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Sächsische/ Ecke Lietzenburger

Einsam steht sie an der Hausecke, geduckt, grau, mit Filzstiftschmierereien verunziert. Verlassen. Unbeachtet. Es ist still in ihr. Kaum ein Wort, einen Satz oder ein Gedicht bekommt sie noch zu hören. Das war mal anders. Dabei tobt um sie herum das Leben. Hunderte Menschen passieren sie jeden Tag, fahren mit ih- rem Auto zur Tankstelle ein und aus, tanken, kau- fen Brötchen, Zigaretten oder Bier. Die Wenigsten nehmen sie noch wirklich wahr. Sie wissen zwar, wie sie heißt, haben sie aber noch nie benutzt. Nur ein paar Ältere erinnern sich noch, wie wichtig sie einmal war.

Es gab Tausende, sie standen an allen Ecken der Stadt, in Vororten, auf dem Dorf, an der Bushaltestelle. Bei uns war sie gelb, später tauschte sie ihr Kleid gegen ein komisches rot mit grau. Ihre Kolleginnen in anderen Ländern kleideten sich auch in blau oder grau, waren mancherorts mit Schindelhauben verziert, manche mit Butzenscheiben, und einige waren sogar vergoldet. Sie spielte Haupt- und Nebenrollen in Spielfilmen, Agenten benutzten sie genauso gut wie Tramps oder Vagabunden. Junge Verliebte verabredeten sich in ihr, mit ihr, an ihr.

In der Regel war sie sehr genügsam, zwei Groschen reichten, um schnelle Absprachen zu treffen. Manchmal war aber auch eine Hosentasche voller Kleingeld notwendig, wenn es viel zu erzählen gab, wenn die Angebetete weit entfernt wohnte, wenn das Thema schwierig war. Und dabei hat sie so viel gehört in ihrem Leben: Liebesschwüre, Abschiede, Beschimpfungen, Jubel, Flüche, Banales und Wichtiges. Sie war einfach nicht wegzudenken aus dem Leben der Menschen. Bis ein kleines Gerät die Herrschaft übernahm und keine Götter mehr neben sich duldete: das Handy, das Smartphone. Immer und überall bereit, hat es sie abgelöst und überflüssig gemacht - die Telefonzelle.

Vorbei ist es mit der früheren Herrlichkeit und Unentbehrlichkeit. Es gibt sie und ihre Brüder und Schwestern zwar noch, doch alle gemeinsam fristen sie ein trauriges Schattendasein. Wenn sie überhaupt noch beachtet werden, dann meist als witziges Accessoire in Gärten oder in Yuppielofts, oder zweckentfremdet und mit Büchern vollgestopft als Tauschbörse. Aber Telefonbücher sind dort keine mehr darunter, auch die benötigt kaum noch jemand, auch die sind vom Aussterben bedroht. Also nutzt sie, wenn ihr mal eine seht. Nehmt den Hörer ab, ruft jemanden an und macht eine Freude. Der oder die Angerufene freut sich sicherlich. Und die Telefonzelle freut sich auf jeden Fall auch.


Der Kopf muss ab

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