Читать книгу Verzweifeln oder krank werden ist auch keine Lösung! - Gerhard Seidel - Страница 11

1.3.3 Ursachen mangelnder Psychosozialer Gesundheit

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Später werde ich in meinem Vortrag über die Ursachen dieser Entwicklung sprechen. Wie schon kurz erwähnt, gibt es unterschiedliche Verursacher für psychosoziale Krisen. Eine Ursache finden wir in den Unternehmen. Warum sind offensichtlich die Arbeitsbedingungen so schlecht, dass die Mitarbeiter krank werden? Liegt es an den Führungskräften, an unzureichender Einarbeitung, am Mobbing durch die Kollegen oder daran, dass die Leistungsmöglichkeiten nicht dem Leistungsvermögen der Mitarbeiter entsprechen? Gibt es eine Art von Rangliste schlechter Beispiele, welche einen besonderen negativen Einfluss haben?

Sind diese Arbeitsbedingungen hausgemacht oder werden sie den Unternehmen durch den Markt, die Konkurrenz, durch gesetzliche Auflagen oder sonstige Zwänge aufgebürdet? Wir sprechen in diesem Zusammenhang von intrinsischen Ursachen und extrinsischen Einflussgrößen.

Nach meiner Erfahrung sind mehr als 80 Prozent der Ursachen „hausgemacht“, was den Vorteil hat, dass man sie auch selbst lösen kann.

Von solchen intrinsischen Ursachen erfahre ich bei meinen Beratungen von den Mitarbeitern. Manches ist so unglaublich, dass ich mich darüber wundere, dass diese Unternehmen überhaupt noch funktionieren bzw. existieren. Ich gehe davon aus, dass Sie bei Ihren Beratungen oder vielleicht auch als Führungskraft schon ähnliche Äußerungen gehört haben wie …

• Bei uns gibt es kein Lob, aber viel Kritik.

• Ständig werden Ad-hoc-Entscheidungen getroffen, die kein Mensch nachvollziehen kann.

• Ich habe ja nichts gegen kritische Rückmeldungen, aber dieses ständige Niedermachen macht uns alle mürbe!

• Inzwischen herrscht bei uns nur noch Rücksichtslosigkeit. Jeder will sich durchsetzen, und das grundsätzlich zulasten anderer. Aber die Geschäftsleitung fördert das.

• Fast jede Woche droht mir der Chef mit Kündigung, wenn ich keine Überstunden mache.

• Die da oben sehen wir ja kaum. Von Präsenz, Gesprächsbereitschaft und Führung können wir nur träumen.

• Wenn ich mal einen Vorschlag mache, dann schaut mich mein Vorgesetzter zweifelnd an und grinst. Und das war’s!

• usw.

Mir ist an dieser Stelle wichtig zu wiederholen, was ich schon eingangs gesagt habe: Richtig ist, dass die Verantwortung für arbeitsbedingte Erkrankungen bei den Verantwortlichen im Unternehmen liegt. Richtig ist aber auch, dass nicht allein die Arbeit krank macht, sondern auch eine ungesunde Lebensführung.

Die besten Arbeitsbedingungen helfen nichts, wenn die Mitarbeiter einen ungesunden, einen krankmachenden Lebensstil pflegen. Umgekehrt gilt sicher auch: Die Menschen können noch so gesund und aktiv sein. Wenn die Arbeitsbedingungen schlecht sind, wird sich das dramatisch schnell ändern.

Meine Prämisse lautet: Jeder einzelne Arbeitnehmer trägt die Eigen- und Mitverantwortung für seine Überzeugungen, seine Sichtweisen und seine Gesundheit. Es besteht – wie ich noch darlegen werde – ein multikausaler Zusammenhang zwischen einer klugen persönlichen Lebensgestaltung eines Mitarbeiters und den Beanspruchungen und Belastungen durch die Arbeitsbedingungen im Unternehmen.

Wir alle sind auch Lebensunternehmer und tragen die Verantwortung für uns selbst, für unsere Beschäftigungsfähigkeit. Wer nicht auf Kosten anderer leben will, muss Geld verdienen. Arbeitnehmer dadurch, dass sie ihr Leistungsvermögen vermarkten.

Auch ein Arbeitnehmer verfügt über alle Abteilungen, ebenso wie ein Unternehmen: Den Einkauf, um die vermarktungsfähigen Leistungen zu erhalten oder zu verbessern. Ihre Erfahrungen und Kompetenzen, die sie verkaufen. Eine Produktion, für die sie Geld erhalten. Eine Buchhaltung, ein Anlagevermögen, das planerische Zukunftsmanagement, familiäre „Kollegen“ und sogar ein Betriebsklima. (Über dieses Bild ließe sich ein eigener Vortrag halten!)

Fazit: Es ist Aufgabe und Pflicht von Arbeitnehmern, dass sie ihre verkaufsfähigen Ressourcen durch gezielte Qualifikation optimieren, damit sie dafür einen angemessenen Preis erzielen können. Aber sie müssen auch durch eine kluge Lebensführung dafür sorgen, dass das Betriebsklima okay ist und sie ihr Leistungsvermögen vor allem durch einen gesunden Lebensstil pflegen und erhalten.

Im § 3 (1) des Entgeltförderungsgesetzes heißt es dazu: Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit.

Da stellt sich doch die Frage: Wenn ein Mitarbeiter raucht, sich regelmäßig betrinkt, abends vor dem Fernseher hockt und sich berieseln lässt, statt sich zu bewegen, also mehr oder weniger aktiv dafür sorgt, dass seine Gesundheit ruiniert wird, trifft ihn dann ein Verschulden oder nicht? Hat dieser Mensch im Sinne des Gesetzes einen Anspruch auf Krankengeld?

Nicht dass Sie mich falsch verstehen. Ich bin durchaus für die soziale Unterstützung im Krankheitsfall. Aber ich vertrete auch die Ansicht, dass es nicht sozial ist, die Verantwortung für die eigene Gesundheit zulasten anderer abzugeben und ein Leben zu führen, das krank macht. Ich habe seinerzeit in meinem eigenen Unternehmen Mitarbeiter erlebt – wie würden meine Söhne sagen –, die gingen mit sich um „wie Sau“!

In diesem Zusammenhang tauchen die Begriffe „Arbeitsmarktfitness“, „Beschäftigungsfähigkeit“ oder „Employability“ in der Managementlehre auf. Darunter wird ein Konzept verstanden, um die lebenslange Fähigkeit von Mitarbeitern zu stärken, damit sich diese auf Dauer am Arbeitsmarkt halten können. Nun, die Konzepte und Vorschläge, die ich dazu gelesen habe, würde ich wie folgt zusammenfassen: ganz viele Reize, möglichst viel Dünger, große Erwartungshaltung, doch wenig Hoffnung, dass es möglich ist. Mich stört schon der Begriff „Employability-Management“, dass sich diese Personalpolitik zu sehr an den Interessen des Unternehmens orientiert und dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis im Vordergrund steht.

Das Konzept des Employability-Managements, das soziale und methodische Kompetenzen ebenso in den Fokus rückt wie die fachliche Komponente, verfolgt das Ziel, den Beschäftigten als einen der wichtigsten Wettbewerbsfaktoren an das Unternehmen zu binden und ihm ein Umfeld zu bieten, in dem er seine Kompetenzen zum beiderseitigen Wohl entfalten und weiterentwickeln kann. Nicht selten lässt sich jedoch bei der Thematisierung von Employability in Unternehmen eine eher skeptische Grundhaltung beobachten, denn die Förderung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit wird primär als Mehrwert für den Einzelnen angesehen. Ein Zusammenhang zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens wird selten erkannt, obwohl sich durchaus ein beträchtlicher Nutzen aus einer guten oder besseren Employability der Mitarbeiter ableiten lässt. Steigende Innovationsfähigkeit, verbesserte Kundenorientierung oder schnellere Reaktionsgeschwindigkeiten sind nur einige dieser Nutzenaspekte.

(www.ibe-ludwigshafen.de/arbeitsschwerpunkte/employability)

Es wird auch nicht einfach sein, den Mitarbeiter der Zukunft zu „formen“, denn er soll flexibel, offen für das Neue sein und bildet sich ständig weiter, um den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden. Er übernimmt Verantwortung, ist team- und kommunikationsfähig, denkt über sich und seine Arbeitsmarktfähigkeit nach, handelt unternehmerisch, ist fachlich kompetent, und schließlich ist er leistungsorientiert und hat ein sensibles Gespür für seine Kollegen und kann sich gut in andere hineinversetzen.

Wow, solche Mitarbeiter hätte ich auch gern gehabt. Fachleute schätzen, dass ein Viertel bis ein Drittel der Beschäftigten in Deutschland „employable“ sind, also fachlich gut, veränderungs- und lernbereit. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass bei mehr als zwei Drittel der Menschen jegliche Mühe umsonst ist. Das Konzept funktioniert bei denen nicht. Insoweit kann ich die Skepsis der Manager – aber auch die der Mitarbeiter – gut verstehen.

Mal davon abgesehen, dass mir auch der gesundheitliche Aspekt fehlt und die Verantwortung der Mitarbeiter, für sich selbst gut zu sorgen – nicht nur für das Unternehmen.

Wenn es stimmt, so die aktuelle Gallup-Studie 2013 zur Mitarbeiterbindung, dass 61 Prozent der Beschäftigten nur eine geringe emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber und 24 Prozent gar keine haben, dann ist das schlimm. Es ist aber noch viel schlimmer, weil 87 Prozent aller Arbeitnehmer in Deutschland – also 27,5 Millionen von insgesamt 31,7 Millionen – keine Verpflichtung gegenüber ihrer Arbeit verspüren.

Aber eines ist auch klar: Das zu ändern, diese Herkulesaufgabe können wir nicht lösen. Konzentrieren wir uns lieber auf das Machbare und versuchen wir nicht, den genialen, den allumfassenden, den überragenden Helfer zu spielen, der aus normalen Menschen hervorragende Mitarbeiter macht, die alle wünschenswerten Schlüsselkompetenzen haben.

Frage einer Teilnehmerin: Mich schockiert schon Ihre Sichtweise und die Forderung an die Menschen in den Unternehmen. Sind diese denn nicht überfordert mit den sich ständig steigenden Anforderungen?

Antwort: Unternehmen sind nun mal keine Inseln der Glückseligkeit, wo die Zeiten stillstehen. Diese ständig steigenden Anforderungen denken sich die da oben ja nicht aus, um die Mitarbeiter ein wenig zu schikanieren. Es werden heute im globalen Wettbewerb von den Unternehmen Topleistungen verlangt. Und weil es keinen Herrn oder Frau Unternehmen gibt, können nur Mitarbeiter diese exzellenten Leistungen erbringen.

Ich erlebe bei meinen Beratungen Mitarbeiter mit einem Leistungsvermögen, das in den 1950er Jahren angemessen war. Doch das ist heute einfach zu wenig, zu schlecht, nicht ausreichend und somit auch ein Grund für die Probleme der Psychosozialen Gesundheit.

Da helfen weder Jammern noch die innere Kündigung weiter, sondern man muss sich den Herausforderungen stellen und das tun, was dran ist: die ständige Verbesserung der fachlichen, methodischen und sozialen Kompetenzen.

Im nächsten Job wird eben nichts alles anders!

Zurück zum Thema „Ursachen“.

Wir werden aber auch untersuchen, wie sich im Durchschnitt der deutsche Arbeitnehmer darum kümmert, sein Leistungsvermögen – und damit meine ich nicht so sehr seine Leistungsfähigkeiten, sondern eher seine Leistungsbereitschaft – so zu pflegen, dass er den zugegeben sich ständig wandelnden und immer stärker herausfordernden Arbeitsbedingungen körperlich und geistig gerecht werden kann.

Es ist nicht nur ein Problem der Mitarbeiter. Auch die Unternehmensverantwortlichen sollten sich fragen, welche Ursachen es für diesen merkwürdigen Leistungsschwund gibt. Nicht zuletzt, weil es ökonomischer ist, aus frustrierten wieder engagierte Mitarbeiter zu machen, als neues Personal mit viel Aufwand einzustellen und einzuarbeiten. Warum wurden sie seinerzeit überhaupt eingestellt und was war während der Probezeit anders?

Warum wurden sie im Laufe der Zeit zu Minderleistern, zu „Low Performern“? Was hat den einmal vorhandenen inneren Antrieb, der in den ersten Monaten so auffällig war, reduziert? Warum will und kann er nicht mehr? Liegt es vielleicht auch daran, dass sein Arbeitsumfeld so ist, dass er nicht mehr darf oder dass es ihn daran hindert, gut zu sein?

Wie ich eingangs erwähnte, ist das Thema, welches wir heute untersuchen, einerseits komplex, doch beim näheren Hinschauen bieten sich die Lösungen geradezu an.

Verzweifeln oder krank werden ist auch keine Lösung!

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