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Menschen sind ständig gefordert zu handeln – sei es im Alltag, im Beruf oder in anderen Zusammenhängen. Beispielsweise stellt sich für jeden Einzelnen immer wieder die Frage, wie er sich bei Konfliktfällen in der Familie, bei der Arbeit oder in der Freizeit verhalten soll. Stets geht es darum, verschiedene Handlungsmöglichkeiten abzuwägen, begründete Entscheidungen zu treffen und auszuführen. Unter Umständen muss das eigene Tun auch gegenüber anderen begründet werden. Zudem ist es in vielen Situationen notwendig, das Handeln anderer Personen einzuschätzen – in der Partnerschaft oder im Kreis von Freunden, Kollegen und Bekannten sowie in Kultur oder Politik. Dabei gilt die Fähigkeit, nach eigenen Gründen und Überzeugungen zu handeln oder Gründe des Handelns anderer zu verstehen, als besondere Eigenschaft des Menschen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sie als wichtiges Merkmal für eine Unterscheidung von Mensch und Tier dient. Mittlerweile wird diese Fähigkeit auch genutzt, um Unterschiede zwischen menschlichen Aktivitäten und technischen Prozessen zu betonen, wie sie z. B. auf der Grundlage künstlicher Intelligenz in Robotern ablaufen.1
Vor diesem Hintergrund werden im vorliegenden Buch Bedingungen des menschlichen Handelns dargestellt und in ihrer Bedeutung für alltägliches, berufliches und politisches Handeln in den Blick genommen. Zugleich geht es um grundlegende Fragen nach Freiheit und Verantwortung beim Handeln – auch angesichts der Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz.
In wissenschaftlichen Abhandlungen wird das Thema des Handelns in der Regel aus einer bestimmten Perspektive betrachtet. So gibt es beispielsweise philosophische, psychologische oder soziologische Handlungstheorien.2 Diese beschäftigen sich jeweils aus ihrer Perspektive mit verschiedenen Fragen des Handelns. Dabei wird z. B. in der Philosophie nach ethischen Prinzipien des Handelns gefragt, in der Soziologie nach dem Einfluss gesellschaftlicher Normen oder Ideologien auf das Handeln in sozialen Zusammenhängen und in der Psychologie nach Motiven sowie Lern- und Entwicklungsvorgängen beim Handeln. Auch in weiteren Wissenschaften gibt es handlungstheoretische Ansätze. So geht es in der Ökonomie unter anderem um Modellvorstellungen zum wirtschaftlich agierenden Menschen, in der Rechtswissenschaft um Regeln für das Handeln unter den Prinzipien von Recht und Gerechtigkeit, in der Medizin um ein gesundheitsförderliches oder für die Genesung notwendiges Handeln, in der Politikwissenschaft um Rahmenbedingungen für ein humanes Handeln und Zusammenleben in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und in der Pädagogik um die Förderung eines Handelns, das sowohl die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit sicherstellt als auch gesellschaftlichen Ansprüchen gerecht wird.
All diese Perspektiven haben ihre jeweils spezifische Bedeutung im Hinblick auf Individuum und Gesellschaft. Manches Mal ergibt sich allerdings der Eindruck, dass sich die jeweilige Perspektive verselbstständigt und dadurch zu verkürzten Folgerungen führt – obwohl Bezüge untereinander offensichtlich sind. Solche Bezüge werden zwar in einzelnen interdisziplinär angelegten Büchern angesprochen und gefordert, führen aber in der Darstellung dann doch eher zu einem Nebeneinander verschiedener Ansätze als zu integrierenden Überlegungen.
Vor diesem Hintergrund unternehme ich den Versuch, Fragen des menschlichen Handelns aus mehreren Perspektiven in den Blick zu nehmen und in verbindender Weise zu diskutieren. Zwar kann es bei der Komplexität bzw. der Fülle möglicher Aspekte auch hier nicht gelingen, menschliches Handeln vollständig zu erfassen und bis in jedes Detail integrativ zu beleuchten, aber angesichts mancher Einseitigkeiten und additiver Darstellungen bisheriger handlungsbezogener Überlegungen dürfte es gewinnbringend sein, eine breitere und integrierende Sichtweise auf entsprechende Phänomene und Fragestellungen darzustellen.
Im ersten Teil dieses Bandes sollen mehrere wichtige Bedingungen menschlichen Handelns und ihre Zusammenhänge aufgezeigt und erläutert werden. Bei den Bedingungen geht es im Einzelnen um Bedürfnisse und damit verbundene Emotionen, situative Anforderungen im Kontext der jeweiligen Lebenssituation, Digitalisierung und Mediatisierung als Merkmale unserer Lebenswelt, Erfahrung und Wissen als inhaltliche Grundlage für Entscheidungen, gedankliche Vorgehensweisen sowie Wertorientierungen.3 In einem zweiten Teil sollen grundsätzliche Fragen zum Handeln in den Blick genommen werden. Besonders bedeutsam sind dabei die Themen der Entscheidungsfreiheit und der Verantwortung beim Handeln sowie des Menschenbildes, das unserem Handeln zugrunde liegen sollte. Schließlich geht es um die Frage, welche Bedeutung die Entwicklungen im Bereich künstlicher Intelligenz für die Entscheidungsfreiheit, für den Menschen als Subjekt seiner Handlungen, für die Verantwortung des Handelnden und für ein angemessenes Menschenbild haben.
Insgesamt möchte ich mit den Überlegungen Möglichkeiten für die Analyse und Bewertung menschlichen Handelns in unterschiedlichen Zusammenhängen aufzeigen. Dies verbinde ich mit der Hoffnung, dass zugleich vielfältige Anregungen für die Reflexion eigenen Handelns sowie für die Einschätzung fremden Handelns entstehen. In diesem Sinne mögen die Überlegungen dazu führen, dass Leserinnen und Leser manches entdecken, was ohne ein entsprechendes Wissen nicht bewusst werden könnte.
Gerhard Tulodziecki
Paderborn, im Februar 2021