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Kapitel 5.
ОглавлениеVor dem Haus in Wulfen fuhr Edwins roter Ferrari Portofino vor. Er war nicht allein. Nana war bei ihm, die jüngere Schwester Raphaels. Den Spitznamen hatte sie sich selbst zugelegt, weil sie sich als Kind immer so genannt hatte. Sie stammte ebenfalls aus Cotonou in Benin. Mit ihren strahlenden Augen und dem weißen Fleck an der linken Schläfe und der leichten, freundlichen Art, ähnelte sie ihrer Mutter. Zu ihrer Freude nicht in der Gestalt. In dieser Richtung hatte sie mehr vom Vater mitbekommen. Während der Körper der Mutter nicht zuletzt durch die Arbeit in der Landwirtschaft kräftig und gedrungen wirkte, hatte sie eher die Maße eines Models aufzuweisen. Ihr glattes Haar und der hellere Teint erinnerten die Familie daran, dass der Großvater aus Frankreich stammte. Er war Ingenieur gewesen und hatte beim Bau der Eisenbahn vom Hafen Cotonou in den Norden mitgewirkt. Heute war es eine der wichtigsten Transportrouten des Landes.
Edwin stammte aus der Flur »Station« der Gemarkung Vlodrop, einem kleinen Dorf in der niederländischen Provinz Limburg, wenige Kilometer von Roermond und weniger als einen Katzensprung zu Fuß von der deutschen Grenze entfernt. Er war immer noch bei seinen Eltern gemeldet, die dort ein feines Restaurant betrieben mit einigen Hotelzimmern für Leute, die dort ein Wochenende in der einsamen Ruhe der Heide genießen wollten. Seit seinem zwanzigsten Lebensjahr lebte er überwiegend in Deutschland. Seine holländischen Eltern konnte er nicht verleugnen. Groß, blond, blaue Augen. Wenn Edwin sie besuchte, fuhr er häufig durch den Wald über die Grüne Grenze. Das war kürzer, als mit dem Auto über den Grenzübergang zu fahren.
Beatrice öffnete die Tür und begrüßte sie freundlich. Sie waren nicht zu erreichen gewesen, erfuhr sie, weil die beiden mit einem auf einen Kleintransporter verladenen Fahrzeuge zum Hafen nach Zeebrugge unterwegs gewesen waren und deshalb ihre anderen Handys dabeihatten.
»Daran habe ich nicht gedacht. Hätte man mir auch sagen können. Ich habe euch gesucht. War der Transport nicht für übermorgen angedacht?«
»Wir hatten einen heißen Wagen. Er ist inzwischen verladen. Den findet keiner mehr«, klärte Nana sie auf.
»Das Schiff legt wie geplant heute Abend ab«, ergänzte Edwin. »Wir sind heute Nacht um halb zwei vom Hof gefahren. Wir waren gut unterwegs. Der Lademeister in Zeebrugge hat uns gegen ein kleines Taschengeld wie immer problemlos durchgeschleust, so konnten wir gegen elf Uhr zurück. Jetzt sind wir hier. Wir konnten Sie nicht benachrichtigen, Bea, weil Sie im Flugzeug saßen. Wie war Ihre Reise?«
»Der Flug war unkompliziert wie immer. Ich konnte über Nacht fliegen. Dann kommt es einem nicht so lang vor. Von Cotonou bis Düsseldorf war ich knapp fünfzehn Stunden unterwegs, weil ich in Rabat umsteigen musste. Aber das wolltet ihr nicht wissen. Euch interessiert das Geschäft. Es hat sich gelohnt. Ich bin zufrieden. Setzt euch. Raphael lässt dich herzlich grüßen.«
»Danke. Ich habe gestern Abend mit ihm telefoniert«
Beatrice schob die große Glastür zur Seite und frische Luft flutete über die Terrasse herein. Der Frühling hatte begonnen, aber nur kalendarisch. Es war jedes Jahr dasselbe. Sie wartete auf den März, dann den April, jetzt ging bereits dieser Monat dem Ende zu, aber einen durchschlagenden Erfolg hatte der Frühling noch nicht gebracht. Heute war indes ein wunderschöner Tag.
»Warum seid ihr zu zweit nach Zeebrugge gefahren? Ihr seid in einem Rutsch hin und zurück kutschiert? Du hast einen Führerschein für Lastwagen, glaube ich.«
»Genau, aber für den Transporter habe ich ihn nicht benötigt«, antwortete Nana. »Wir wollten uns abwechseln. Für einen allein ist die Tour zu weit. Zu zweit konnten wir innerhalb von einem Tag wieder zurück.«
»Sagtet ihr schon. In Benin habe ich – besser gesagt Raphael - die Voraussetzungen geschaffen, den Umsatz mit Gebrauchtwagen zu verdreifachen. Dein Bruder«, sie blickte Nana an, »hat es geschafft, ein an unser Gelände grenzendes Grundstück zu erwerben. Beide Grundstücke zusammen wollen wir als Lagerplatz für Wagen benutzen. Das Areal ist über einen Quadratkilometer groß. Raphael meint, es gehen bis zu einhunderttausend Autos auf den Platz.«
Sie ließ die Worte sacken.
Die Antwort kam von Nana. »Ist es das Gelände der alten Fabrik? Sie haben Steine gebrannt, glaube ich.«
Bea nickte.
»Dann müssen wir hier neue Zentren aufbauen, an denen wir die Wagen kaufen. Sportplätze wie in Essen reichen dann nicht mehr aus. Mir fallen spontan die Parkplätze vor Fußballstadien ein. Wenn man dort mit fünf Leuten antritt … jeder schafft drei Wagen in der Stunde … sind in drei Stunden«, er überschlug, »fünfundvierzig Autos. Müsste zu schaffen sein. So kommen wir bei drei Tagen in der Woche auf einhundertfünfunddreißig Wagen. Bei drei Stadien sind das rund vierhundert Autos in der Woche.«
»Damit können wir jede Woche einen Zug Richtung Zeebrügge beladen. Die Autotransportschiffe laden dort bis zu achttausend Wagen ein. Da werden wir unsere Vierhundert problemlos unterbringen können. Ich kann mich umhören. Ich kenne einen Verlademeister, der uns helfen kann … und wird. Er ist immer sehr entgegenkommend.«
»Bekommen wir so viele Autos zusammen? Gehst du davon aus?«, fragte Bea. »Raphael hat mir versichert, er schafft die Menge. Er kann mit der doppelten Anzahl Wagen fertigwerden.«
»Wenn wir hier in unserem Umkreis nicht so viele Autos ankaufen können, dürfen wir uns nicht auf unser Einzugsgebiet beschränken. Wir müssen expandieren. Wir könnten uns nach Norddeutschland ausbreiten und diese Autos über Bremerhaven verschicken. Andere Häfen schaffen diese Menge Autos nicht, da sie nicht die Parkplätze vor den Anlegern zur Verfügung haben. Dazu kommen die Fahrer, die die Autos auf die Fähren bringen.«
»Was passiert«, wandte Beatrice ein, »wenn wir anderen Mitbewerbern in die Quere kommen?«
»Ich denke, da werden wir Wege finden.« Edwin rasierte einmal mit dem Daumen an seiner Kehle vorbei und lachte.
»Es wäre schön, wenn wir die Möglichkeiten, die uns geboten werden, ausschöpfen könnten. Nicht jedoch sofort an Krieg denken.«
Kurze Pause. Dann fuhr Beatrice fort:
»Was gibt es von euch aus Neues? Habt ihr etwas über die Ratte erfahren können, von der du mir erzählt hast, Edwin?«
»Nein. Ich vermute jemanden von außen, der sich bei uns eingeschleust hat und uns ausspioniert.«
»Du meinst, wir haben einen Bullen im System?«
»Jedenfalls sollten wir vorsichtig sein und Informationen nur an den innersten Kreis weitergeben.«
»Könnte es Mike sein?«
»Wie kommst du auf den?«, fragte Nana.
»Er wusste, dass die Oxygene den Dorstener Gewerbehafen anlaufen solle, war aber nicht zugegen, als sie einlief und der Polizeieinsatz anrollte. Die Kontrolle des Schiffes wäre seine Aufgabe gewesen.«
Nana war erstaunt. »Ich denke, er hat die Gelder eingesammelt?«
»Sagte er, aber ich bin heute die Dealer abgefahren und habe das Geld eingesammelt. Sie haben ihn das letzte Mal vor einer Woche gesehen.«
»Also beim letzten Kassieren?«, vermutete Beatrice.
»Haben sie gesagt. Nur bei May war er und hat kassiert. Zweiundzwanzigtausend.«
»Wann war das?«
»Vorgestern Abend. Ich habe vorher mit ihm telefoniert. Er sagte, er sei unterwegs zu ihr. War er auch, aber er ist nur bei May vorbeigefahren. Das hat sie mir bestätigt. Warum er die anderen nicht besucht hat, weiß der Himmel.«
»Wo ist das Geld jetzt?«
»Gefunden haben wir sie nicht. Ich will nicht hoffen, dass er mit den zweiundzwanzig Riesen durchgebrannt ist.«
»Dazu ist der Betrag zu gering.« Beatrice schüttelte den Kopf. »Was will er damit? Er kommt nicht einmal einen Schuss weit!«
»Nun …, wer weiß, ob er May besucht hat? Vielleicht hat sie das Geld noch und behauptet, es ihm ausgehändigt zu haben. Wir sollten das nachprüfen.«
»Das machte nur Sinn, wenn sie wüsste, dass Mike nicht mehr auftaucht. Also müssen wir ihn dringend sprechen. Wo treibt er sich herum?«
»Wir wissen es nicht. Ich nicht und Nana auch nicht. Wir haben versucht, ihn zu erreichen, aber sein Handy scheint abgeschaltet.«
»Würdest du bitte zu seiner Kneipe fahren und nachsehen? Frage ihn auch, warum er das Geld nicht eingesammelt hat.«
»Ich kümmere mich drum.«
»Ist er abgetaucht? Es gibt keinen Anhaltspunkt. Eine Nachricht hat er nicht geschrieben. Haben wir andere Infos?«
»Ich habe nichts gehört«, erklärte Edwin.
»Ich auch nicht, gar nichts«, bestätigte Nana.
»Wieviel hast du eingesammelt?«
»Sechsunddreißig. Wir waren zusammen unterwegs. Die neuen Dealer sind noch nicht so vernetzt. Sie haben bisher keinen festen Kundenstamm.«
»Was ist mit den Wettbüros?«
»Sie haben das Geld transferiert. Ich denke, es ist bereits im Libanon. Es waren dreihundertachtzigtausend.«