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Maria Theresia und der Tanz der Vampire
ОглавлениеDie Nacht in Transsylvanien war kalt und eisig. Der Vollmond stand hoch am sternenklaren Himmel und beleuchtete die tief verschneiten Hügel. Alles erschien in magischem Blau. Von der Ferne hörte man das Schellen der Glöckchen am Zaumzeug der Pferde, die einen offenen Schlitten zogen, der rasch näher kam: Drei Personen waren auf der Flucht vor dem berüchtigten Vampir-Grafen von Krolock und seiner Sippe. Am Kutschbock saß der schusselige Professor Abronsius, der mit seinem tollpatschigen Assistenten Alfred ausgezogen war, um das Böse zu vernichten und sich plötzlich mitten in einem Familienfest der Untoten wiederfand. Auf der Flucht befreiten sie die schöne Sarah, die Krolock entführt hatte. Sie saß nun eng umschlungen mit dem verliebten Alfred in der Kutsche, der nicht ahnte, dass seine Angebetete längst ein Vampir geworden war und er selbst das nächste Opfer sein würde. Unbeirrt lenkte der Professor den Schlitten durch die Nacht, während hinter seinem Rücken das schöne Mädchen den Mund wie zum Kuss öffnete und sich Alfred näherte. Plötzlich wurden zwei große Reißzähne sichtbar, und blitzschnell biss sie dem jungen Mann in den Hals, um ihm das Blut auszusaugen – der Professor am Kutschbock merkte davon nichts. „In jener Nacht in den Südkarpaten war Professor Ambrosius nicht klar, dass er das Böse, das er vernichten wollte, mit sich schleppte. Mit seiner Hilfe konnte es sich über die ganze Welt ausbreiten …“ So endet der Film „Tanz der Vampire“ von Roman Polański, die vielleicht komischste Horrorkomödie der Filmgeschichte. Millionen Zuseher in aller Welt haben darüber gelacht. Gleichzeitig ist der Streifen ein prominentes Beispiel dafür, dass der „Vampir-Erlass“ Maria Theresias vom 1. März 1755 völlig danebenging, aber den größten und nachhaltigsten wirtschaftlichen Erfolg ihrer Regierung ausgelöst hat, der bis heute kein Ende findet. Und er kostet dem Staat keinen Cent. Dabei war alles ganz anders gemeint.
Zur Zeit Maria Theresias kamen aus den Grenzregionen des Habsburgerreiches vermehrt Berichte an den kaiserlichen Hof nach Wien, in denen Geister und Personen auftauchten, die mit der „Magia posthumus“ (Zauberei der Abgestorbenen) behaftet, also Vampire waren. Vom „Kauen und Schmatzen der Toten in Gräbern“ und der „wahren Beschaffenheit der Blutsauger“ war die Rede. Sie verwandeln sich in Fledermäuse und überfallen Menschen, hieß es da, und sie saugen ihnen Blut aus. Von Vampiren Gebissene würden selbst Vampire werden und lebten als solche: unsterblich, aber untot. Sie würden in Gräbern und Grüften schlafen und könnten sich nur bei Nacht frei bewegen. Auch wurde berichtet, sie hätten Angst vor Knoblauch, Kruzifixen und Weihwasser. Bei Sonnenlicht zerfielen sie angeblich zu Staub. Man konnte sie nur vernichten, indem man ihnen einen Holzpflock mitten durchs Herz stößt, ihren Kopf abschlägt und sie verbrennt. In vielen Orten wurden bei Vampirverdacht, oft mithilfe des Ortspfarrers, Gräber geöffnet, Leichen herausgeholt und wie beschrieben vernichtet. Der Kaiserin in Wien gefielen diese Berichte gar nicht und sie beauftragte ihren Leibarzt und wissenschaftlichen Berater Gerard van Swieten, hier Klarheit zu schaffen.
Maria-Theresien-Denkmal: Maria Theresias Leibarzt Gerard van Swieten und der kleine Mozart.
Van Swieten kam aus Leiden, Holland, von der damals angesehensten Universität, und wurde durch seine Aktionen und wissenschaftlichen Reformen zum Gründer der „Älteren Wiener Medizinischen Schule“. Er bezeichnete den Vampirmythos als „Barbarei der Unwissenheit“, die er unbedingt beenden wollte. Er fuhr also nach Mähren, von wo gerade eine Vampir-Hinrichtung gemeldet wurde, und untersuchte die Sachlage vor Ort, um der Kaiserin zu berichten. Außerdem schrieb er ein Buch: „Abhandlung des Daseyns der Gespenster, nebst einem Anhang von Vampyrismus“. Auf über 200 Seiten erklärte er, was „der Unterschied zwischen einem Geiste und Gespenste ist“ aber auch, dass Gespenstererscheinungen „gemeinlich leere Einbildungen, falsche Erfindungen und öfters lächerliche Begebenheiten sind“. Der „Vampyrismus“ wurde von Gerard van Swieten arg zerpflückt. Er zeigte auf, dass sich alles auf natürliche Art erklären ließ, sodass nichts davon übrig blieb, vor dem man sich beunruhigen lassen müsste. Kaiserin Maria Theresia war zufrieden und beschloss, die Sache mit einem „Vampir-Erlass“ zu regeln, in dem sie festlegte, dass alles, was die Bevölkerung zur Vernichtung von Vampiren bisher unternommen hatte, wie Pflöcke durchs Herz zu stoßen, Köpfe abzuschlagen oder Leichen zu verbrennen, ab sofort verboten war und als Leichenschändung verfolgt und streng bestraft werden würde. Die Vampire, falls es welche in Österreich gab, konnten sich nun sicher fühlen. Ihr ewiges untotes Leben war durch kaiserlichen Erlass gesichert.
Es schien alles in Ordnung und es wurden keine Vampirverfolgungen mehr bekannt. Maria Theresia konnte nicht ahnen, dass das Böse, das sie verbieten wollte, nun erst so richtig zum untoten Leben erwachen würde und sich über die ganze Welt verbreiten sollte – auch wenn sich, wie Van Swieten meinte, alles ganz natürlich erklären ließ. Doch darum konnte sich die Kaiserin nicht weiter kümmern. Sie musste sich anderen Aufgaben zuwenden, außerdem erwartete sie ihr 15. Kind, Maria Antonia, besser bekannt als Marie Antoinette. Sie wurde als 15-Jährige mit dem französischen König Ludwig XVI. verheiratet. Ihr sollte im Leben genau das passieren, was ihre Mutter den Untoten ersparen wollte: Sie wurde am 16. Oktober 1793 während der Französischen Revolution in Paris geköpft. Auch Gerard van Swieten ahnte nicht, dass er durch sein Engagement und seinen Bericht zum Vorbild für Van Helsing, den berühmtesten Vampirjäger aller Zeiten, werden sollte. Der Autor Bram Stoker erschuf ihn in seinem Roman „Dracula“, der sich in seiner Leinwand-Version im Laufe der Zeit zum Klassiker unter den „Fledermausfilmen“ entwickelte.
Die Vampire wurden lebendiger denn je, nur der Schauplatz wechselte. Von den südosteuropäischen Dörfern verlagerte sich ihr Wirkungsbereich in Bücher, auf Theaterbühnen und in Filme. Die Vereinigen Bühnen Wien unter Intendant Rudi Klausnitzer brachten 1997 den „Tanz der Vampire“ 30 Jahre nach dem gleichnamigen Kinofilm als Musical auf die Theaterbühne – mit Roman Polański als Regisseur. Das Stück wurde ein Riesenerfolg, der von Wien aus um die Welt ging. Zwei amerikanische Schriftstellerinnen verpassten den Vampiren ein neues Image: Anne Rice schrieb „Interview with the Vampire: The Vampire Chronicles“ („Interview mit einem Vampir“) und Stephenie Meyer die „Twilight“-Serie. Die Bücher blieben monatelang auf Platz 1 der Bestsellerlisten und wurden äußerst erfolgreich verfilmt. Sogar als Zeichentrickfiguren tauchen die kleinen Vampire im Kinderprogramm auf. Und kein Maskenfest bleibt ohne Vampir. Unvorstellbare Beträge werden umgesetzt, und das alles hat Kaiserin Maria Theresia ausgelöst. Denn vermutlich wären die schrillen Rituale der Landbevölkerung mit vermeintlichen Untoten längst vergessen – wenn nicht Van Swieten unterwegs gewesen wäre und Maria Theresia ihren Vampir-Erlass geschrieben hätte. So aber wurde Maria Theresia zur „Schutzherrin“ der Vampire und sicherte ihnen ewiges Leben. Das müsste einem doch einen „Tanz der Vampire“ um Mitternacht mit der österreichischen Kaiserin (selbst nie gekrönt, doch als Gattin des Kaisers Franz I. Stephan als solche tituliert) wert sein: Man findet die energische Herrscherin direkt in der Kapuziner-Gruft, dort kann man sie als lebensechte Bronzefigur am eigenen Sarg sitzen sehen, wie sie mit ihrem Gatten auf die Auferstehung wartet – ein Kraftpunkt, der besonders auf die Psyche wirkt und neuen Lebensmut schenkt.
Wien ist eine morbide Stadt, wird immer wieder gesagt, weil hier die Friedhöfe und Begräbnisrituale einen so hohen Stellenwert genießen. Speziell der Zentralfriedhof bietet zahlreiche Ruhe- und Kraftplätze, die es wert sind, besucht zu werden. Die Ehrengräber mit den großen Künstlern sind ideale Meditationsflächen, wenn man sich die Werke der hier Bestatteten vergegenwärtigt. Besonders die Gräber der großen Musiker faszinieren. Immer wieder kann man ganze Chöre am Grabe Beethovens beobachten, „Freude, schöner Götterfunke“ aus der 9. Sinfonie singend. Und in der Kapuzinergruft am Neuen Markt sind die Sarkophage von Kaiserin Elisabeth (1837–1898), Kaiser Franz Joseph (1830–1916) und Kronprinz Rudolf (1858–1889) stets mit vielen Kränzen und Blumen geschmückt. Die Nähe der Toten wird hier als beruhigend empfunden, die Vergangenheit mit neuen Leben erfüllt. Ein ganz wichtiger Kraftort.