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Der David, Statue von Michelangelo, Florenz

Vorwort

Als Autor weiß man, dass sich Franz Kafkas berühmte Sentenz »Wer sucht, findet nicht, aber wer nicht sucht, wird gefunden« nicht nur in der Liebe, sondern auch im Finden eines geeigneten Buch-Themas bewahrheitet. Bloß nicht verkrampft danach suchen! Beim vorliegenden Buch war es tatsächlich so, dass ich von diesem für einen Mann zwar nahe liegenden, für einen seriösen Autor gleichwohl etwas abwegig erscheinenden Thema gefunden, fast möchte ich sagen: heimgesucht wurde. Unangemeldet klopfte es ziemlich ungestüm an die Tür, wobei man als Freund des Kalauers geneigt ist, von der Hosentür zu sprechen.

Dass mir diese thematische Heimsuchung erst an der Schwelle zum Alter widerfuhr, erscheint plausibel. Im Alter wird sogar der Angsthase mutig – weil er, was sein bescheidenes Renommee betrifft, nichts mehr zu verlieren hat. Ein bisschen Autoren-Mut wird beim Thema ›Penis‹ in der Tat verlangt, zumal in Zeiten, die prüder sind, als man bei oberflächlicher Betrachtung meinen könnte. So ein Penis ist zwar das Natürlichste von der Welt, doch sobald man sich anschickt, ihn eingehender unter die Lupe zu nehmen, betritt man – wie sollte es anders sein? – das heikle Feld des Obszönen. Dieses ist bestens geeignet, einen Autor ins trübe Licht der Peinlichkeit zu rücken. Das Obszöne des ›Gegenstands‹ färbt auf den Autor ab, spätestens von dem Moment an, da er mit seinem Penis-Essay an die Öffentlichkeit tritt. Diesen Umstand zu beklagen, wäre allerdings nur larmoyant; schließlich zwingt einen niemand dazu, sich eingehend mit dem Geschlechtsteil des Mannes zu befassen, ihm schreibend auf den Grund zu gehen – und sich selbst gleich mit dazu.

Dabei hatte ich schon zu Beginn der Schreibarbeit, und erst recht in ihrem weiteren Verlauf, das dumpfe Gefühl, dass dieses Thema spätestens seit den krisenhaften Zeiten der Pubertät in mir geschlummert hat, tief versunken im Dornröschenschlaf der Verdrängung. Doch alles Verdrängte und Unerledigte kehrt irgendwann zurück. Diese Rückkehr kann faszinierend oder erschreckend sein; meistens ist sie beides zugleich.

Kurzum, das Thema ›Penis‹ birgt für einen Autor ein gewisses Gefahrenpotenzial. Es legt einem so manchen Fallstrick in den Weg. Es kollidiert mit der eigenen Schamgrenze, die sich zuweilen selber als Fallstrick erweist. Schreibend fühlt man sich ständig hin- und hergerissen zwischen Benennen und Verschweigen, Übertreiben und Verharmlosen, zwischen Erkennen, Bekennen und Verkennen, zwischen Entblößen und Verhüllen, Inszenieren und Zensieren. Das heißt, man muss erst mal herausfinden, wo die eigene Schamgrenze, dieses zensierende Geistgebilde aus Selbstschutz und Verklemmtheit, verläuft – und wo die mutmaßlichen Schamgrenzen der mutmaßlichen Leserinnen und Leser verlaufen könnten, wohlwissend, dass jeder Mensch seine ganz persönliche, mehr oder weniger flexible Schamgrenze hat, entsprechend seiner einmaligen Sexualität.

So richtig offenbart sich dieses Problem aber erst in dem Moment, da man als Autor meint, beim Thema ›Penis‹ sich selbst – inklusive Geschlechtsteil – ins Spiel bringen zu müssen. Das weckt verständlicherweise den Verdacht einer exhibitionistischen Neigung des Autors. Mit diesem Verdacht lässt es sich freilich in einer Gesellschaft, die ausgiebig dem Exhibitionismus (und Voyeurismus) frönt, sehr gut leben.

Mich und meinen Penis aus dem Spiel zu lassen, hätte in mir das ungute Gefühl erzeugt, mich schreibend aus dem Staub zu machen, mehr noch: mich schreibend zu kastrieren. Denn eine trockene akademische Studie zu verfassen, etwa unter dem Titel »Penis und Patriarchat unter besonderer Berücksichtigung von diesem und jenem« erschien mir alles andere als verlockend. Ich hätte mich beim Schreiben gelangweilt; und das ist wohl die schlechteste Voraussetzung für ein Buch, das kurzweilig sein will.

Zugegeben, der Penis des Autors ist so interessant nun auch wieder nicht. Er ist nur dann von Interesse, wenn die literarische Beschäftigung mit ihm das eine oder andere zum allgemeinen Erkenntnisgewinn beiträgt. Das ist nur dann der Fall, wenn sehr persönliche sexuelle Erfahrungen auf eine analytisch erzählende, bei Gelegenheit auch ironische oder komische Weise vermittelt werden. Das eröffnet dem Leser die Möglichkeit, sich im Erzählten wiederzuerkennen, ohne über sich selbst (und den Autor) bestürzt zu sein. Leser und Autor werden so zu Verbündeten.

An diesem Punkt meldete sich, bei allem Autorenmut, dennoch meine innere Schamgrenzen-Stimme und forderte eindringlich eine angemessene zeitliche Distanz zum literarisch entblößten Autoren-Penis. Angemessen, so ließ die Stimme verlauten, seien fünfzig Jahre. Das ist fürwahr eine lange Zeit. Und so erwies sich mein fortgeschrittenes Alter ein weiteres Mal als ein Vorteil: Ich würde mich und meinen Penis, der eigenen Schamgrenze zuliebe, nur im Hinblick auf Kindheit und Pubertät dem gnadenlosen Licht der Öffentlichkeit preisgeben. Die geschilderten intimen Erlebnisse würden in gewisser Weise verjährt sein. Sie hätten nur noch ganz entfernt mit mir, dem alten Mann von heute, zu tun. Ihre obszönen Peinlichkeiten wären über die Distanz eines halben Jahrhunderts hinweg nicht mehr in der Lage, mich in meinem jetzigen Dasein zu desavouieren; sie wären mit einer schützenden Patina aus Komik und Ironie literarisch derart veredelt, dass sie auch für andere genießbar sein sollten als aufrichtige Beispiele des Menschlich-Allzumenschlichen auf dem Feld der kindlichen und pubertären Sexualität. Das ist zumindest meine (vielleicht naive) Hoffnung.

Ziemlich überrascht war ich allerdings über das den Buchmarkt betreffende Faktum, dass es bis dato (außer einigen gut gemeinten und auch recht gut gemachten Aufklärungsbüchern für die pubertierende Jugend, dem einen oder anderen urologischen Ratgeber, und gleich mehreren Werken, die sich mit dem unverwüstlichen, wahrscheinlich seit dem Neolithikum die Männerseele bedrängenden Thema ›Penisverlängerung‹ befassen) kein einziges Werk gibt, das den Penis nicht nur als männliches Geschlechtsteil, sondern vor allem als ambivalentes Symbol der patriarchalischen Ordnung aus möglichst vielen Perspektiven zu beleuchten und zu verstehen versucht. Wenn man so will, dann ist die vorliegende Arbeit – bei aller gebotenen Bescheidenheit! – der erste Versuch einer umfassenden Monografie über das angeblich beste Stück des Mannes. So liefert dieses Buch endlich den Beweis, dass der Penis nicht nur aus biologischer oder medizinisch-hygienischer, sondern viel mehr noch aus kulturgeschichtlicher, soziologischer, psychologischer und nicht zuletzt persönlicher Sicht von einigem theoretischen Interesse ist, ganz abgesehen von seinem allseits bekannten praktischen Nutzen.

Neben der von mir unterstellten schriftstellerischen Berührungsangst gegenüber dem Thema ›Penis‹ gibt es vielleicht noch einen weiteren Grund für die bisherige Zurückhaltung von Autoren und Verlegern ihm gegenüber: Man traut dem Penis nicht zu, gleich ein ganzes, womöglich sogar kurzweiliges Buch zu füllen. Oder mit den Worten meiner 83-jährigen Schwiegermutter beim Anblick des fertigen Manuskripts: »Wie kann man nur so viel schreiben« – Pause – »über so ein winziges Ding!«

Mal davon abgesehen, dass dieses ›Ding‹, zumal im erigierten Zustand, so winzig nun auch wieder nicht ist – als Thema ist es alles andere als winzig. An ihm lässt sich buchstäblich die ganze, bei Adam und Eva beginnende Geschichte des Patriarchats aufhängen, einschließlich seines schleichenden Niedergangs, der notgedrungen auch ein Niedergang des Penis ist – mitsamt dem Mann, der dranhängt.

Und mit der Nennung von Adam und Eva sind wir auch schon im ersten Kapitel.

Der Penis-Komplex

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