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Vom »kleinen« Bauern zum »großen« Landwirt

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Von der Selbstversorgung zum marktorientierten Unternehmen

Wer die Entwicklung der Landwirtschaft von 1800 bis heute betrachtet, erkennt deren extremen Wandel. Wie sah ein »normaler« Bauernhof vor 200 Jahren aus, was waren seine Ziele? Wie präsentiert sich dagegen ein erfolgreicher landwirtschaftlicher Betrieb von heute? Im gesamten 19. Jahrhundert war Bauer der mit Abstand häufigste Beruf. Seitdem haben sich die Zahlen der Erwerbspersonen und Betriebe in der Landwirtschaft dezimiert. Ein Blick nach vorn zeigt: Die Vergrößerung und Spezialisierung der Betriebe sowie die Steigerung der Produktion werden weitergehen. Von manchem werden diese Veränderungen als schmerzhafte Verluste beurteilt.

Die Landwirtschaft hat in den zurückliegenden 200 Jahren äußerst vielschichtige politische, technische, wirtschaftliche und soziale Veränderungen erfahren. Wenn man diese kennt, versteht man den ländlichen Raum der Gegenwart und Zukunft besser. Die Landwirtschaft hat zwar im Gesamtstaat wie auf dem Land selbst ihre ehemals führende ökonomische Position eingebüßt (was mit der Formulierung »Ablösung der Agrar- durch die Industriegesellschaft« ausgedrückt wird). Sie ist jedoch immer noch der spezifisch ländliche Wirtschaftszweig. Eine angemessene Beschreibung der Landwirtschaft und ihres Wandels ist daher ein wichtiges Thema zu Beginn dieses Buches.

Um 1800 diente die bäuerliche Landwirtschaft noch weitgehend der Selbstversorgung der (Groß-)Familie mit Nahrung, Kleidung, Baumaterialien usw. Die Betriebe waren weitgehend wirtschaftlich unabhängig. Lediglich an die Grundherrschaft und die Kirche waren festgelegte Abgaben (meist in Form von Naturalien) und Hand- und Spanndienste (z.B. mit dem eigenen Pferdegespann auf dem Gutshof des Grundherren) zu leisten. Neben der Selbstversorgung stand im Mittelpunkt der landwirtschaftlichen Produktion die sog. »Hofidee«: Die Erhaltung des Hofes und seine Weitergabe an die nächste Generation galt als oberstes Wirtschaftsziel. »Die Sach zamhaltn«, wie es in Bayern heißt. Persönliche Wünsche und Bedürfnisse waren den Belangen des Betriebes untergeordnet. Aus der steten Verantwortung gegenüber der Famlie hatte sich eine konservative Grundhaltung herausgebildet. Der Hof war Heimat und Lebensgrundlage der Bauernfamilie, eventuelle Gewinne wurden zum größten Teil in den Betrieb zurückinvestiert.

Das fürsorgliche Haushalten mit dem eigenen Hof hatte natürlich auch etwas mit den vergleichsweise sehr geringen Betriebsgrößen zu tun. Um 1800 lag die durchschnittliche Größe landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland bei etwa 3 ha, das entspricht der Fläche von etwa vier Sportplätzen. Entsprechend bescheiden war die Viehhaltung. Längst nicht alle Klein- oder Kleinstbauern konnten sich eine Kuh leisten, sondern mussten sich auf Schafe und Ziegen, ein bis zwei Schweine und ein paar Hühner beschränken. Ein konkreter Blick in das fränkische Dorf Kunreuth mit etwa 450 Einwohnern im Jahr 1848 zeigt: Von insgesamt 77 Privatanwesen lebten 33 % (als Bauern, Kleinbauern, Tagelöhner) allein von der Landwirtschaft, 18 % hingegen von der Kombination Landwirtschaft/Handwerk. Insgesamt verfügten nur zehn Betriebe über mehr als 8 ha Land und konnten als Vollbauern bezeichnet werden. Zusammen mit der Gutsherrschaft, der Pfarrei und der Gemeinde besaßen diese zehn »Großen« etwa zwei Drittel der gesamten Gemarkungsfläche. Mehr als die Hälfte der Kunreuther Anwesen verfügte damals über weniger als 1 ha Land.42


Verbreitung der landwirtschaftlichen Betriebsgrößen in Deutschland um 1870


Der Blick in ein hessisches Dorf um 1935 zeigt die Enge und Kleinteiligkeit der land-wirtschaftlichen Betriebe. Das Wirtschaften und soziale Leben fand früher mehr als heute auf der Dorfstraße statt.

Noch im Jahr 1882 besaßen im Deutschen Reich von den über 5 Mio. landwirtschaftlichen Betrieben 58 % weniger als 2 ha, lediglich 0,5 % der Betriebe waren Großbetriebe über 100 ha. 1914 erreichte die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe mit 11 Mio. in Deutschland ihren Höchststand. Danach gingen die Zahlen ständig zurück, vor allem die der Klein- und Mittelbetriebe. Seit etwa 1955 verstärkten sich diese Schrumpfungsprozesse noch. Heute existieren in Deutschland noch etwa 300.000 landwirtschaftliche Betriebe, die durchschnittlich etwa 56 ha bewirtschaften.43 Bei den durchschnittlichen Betriebsgrößen gibt es in Deutschland allerdings große regionale Unterschiede, die im Wesentlichen durch historische Erbsitten, unterschiedliche Gutsbildungsprozesse sowie durch die Agrarpolitik in der DDR geprägt wurden. So dominieren – stark generalisiert – im deutschen Südwesten immer noch die Kleinund Mittelbetriebe, im deutschen Norden und Nordosten die Großbetriebe.

Gerade in den neuen Bundesländern herrschen heute die Großbetriebe mit über 500 ha vor. Ein Beispiel ist der Betrieb Schulte-Ebbert in Lelkendorf in Mecklenburg-Vorpommern, der 1992 von seinem Standort am Dortmunder Stadtrand (wo er keine Erweiterungsmöglichkeiten hatte) übergesiedelt war und heute etwa 1000 ha bewirtschaftet. In gewisser Weise setzt Schulte-Ebbert mit seinem jetzigen Großbetrieb die Tradition des früheren adligen Gutshofes (bis 1945) und des dann ab 1952 folgenden LPG-Betriebes (LPG = landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) fort. Die großen Flächen ermöglichen den Einsatz großer und moderner Maschinen, womit zugleich Arbeitskräfte eingespart werden. Damit können höhere Renditen als auf kleineren Feldern erwirtschaftet werden. Der junge Betriebsinhaber Klaus Schulte-Ebbert formuliert deshalb eine positive Einschätzung seines Großbetriebes, den er mit sechs festen Mitarbeitern bewirtschaftet (in der früheren LPG waren es noch 60 Mitarbeiter): »Wir sind ein Gemischtbetrieb. Wir haben Schweinemast, dann Mutterkuhhaltung und Ackerbau. Rein landwirtschaftlich ist das hier bestimmt keine Provinz, sondern das ist von den Betriebsstrukturen her das Beste, was es in Deutschland oder auch weltweit schon gibt. Das ist hier schon optimal.«44

Wie man an diesem Beispiel schon sieht, ist auch die Zahl der Erwerbspersonen in der Landwirtschaft drastisch zurückgegangen. 1914 waren im damaligen Deutschen Reich rund 11 Mio. Personen in der Landwirtschaft tätig, womit gleichzeitig auch der Höchststand erreicht war (um 1800 waren es etwa 7 Mio.). Im Jahr 1950 gab es in der Land- und Forstwirtschaft der BRD und DDR zusammen immerhin noch 7,1 Mio. Erwerbspersonen, heute sind es noch ca. 616.000. Der Anteil der land- und forstwirtschaftlichen Erwerbs tätigkeit an der Gesamterwerbstätigkeit lag in Deutschland um 1800 bei 80 % und beträgt heute nur noch 1,6 %! Vom gegenwärtigen Trend und von den Prognosen her werden die Zahlen der landwirtschaftlichen Betriebe und Erwerbs personen sogar noch weiter zurückgehen. Die Bauerngeneration, die vor etwa 50 Jahren auf quasi natürliche Weise in die Landwirtschaft hineingewachsen ist, tritt allmählich ab und hat oft in der eigenen Familie keinen Nachfolger mehr. Es ist daher anzunehmen, dass es gerade in den nächsten zehn bis 20 Jahren zu verstärkten Betriebsaufgaben kommen wird. Deren Flächen werden dann zu weiteren Vergrößerungen der bestehenden Betriebe führen.

Typisch für die deutsche Landwirtschaft ist seit Jahrhunderten der bäuerliche Familienbetrieb. Der Hof ist hier das Zentrum des wirtschaftlichen Handelns und zugleich der Familie, die meist aus mehreren Generationen besteht. Alle Familienmitglieder helfen in irgendeiner Weise am Hof mit, auch wenn sie in Berufen außerhalb des Hofes tätig sind. Mit dem zunehmenden Wachstum und der Arbeitsüberlastung der Betriebe, durch die Einstellung hoffremder Mitarbeiter, aber auch durch nicht landwirtschaftliche Berufe der Ehefrauen und Kinder geht das früher gemeinschaftliche »Für den Hof denken, handeln und fühlen« vor allem in den nachwachsenden Generationen allmählich zurück. Gleichwohl ist der bäuerliche Familienbetrieb mit seinem Hofdenken über Generationen hinweg immer noch ein tragendes Leitbild der deutschen Landwirtschaft, das auch von der Agrarpolitik und von Agrarverbänden wie dem Deutschen Bauernverband unterstützt wird.


Viele landwirtschaftliche Betriebe sind aus der engen Dorflage in die Feldflur gezogen. Hier haben sie Platz und liegen inmitten ihrer Felder, wie dieses moderne Gehöft bei Vahlbruch im Weserbergland.

Im bäuerlichen Familienbetrieb spielte die Mitarbeit der Frau eine tragende Rolle. Die Bäuerin war nicht nur für das Großziehen der Kinder und die Pflege der Alten zuständig. Sie versorgte nicht nur den meist großen Haushalt – mit der dazugehörigen Gartenarbeit – mit Einmachen, Kochen, Backen, Nähen und Stopfen. In der Regel war sie auch für das Vieh im Stall mit zuständig, z.B. für das Füttern, Melken und »Buttern«. Und wie selbstverständlich war sie auch bei bestimmten Feldarbeiten wie dem Heuwenden, Ährenbinden und Kartoffelsammeln dabei. Sehr bemerkenswert und anschaulich ist die Auflistung der schweizerischen Bäuerin Augusta Gillabert-Randin (1869–1940) über ihre im Verlauf von 30 Jahren erbrachten Leistungen: »23 400 Brote und 7890 Wähen gebacken, 2800 Hühner aufgezogen und für 15.000 Franken Eier verkauft, 180 Schweine gemästet und 131.000 Mahlzeiten mit Schweinefleisch bereitet, insgesamt 56 990 Essen gekocht und serviert (nicht einberechnet 90 Einladungen, 30 Familienfeste, 4 Hochzeits- und 9 Taufmahlzeiten), 9600 Stunden auf dem Markt gestanden und für 78.000 Franken Produkte verkauft, 5950 Kilogramm Früchte zu Konfitüre eingekocht und 2400 Konserven, 1000 Liter Wein und 2000 Liter Sirup bereitet, 1350 Kilogramm geschälte und 5000 ungeschälte Äpfel und 28.000 Kilogramm Bohnen getrocknet. 494 Frauen-, Männer- und 200 Kinderkleider genäht, 224 Paar Socken gestrickt, 132 Herrenhemden angefertigt, 43 680 Stunden geputzt, abgestaubt und gewaschen, fünf Kinder großgezogen, die Buchhaltung besorgt und sich theoretisch und praktisch in die verschiedenen Fächer der Landwirtschaft eingearbeitet und weitergebildet.«45


Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland von 1939 bis heute

Wegen neuer Klassifizierungen der Betriebsgrößen nach 2007 ist diese Grafik leider nicht zu aktualisieren.

Der fortschreitende Rückgang landwirtschaftlicher Betriebe hat nicht nur das Gesicht der Dörfer verändert, sondern auch das gesamte wirtschaftliche und soziale Leben auf dem Land. Viele sehen darin einen Fortschritt, war doch das frühere Arbeitsleben der Bauern und Landarbeiter hart und entbehrungsreich. Nicht wenige sprechen aber auch von schmerzhaften Verlusten – für die betroffenen Familien, das Dorf und die ganze Gesellschaft. Am größten sind die Verlusterfahrungen für die bäuerlichen Familien selbst, die mit ihrem Betrieb auch die über Generationen gepflegte und weitergegebene Hofidee aufgeben müssen. Die Verluste für das Dorf bestehen darin, dass die ehemals ökonomisch, sozial und kulturell dorftragende Schicht binnen weniger Jahrzehnte ihre Position verliert, und außerdem die großen alten Hofgebäude in den Dorfkernen nicht immer neu genutzt werden können und leer stehen oder verfallen. Auch für die ganze Gesellschaft ist es ein Verlust, wenn sich immer mehr Menschen von der ältesten, natürlichsten, nachhaltigsten und vielleicht schönsten Wirtschaftsform entfernen (müssen) – so resümierte unlängst Berthold Kohler über das anhaltende Höfesterben: »Mit jedem aufgegebenen Bauernhof, der meist über Generationen bewirtschaftet wurde, geht eine Geschichte der Mühsal, der Entbehrung und der Sorge, aber auch vom Lohn des Fleißes und der Erfüllung verloren. Bauern sind bodenständige Leute. Auch den Gesellschaften und Volkswirtschaften des 21. Jahrhunderts müsste, wie die jüngste Vergangenheit zeigt, daran gelegen sein, davon eher mehr als weniger zu haben.«46 Mit dem Bauernsterben geht auch ein Stück deutscher und europäischer Kultur verloren.

Die landwirtschaftliche Produktion ist heute in Deutschland, wie in den meisten Industrieländern, auf den Markt ausgerichtet. Das heißt, sie hat den gewinnbringenden Verkauf der Produkte zum Ziel. Hierzulande dienen nur noch höchstens 5 % der landwirtschaftlichen Erzeugung der Selbstversorgung der Betriebe. In den Entwicklungsländern liegt der Anteil der Selbstversorgung dagegen häufig noch bei 80–90 % (die Experten sprechen hier von Subsistenzwirtschaft). Der deutsche bzw. europäische Landwirt gehört einer arbeitsteiligen Gesellschaft an und steht in stetem Wechselspiel von Angebot und Nachfrage. Während heute Schweinefleisch gefragt ist, können es morgen Milchprodukte oder Energiepflanzen sein. Zwischen Erzeugung und Verbrauch hat sich eine immer größere Trennung vollzogen: Transport, Verarbeitung, Verpackung und Handel haben an Bedeutung gegenüber dem Produzenten gewonnen. Die Ausweitung der Marktwirtschaft über die Staatsgrenzen hinaus hat zu weltweiten Verflechtungen der deutschen Landwirtschaft geführt. So verkaufen große Landwirte z.B. ihr Getreide über langfristige Kontrakte mit der Nahrungsmittelindustrie oder online an der Warenbörse bis nach Übersee. Exportiert werden vor allem aber verarbeitete Güter wie Käse, Joghurt, Wurst, Bier und Wein, importiert werden vor allem Futtermittel wie Soja und Mais oder Südfrüchte wie Bananen und Orangen. Insgesamt gehört Deutschland heute zu den führenden Nationen im Weltagrarhandel – neben den USA, den Niederlanden und Frankreich – sowohl im Import als auch im Export von Waren.

Interessant ist ein Blick auf die sehr unterschiedliche Erwerbsstruktur der landwirtschaftlichen Betriebe: Haupterwerbsbetriebe werden hauptberuflich geführt, das überwiegende Familieneinkommen entstammt aus der Landwirtschaft. Nebenerwerbsbetriebe hingegen sind im Nebenberuf bewirtschaftete Betriebe, wobei der Betriebsleiter einem außerbetrieblichen Hauptberuf nachgeht. Mehr als die Hälfte des Familieneinkommens wird durch diesen anderen Hauptberuf bestritten. In Deutschland werden derzeit (2018) etwa 48 % der 266 690 landwirtschaftlichen Betriebe im Haupterwerb geführt, welche im Durchschnitt 66 ha bewirtschaften. Dass heute noch 52 % der Betriebe im Nebenerwerb geführt werden (sie bewirtschaften durchschnittlich 23 ha), kommt auch manchen Experten wie ein kleines Wunder vor.46a Immer wieder wurde die Nebenerwerbslandwirtschaft, die 1965 in Deutschland noch bei 33 % aller Betriebe lag, als eine Übergangserscheinung dargestellt. Offenbar bietet die Nebenerwerbslandwirtschaft, die vor allem in Süddeutschland verbreitet ist, ökonomische, soziale und psychologische Vorteile. Immer gern erzählt wird die Geschichte vom neuen Traktor, dessen Kauf durch den Lohn bei BMW, Daimler oder BASF bezahlt wird. In Baden-Württemberg erfolgt mehr als die Hälfte der Weinproduktion durch Nebenerwerbsbetriebe. Gerade auch sie dienen der Pflege der überlieferten Kulturlandschaft sowie der Erhaltung sozialer und kultureller Traditionen auf dem Land. Typisch für die deutsche Landwirtschaft ist insgesamt die Vielfalt seine Betriebe: »Da gibt es die vielen Nebenerwerbsbetriebe, kleine Höfe, die Teilzeitlandwirte am Wochenende bewirtschaften, während sie unter der Woche einem anderen Beruf nachgehen. Da gibt es die großen Schweinezüchter, die in gewaltigen Hallen auf industrielle Art und Weise Fleisch für den Weltmarkt produzieren. Es gibt Milchbauern im Hochgebirge, riesige Ackerbaubetriebe in Mecklenburg-Vorpommern, Bio-Bauern mit Hofladen und Gästezimmern, Spargelkönige und Biogasanlagenbesitzer.«47


Die Mitarbeit der Frau in der Landwirtschaft war früher selbstverständlich, zum Beispiel war das Melken der Kühe über wiegend Frauensache.

Insgesamt hat sich die Produktivität der Landwirtschaft seit Beginn des 20. Jahrhunderts vervielfacht – dies geschah durch diverse technische und biologische Fortschritte, durch Spezialisierung und Rationalisierung. Sowohl in der Bodennutzung als auch in der Viehhaltung kam es zu einer drastischen Verkürzung des früheren Arbeitszeitaufwands: So sank z.B. der jährliche Arbeitszeitaufwand je Hektar Getreidebau in Deutschland von 1950 bis heute von 150 auf 6 Stunden, der je zehn Mastschweine von 80 auf acht Stunden. Insgesamt hat sich der pro Arbeitskraft in der Landwirtschaft erwirtschaftete Produktionswert in Deutschland von 1900 bis heute teilweise verzwanzigfacht. Damit liegen die Produktivitätsfortschritte in der Landwirtschaft relativ höher als in der Industrie. Die Hektarerträge bei Getreide, Kartoffeln und Zuckerrüben haben sich in Deutschland von 1900 bis heute durchschnittlich verdreifacht (Situations bericht des Bauernverbandes 2018/2019). Ein Landwirt ernährt heute durchschnittlich 140 Menschen, 1950 waren es noch zehn Menschen.

Trotz ständiger Fortschritte in der Produktion beklagt die Landwirtschaft immer wieder den z.T. drastischen Rückgang der Erträge für ihre Erzeugnisse. Der Sommer 2009 brachte eine überdurchschnittlich reiche Getreideernte. Dennoch ging im Herbst 2009 das einhellige Fazit der Bauern und ihrer Fachverbände »Gute Ernte – schlechte Preise« durch die Medien. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, formulierte stellvertretend für viele: »Die Getreidepreise aus der Ernte decken nicht die Produktionskosten« und sprach von historischen Tiefständen bei den Erlösen.47a Einen drastischen Preisverfall gab es im gleichen Jahr auch bei der Milch. Die Folge waren spektakuläre Proteste in allen Teilen Deutschlands, aber auch in benachbarten Ländern wie Frankreich, die per Fernsehen durch die Welt gingen. Milchbauern verschütteten ihre kostenintensiv produzierte und wertvolle Milch in Güllefässern auf Grünland. Solche Aktionen zeigen die Abhängigkeit und häufig die Ohnmacht der Bauern gegenüber dem Markt und hier besonders den großen Handelsketten. Die oft kurzfristigen Preisschwankungen erschweren ein langfristiges Planen der Landwirte und beschleunigen das Ausscheiden der kleinen und mittleren Betriebe. Allerdings erzielen die Bauern derzeit mehr als die Hälfte ihres Einkommens durch Subventionen der EU, die Direktzahlungen je Hektar Anbaufläche werden ab 2021 voraussichtlich an strengere Umwelt- und Sozialauflagen geknüpft werden.

Insgesamt hat sich die deutsche Landwirtschaft in den zurückliegenden Jahrzehnten positiv entwickelt. Die Landund Forstwirtschaft ist mit den vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereichen – wie Landmaschinenherstellung und Nahrungsmittelhandel – ein wichtiger Teil der deutschen Volkswirtschaft. Im gesamten Agrarbusiness sind 4,7 Mio. Frauen und Männer beschäftigt. Damit ist jeder neun te Erwerbstätige in Deutschland im Agrarbusiness tätig. Dieses erwirtschaftet 8 % des Produktionswertes unserer Wirtschaft.48


Kühe auf der Weide: dieses vertraute Bild ist vielerorts durch die Schrumpfung oder Spezialisierung der landwirtschaftlichen Betriebe immer seltener anzutreffen.

Das Dorf

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