Читать книгу Der Penis-Komplex - Gerhard Staguhn - Страница 12
Ein aufrichtiges Organ
ОглавлениеSobald ein Penis entblößt und aufgerichtet im Raum steht, wird er zum obszönen Gegenstand, der in dem Maße, wie er vom Körper absteht, dem Betrachter buchstäblich entgegensteht. Man stößt sich leicht an abstehenden Gegenständen; sie sind anstößig. Der erigierte Penis, dieses ›Ding‹ des Mannes, ist eigentlich ein Unding – wie alles Obszöne. Im schlaffen Zustand, wurstförmig am Körper hängend, ist er nicht mal ein Unding: ein formloses Etwas, das man nicht so recht definieren kann: ein Dings.
Anders als die normalen Glieder des Körpers, die dem Menschen als Gliedmaßen zur Verfügung stehen, erweckt der erigierte Penis den Eindruck, als gehöre er nicht zum Körper und wäre diesem nur aufgepfropft zu einem temporären Zweck. Er hat etwas von einer Bestückung oder Bewaffnung. Nicht umsonst preisen sich Männer in sexuell motivierten Kontaktanzeigen mit dem Terminus ›gut bestückt‹ an – oder gleich mit der Konfektionsgröße eines Kleidungs-Stücks: L, XL, XXL mit nach oben offener Skala.
Das männliche Glied ist einmalig unter den Gliedern. Es ist das Glied der Glieder, oder treffender, nämlich obszön ausgedrückt: der Schwanz der Schwänze. Unter den Schwänzen ist er auch deshalb einmalig, weil er vorne am Körper sitzt. Nur Satan, religiöser Inbegriff der Perversion, trägt seinen Penis hinten – oder er tritt gleich in phallischer Gestalt auf.
Einzigartig am Penis ist vor allem die Fähigkeit, auf einfache und gerade dadurch beeindruckende Weise seine Gestalt zu verändern. Souverän bewegt er sich in zwei Welten: schlaff in der urologischen, steif in der sexuellen. Damit müssen wir ihn als ein ›urogenitales Mischglied‹ betrachten. Oder mit den Worten Heinrich Heines (1797 – 1856): »Was dem Menschen dient zum Seichen, damit schafft er seinesgleichen.« Hierzu passt ein anderes Bonmot des Dichters: »Der frühen Zeit gedenk’ ich, / Da alle Glieder noch gelenkig. / Bis auf eins. / Diese Zeiten kehren niemals wieder, / Versteift sind alle Glieder. / Bis auf eins.«
In seiner phallischen Gestalt ist der eben noch schlaffe Penis nicht wiederzuerkennen – eine echte Metamorphose: Ein amorphes, eher unansehnliches fleischiges Püppchen verwandelt sich im Idealfall in eine ansehnliche, vor Kraft strotzende Erektions-Imago, die freimütig und für jeden verständlich mitteilt, wonach ihr einzig der Sinn steht: Penetration. Sieht man dieser phallischen Entpuppung nicht zu, sondern nimmt nur ihr Endergebnis wahr, so könnte man meinen, das schlaff, ja geradezu defätistisch hängende Ausgangsobjekt habe mit dem harten, aufrecht stehenden, fordernden Endprodukt nichts zu tun. Es wäre gewiss nicht einfach, den Fotos von schlaffen Penissen das jeweilige Erektions-Foto zuzuordnen. Das gilt vor allem für kleine schlaffe Penisse (so genannte Blutpenisse), die beim Erigieren nicht nur viel stärker an Größe zulegen als große schlaffe Penisse (so genannte Fleischpenisse), sondern auch einen größeren Formwandel zeigen.
In seiner triumphalen Feldherrenpose gleicht der erigierte Penis einem dicken ausgestreckten Finger, der einem unmissverständlich sagt, wo’s langgeht. Erigierter Penis und erigierter Finger sind auf dem Felde des Sexus nicht nur Brüder im Geiste, sondern auch Brüder der Tat. Nicht umsonst spricht man vom Penis als dem ›elften Finger‹– eine Metapher, die auch der Erotiker Goethe im obszönen Teil seiner Venezianischen Epigramme verwendet hat: »unklug schob er den kleinsten der zehen finger ins ringchen, nur der gröszte gehört würdig, der eilfte, hinein.« Auch in Träumen und archaischer Symbolik ist mit dem Finger fast immer der Penis gemeint. Selbst der erhobene Zeigefinger des Moralisten muss als verschlüsselte Drohung mit Penetration gedeutet werden. Beim erigierten Mittelfinger weiß ohnehin jeder, mit welcher Art von Penetration gedroht wird.
Somit ist der erigierte Penis verkörperte Sprache. Eine Erektion ist Körpersprache in ihrer einfachsten, klarsten und direktesten Form; sie spricht Klartext. Stehend sagt ein Penis alles, was er zu sagen hat; er verheimlicht nichts. Freilich ist es immer das Gleiche, was er sagt. Aufgerichtet ist er absolut aufrichtig. Er bringt die Sache, um die es ihm geht, knallhart, unübersehbar und unmissverständlich auf den Punkt. Er behauptet steif und fest das männliche Begehren in seiner rohen Einfachheit. Im Gegensatz dazu manifestiert sich das weibliche Begehren fast gänzlich im Verborgenen. Vom Schlüpfrigwerden ihrer Vagina weiß oft nicht mal die Frau etwas.
Das phallische Aufrichten ist ein schamloses Aufzeigen eines inneren Zustands des Mannes: seiner Geilheit. Damit ist der zum Phallus sich wandelnde Penis ein äußerst verräterisches, den Mann bloßstellendes Organ. Er steht im wahrsten Sinne des Wortes für das Obszöne, nach dem ihm der Sinn steht. Sein Stehen ist verkörperte Obszönität. Im Erigieren wandelt sich der Penis vom banalen ›Seich-Zeug‹ zum exponierten ›Zeig-Zeug‹: ein ›Zeug‹, das nicht nur einen Gefühlszustand des Mannes aufzeigt und bezeugt, sondern zu allem Überfluss auch noch zeugen kann.
Schon Hegel (1770 – 1831) philosophierte, nicht anders als Heine, über das triviale biologische Faktum, dass das männliche Organ des Seichens auch das Organ des Zeugens ist. Dazu passt der Hinweis, dass mit ›Zeug‹ ursprünglich das Pfluggerät gemeint war. Mit dem Pflug – und mehr noch mit dem Schwert – hat sich der patriarchalische Penis von jeher, wenn auch unbewusst, identifiziert. Die Frau wird, nicht anders als Mutter Erde, vom Penis-Pflug aufgerissen, um anschließend den Samen in sie ausschütten zu können. Hierzu sei nur nebenbei bemerkt, dass sich mit Pflug und Schwert, diesen archaischen Penissymbolen, das Patriarchat in vorantiker Zeit gewaltsam gegen das auf den Hackbau gegründete, weder Pflug noch Schwert kennende Matriarchat durchgesetzt hat.
Der steife, grotesk vom Körper abstehende Phallus ist bei nüchterner Betrachtung weder schön noch hässlich. Er überzeugt weniger in ästhetischer als in funktionaler Hinsicht. Ein zumeist recht kleines, belanglos wirkendes Ding wächst sich zu einem ziemlich großen, Aufmerksamkeit heischenden Monstrum aus – und dies im wahrsten Sinne des Worts. Denn das Wort ›Monstrum‹ (= großer, unförmiger Gegenstand) leitet sich von lateinisch monstrare ab, was ›herzeigen, hinweisen‹ bedeutet und sich zum Beispiel auch im Wort ›demonstrieren‹ verbirgt, ebenso in der Monstranz, diesem katholischen Kultgerät, das der Priester, symbolisch erigierend, vor seiner Gemeinde in die Höhe reckt als sichtbaren Beweis der Anwesenheit Gottes. Der Phallus ist, wenn man so will, ein Demonstrant. Als solcher will er mit fast schon drohendem Gestus auf etwas hinweisen beziehungsweise eine unmissverständliche Absicht bekunden und deren Verwirklichung einfordern.
Anschwellen und versteifen kann am menschlichen Körper so manches. Aber dass sich das Anschwellend-Versteifende dabei auch noch aufrichtet, macht immer wieder staunen, selbst wenn man als stolzer Eigentümer dieses körpertechnischen Wunderwerks schon unzählige Male dabei zugeschaut hat. Das weibliche Pendant zum Penis, die Klitoris, genauer: ihre aus dem Körper ragende Spitze, ist zwar auch zur Schwellung fähig, richtet sich dabei aber nicht auf, und selbst wenn sie es täte, würde es keiner bemerken.
Synchron zum Anschwellen des Penis schwillt naturgemäß auch die sexuelle Erregung des Mannes an, mehr noch, der Mann erlebt eine Art von innerem Anschwellen seiner ganzen Person und Persönlichkeit. Wer hier wen zum Anschwellen bringt – der Mann den Penis oder der Penis den Mann –, ist nicht eindeutig zu sagen: der klassische Fall einer dynamischen, sich selbst verstärkenden Wechselwirkung.
Das Anschwellen/Versteifen/Aufrichten könnte man von daher als ein dreifaches Synonym für den männlichen Sexus verwenden, ja vielleicht sogar für den Mann schlechthin. Der Ausdruck ›seinen Mann stehen‹ meint unterschwellig genau das: ein zutiefst sexuelles Gefühl. Freilich gilt dies auch in einem negativen Sinn für den Fall, dass der Mann meint, sich künstlich ›aufmanndeln‹ zu müssen, indem er sich körperlich aufrichtet, breitbeinig dastehend und in seinem ganzen Habitus versteifend, was beim Gegenüber höchste Potenz assoziieren soll. Zu allem Überfluss wird dann auch noch verbal erigiert.
In der allgemeinen Fixierung auf den erektilen Schwellvorgang beim Mann wird leicht übersehen, dass das Sexuelle schlechthin von anschwellender Art ist, bei der Frau nicht weniger als beim Mann. So schwillt bei der sexuell erregten Frau nicht nur die Klitoris, sondern es schwellen ebenso die großen und kleinen Schamlippen, wie auch die im Schwellen sich versteifenden Brustwarzen. Was den sexuell erregten Mann betrifft, so schwillt und versteift in gewisser Weise auch das sonst eher schlaff hängende Skrotum, wobei es sich im Idealfall als pralle Halbkugel an den Penis heranzieht, als suche es mit ihm jene verschworene Potenz-Gemeinschaft zu bilden, die in früherer Zeit als Gemächt bezeichnet wurde: Sinnbild eines mächtigen virilen Strotzens. Schließlich geht, was selten bedacht wird, die ganze sexuelle Kraft des Penis von den Hoden aus.
Der Penis als Waffe
Die zylindrische Grundform des erigierten Penis überzeugt bei einem Sexus, der die Penetration, also das Eindringen und Durchdringen, zum Ziel hat. Penetration ist ja überhaupt nur nötig, sobald der zu penetrierende Körper, genauer: dessen Öffnung, der Aufnahme des Fremdkörpers einen gewissen Widerstand entgegensetzt, den es penetrierend zu überwinden gilt. Denkbar wäre ja auch eine Begattung, bei der ein weiches männliches Geschlechtsorgan in eine weite weibliche Öffnung gehängt wird, ähnlich wie man einen Teebeutel in eine Tasse hängt. Denkbar wäre auch ein ohne Penetration auskommender Kloakensex, wie bei den Vögeln. Doch wenn es ums Penetrieren geht, dann stellt der an seiner Spitze gerundete Zylinder zweifellos die Idealform eines penetrierenden Sexualorgans dar. Die Evolution hat für die Säugetiere den zylindrischen Penis und die ebenfalls zylindrische Vagina gewiss nicht umsonst als bestes aller möglichen Genitalmodelle kreiert.
Begattung bedeutet bei den Säugetieren das Versenken eines mehr oder weniger harten Rohrs in einen elastischen Schlauch. Der Vorgang verspricht eine optimale, nämlich reibungsintensive Verbindung. Tiefgründige Penetration verlangt mit geradezu physikalischer Notwendigkeit nach dem Zylinder: dem vollen männlichen, der sich in den hohlen weiblichen zwängt und sich darin mehr oder weniger schnell vor- und zurückbewegt. Natürlich lässt sich der Penetrationsvorgang auch umgekehrt formulieren: Der hohle weibliche Zylinder stülpt sich über den vollen männlichen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Frau im Geschlechtsakt den aktiven Part übernimmt.
Das Aggressiv-Penetrierende der zylindrischen Form findet sich auch in archaischen, Körper durchdringenden Waffen wieder: Dolch, Schwert, Lanze, Speer, Spieß oder Pfeil. Ihnen fühlt sich der Penis insgeheim anverwandt. Entsprechend wurde die männliche Potenz im misogynen antiken Griechenland als ›Waffenkraft‹ verstanden und gegenüber der Frau auch so eingesetzt. Das Wort ›Kraft‹ ist hier im Sinne von Beherrschung gemeint. Doch jeder Wille zum Beherrschen hat seinen Ursprung in der Schwäche. Denn insgeheim weiß der Mann, dass er der weiblichen sexuellen Potenz unterlegen ist. Das Patriarchat verschafft ihm die Möglichkeit, seine Schwäche in Herrschaft umzumünzen – auf Kosten der Frau.
Seit der griechischen Antike, jener Gründer- und Hochzeit des Vaterrechts, hat man den heterosexuellen Koitus mit dem Zufügen einer klaffenden Wunde verglichen. Als solche wurde das weibliche Geschlecht ohnehin assoziiert. Nach antikem Verständnis fügt der penetrierende Penis der Frau auf paradoxe Weise eine Wunde zu, die sie schon hat und die, passend zum Bild, auch einmal im Monat blutet. Der Koitus mit einer Frau erscheint so als kriegerischer Kampf, bei dem die Frau unterworfen und besiegt werden muss, indem sie aufgespießt wird. Der Penis ist die Stich- und Stoßwaffe, die bei diesem Kampf zum Einsatz kommt. Am Ende, wenn der Mann ›abschießt‹, verwandelt sich sein Penis sogar in eine Schusswaffe, die freilich nur die Qualität einer harmlosen Spritzpistole hat.
Der soldatische Penis
Die Begriffspaare Mann/Penis und Soldat/Waffe stehen zueinander in einer auffallend starken Wechselbeziehung. Der strammstehende Soldat hat etwas von einem erigierten Penis, der ja auch nichts anderes tut, als stramm zu stehen – auf Befehl des Gehirns. Wenn der Soldat sein Gewehr ›präsentiert‹, verkörpert er gewissermaßen eine Doppelerektion: Der versteifende und sich dabei aufrichtende Soldat zeigt auf exhibitionistische Weise seine steil nach oben gerichtete Schusswaffe – stellvertretend für seinen erigierten Penis. Beim soldatischen Parade-Stechschritt, der besonders im NS seine groteske Übertreibung fand, wird das Gehen mit den nach oben geworfenen steifen Beinen in gewichsten Schaftstiefeln zu einer Art voranschreitender Dauererektion. Mehr noch: Im Wort ›Stechschritt‹ schwingt ein gewaltsames Penetrieren mit, insofern der obszöne Wortschatz mit ›Stechen‹ das Koitieren meint. In diesem Zusammenhang bringt sich auch der so genannte Hitlergruß als symbolische Erektion ins Spiel. Die Kommunisten ›erigieren‹ symbolisch auf ähnliche Weise, wobei der hochgereckte und dabei abgewinkelte Arm wegen der geballten Faust erst recht einem erigierten Penis gleicht.
Aus aggressiv-patriarchalischer Sicht verkörpern Krieger und Soldat den phallischen Mann schlechthin. Seine Selbstreduzierung auf die stets abschussbereite Phallus-Waffe geht, wie Klaus Theweleit in seinem Buch Männerphantasien (1977) überzeugend nachgewiesen hat, mit der Reduzierung der Frau auf die Vulva einher. Alle soldatischen Rohre, mit denen abgeschossen, also stellvertretend ejakuliert wird, zielen auf die als erdhaft vorgestellte ›Weib-Natur‹, wie sie sich für den Frontsoldaten in den feuchten, nassen, verschlammten und zuletzt verschlingenden Erd-Löchern des Grabenkriegs manifestiert. Der Aufmarsch einer Armee ist eine Art von kollektiver Dauererektion aller ihrer ›Glieder‹. Laut Theweleit berichtete der Psychoanalytiker Wilhelm Reich (1897 – 1957) aus seiner klinischen Praxis, »dass soldatische Männer tatsächlich oft unter Dauererektionen litten«. In logischer Konsequenz stirbt ein Soldat auch nicht, sondern er fällt. Doch fallen kann nur, was steht. Entspannung, also Erschlaffung, ist für den soldatischen Penis-Mann gleichbedeutend mit Kapitulation: jenes Sich-Ergeben, das im patriarchalisch geprägten Koitus keinesfalls vom Mann, aber dafür umso mehr von der Frau erwartet wird.
Der traditionelle Kanon der ›Männlichkeit‹, der bei uns bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts gültig war, speiste sich dementsprechend aus dem Militärischen. Der ideale Mann (auch für die Frau) war der soldatische, freilich nicht in Gestalt von ›Schütze Arsch im letzten Glied‹– gemeint ist eigentlich: Schütze Arsch mit kleinstem Glied –, sondern in der des Offiziers. Der junge, fesche, immer etwas steife Leutnant in seiner stramm sitzenden, die Körperformen mitsamt den Geschlechtsteilen stark betonenden Uniform, erfreute sich bei Frauen jeden Alters und aller Gesellschaftsschichten besonderer Beliebtheit. Der soldatische Mann verkörperte Härte, Standhaftigkeit, Stehvermögen, Geradlinigkeit, Unbeugsamkeit und Durchsetzungsvermögen – alles Attribute, die auch den Phallus auszeichnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg machten die deutschen Verlierer-Frauen keinen Hehl daraus, dass sie die amerikanischen Soldaten in ihren ›schneidigen‹, perfekt sitzenden Uniformen ungemein attraktiv fanden. Das hatte natürlich auch damit zu tun, dass die Amerikaner mit der phallischen Potenz des Siegers auftreten konnten, während den eigenen Männern nichts anderes übrig blieb, als ihre böse versengten Verlierer-Schwänze einzuziehen. Sie hatten den Kürzeren gezogen. Mit dem ›Kürzeren‹ ist nichts anderes als der kürzere Penis gemeint.
Der phallische Degen, die phallische Pistole, das phallische Gewehr und nicht zuletzt die zu Hochglanz gewichsten phallischen Schaftstiefel trugen zu allen Zeiten das Ihrige dazu bei, die Figur des Soldaten sexuell aufzuladen, gerade auch, was die latent-homosexuellen Aspekte der Kameradschaft in den Mannschaften betrifft. So verwundert es nicht, dass der Begriff ›Wichsen‹ (für Onanieren) in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs geprägt worden ist.
Die Penisbezogenheit des Mannes korrespondiert auf fast schon tragikomische Weise mit der Allgegenwart des Phallischen in der Welt. Der Penis, so meinte Sigmund Freud, »findet symbolischen Ersatz erstens durch Dinge, die ihm in der Form ähnlich, also lang und hochragend sind, wie: Stöcke, Schirme, Stangen, Bäume, und dgl. Ferner durch Gegenstände, die die Eigenschaft des In-den-Körper-Eindringens und Verletzens mit dem Bezeichneten gemein haben, also spitzige Waffen jeder Art, Messer, Dolche, Lanzen, Säbel, aber ebenso durch Schießwaffen: Gewehre, Pistolen und den durch seine Form so sehr dazu tauglichen Revolver. In den ängstlichen Träumen der Mädchen spielt die Verfolgung durch einen Mann mit einem Messer oder einer Schußwaffe eine große Rolle«. (Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Lizenzausgabe 1933, S. 165) Diskret umgeht Freud ein Faktum, das ihm als Sexualforscher zweifellos vertraut war: dass der Penis nicht nur einen »symbolischen Ersatz« in phallischen Gegenständen findet, sondern manche dieser Gegenstände sich für die Frau als praktische Masturbations-Instrumente geradezu aufdrängen. Freuds Diskretion mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass er zwar »Stöcke, Schirme, Stangen« nennt, aber die dem Penis wesentlich ähnlicheren Gemüse- und Obstsorten geflissentlich übergeht, von der Vielfalt phallischer Wurstsorten ganz zu schweigen.
Stolz und Komik der Erektion
Woher kommt es eigentlich, dass ein nackter Mann, der stehenden Glieds im Raum steht, bei allem erektilen Begattungsernst einer gewissen Komik nicht entbehrt? Vielleicht, weil der nackte Mann, wenn er mit seinem Phallus posiert, nicht merkt, dass dieser, mehr als es dem Manne recht sein kann, mit ihm posiert. Da wedelt symbolisch der Schwanz mit dem Mann. Und hat, diese Urkomik verstärkend, ein nackt dastehender erigierender Mann nicht etwas von einem minimalistischen Kleiderständer? Wer hat als junger Kerl, als die Erektion noch steil nach oben zeigte, der Geliebten nicht dadurch zu imponieren versucht, dass er die soeben ausgezogenen Kleidungsstücke an seinen Ständer hängte – und dieser spielend der Last widerstand. Besonders gut machte sich ein Hut, vielleicht auch deshalb, weil der Hut in der Traumsymbolik selbst für den Penis steht. Doch am komischsten wirkt ein nackter Mann mit Erektion, sobald er damit den Raum durchquert: Dann trägt er seinen Phallus wie eine Pflugschar vor sich her.
Im Gegensatz zum abstehenden steifen Penis ist der schlaff hängende überhaupt nicht komisch. Er ist nicht mal obszön. Ihm fehlt die Komik des Obszönen, die Obszönität des Komischen. Das gilt zumindest für den privaten Raum. Ja es gilt selbst für den halbprivaten Raum, etwa dem einer öffentlichen Sauna oder eines Nacktbadestrands. Dort tummeln sich schlaffe Penisse zuhauf, ohne dass sie das öffentliche Ärgernis oder gar einen Menschen erregen würden; sie wirken auf geradezu biedere Weise natürlich, also nicht obszön, und – wie alles Natürliche – unkomisch. Aber wehe, es ließe sich ein schlaffer Penis unter lauter bekleideten Menschen sehen, indem er aus dem offenen Hosenschlitz ragte! Mann und Penis wären der Lächerlichkeit preisgegeben.
Es ist schon bemerkenswert, dass sich ein und derselbe Körperteil von dem Moment an nicht mehr öffentlich zeigen darf, da er ein paar Zentimeter größer wird und sich dabei aufrichtet. Ab einem bestimmten Aufrichtungsgrad gilt er als pornografisch und darf zum Beispiel in jugendfreien Filmen nicht gezeigt werden. Auch in einer öffentlichen Sauna oder am Nacktbadestrand sind Erektionen tabu, wenngleich diese an sich harmlose Erscheinung am männlichen Körper für niemanden eine Gefahr darstellt. Auch ein erigierender nackter Mann bleibt ein nackter Mann. Tatsächlich aber wird so getan, als mutiere er zu einem Schrecken erregenden – oder schrecklich erregenden – Monster. Eigentlich ist nicht die Erektion das Problem, sondern das männliche, insgeheim mit Gewalttätigkeit in Verbindung gebrachte Begehren, das sie überdeutlich und irgendwie bedrohlich zum Ausdruck bringt. Die Frauen sind in dieser Hinsicht fein raus: Falls ihnen danach ist, können sie sich in der Sauna oder am Nacktbadestrand ganz entspannt ihren sexuellen Fantasien hingeben, ohne dass ihr Körper sie auf obszöne Weise verraten würde. Die Frau kann ihre Geilheit – und ebenso ihre Frigidität – sehr gut verheimlichen.
Nun wurde schon mehrmals das Wort ›obszön‹ gebraucht, aber was ist eigentlich mit diesem Begriff gemeint? Verbirgt sich in ihm womöglich das lateinische Wort scena (= Szene), und zwar in dem Sinn, dass etwas, das im privaten Raum ganz natürlich scheint, in dem Moment Anstoß erregt, da es sich öffentlich präsentiert, also in Szene setzt? So wurden zum Beispiel jene Szenerien im antiken römischen Theater als ›obszön‹ bezeichnet, bei denen sich die Schauspieler, etwa zum Fest der Flora, Riesenphalli aus Leder umbanden und ›auf offener Szene‹ allerlei derb-sexuellen Schabernack trieben. Doch das Wort ›Szene‹ führt uns auf eine falsche Fährte. Tatsächlich leitet sich das Wort obszön nicht von scena, sondern von caenum ab, was Schmutz, Schlamm, Kot und Unflat bedeutet. Obszön ist, was uns abstößt, wobei stets eine dreifache Abneigung gemeint ist: eine körperliche, ästhetische und moralische. Obszön ist, was allgemein als hässlich, unsittlich und eklig empfunden wird. Und das ist meistens dann der Fall, wenn das Sexuelle den privat-intimen Raum verlässt; dieser ist die einzige Bühne, auf der Obszönität inszeniert werden kann, ohne obszön zu sein. Darin zeigt sich die Ambivalenz des Obszönen: In allem Abstoßenden schlummert eben auch eine anziehende Kraft, die nur einer entsprechenden Intimsphäre bedarf, um wirksam zu werden. Das Obszöne ist das Anziehend-Abstoßende.
Wegen seiner gewitzten Biomechanik zählt der Penis zweifellos zu den originellsten Organen, die die Natur hervorgebracht hat. Seine Verwandlungsmacht hat etwas von Zauberei oder zumindest von der Illusionskunst des Varietés. Der Vorgang verblüfft, ohne dass man ihn für einen Bluff halten müsste. Der Penis führt eine Doppelexistenz; er ist ein Zwitterwesen und gleicht darin weniger einem halbseidenen, mit Tricks arbeitenden Varieté-Künstler als einem Schauspieler, dessen Kunst ja ebenfalls darin besteht, zwei Geschöpfe in einem zu sein. Der Penis, so könnte man sagen, hat eine starke Neigung für die Schaubühne. Dieser zwittrige Mime beherrscht die Fähigkeit, je nach Bedarf seine Gestalt und damit seinen Charakter zu ändern, sich abwechselnd zu entpuppen und zu verpuppen, zwischen Sein und Schein zu wechseln in der Art des Gauklers und Maskenspielers.
Vielleicht darf man sogar die Behauptung wagen, dass der Penis in seiner zwittrigen Lust zum Masken- und Schauspiel das Zwitterwesen der männlichen Homosexualität verkörpert. Der weiche, schlaff hängende Penis erscheint in seinem ganzen Habitus eher weiblich als männlich, zumindest im Gegensatz zu seiner steifen, aufgerichteten Gestalt, die männlicher nicht sein könnte. Und so korrespondiert das Zwitterwesen des Penis mit dem Zwitterwesen der Schauspielkunst, die wiederum mit dem Zwitterwesen der Homosexualität korrespondiert. Auch Homosexuelle wechseln gern von weiblicher zu männlicher Rolle, wie ja überhaupt bei vielen eine starke Neigung zum Schauspiel, zu Maskerade und Kostümierung zu beobachten ist. Aus all dem wäre der (freilich nicht ganz ernstzunehmende) Schluss zu ziehen, dass der Penis, seinem komödiantischen Doppelwesen gemäß, ein Homosexueller ist. Damit stünde er in schönstem Einklang mit der in jedem heterosexuellen Mann schlummernden Liebe zum eigenen Geschlecht.
Mit etwas Übertreibung könnte man beim Anblick einer zügig sich entfaltenden Erektion nicht nur von einem Schauspiel, sondern von einem Mysterium sprechen – wenn man nicht wüsste, wie eine Erektion rein biomechanisch funktioniert, nämlich ziemlich einfach. Die Biologie spricht von einer reflektorischen Anschwellung, Aufrichtung, Vergrößerung und Versteifung des männlichen Glieds durch Blutzufuhr in dessen Schwellkörper bei gleichzeitig vermindertem Abfluss des Bluts. Man kennt diesen Effekt von am Boden liegenden Gartenschläuchen: Diese richten sich auf und wedeln schwanzartig in der Gegend herum, sobald mehr Wasser in sie einschießt, als an der Öffnung entweichen kann. Wie der unter Überdruck stehende Gartenschlauch, so scheint auch der sich in Erektion befindliche Penis ein Eigenleben zu führen. Und in gewisser Weise stimmt das auch. Er versteift sich ja nicht durch den Willen seines Eigentümers, und ist durch diesen auch nicht zu kontrollieren. Gegenüber dem Mann hat der Penis auf dem Gebiet des Sexus immer das letzte Wort – und eigentlich auch das erste. Wohl deshalb sind die Männer geneigt, in Sexualdingen jede Verantwortung für dieses eigenwillige und eigenständige Lebewesen zwischen ihren Beinen abzulehnen.
Wegen seiner Fähigkeit zur Eigenbewegung hat der Penis in der Tat etwas von einem primitiv gebauten Weichtier. Es kann anschwellen und sich dabei langsam aufrichten, wobei es sich pulsierend und nach oben schraubend um seine Basis dreht. Es kann auf verzückende Weise in Zuckungen verfallen, kann einfache Schlenkerbewegungen ausführen oder wie zustimmend nicken. Es kann sich erschöpft niederlegen und in sich zurückziehen, ›einen auf introvertiert oder beleidigt machen‹, um sich kurz danach erneut aufzurichten und in freudiger Erwartung dazustehen – gewissermaßen ein mit sich selbst wedelnder Schwanz. Auch das Skrotum zeigt diese Lebendigkeit, allerdings weniger augenscheinlich. Man muss schon genauer hinsehen, um zu bemerken, wie sich die Hoden in sanftem Fließen gegeneinander bewegen wie kleine, in ein Täschchen eingeschlossene Tiere.
Manchmal steht der Penis völlig unmotiviert einfach so in der Gegend herum, zumeist morgens beim Aufwachen, ohne dass der dazugehörige Mann eine sexuelle Erregung verspürte. Das nennt man salopp eine Morgenlatte. Hierfür reicht der mechanische Druck der vollen Harnblase gegen die Prostata. Nicht selten führt das dazu, dass, spätestens unter der Morgendusche, die Erregtheit des Penis auf den Mann überspringt. Dann, so könnte man sagen, wird der Mann von seinem eigenen Penis verführt.
Dies alles bedenkend, erscheint der Penis als jenes Körperglied des Mannes, dem man fast schon eine Art von Charisma zusprechen möchte. Dieses fließt ihm freilich erst im Anschwellen, Versteifen und Aufrichten zu. ›Charisma‹ meint ja ursprünglich nichts anderes als eine Gnadengabe, wie sie etwa einem religiösen Propheten oder weltlichen Herrscher von Gott als eine Art göttliche Berufung zuteil werden kann. Die Erektion ist das Charisma des Penis, sie ist seine auf Hingabe zielende Begabung, seine Berufung. Umso schwerer wiegt sein Versagen. Es vernichtet schlichtweg das Männlichste am Mann.