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Kapitel 7.

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Beatrice kam die Treppe herauf.

»Geht klar. Ich bin in vierzig Minuten dort«, bekam sie noch mit. Dann legte Kris den Hörer auf.

»Du möchtest noch weg?«, fragte sie ihren Bruder. »Wohin fährst du?«.

»Ich habe den Warenbestand im Lager nachgesehen. Wir brauchen Nachschub an Stoff. Der letzte Frachter im Hafen war leer, wie du weißt. Du hast es selbst arrangiert. Die heutige Lieferung kommt im Yachthafen an. Die Beutel wurden schon in Datteln umgeladen. Unsere Boote wurden noch nie kontrolliert. Wir sollten überlegen, das immer so zu handhaben.«

»Wieviel erwartest du?«

»Angekündigt sind fünfzig Kilo.«

»Hast du das Geld?«

»Die vier Koffer stehen im Flur. Es sind dieses Mal viele kleine Scheine darunter.«

»Soll ich dir helfen?«

»Ich nehme den Luba. Der steht im Keller. Dann brauche ich nicht durch die Haustür.«

»Hast du eine Eskorte? Du kannst nicht mit so viel Geld allein zu einer Übergabe. Wieviel nimmst du mit?«

»Zweieinhalb. Es ist etwas günstiger als im Winter. Ich habe gehört, dass die FARC in Kolumbien mehr Bauern unter Vertrag hat als vor dem Deal mit der Regierung.«

»Das ist nicht zu glauben!«

»Das Schöne ist, dass der Preis auf der Straße steigt. Somit steigt die Spanne. Die Leute geben mehr Geld für ihr Vergnügen aus. Sie gönnen sich eine Linie. Inzwischen haben wir die ersten Hotspots auf dem Lande. Es muss nicht immer das Ruhrgebiet sein.« Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht.

»Wer fährt mit?«

»Nana und Edwin. Das ist die beste und sicherste Begleitung. Sie gehören zur ›Familie‹, wie du immer betonst. Wir treffen uns an der Eishalle.«

Beatrice fühlte sein Jackett. »Welche Waffe nimmst du mit? Deine Walther?«

Kris nahm die Waffe aus dem Holster, sah das Magazin nach und schob es mit kräftigem Ruck in die Griffschale zurück.

»Neu? Zeig sie mal her.« Beatrice wog die Waffe in ihrer Hand, betrachtete sie eingehend. »Kommt mir leichter und kleiner vor.«

»Sowohl sicherer als auch präziser. Sie reicht. Wang ist kein Fernziel. Wenn ich sie gebrauchen muss, dann höchstens auf eine Distanz von zehn Metern. Aber ich glaube nicht, dass das nötig ist. Wir haben schon so viele Geschäfte zusammen gemacht. Das Vertrauen ist da. Deshalb geht der Austausch auch so einfach vonstatten. Kein Nachzählen, kein Probieren. Sie laden den Stoff um, ich stelle das Geld auf den Steg. Fertig. Fünf Minuten. Die alten Koffer bringt er immer wieder mit. Sparsam ist er.«

Sie lachte. Er drückte sie kurz und verschwand mit zwei Koffern in der Kellergarage. Beatrice trug ihm die anderen beiden nach.

»Wann wirst du zurück sein?«

»Zwei Stunden. Ich lade es direkt in der Halle ab.«

Nana und Edwin blieben im Wagen. Wang hatte vier Leute mitgebracht, die kräftig anpacken konnten. Die Übergabe der einhundert Teebeutel funktionierte wie immer reibungslos. Der eine wog nicht, der andere zählte nicht – vor den Augen des anderen. Man vertraute sich. In der Halle allerdings würde die Ware nachgewogen und auf Gehalt geprüft. Kris wusste, dass Wang ebenfalls kontrollierte. »Dieses Mal hat er viel zu tun«, dachte Kris. Alles Zwanziger und Fünfziger. Wenige große Scheine. Da müssen sie bis zweieinhalb Millionen lange zählen. Er selbst würde wohl fünfundzwanzig Millionen Euro damit erzielen.

»Darf ich Ihnen meine Mitarbeiter vorstellen, Lao Wang?«

»Die beiden im Auto? Ich habe sie gesehen. Gerne.«

Kris klopfte auf das Autodach und gab ihnen ein Zeichen.

»Edwin und Nana. Sie werden in der nächsten Zeit die eine oder andere Lieferung annehmen. Ich möchte, dass Sie sie kennenlernen und die Geschäfte reibungslos weiterlaufen.«

»Ich glaube, den Herrn kenne ich schon. Ich habe ihn bereits einmal am Hafen gesehen. Kann das stimmen?«

Edwin beugte sich leicht vor. »Guten Abend Lao Wang.« Er wusste, wie man einen älteren Chinesen respektvoll anzureden hatte. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ja wir haben uns einmal am Hafen gesehen, sind uns allerdings nicht vorgestellt worden. Ich bin der Einkäufer der Firma. Ich habe die Ware zu prüfen, die ankommt. Erst dann wird verladen. Bei Ihnen ist es etwas Anderes. Ihnen vertrauen wir.«

Wang begrüßte die jungen Leute.

»Ich freue mich, zwei weitere Mitglieder Ihrer Firma kennenzulernen. Herzlich willkommen im Club. Mein Name ist Cai Wang. Selbstverständlich werde ich sie als Geschäftspartner akzeptieren. Geben wir dem Nachwuchs eine Chance!« Wang zog die beiden neuen Mitarbeiter an seine Brust und gab ihnen den Bruderkuss auf beide Wangen. Dann trat er einen Schritt zurück und deutete seinerseits eine Verbeugung an.

Nach einem kurzen, durch einen angedeuteten Diener unterstützten, dankbaren »Danke Lao Wang« verschwanden sie im Auto.

»Bis wann können Sie Nachschub besorgen?«, erkundigte sich Kris, als die beiden anderen bereits im Auto saßen.

»Dieselbe Menge? Gleicher Ort?« Wang überlegte kurz. »Drei Tage?«

»Reicht. Danke. Auf Wiedersehen! Zàijiàn, Lao Wang!«

»Hǎodǎi«

»Auf jeden Fall«, übersetzte Kris. Wenn er auch kein Chinesisch sprach, so kannte er doch gewisse Redewendungen.

Er stieg in den Wagen und stellte den Hebel auf ›D‹.

Ehe er die Tür zuschlagen konnte, rief ihm der Chinese nach: »Shāo děng yīhuǐ'er! Einen Moment, bitte!«, wiederholte er auf Deutsch und trat zu Kris ans Auto. »Wann kann die große Lieferung kommen?«

»Ich rufe Sie an. Bald.«

»Sollen wir auch Crystal Meth mitbringen? Wir können günstig liefern. Aus Malaysia. Kilo unter zehn Mille.«

»Wunderbar! Was können Sie auftreiben?«

»Die Lager sind voll. Deshalb der Preis. Bei hundert Kilo gehe ich auf acht fünf.«

»Qualität?«

»Mindestens fünfundneunzig Prozent. Garantiert.«

»Ich nehme hundert Kilo. Wie ist es verpackt? In Teesäcken?«

»Säcke zu fünfzig Kilo. Hälfte Speed. Der Rest ist Ceylon Tee.«

»Den Tee können Sie behalten. Ich brauche nur das Meth. Ich habe nicht vor, hier mit einem Lastwagen vorzufahren.«

»Okay. Wir packen es aus für Sie.«

»Schicken Sie mir eine Nachricht. Danke. Wiedersehen.«

»Hǎodǎi«

Unterwegs schellte das Telefon. Wang. Kris drückte auf den Hörer am Lenkrad.

»Ja?«

»Haben Sie von der Explosion erfahren?«, fragte er.

»Explosion? Welche Explosion?«

»Ich wurde soeben informiert. Auf dem Schrebergarten in Dorsten ist in einer der Lauben eine Gasflasche explodiert? Haben Sie Ihre Hand im Spiel, Kris?«

»Davon höre ich von Ihnen zum ersten Mal. Was ist genau passiert?«

»Eine Leiche, männlich, Anfang dreißig. Hat ihre Firma das organisiert? Warum habt ihr mir nichts davon gesteckt?«

»Wir haben keine Explosion ausgelöst. Wir sind nicht verrückt. Wenn wir jemanden zu beseitigen haben, geschieht das nicht so spektakulär. Wir lieben die unaufgeregte Stille, wie Sie wissen. Krawall ist nicht unser Stil.«

Wang hatte bereits aufgelegt und die letzten Sätze nicht mehr mitbekommen.

»Weï! Hallo!« Yú, der Fisch, hatte Wangs Nummer erkannt.

Yú, der »Fisch«, war der Chef der 18K-Triade, einer chinesischen kriminellen Vereinigung, die ihre Aktivitäten seit einigen Jahren nach Europa, speziell nach Deutschland ausgeweitet hatte. Niemand kannte den Fisch. Er meldete sich stets anonym über Telefon und immer mit verschleierter Stimme und leicht chinesischem Akzent. Es gab nur wenige Leute, die wussten, wie er erreicht werden konnte.

»Ich wurde soeben informiert, dass im Schrebergarten ein junger Mann durch eine Gasexplosion ums Leben kam. Steckt Ihre Firma dahinter?«, fragte Wang. »Es könnte sich um einen fatalen Fehler gehandelt haben, wenn es sich bei dem Mann um Mike handelt. Warum wurde die Sache nicht mit mir abgesprochen? Der Kerl hat viele wichtige Daten von meinem Rechner gezogen. Wenn diese in falsche Hände geraten, bin ich dran. Und Sie gehen mit! Sorgen Sie dafür, dass wir die Daten umgehend zurückbekommen!«

»Mike beobachtet Sie bereits seit langem. Meine Leute haben erfahren, dass dieser Mann ein Informant des LKA war. Er hat wiederholt Daten an seinen Betreuer geschickt, die wir bisher abfangen konnten. Er scheint Verdacht geschöpft zu haben. Wir mussten ihn ausschalten. Auch zu Ihrer Sicherheit. Wir werden die Daten finden und zurückgeben. Noch Fragen?«

»Warum so aufwändig?«

»Meine Leute wollten sichergehen, dass alle Spuren vernichtet werden. Das ist nach meinen Informationen auch gelungen.«

»Okay. Ich verlasse mich auf Sie.«

Wenige Minuten später erreichten die Drei das Lager. Eine Fertighalle aus Beton zwischen Schermbeck und Wesel in einem Industriegebiet, eingerichtet mit einer Rezeption hinter Sicherheitsglas und allerlei Glücksspielgeräten, an denen die Leute aus der Umgebung ihr Geld verlieren durften. Er setzte das Auto vom Parkplatz aus rückwärts in die Einfahrt zur Halle vor die Rampe, die die Geldtransporter anfuhren. Sobald das Garagentor geschlossen war, luden sie die fünfzig Kokainbeutel und die zwei leeren Koffer, die Kris vom Don zurückerhalten hatte, auf die Rampe. Mit Hilfe seines Smartphones ließ er die für nicht eingeweihte Leute nicht auszumachende Plattform absinken. Die hundert Plastikbeutel verstaute er in einem Raum, der durch Verschieben eines Wandschranks zu begehen war. Edwin und Nana wogen die Beutel nach. Fünfhundert Gramm exakt. Er selbst nahm stichprobenartig einige Prisen aus verschiedenen Beuteln und analysierte das weiße Pulver auf Gehalt. Dazu öffnete er eine Phiole mit Testmittel, gab das Pulver hinein, verschloss das Gefäß und schüttelte. Anhand der beiliegenden Farbskale ermittelte er einen »Sehr hohen Gehalt«. Genau wie er erwartet hatte. »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«. Dieses war ein gutes Wort von Lenin. Das zweite, was er von ihm kannte, war »Ein Mensch mit einer Waffe kann hundert Leute ohne eine Waffe kontrollieren«. Dieses Zitat war für ihn nicht weniger wichtig.

Der Fisch

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