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Erbkriege und das Ende der Burgenherrlichkeit
ОглавлениеDie Neuzeit rückte das Rheinland wieder mehr ins Zentrum des Reichsgeschehens. Die Auseinandersetzungen um die konfessionelle Stellung des Kölner Erzstiftes, der Kampf um Geldern wie auch der Dreißigjährige Krieg machten das Rheinland zeitweilig zum Dreh- und Angelpunkt reichsinterner und auch europäischer Politik.
Während das Erzstift Trier in den Glaubenskämpfen konsequent an der römischen Kirche festhielt, war das Erzstift Köln anfälliger für reformorientierte Bestrebungen. Dagegen sind die Stadt Köln und die Universität als orthodoxe Bastionen zu bezeichnen, die sich schließlich behaupten konnten. Die konfessionelle Stellung des Erzstiftes geriet zu einer nicht nur rheinischen, sondern vielmehr reichsweiten und sogar europäischen Frage. Die theologische Fakultät der Universität Köln verdammte so zum Beispiel 41 Sätze aus Martin Luthers Thesen als ketzerisch und wandte sich gegen die evangelische Bewegung. Während sich auf Reichsebene der Thesenanschlag nach dem Tod Kaiser Maximilians 1519 zu einer Kontroverse um die Königsnachfolge ausweitete, die schließlich zur Wahl Karls V. führte, und, gepaart mit dem Bauernkrieg, eine Zeit des Umbruchs einläutete, war die evangelische Bewegung im Rheinland begleitet von städtischen Aufständen. Neben Trier, Andernach und Neuss revoltierte selbst die Stadt Köln 1525 gegen den Klerus, obgleich die Bürgerschaft durch den Einfluss der Universität am alten Glauben festhielt. Hauptstreitobjekt war die Frage, ob auch die städtische Geistlichkeit die Verbrauchssteuer auf Brot, Bier und Wein bezahlen müsse. Die Verschwendungserscheinungen in der städtischen Verwaltung und die Privilegien des Klerus wurden kritisiert, um so eine Umverteilung des Reichtums zu bewirken. Die Revolte wurde niedergeschlagen, die Anführer landeten auf dem Schafott. Ungeachtet des städtischen Aufstandes gingen die Reformbestrebungen vom Kölner Erzstift aus, das zweimal in Gefahr war, säkularisiert zu werden. Während sich im Kölner Bistum die Reformversuche der römischen Kirche mehr oder minder folgenlos zeigten, beschritt der niederrheinisch-westfälische Länderverbund Jülich, Kleve, Berg, Mark, Ravensburg einen konfessionspolitischen Sonderweg im Reich. Diese im Geiste des Humanismus gestaltete via media ging vom Düsseldorfer Hof aus, der sich in dieser Zeit nicht nur in religiösen Fragen zum Vordenker aufschwang. Nachdem der Ausgang des 15. Jahrhunderts durch die Kämpfe um Geldern bestimmt war, bedeuten die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts für die weltlichen Territorien eine Zeit des Friedens und der zunehmenden Verstaatlichung. Seit 1521 unterstand der vereinigte Länderkomplex dem Hause Mark, das die Territorien verstärkt in einen frühmodernen ‚Polizei‘- und Finanzstaat umformte. Neben dem Aufbau einer differenzierten Territorialverwaltung und Steuerordnungen zielten die Reformen insbesondere auf den Ausbau einer Gesetzgebung, die den Frieden sichern und Konflikte minimieren sollte. Mit dem geldrischen Erbfall in den zwanziger Jahren eröffnete sich die Perspektive, durch den Gewinn Gelderns einen geschlossenen Herrschaftsblock ausbilden zu können. Allerdings meldete auch Kaiser Karl V. von Burgund Sukzessionsansprüche an, so dass sich der Erbfall Geldern zu einem Konflikt auszuweiten drohte, in den sich zudem die säkularen Reibungen zwischen Habsburg und Frankreich wie auch die konfessionelle Kontroverse im Reich mischten. Während die Verbindungen Jülich-Kleves zu England daran scheiterten, dass Wilhelm V. von Kleve-Jülich nicht den von englischer Seite gesuchten Brückenschlag zu dem im Schmalkaldischen Bund zusammengeschlossenen Fürsten initiieren konnte, suchte Jülich-Kleve seit den 40er Jahren die Verbindungen zu Frankreich zu festigen. Das durch Heirat abgesicherte jülich-französische Bündnis stand allerdings unter Verdacht, antipatriotisch zu sein, so dass das Herzogtum schließlich auf keine Verbündeten mehr zählen konnte. Die Allianz zwischen Jülich und Frankreich enthob den Konflikt der zwischenterritorialen Ebene und machte ihn zu einer reichsweiten und europäischen Frage. Die zeigte sich besonders im Friedensvertrag von Venlo, der im September 1543 geschlossen wurde. Der Herzog sollte zukünftig auf antikaiserliche Bündnisse verzichten. Die Erbfolge Gelderns und dessen Ausscheiden aus dem Rheinland trat in den Hintergrund.
Nach dem kurzen Zwischenfall des Geldrischen Krieges verfolgte der Territorienzusammenschluss weiterhin eine reformorientierte Politik, währenddessen die Säkularisierungsbemühungen in Kurköln brach lagen. Hier ist vor allem die jülich-klevische Rechtsreformation von 1554 zu nennen. Diesem Reformationskurs ist es auch zu verdanken, dass es in den vereinigten Herzogtümern nur vereinzelt zu Hexenverfolgungen kam. Gekrönt werden sollte das Regelwerk mit einer Kirchenordnung im Geiste der via media, dessen Publikation durch die verstärkte konfessionelle Polarisierung im Land allerdings verhindert wurde. Bis sich die via media des Düsseldorfer Hofes in den 80er Jahren in einen katholischen Weg wandelte, konnte sich die zwar nicht beförderte, jedoch geduldete evangelische Bewegung dennoch ausbreiten. Der Zwischenweg endete schließlich darin, dass das Land der vereinigten Herzogtümer, trotz der sich verstärkenden konfessionellen Konflikte, am Ende des 16. Jahrhunderts ein dreikonfessionelles Herrschaftsgebilde darstellte. Mit dem Ende der via media am Düsseldorfer Hof zeichnete sich auch der zweite Säkularisierungsversuch des Erzstifts Köln ab, der schließlich im so genannten Kölner Krieg mündete. Ausgelöst wurde er 1582 durch den Übertritt des Kölner Erzbischofs Gebhard Truchseß von Waldburg zum evangelischen Glauben, woraufhin der Kölner Landtag die Einführung der Reformation mit Hilfe fremder Truppen zu verhindern suchte. 1583 wurde schließlich Ernst von Bayern zum neuen Erzbischof erhoben, dennoch ging der Krieg weiter. Er weitete sich zum Nebenkriegsschauplatz des niederländischen Befreiungskampfes aus, so dass sich schließlich spanische und niederländische Truppen gegenüberstanden. Erst mit dem Verzicht von Gebhard Truchseß auf den Kölner Erzstuhl 1589 wurde dieser Konflikt entschieden, obwohl die Kampfhandlungen nicht abbrachen. Als „Triumph der Gegenreformation“ ging der Kölner Krieg in die Geschichte ein und festigte den Katholizismus im nördlichen Rheinland. Doch bereits 1575 mit dem Tod des Kronprinzen Friedrich Karl bahnte sich ein nächster Krieg an, der ebenso als ein konfessioneller, reichspolitischer wie auch europäischer Konflikt anzusehen ist. So verquickten sich im Jülich-Klevischen Regiments- und Erbfolgestreit (1590–1614) religionspolitische Fragestellungen mit dynastischen Interessen sowie mit den französisch-habsburgischen und auch spanisch-niederländischen Spannungen. Mit Regierungsantritt Johann Wilhelms vollzog sich ein Wechsel zum gegenreformatorischen Kurs. Da er kinderlos und dem Irrsinn verfallen war, stellte sich 1589 die Frage nach der politischen Nachfolge. Die Erbfolge zeigte sich als rechtlich verworren, und so meldeten insbesondere die protestantischen Herzöge von Preußen, Pfalz-Neuburg und Pfalz-Zweibrücken ihre Ansprüche an. Ihre Konfession machte allerdings die Erbfolgefrage zu einem Politikum ersten Ranges. Die Herrschaft blieb unbefestigt. Der Kaiser selbst signalisierte sein Interesse an den vereinigten Herzogtümern. Der Konflikt wurde erst mit dem Xantener Vertag scheinbar gelöst, doch der Dreißigjährige Krieg stellte die Herrschaftverhältnisse neu zur Disposition. Der seit 1618 wütende europäische Konflikt betraf das Rheinland in unterschiedlicher Weise. Während die rheinischen Territorialherren versuchten, eine neutrale Position einzunehmen, und tatsächlich nur eine einzige Schlacht auf rheinischen Boden, nämlich 1642 auf der Tönisheide bei Kempen stattfand, wurde das Rheinland zum Tummelplatz der verschiedensten Söldnerheere, die das Land politisch und wirtschaftlich schwächten.
Die Zeit des Ancien Régime zeigte sich auch im Rheinland als eine Periode des Übergangs vom höfisch geprägten zum aufgeklärten Absolutismus, der schließlich in die revolutionären Umwälzungen um 1800 führte. Allerdings bleibt herauszustellen, dass der Westfälische Friede für das Rheinland kein langfristiges Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen bedeutete. Vielmehr war auch der Beginn des „Alten Regiments“ von zahlreichen Kriegen geprägt, die das Rheinland mehr oder minder beeinträchtigten. So konnte sich die Region auch nicht wirklich wirtschaftlich erholen, da sie aufgrund ihrer Grenzlage immer wieder in die Spannungen zwischen Habsburg und Frankreich und in die Kämpfe des französisch-niederländischen Krieges (1672–1679) einbezogen wurde. Erst mit dem deutsch-niederländischen Krieg wurden die seit 1623 in Wesel, Büderich, Orsoy und Rheinberg lagernden niederländischen Garnisonen vertrieben. Vorausgegangen war diesem Krieg zum einen der Versuch Frankreichs, gegenüber Habsburg selbst eine hegemoniale Stellung zu erreichen und zum anderen durch die seit dem Dreißigjährigen Krieg zu verzeichnende Distanzierung der rheinischen Fürsten vom Hause Habsburg. Dieses antihabsburgische Klima führte 1651 zur Bildung der kurrheinischen Allianz und 1654 zur so genannten „Kölner Allianz“. Dem Bündnis, bestehend aus den Kurfürsten von Köln und Trier, dem Bischof von Münster und dem Pfalzgrafen von Neuburg als Herzog des Territoriums Jülich-Berg, trat 1655 der Erzbischof von Münster bei, der die Kölner Allianz 1658 in den „Ersten Rheinbund“ überführte. Allein der Kurfürst von Brandenburg als Herzog von Kleve war kein Mitglied des Rheinbundes, dessen profranzösische Politik einerseits die Möglichkeiten für ein nichthabsburgisches Königtum auszumessen und andererseits den Rückhalt Frankreichs gegen die anhaltende spanische Militärpräsenz am Rhein suchte. Hintergrund der rheinischen Bündnispolitik waren die im Westfälischen Frieden festgeschriebene Landeshoheit der Reichsterritorien als jus territoriale und das zugesicherte Bündnisrecht der Reichsstände, durch das die Territorien faktisch den Status souveräner Staaten erhielten. Diese Allianz mit dem ‚Reichsfeind‘ Ludwig XIV. wurde stets als reichsfeindliches Bündnis interpretiert. Dagegen ist herauszustellen, dass der Protagonist des Ersten Rheinbundes, der Mainzer Kurfürst und Reichserzkanzler Johann Philipp von Schönborn, von „reichspatriotischen Zielen“17 geleitet war. Die sich auch in der Zusammensetzung des Bundes widerspiegelnde Spannung zwischen Brandenburg und Pfalz-Neuburg hatte seine Ursache neben konfessionellen Fragen in dem Bestreben des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, das offiziell als Länderverbund geltende Gebiet der Territorien Jülich und Kleve unter seiner Führung wieder zu vereinigen. Seine sogar militärischen Versuche, wenigstens das Herzogtum Berg 1647 und 1651 zu erobern, endeten erst mit dem Klever Erbvergleich von 1666, mit dem der Rheinbund sich aufzulösen begann. Der Tod König Philipps IV. von Spanien führte schließlich dazu, dass Ludwig XIV. von Frankreich versuchte, die Spanischen Niederlande zu erobern. Das Rheinland, insbesondere das Kurfürstentum Köln, machte er für zwei Jahrzehnte zum Schauplatz des Krieges. Zwar konnte der Angriff der Spanischen Niederlande durch die Generalstaaten verhindert werden, doch verlagerte sich der Kampf 1673 in das Erzstift Köln, das zusammen mit Münster und Frankreich eine antiholländische Allianz eingegangen war. Die sechs Jahre andauernden Kriegshandlungen betrafen insbesondere das Trierer Oberstift, nachdem Bonn kapituliert hatte und das kölnisch-französische Bündnis entmachtet worden war. Erst der Friede von Nimwegen beendete 1679 den Niederländischen Krieg, jedoch nicht die fortdauernde antihabsburgische Stimmung im Rheinland, die trotz der Reunionspolitik Frankreichs anhielt. Die seit 1680 betriebene Reunionspolitik suchte insbesondere im südlichen Rheinland Grafschaften in französische Provinzen zu vereinigen, so wurden etwa die Grafschaften Saarbrücken, Sponheim, Veldenz, die Wild- und Rheingrafschaft und die Herrschaft Ottweiler mit dem Trierer Amt St. Wedel zur Saarprovinz zusammengeschlossen. Mit dem Regensburger Stillstand 1684 wurde Ludwig XIV. zugesichert, über die vereinigten Regionen zwanzig Jahre lang verfügen zu dürfen. Diese zeitliche Restriktion, die Frankreich in ein dauerhaftes Abkommen zu wandeln suchte, führte schließlich zum Ausbruch des nächsten Krieges, dem Pfälzer Erbfolgekrieg. Ludwig XIV. erhob im Namen seiner Schwägerin Liselotte von der Pfalz Anspruch auf den Besitz des 1685 ausgestorbenen Pfalzgrafenhauses, Pfalz-Lautern und Pfalz-Simmern. Neben diesem offiziellen Kriegsgrund führte auch die 1688 anstehende Neubesetzung des Kölner Erzstuhls dazu, dass Frankreich den Kaiser aufforderte, den Regensburger Stillstand in ein dauerhaftes Friedensabkommen umzuwandeln und Kardinal Wilhelm von Fürstenberg, der mit Prinz Joseph Clemens von Bayern konkurrierte, als Kölner Kurfürst, zu akzeptieren. Kaiser Leopold I. lehnte ab und im September 1688 marschierten französische Truppen in das Erzstift Köln ein, an dessen Spitze sich Fürstenberg erhob. Gedrängt von der Gegenwehr von Seiten des Kaisers, Spaniens, Hollands und Englands zog sich Ludwig XIV. auf eine defensive Kriegsstrategie zurück und installierte um seine Territorien eine Zone „verbrannter Erde“. Durch diese Strategie wurde das Ende der Burgenherrlichkeit nicht nur eingeläutet, sondern vielmehr durch Verwüstungen und Brandschatzungen im Frühjahr 1689 besiegelt. So erinnern die Philippsburg oberhalb Ehrenbreitstein und der als Steinbruch genutzte Drachenfels heute nur noch auf alten Stichen an ihre vergangene Schönheit (Abb. 6, 7).
1690 eroberten die Verbündeten Bonn, Joseph Clemens wurde Kölner Erzbischof. Der Frieden von Rijswijk beendete den Pfälzischen Erbfolgekrieg, wenngleich bereits 1702 wieder kriegerische Auseinandersetzungen auf rheinischem Boden stattfanden. Im 1701 ausgebrochenen Spanischen Erbfolgekrieg stellte sich Joseph Clemens auf die Seite Frankreichs und rief französische Truppen ins Land, die wiederum von einer deutsch-spanisch-niederländisch-englischen Allianz zurückgedrängt wurden. Nachdem 1702 der kurkölnische Brückenkopf Kaiserswerth gefallen und 1703 Bonn von holländischen Truppen eingenommen worden war, flüchtete der Kurfürst ins französische Exil. Erst nach dem Frieden von Rastatt kehrte er in sein Erzstift zurück. In der Zeit seiner Regentschaft stieg der kurkölnische Hof in den Spitzenrang der Fürstenhöfe auf. Mit Festen und Jagdgelagen wurde die höfische Scheinwelt inszeniert und in barocken Prunkbauten repräsentiert. Diese waren nicht zuletzt Ursache der sich abzeichnenden Finanzmisere. Insbesondere das Herzogtum Jülich-Berg konnte sich unter den Pfalz-Neuburgern zum Schauplatz künstlerischen Lebens entfalten, wozu insbesondere die Ehe zwischen Johann Wilhelm II. mit Anna-Luisa von Medici beitrug. Bauten wie Schloss Benrath, das nach Plänen des Venezianers Graf Matteo de Alberti im Stil von Versailles als Jagdschloss errichtet wurde, das 1694/95 eröffnete Opernhaus oder die seit 1720 begonnene Gemäldesammlung, die später den Grundstock der Münchener Pinakothek bilden wird, begründen den Ruf Düsseldorfs als einer Kunststadt. Stand Düsseldorf unter Johann Wilhelm II. im Mittelpunkt der pfalzneuburgischen Herrschaft, so bedeutete die Übernahme des Herzogtums durch seinen Bruder Karl Philipp 1716 eine Verschiebung der Machtbereiche. Durch die Verlegung der Residenz nach Mannheim verlor das Herzogtum Jülich-Berg als politisches Aktionszentrum an Gewicht. Mit Kurfürst Karl Theodor deutete sich dann der Übergang vom höfischen zum aufgeklärten Absolutismus an. Während er einerseits das maison de plaisance in Benrath und das Schloss Jägerhof erbauen ließ, zeugte sein letzter Besuch 1785 in den niederrheinischen Territorien von seinen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Interessen. Neben der Kunstakademie in Düsseldorf besichtigte er die Baumwollspinnerei in Ratingen-Cromford, die Seidenmanufakturen in Kaiserswerth und das gewerbereiche Elberfeld. Die Gründung der Universität Bonn als „Licht der Aufklärung“ schließlich konsolidierte die aufklärerischen Bestrebungen. Mit Lehrstühlen für Staatswirtschaft/Statistik und für Mineralogie galt die Bonner Gründung als Gegengewicht zur traditionellen Kölner Universität. Mit einem modernen Fächerkanon wollte man auf die veränderten Lebens- und Wirtschaftsbedingungen im Rheinland reagieren. Der demographische Aufwärtstrend in den 30er und 70er Jahren des 18. Jahrhunderts machte eine intensivere Landwirtschaft notwendig, die zum Teil auch zu weiträumigen Rodungen führte. Dessen ungeachtet prägten die schlechten Lebensbedingungen sich insbesondere ins Bild der Städte ein, die zusehends verelendeten. Dass zahlreiche städtische Handwerker verarmten, hing allerdings nicht mit der Zunahme der Bevölkerungszahl zusammen, sondern mit der aufkommenden außerstädtischen Konkurrenz. Die traditionsreichen Gewerbegebiete in der Eifel und im Bergischen Land konnten sich im 17. und 18. Jahrhundert ausdehnen, so dass sich die Zahl der nichtstädtischen Gewerberegionen vermehren konnte. Diese sich etablierende unzünftig organisierte Heimindustrie wurde auch durch die Regierungen – allerdings nur halbherzig – unterstützt, während sich die Städte mit Einfuhrverboten abzuschirmen suchten. Bereits 1772/73 erstellte der Hofkammerrat Friedrich Heinrich Jacobi ein Gutachten über das „Commercium der Beyden Herzogthümer Gülich und Berg“. Seine Analyse zielte auf die Abschaffung der Zünfte und Monopole, ein Rat, der allerdings nur nach Bedarf zur Anwendung kam. So wurde etwa 1783 die Leinweberzunft in Elberfeld aufgehoben, und 1798 wurde den Remscheider Schleifereien das Privileg entzogen, allein im Bergischen Land Kleineisen schleifen zu dürfen. Gegen diese ersten Schritte in Richtung einer freieren Wirtschaftspolitik spricht allerdings beispielsweise die Erteilung des Privilegs an Johann Gottfried Brügelmann, der nach dem Vorbild der mechanischen „Cromford Mill“ Richard Arkwrights in Derbyshire 1783 eine mechanische Baumwollspinnerei am Angerbach bei Ratingen gründete, die heute als „erste Fabrik“ dieser Art des europäischen Kontinents gilt. Die größten Textilunternehmen des Rheinlands konnten sich in Monschau und in Krefeld etablieren. Die Monschauer Familie Scheibler errichtete einen Textilkonzern, dessen Arbeiterschaft von über 6000 Heimspinnern und -webern sich von der Eifel bis ins Sauerland erstreckte. Die Krefelder Seidenweberei der Familie von der Leyden begründete nicht nur den Ruf Krefelds als einer Seidenstadt, sondern konnte auch zu derem beträchtlichem Aufschwung mit beitragen. Deren Einwohnerzahl verdoppelte sich in kürzester Zeit. Trotz des sich ausbreitenden außerstädtischen Gewerbes arbeitete das Gros der Bevölkerung in der Landwirtschaft, selbst in Regionen wie dem Bergischen Land, das mit seiner Textilproduktion im Wuppertal und seinem eisenverarbeitenden Gewerbe zu den hoch industrialisierten Ausnahmeregionen zählte. Der Wechsel von einer höfischen zu einer bürgerlich aufgeklärten Kultur zeichnete sich nicht nur im Gewerbe ab, sondern auch im Bereich der Kunst und Kultur. Allerdings kann das Rheinland im reichsweiten Vergleich nicht als Vorreiter der Aufklärung angesehen werden, die an die fürstlichen Höfe gebunden blieb. Wie in ganz Deutschland zeugt die Entstehung von Freimaurerlogen, Illuminatenorden und Lesegesellschaften zwar vom Vormarsch aufklärerischen Gedankenguts, dennoch bleibt die Masse der Bevölkerung der Aufklärung gegenüber skeptisch eingestellt. Eher weisen reformorientierte wirtschafts- und bildungspolitische Veränderungen im Rheinland auf den Beginn eines neuen Zeitalters hin.
Abb. 6: Die Festung Philippsburg galt als gesellschaftliches Zentrum, obgleich heute nur noch Zeichnungen und Aquarelle wie die Janvan Calld.Ä. davon zeugen. Sie wurde 1100 unter dem Konradiner Erenbert gegenüber der Moselmündung auf dem Bergrücken als Höhenburg erbaut, von Kurtrier erworben und um 1500 zur Festung umgerüstet. Dem Kölner Volksheld Jan von Werth gelang es 1636, die Franzosen aus der Festung zu vertreiben.
Abb. 7: Auf dem Kupferstich von MatthäusMerian zeigt sich der als Steinbruch genutzte Drachenfels gegenüber seinem heutigen Zustand als Ruine noch weitgehend erhalten. Die Kölner Erzbischöfe hatten Burg Drachenfels 1147 als Zollsperre am Rhein errichtet. Im Dreißigjährigen Krieg zerstörten die Kölner selbst die Burg, damit sie den anrückenden Schweden nicht als Stützpunkt in die Hände fiel.
1 G. I. Caesar: Der gallische Krieg, IV, 10.
2 Tac. ann. II 6, 1324.
3 Sen. Here. 1331.
4 Caes. Gall.
5 Vgl. Ebd., I, 2.
6 Cic. Pis. 81.
7 Ov. Pont. III 4, 107.
8 Vgl. im Folgenden: Wilhelm Janssen: Kleine Rheinische Geschichte, Düsseldorf 1997; hier besonders das Kapitel „Die Römerzeit“, S. 21ff., das Kapitel „Romanisierung“ im ersten Band der von Franz Petri und Georg Droege herausgegebenen „Rheinischen Geschichte“ (Harald von Petrikovits: Altertum, Düsseldorf 1978 (= Rheinische Geschichte in drei Bänden, hrsg. v. Franz Petri u. Georg Droege, Bd. 1, S. 46–166) und auf die Darstellung von Ingrid Bodsch (Dies.: Die Rheinlande. Ein Gang durch die Geschichte, Duisburg 1990).
9 Caesar: Gall., VI, 9. Bereits im ersten Buch berichtet Caesar von der Errichtung einer Brücke über den Arar (I, 13) und im vierten detailliert über den ersten Brückenbau über den Rhein (IV, 16ff.).
10 Zit. in Horst Johannes Tümmers: Der Rhein. Ein europäischer Fluß und seine Geschichte, München 1994, S. 25.
11 Vgl. hierzu: Preußische Facetten: Rheinromantik und Antike. Zeugnisse des Wirkens Friedrich Wilhelms IV. an Mittelrhein und Mosel, hrsg. v. Landesamtf. Denkmalpflege Rheinland-Pfalz. Burgen, Schlösser, Altertümer Rheinland-Pfalz, Regensburg 2001, S. 35ff.
12 Vgl. auch für die folgenden Ausführungen: Janssen, Kleine Rheinische Geschichte.
13 Vgl. im Folgenden ebd., S. 38.
14 Vgl. Eugen Ewig: Frühes Mittelalter, in: Rheinische Geschichte, Petri/Droege, Bd. 1, 2, S. 97.
15 Anweisung des preußischen Kultusministers an die Oberpräsidenten zit. in Ute Schneider: Politische Festkultur im 19. Jahrhundert. Die Rheinprovinz von der französischen Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1806–1918), Essen 1995 (= Düsseldorfer Schriften zur neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens 41), S. 94.
16 Vgl. Jacques Rossiaud: Der Städter, in: Der Mensch des Mittelalters, hrsg. v. Jacques Le Goff. Frankfurt a.M. 31998, S. 156–197, hier S. 157.
17 Johannes Burkhardt: Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt a.M. 1992, Lizenzausgabe der Wiss. Buchges., Darmstadt 1997 (= Modere Deutsche Geschichte 2), S. 107.