahlen von Getreide wurde zunehmend durch die Errichtung von Wassermühlen erleichtert. Hinsichtlich der Bodennutzung wurden die älteren extensiven Bewirtschaftungsformen wie Zweifelderwirtschaft oder Feldgraswirtschaft im 12. und 13. Jahrhundert durch die Dreifelderwirtschaft abgelöst: Mit der Abfolge Wintergetreide – Sommergetreide – Brache konnte nun der Bracheanteil auf ein Drittel der Ackerfläche zurückgedrängt werden. Ein weiterer betriebswirtschaftlicher Fortschritt bestand darin, dass die vielfach noch im Eigenbetrieb bewirtschafteten sog. »Fronhöfe« (Herrenhöfe) der Grundherren im Hochmittelalter weitgehend aufgelöst und zu Bauernstellen umgebildet wurden. Die vielschichtigen Fortschritte in der Agrarwirtschaft führten zu einer Intensivierung der Produktion und damit zu einer Steigerung der Erträge.8 Gegenüber dem Frühmittelalter werden für diese Zeit um 50–100 % höhere Ernteerträge angenommen. Man konnte es sich nun erlauben, statt überwiegend Getreide auch Obst, Gemüse und Wein anzubauen. Damit verbesserte die Landwirtschaft ihre allmählich entstehende Marktorientierung, außerdem wurde die Ernährung der Bevölkerung vielfältiger und gesünder.

Der kräftige Bevölkerungsaufschwung des Hochmittelalters lässt sich an Zahlen festmachen. Im ersten Jahrtausend war die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland zwischen 3,0 und 3,5 Mio. Einwohnern nahezu stagniert. In den folgenden 300 Jahren bis 1300 stieg die Einwohnerzahl dann rapide von 3,5 auf 9,0 Mio. an (s. Abb. oben).9 Dieser Bevölkerungsanstieg führte zu mehreren kräftigen Impulsen in der Wirtschafts- und Siedlungsentwicklung: Verdichtung der Dörfer und Entwicklung der Dorfgemeinschaft, Städtegründungen, Aufschwung von Handel und Verkehr, Binnenkolonisation, Deutsche Ostsiedlung. Diese sollen im Folgenden näher erläutert werden.

Im deutschen Altsiedelland westlich der Elbe führte der Wirtschafts- und Bevölkerungsaufschwung des Hochmittelalters zunächst zu einer Verdichtung der bestehenden Siedlungen. Aus locker bebauten Weilern wurden zunehmend Haufendörfer; in der Wissenschaft spricht man auch von »Verdorfung«. Daneben kam es im Altsiedelland zu einer nahezu flächendeckenden Binnenkolonisation durch umfangreiche Waldrodungen und Neugründungen von Siedlungen. Für die Landwirtschaft erschlossen wurden nun sogar die Hochlagen der Mittelgebirge und darüber hinaus viele Sumpf- und Moorlandschaften des Tieflandes. Die Entwässerung und Besiedlung von Mooren begann im 12. Jahrhundert in Nordwestdeutschland durch Holländer. Die neuen Siedlungen wurden planmäßig angelegt und hatten meist linienhafte Grundrisse. Entlang einer Straße, eines Kanals oder Deiches waren die Höfe einseitig oder beidseitig in regelmäßigen Abständen aufgereiht – mit jeweils anschließenden Hofparzellen. Je nach Geländesituation entstanden so Straßen-, Anger-, Wald-, Marsch- und Moorhufendörfer, die vielfach bis heute erhalten sind.

Parallel zur hochmittelalterlichen Binnenkolonisation im deutschen Altsiedelland kam es auch östlich der Elbe vom 12. bis zum 14. Jahrhundert zu umfangreichen Siedlungstätigkeiten. Man fasst sie heute unter dem Begriff der deutschen Ostsiedlung zusammen. Deutsche Territorialherren und slawische Fürsten sowie einheimischer Adel und Klerus riefen deutsche, holländische und flämische Bauern ins Land, um Gewin ne aus ihren Ländereien zu ziehen und ihre Herrschaft auszubauen. Nach Schätzungen folgten diesem Ruf im Hochmittelalter zwischen 200.000 und 600.000 Kolonisten und wanderten von West nach Ost. Die angeworbenen Bauern erhielten als Anreiz für ihre harte Siedlungsarbeit ökonomische und soziale Privilegi en: Sie waren rechtlich freier als im Altsiedelland und hatten weniger Feudalabga ben und Dienste für den Grundherren zu leisten.10

Am Ende der hochmittelalter li chen Rodungsperiode hatte das kultivierte Land in Deutschland und in vielen Ländern Europas einen Umfang angenommen, der später nicht wieder erreicht wur de. Aus manchen gerodeten Flächen der Mittelgebirge und der Alpen zog sich die Landwirtschaft später wieder zurück, weil die Erträge wechsel haft und niedrig blieben. Experten sprechen hierbei von »Grenzertragsböden«, die seitdem überwiegend wieder der Waldwirtschaft überlassen werden.

Das starke Bevölkerungswachstum des Hochmittelalters führte nicht nur zur Binnenkolonisation und deutschen Ostsiedlung, sondern auch zu einer Blütezeit von Stadtgründungen. Die wachsende Produktivität der Landwirtschaft machte es möglich, dass eine zunehmende Zahl von Menschen nicht mehr in der agrarischen Produktion tätig sein musste. »Auch wenn ca. 65 % des Bevölkerungszuwachses auf dem Land blieben, so waren die aufstrebenden Städte die Gewinner dieser Zeit. Sie nahmen gut ein Viertel des Bevölkerungswachstums auf, sodass der Anteil der Stadtbevölkerung von etwa 1050 bis 1400 von unter 2 % auf 12 % stieg.«11 Mit der Entfaltung der Städte entwickelte sich allmählich eine Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land heraus, wobei das Land die Stadt mit Nahrungsmitteln versorgte und im Gegenzug gewerbliche Waren erhielt.

In Deutschland gab es um 1150 insgesamt 40 Städte, um 1400 war die Zahl bereits auf 3000 Städte angewachsen! Nie gab es nachher eine solche Boomphase von Städtegründungen in Deutschland und Europa. Die meist gut befestigten Städte boten Sicherheit und neue Bürgerrechte nach dem Motto »Stadtluft macht frei«. Gemeint war damit vor allem die Freiheit von den Abhängigkeiten gegenüber der Grundherrschaft, dazu kam die Chance auf nicht agrare Verdienstmöglichkeiten. Allerdings waren die meisten Stadtgrün dungen dieser Zeit nicht mit allen »städtischen« Funktionen wie Verwaltung, Kultur, Gewerbe und Handel ausgestattet, sondern hatten ihre wirtschaftliche Basis eindeutig in der Landwirtschaft. Die Mehrzahl gerade der hoch- und spätmittelalterlichen Stadt- und Burggründungen war von größeren und kleineren Fürsten aus politischstrategischen Motiven zur Abgrenzung von Herrschafts- und Territorialinteressen errichtet worden. Obwohl in der Regel mit Mauern und Toren oder Wassergräben und Wällen befestigt, blieben die meisten dieser spät gegründeten Kleinstädte bis in die Gegenwart von ihrer wirtschaftlichen Ausrichtung her ländliche Siedlungen. Selbst mittelgroße Städte wie Warburg oder Ochsenfurt bezeichnete man bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als »Landstädte« oder »Ackerbürgerstädte«. Die große Masse der kleineren Städte, deren Einwohnerzahlen bis heute oftmals unter 2000 geblieben sind, werden in der Wissenschaft häufig als »Titular-« oder »Zwergstädte« bezeichnet. Im Sprachgebrauch der Bewohner ist für sie meist die schlichte Selbstbezeichnung »Dorf« geblieben.

Und wie stellte sich genau die wirtschaftliche und politische Lage der Landbewohner dar? Manche Historiker sprechen für das Hochmittelalter von einer »Blütezeit des deutschen Bauerntums«. Andere wiederum stellen dies jedoch infrage.12 Tatsächlich dürfte es durch die stark verbesserte Agrarwirtschaft zu einem relativ höheren Wohlstand gekommen sein. Von großer Bedeutung für das Dorf war es, dass sich im Hochmittelalter nach und nach eine selbstverwaltende Dorfgemeinschaft mit eigenem Dorfrat und einem Bürgermeister entfalten konnte. Diese trat zunehmend selbstbewusst der adligen oder klösterlichen Grundherrenschicht gegenüber. Troßbach und Zimmermann bezeichnen diese Selbstorganisation der Dörfer als Gemeinden als »epochalen« Fortschritt.13 Geregelt wurden u.a. Allmendeangelegenheiten (Allmende = gemeinschaftliches Eigentum innerhalb einer Gemarkung), der Ablauf der Ackerbestellung, Termine der Aussaat und der Ernte, die Aufsicht in der Feldflur und die Dorfbefestigung durch Zäune (Etter) und Tore.


Das Hohe und Späte Mittelalter waren Blütezeiten von Städtegründungen. Wichtig waren die Stadtmauern und die Stadtrechte. Der Ruf »Stadtluft macht frei« lockte viele Landbewohner in die neuen Städte. Hier das Beispiel der Kleinstadt Büdingen in der Wetterau mit seinen mittelalterlichen Befestigungsanlagen.

Die soziale Schichtung auf dem Land war vom Frühen Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert von einer Dreiteilung geprägt. Zur zahlenmäßig geringen Ober- bzw. Herrenschicht gehörten Adel und Klerus. Die breite Mittelschicht wurde durch die landnutzenden Bauern ausgefüllt, wobei je nach Betriebsgröße zwischen oberen, mittleren und unteren bäuerlichen Schichten unterschieden wird. Relativ stark ausgebildet war bereits seit dem Frühen Mittelalter die meist landlose Unterschicht, die in der Regel als Landarbeiter auf den Höfen tätig war. Der soziale Status, der auf Herkunft und Besitz basierte, blieb über Jahrhunderte festgelegt. Eine soziale Mobilität zwischen den Schichten war kaum möglich.

Das Dorf

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