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Kapitel 8.
ОглавлениеEs war schon spät, als Berendtsen in die Puccinistraße einbog. Die Garage seines Nachbarn war geschlossen. Daher nahm er an, dass Franz Roloff, Chefredakteur der Ruhrzeitung, noch nicht in die Redaktion gefahren war. Die Entscheidung, ob er ihn noch stören dürfe, wurde ihm abgenommen.
»Hallo Albert. Ich habe schon auf dich gewartet. Habt ihr viel Arbeit mit der Explosion im Schrebergarten?«
»Wir fangen mit den Ermittlungen gerade erst an. Ich weiß noch nicht, ob es viel Arbeit wird. Wir haben einige Handyfotos von Umstehenden. Ich habe sie mir angeschaut. Für Handys nicht schlecht, aber manche sind einfach zu unscharf. Die meisten Leute haben den automatischen Blitz nicht ausgeschaltet und nicht bedacht, dass das Handy daran die Belichtung ausrichtet. Im Vordergrund ist alles hell belichtet und gestochen scharf, aber das, was uns interessiert, ist nur mit Vorbehalt zu verwenden. Lediglich ein Fotograf, der dort ein paar Tage verbringt, hat vernünftige Aufnahmen abgeliefert. So kommst du mir gerade recht. Dein Mann hat auch Aufnahmen von dem Geschehen gemacht. Könntest du mir davon einige zeigen? Ich denke, sie sind besser als die Laienfotos.«
»Möchtest du kurz reinkommen? Ich habe die Bilder auf meinem Rechner. Du kannst sie gerne anschauen.«
Berendtsen fiel sofort ins Auge, dass diese Bilder ein Profi gemacht hatte. Der Mann hatte neben den Aufnahmen vom Brand und Feuerwehreinsatz, die für die Zeitung vorgesehen waren, nicht vergessen, Details zu fotografieren, die nicht für eine Veröffentlichung geeignet waren. Darunter eindeutig zu identifizierende Leute, sehr derangiert in ihren Schlafgewändern mit übergeworfenen Jacken. Diese waren für Berendtsen interessant.
»Du brauchst sie nicht sofort zu analysieren, Albert. Ich habe sie alle als Kopie gespeichert.« Er drückte ihm den Stick in die Hand. »Nimm sie mit ins Büro als Dank für die Hilfsbereitschaft.«
»Keine Ursache. Bist du auf dem Weg in die Redaktion?«
»Ich wollte längst dort sein, aber ich habe auf dich gewartet, damit du die Aufnahmen noch bekommst.«
»Ganz vielen Dank, Franz. Morgen hast du wieder einen Exklusivbericht auf der ersten Lokalseite. Freue mich schon drauf.«
»Es wird sogar auf der Seite ›Geschehen im Vest‹ abgedruckt. Ein Obolus für Leying, den Redakteur, wird wohl dabei herausspringen. Schönen Feierabend wünsche ich dir. Gruß an Irmgard.«
»Richte ich aus.«
»Na, mein lieber Mann, wie geht es dir? Du hattest einen anstrengenden Tag. Ich sehe es dir an. Hast du Rückenschmerzen? Du hast heute Nacht vergessen, deine Jacke anzuziehen.«
Irmgard nahm ihn in ihre Arme und drückte ihn. Sie kannte ihren Albert und wusste, was er jetzt brauchte. Es hatte eine Leiche gegeben. Sie hatte ihn heute Nacht nicht mehr gesprochen. Er hatte in Maximilians Bett geschlafen, der wegen seines Studiums zurzeit in Aachen weilte. Sie wusste von dem Vorfall im Schrebergarten, weil er ihr eine kurze Nachricht geschrieben hatte. Sie war bereits in der Schule, als sie die Nachricht erhielt.
Er setzte sich in seinen Sessel, lehnte sich zurück und genoss seinen Single Malt von der schottischen Insel Islay. Er hatte in jungen Jahren mit zwei Freunden eine Fahrt durch Schottland unternommen. Dabei hatten sie verschiedene Destillen besucht und deren Whisky probiert. Er bevorzugte seitdem die Sorte Laphroig. Es gab bessere, aber diese Sorten waren nichts für Whiskyliebhaber, sondern nur für Freaks, die entsprechend Geld dafür ausgaben. Mehr als sechzig Euro für eine Flasche auszugeben, um nach einem gruseligen Arbeitstag die Gedanken herunterzufahren, war er nicht bereit.
Als Irmgard ihm einige Schnittchen hingestellt hatte, mit Gurke und Tomate verziert, entspannte sich sein Gesicht. Sie hätte gerne gewusst, wie sein Tag verlaufen war, aber sie begann das Gespräch nicht. Sie fühlte seine Stirn.
»Ich werde mich nie daran gewöhnen«, eröffnete er die Unterhaltung. »Ich bin dreißig Jahre bei der Polizei, davon vierundzwanzig bei der Mordkommission. Die Leute lernen nie, dass sie mit Morden einer Gefängnisstrafe nicht entgehen. Wir schnappen sie früher oder später. Warum glauben manche, dass sie davonkommen? Wie oft sind Morde dazu da, eine Straftat zu vertuschen. Selbst schwere Delikte wie Bankraub oder eine Erpressung werden heute nicht so schwer bestraft wie Tötungsdelikte. Für Mord gehen sie fünfzehn Jahre hinter Gitter. Für einen Banküberfall bist du bei guter Führung nach einigen Jahren wieder draußen. Dennoch begehen Leute Morde, zum Teil an Komplizen, um die eigentliche Tat zu vertuschen. Schon bekommen sie lebenslänglich.«
Albert besah sich die Schnittchen. »Wunderbar!«, lobte er seine Irmgard.
»Nicht alle Morde sind Vertuschungstaten. Manche dienen anderen Zwecken, wie Erbe oder Geld oder … was auch immer«, wandte Irmgard ein.
»Du hast recht, meine liebe Frau.« Er streichelte ihr über die Hand, die auf der Lehne ihres Sessels lag. »Wie war es in der Schule? Sind deine Schüler fleißig und tüchtig wie immer?«
Sie lächelte ihn an. »Wenn es nur so wäre, Albert. Der Unterricht ginge zügiger voran. Aber ich kann mich nicht beklagen. Meine Kurse sind alle gut dabei. Viele Lehrer vergessen vor der Klasse ihre eigenen Schandtaten. Wenn ich daran denke, was wir uns früher ausgedacht haben … Ich denke gerade an unseren Musiktest.«
Irmgard lächelte in sich hinein.
»Erzähle!«
»Ich habe es dir schon einmal erzählt. Ich glaube bereits zweimal.«
Er drängte sie, alles noch einmal zu berichten. Die Geschichte war zu schön.
»Unser Heinzel«, begann sie, »er hieß Heinz Ellermann, schrieb am Ende eines Schuljahres Tests, die im Grunde keinem schwerfielen. C-Dur-Akkord aufschreiben und solche Dinge. ›Wie viele Kreuze hat D-Dur?‹. Dementsprechend war niemals jemand vorbereitet. Eines Tages erfuhren wir unmittelbar vor unserer Musikstunde auf dem Schulhof, dass ›richtige‹ Fragen auf dem Test standen: ›Aufbau einer Symphonie‹. Panik! Johannes – den Hausnamen weiß ich nicht mehr – versprach Abhilfe. Der Test wurde ausgeteilt. Allerseits Schweigen. Plötzlich rief Johannes: ›Hier ist eine Maus!!‹ Er sprang auf den Stuhl und rief weiter: ›Ich schreib kein Wort mehr!« Im selben Augenblick hatten alle Schüler Angst vor der Maus. Heinzel konnte nicht verstehen, dass Schüler der zehnten Klasse Angst vor Mäusen hatten. Der Test fiel aus.«
Beide lachten so herzhaft, als wäre der Streich heute passiert. Die Folge waren erneute Schmerzen im Rücken.
Als Albert die Schnitten und einen zweiten Whisky genossen hatte, nahm er eine Tablette gegen die Schmerzen und berichtete auf Nachfrage von seinem Tag. Details über die verbrannte Leiche ließ er weg.
»Hast du Fieber, Albert?« Gegen seinen Willen zog sie das Fieberthermometer hinzu. Drei Minuten Schweigen. »Siebenunddreißig drei. Du wirst hoffentlich nicht krank, Albert. Warum hast du den Mantel nicht mitgenommen. Ich hatte ihn hingehängt.«
Er ging nicht weiter auf den Vorwurf ein.
»Die Bilder, die die Leute aus dem Schrebergarten aufgenommen haben, sind gut und hilfreich«, schloss er seinen Vortrag, »aber ich verspreche mir noch mehr von den Bildern des Reporters. Es wäre zu schön, wenn der Täter irgendwo in der Menge zu finden wäre, denn ich gehe davon aus, dass er sich über die Folgen der Tat informieren wollte. Er musste schließlich sicher sein, dass die Tat von Erfolg gekrönt war. Wie sich die Sache darstellt, hat er nicht nur den Tod dieses Mannes angestrebt – das hätte er einfacher und unspektakulärer gestalten können – sondern er wollte unbedingt Spuren vernichten. Warum sonst solcher Aufwand? Er gibt damit die erste Info über sich preis: Er oder sie hat Kenntnisse von Schaltungen und Funk! Außerdem besitzt er Plastiksprengstoff und hat Erfahrung damit. Er hat gerade so viel Masse verwendet, wie nötig ist, das Haus komplett in die Luft zu jagen, aber niemand anderem zu schaden. Die Verwüstung betraf nur dieses Areal von dem Toten. Einzelne Bretter und Scherben sind auf die Nachbargrundstücke geschleudert worden. Bagatellen.«
»Das gibt Anlass zu Hoffnung auf eine schnelle Lösung des Falles?«
»Sollte man meinen, aber diese Anschläge von Spezialisten gestalten sich meistens sehr schwierig. Es sind oft Täter, die mit dem Opfer nicht unbedingt in Verbindung stehen. Die meisten Morde geschehen durch Personen, die dem direkten Umkreis des Opfers zuzuordnen sind. In unserm Fall rechne ich damit, dass der Täter von außerhalb kommt.«
»Auftragsmord?« Sie sah ihren Mann bedenklich an. »Bringe dich nicht in Gefahr, Albert!«
»Passt nicht auf diesen Tathergang. Dann wäre das Auto des Opfers noch auf dem Parkplatz. Es muss einen Grund geben, warum das Fahrzeug verschwinden musste. Wir haben ein Foto, auf dem das Nummernschild des Wagens teilweise zu sehen ist. Ich hoffe, dass wir morgen ein Bild finden werden, auf dem das Nummernschild vollständig zu erkennen ist. Dann müssen wir versuchen, es über das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg auszumachen. Wir haben die Daten online eingesehen. Den Wagen haben wir nicht gefunden. Auf eine direkte schriftliche Abfrage per Fax haben wir bisher keine Antwort erhalten. Die Nummer ist zu unvollständig für eine Suche oder es ist gefälscht. Es handelt sich auch nicht um eine Doublette. Wenn wir auf Basis dieser beiden Kenntnisse auf die Tat sehen, dann haben wir auf der einen Seite einen Täter mit professionellen Kenntnissen, auf der anderen Seite begegnen wir Leuten, die Zugriff auf gefälschte Ausweise und Nummernschilder haben. Im schlimmsten Fall bis in die Behörde hinein. Die Tat war - von dem Täter oder einem Komplizen - sorgfältig vorbereitet. Ehe alles in die Luft gesprengt worden ist, wurden die Schlüssel für seine Hausadresse und der Autoschlüssel entwendet. Ich bin der festen Überzeugung: Dahinter stecken Profis!«
»Du meinst … glaubst du … die Mafia steckt dahinter?«