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In der Dorfschmiede gab es Vieles zu arbeiten, auch das Pferdebeschlagen gehörte dazu: hier eine Szene um 1900.

Müller, Schneider, Schuster, Schmied

Von der Blütezeit des traditionellen Dorfhandwerks

Im »alten« Dorf lebten nicht nur Bauern, Land- und Waldarbeiter, sondern auch schon eine beachtliche Anzahl und Vielfalt an Handwerkern und Händlern. Quasi zur Grundausstattung gehörten der Schneider, Schuster, Schmied, Müller, Krämer und Wirt. Zunächst war das dörfliche Gewerbe nicht durch Reichtum geprägt, daher betrieben viele Handwerker eine zusätzliche kleine Landwirtschaft zur Selbstversorgung. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts begann eine Blütezeit des Dorfhandwerks, die gut 100 Jahre andauerte.

Gerade das »alte« Dorf wird meistens mit der Land- und Forstwirtschaft identifiziert. Dieses Bild ist aber nicht vollständig – denn auch die nicht agrare Wirtschaft hat im Dorf eine lange Tradition. Dörfliches Handwerk gab es bereits im Mittelalter. Die immer wieder zitierte frühere Autarkie des Dorfes, d.h. seine wirtschaftliche Unabhängigkeit, gründete nicht zuletzt auf handwerklichen und gewerblichen Tätigkeiten und Berufen. Einen regelrechten Boom von Handwerksgründungen können wir im 18. Jahrhundert feststellen: Im württembergischen Nehren vervierfachte sich die Zahl der Handwerker zwischen 1714 und 1799 von 25 auf 103, während die Einwohnerzahl zwischen 1730 und 1800 lediglich von 751 auf 1056 anstieg.77 Auch das frühindustrielle Gewerbe siedelte sich meist im ländlichen Raum an, was in dessen Reichtum an Energie (besonders Holz und Wasserkraft) und Bodenschätzen begründet war: Bergbau, Metall- und Holzindustrie, Glas- und Tuchindustrie hatten ihre Standorte vor allem in ländlichen Regionen, vornehmlich in den Mittelgebirgen wie Schwarzwald, Harz, Sauerland und Erzgebirge.78

Bis vor 200 Jahren war das Handwerk nach den geltenden Gewerbeordnungen zunächst einmal eine Domäne der Städte. Vor allem die städtischen Zünfte waren bestrebt, die handwerkliche Produktion auf dem Land zu begrenzen oder zumindest den Absatz von dörflichen Handwerksprodukten in der Stadt zu verhindern. Mit dem sog. »Städtezwang« versuchten auch viele Landesfürsten, das Handwerk zur Niederlassung in den Städten zu zwingen. Zunftwesen und Städtezwang konnten jedoch die Entwicklung des Handwerks auf dem Land nicht aufhalten. Bereits zugelassen waren hier jene Handwerkszweige, die für den täglichen Bedarf des Dorfes arbeiteten und häufig als klassische Dorfhandwerke bezeichnet werden: Schmied, Radmacher, Zimmermann, Maurer, Tischler, Müller, Bäcker, Schneider, Leineweber und Schuhmacher. Neben den Handwerkern gab es auch schon einzelne Händler in den Dörfern, so z.B. den Kaufmann und den Wirt. So schreibt ein Kenner des Westerwaldes im Jahr 1783: »Auf ihren Dörfern nisten sich Krämer ein«, die den Bewohnern »Zucker, Gewürze, Taback und Halstücher, Sacktücher, Stoffe, Schnallen und dergleichen verkaufen«.79


Die vorindustriellen Gewerberegionen waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts überwiegend in den rohstoff- und energiereichen Mittelgebirgen Mittel- und Süddeutschlands angesiedelt. Dies gilt besonders für die Eisen- und Glasproduktion.

Die Durchdringung des ländlichen Raumes mit Handwerkern und Händlern verlief keineswegs gleichmäßig. So konnte sich das Handwerk in den wohlhabenden Bauerndörfern der Börden eher entwickeln als in kleinbäuerlichen Mittelgebirgsdörfern. Außerdem hat offenbar das vorherrschende Erbrecht der Realteilung Handwerksgründungen begünstigt, wie eine hohe Handwerkerdichte in südwestdeutschen Dörfern zeigt. Generell hatte das Landhandwerk um 1800 bereits eine erhebliche Bedeutung, die jener des Stadthandwerks kaum nachstand. Trotz ihrer großen Präsenz in den Dörfern war die wirtschaftliche Lage des Landhandwerks zu Beginn des 19. Jahrhunderts keineswegs gut. Die meisten Handwerker waren gezwungen, ihre Existenz durch eine gleichzeitig betriebene Klein- bzw. Kleinstlandwirtschaft oder durch zeitweilige Arbeiten als Tagelöhner abzusichern. Somit war die Masse des ländlichen Handwerks durch ständige Armut geprägt. Gleichwohl stieg die Anzahl und die Vielfalt der Handwerks- und Handelsbetriebe in den Dörfern.

Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte in Deutschland ein stetiges Vordringen liberaler Grundsätze, die sich schließlich auch in Reformen und Gesetzen niederschlugen. Das ländliche Handwerk konnte davon ganz wesentlich profitieren. Als erster deutscher Staat führte Preußen im Jahr 1810 die Gewerbefreiheit ein und hob damit den Städtezwang auf. Jeder Gewerbetreibende erhielt damit das Recht der Betriebsgründung und Niederlassung im ganzen Land. Das dörfliche Handwerk konnte sich nun ohne städtische Vorbehalte entwickeln. Weitere Impulse brachten die Agrarreformen des frühen 19. Jahrhunderts. Der aus dem komplizierten Dienst-Lehen-Verhältnis mit seinem Grundherren befreite Bauer wurde nun unternehmerisch freier und motiviert, seine landwirtschaftliche Produktion zu steigern. Er konzentrierte sich auf die Erzeugung von Nahrungsmitteln und überließ alle übrigen Arbeiten mehr und mehr dem Handwerker. Die aufblühende Landwirtschaft brauchte außerdem neue Geräte und vor allem größere und solidere Hof- und Wirtschaftsgebäude, wovon besonders das ländliche Bauhandwerk profitierte.

Einen wichtigen gesellschaftlichen und politischen Fortschritt erfuhren die Dorfhandwerker mit der Einführung der politischen Gemeinde. In der früheren Dorfmarkgemeinde waren nur die Bauern vollberechtigte Dorfmarkgenossen. In der neuen Dorfgemeinde erhielten alle Dorfbewohner – und nicht zuletzt auch die meist landlosen oder landarmen Handwerker – die gleichen Rechte. Der Dorfhandwerker wurde somit zum gleichberechtigten und sozial geachteten Dorfbürger. Dies kam bald darin zum Ausdruck, dass er im Gemeinderat neben dem Bauern eine führende Rolle spielte.


Mühlen waren die Energiezentren des alten Dorfes, meist durch Wasser oder Wind angetrieben. Hier wurden vielerlei Nahrungs- und Gebrauchsgüter wie Mehl, Öl, Papier oder Bretter hergestellt, im Bild die Grander Mühle bei Mölln.


Das »Schlachten« gehörte bis in die 1970er Jahre zu den Selbstverständlichkeiten des Dorfes. Hier posiert um 1930 der Dorfschlachter mit der Bauernfamilie stolz vor dem geschlachteten Schwein.

Die Reformen seit Beginn des 19. Jahrhunderts brachten dem Dorfhandwerk einen großen Aufschwung. So kam es zu einer Gründungswelle von Handwerksbetrieben. Zunehmende Bedeutung gewannen die Bauhandwerker wie Maurer, Zimmerleute und Tischler, aber auch die der Landwirtschaft unmittelbar zugewandten Schlosser. Dazu kamen Bäcker und Metzger, die einen allmählichen Rückgang der traditionellen Selbstversorgung der Bauern und Handwerker mit Nahrungsmitteln anzeigen.

Einen schönen Beleg für die große Dichte und Breite an Handwerks- und Handelsbetrieben bietet uns das fränkische Dorf Kunreuth mit seinen etwa 450 Einwohnern im Jahr 1848: Von den insgesamt 77 privaten Anwesen sind nur 33 % reine Landwirtschaftsbetriebe, 43 % dagegen reine Handwerks- oder Handelsbetriebe, 24 % betreiben neben dem Handwerk oder Handel zusätzlich eine kleine Landwirtschaft. Insgesamt sind damals also etwa zwei Drittel aller dörflichen Haushalte im Handwerk oder Handel tätig! Auch die Breite der in diesem relativ kleinen Dorf bereits vertretenen nicht agraren Berufe ist beachtlich: An der Spitze standen die Leineweber (6), Schneider (5) und Krämer bzw. Spezereihändler (5), gefolgt von Schuhmachern (4), Viehhändlern (4), Metzgern (3), Bäckern (2), Büttnern (2) und Maurern (2). Jeweils einmal vertreten war ein Bierbrauer/Gastwirt, Wagner, Müller, Schmied, Zimmermann, Wundarzt, Seiler, Fuhrmann, Schreiner, Sattler, Seifensieder, Bader und eine Stickerin.80

Mit der Industrialisierung, die sich in Deutschland seit etwa 1850 rasant durchsetzte, veränderte sich auch das ländliche Handwerk. Durch Technik, Mechanisierung und Motorisierung entstanden ständig neue Möglich keiten der Serien- und Massenproduktion, sodass sich die tra ditionell vom Handwerk geleistete Güterherstellung mehr und mehr in die Industriebetriebe verlagerte. Der Ausbau des Eisenbahnnetzes förderte den Markt und den Austausch von Massengütern. Die Existenz des (dörflichen) Handwerks schien durch die Fabrik bedroht – vom unausweichlichen Niedergang des traditionellen Handwerks war die Rede.

Die »Reaktionen« des Handwerks auf Industrialisierung und Massenproduktion waren sehr unterschiedlich. Einige Zweige wurden von der Konkurrenz der Fabriken beiseite gedrängt, andere wiederum konnten sich die moderne Technik und Mechanisierung zunutze machen. Zu den schrumpfenden Handwerkszweigen auf dem Land gehörte recht bald der Leineweber, da die industrielle Fertigung zuerst den Textilsektor erfasste. Vom Niedergang betroffen waren ebenfalls das Schmiede-, Wagner-, Stellmacher- und Sattlerhandwerk sowie durch beginnende Konzentrationen das dörfliche Müller- und Molkereigewerbe. Zu den stagnierenden Handwerkszweigen auf dem Land zählten hingegen die Schneider, Schuster, Schlosser und Klempner. Das Schwergewicht ihrer Arbeiten verlagerte sich allerdings mehr und mehr von der Neuproduktion auf Reparaturen, Änderungen, Wartung und Installation von Industrieprodukten.

Wachsende ländliche Handwerkszweige waren das Baugewerbe und das Nahrungsmittelhandwerk – vor allem Bäcker und Metzger. Des Weiteren brachte die Technisierung und Motorisierung der Landwirtschaft einen neuen Handwerkszweig hervor: den Landmaschinenmechaniker, der sich durch Spezialisierung aus dem Schmiedehandwerk entwickelt hatte. Aber auch ehemals typische Stadthandwerke wie Uhrmacher, Friseure, Optiker und Installateure fanden nun ihren Eingang ins Dorf. Das Einkommen der Landhandwerker war um 1900 bis in die 1930er Jahre hinein überwiegend zufriedenstellend. In vielen Teilen Deutschlands, so in Bayern und Baden-Württemberg, wird sogar von einer Blütezeit des dörflichen Handwerks gesprochen. Dies gilt auch für das Aufbaujahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg, die 1950er Jahre, die als bislang letzte »Hochphase« des traditionellen Dorfhandwerks gelten können.


Das erzgebirgische Seiffen zeigt sich hier in vorweihnachtlicher Stimmung. Das weit über die Region hinaus bekannte Holzschnitzdorf mit seinen zahlreichen Drechsler-Werkstätten gilt als die Wiege der Nussknacker, Räuchermänner und Lichtpyramiden und zieht besonders im Winter zahlreiche Besucher aus dem In- und Ausland an. Die sehr detaillierte wie beliebte Schnitzkunst hatte sich nach dem Ende des Erzbergbaus entwickelt.

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