Читать книгу Mythos Rhein - Gertrude Cepl-Kaufmann - Страница 9

Der Rhein als „Pfaffengasse“

Оглавление

Hatte der Rhein in der Römerzeit in Politik und Religion, Kunst und Literatur in vielfältiger Weise Beachtung gefunden, so schwindet dieses Interesse im frühen Mittelalter. Die spärlichen Zeugnisse mögen mit dem Niedergang der hoch entwickelten römischen Kultur, insbesondere der Schriftkultur in Zusammenhang stehen. Die Ausbreitung des Christentums verdrängte die Verehrung des Rheins als Flussgott. Die Ausweitung der politischen Machtbereiche auch über die linksrheinischen Gebiete hinaus enthob ihn seiner Funktion als Grenze. Das den Rhein umgebende Land wurde zur politischmachtvollen Größe im Reich und in Europa. Der Rhein war nun nicht mehr Grenzland, sondern entwickelte sich zur Achse des Reiches, die mit zunehmender Verbreitung des Christentums und der einhergehenden Machtentfaltung der Kirche zur „Pfaffengasse“ avancierte. Kennzeichnend für die politische und geistige Struktur des mittelalterlichen Rheinlands war somit die sich bereits unter den Franken abzeichnende Symbiose weltlicher Herrschaft und katholischer Kirche, die zum bestimmenden Wesenszug des Frühen und Hohen Mittelalters am Rhein wurde. Dies symbolisiert ein Begriff wie „Pfaffengasse“ und die gerade das Hohe Mittelalter prägende Burgenpolitik.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Verquickung von politischer Macht und katholischer Kirche im Frühen und Hohen Mittelalter. Die katholischen Kirche erfuhr in den der Frankenzeit folgenden zweihundert Jahren merowingischer Herrschaft am Rhein eine immense Steigerung ihrer Macht. Chlodwigs Großreich wurde nach seinem Tod unter seinen vier Söhnen aufgeteilt.12 Die Rheinlande waren Teil des Herrschaftsbereichs Theuderichs (511–533/4), dessen Sohn Theudebert (533–547) das (Teil-)Reich zunehmend vergrößern konnte. Durch die sowohl auf rechtsrheinische Gebiete wie auch weiter ostwärts gelegene Regionen gerichtete Expansionspolitik rückte das Rheingebiet ins geographische Zentrum und Köln wurde königliche Residenzstadt. Jedoch kam es in den Folgejahren aufgrund der Reichsausdehnung zu einer stetigen Regionalisierung und Zersplitterung der königlichen Macht, die sich nicht zuletzt an der Gründung von Teilreichen erkennen lässt. So entstanden Auster als Ostreich, Neuster als Westreich und Burgund. Diese rangen seit dem 7. Jahrhundert um die politische Führungsrolle, die das Ostreich mit der Einsetzung eines austrischen Unterkönigs 623 für sich erringen konnte. Als Unterkönig residierte der Sohn Chlothars II. (584–629), Dagobert, in Köln. Dessen Berater, der Hausmeier Pippin der Ältere und Bischof Arnulf von Metz, übernahmen faktisch die Regierungsgeschäfte. Als Dagobert 633 gesamtfränkischer König und sein Sohn Sigibert I. in Köln eingesetzt wurde, wiederholte sich die Prozedur. Neben ‚Herzog‘ Ansegisel wurde Bischof Kunibert königlicher Berater. Er ist als der erste politische Bischof anzusehen. Mit ihm wurde jener Bischofstyp kreiert, der seitdem aus der rheinischen Geschichte nicht mehr wegzudenken ist: der Reichsbischof als Symbiose aus weltlicher und kirchlicher Macht.13

Partikularisierung der politischen Macht und der einhergehende Verfall des Merowingerreiches zeigte sich auch in der Etablierung einer neuen Adelsschicht. Hatte das Volksrecht der salischen Franken, die Lex Salica, noch festgelegt, dass es nur drei Stände gab, die Freien, die Halbfreien und die Unfreien, und keinen ständisch abgehobenen Adel, konnte sich rasch eine neue, reich begüterte Adelsschicht bilden, die sich im Laufe des 6. Jahrhunderts in eine Reichsaristokratie wandelte. Während diese über einen weitgestreuten Besitz verfügt haben dürfte, sahen die Lebensverhältnisse der Bevölkerung geradezu trostlos aus. Seit dem 4. Jahrhundert war am Rhein ein rapider Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen, der nun weite Teile des Rheingebiets veröden ließ. Zwar wurden die Verwaltungsstrukturen von den Franken übernommen, nicht aber die Siedlungstrukturen. Der frühen Urbanisierung folgte die Ausbildung des frühmittelalterlichen Siedlungswesens, ja geradezu eine Enturbanisierung. Es bildeten sich dorfähnliche Strukturen heraus, in deren Mittelpunkt Kirchen standen, die bislang nur das städtische Bild geprägt hatten. Sie lösten die Klerikergemeinschaften ab, die die Bischöfe in den Städten gegründet hatten, um so ihren Einfluss über die Städte hinaus geltend zu machen. Kirche und Friedhof rückten ins Zentrum des dörflichen Lebens und wurden zum Kern der um sie gruppierten Höfe.

Eine entscheidende Zäsur in der rheinischen Geschichte brachte die Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die Karolinger am Ende des 7. Jahrhunderts. Sie rückte das Rheinland für zweihundert Jahre ins Zentrum des Reiches, das bald fast das ganze Abendland umspannen sollte. Voraussetzung für den Aufstieg der Karolinger war, dass es ihnen gelang, ihre Rolle als Hausmeier der merowingischen Könige wieder fortzusetzen. Dieser Herrschaftstyp löste den Bischof als politischen Berater ab.

Nach dem gewaltsamen Tod des Hausmeiers Grimoald (661/2) konnte Pippin der Mittlere, ein Enkel Grimoalds, mit seiner aus einer reich begüterten Familie stammenden Frau Plektrudis dieses Amt um 680 übernehmen. 687 entmachtete er den neustrischen Hausmeier Berthar und dehnte so seinen Einfluss auf das gesamte Fränkische Reich aus. Nach seinem Tod versuchte Plektrudis von Köln aus, das Reich stellvertretend für ihre Enkel zu regieren und gegen die Ambitionen ihres Stiefsohns Karl Martell zu verteidigen. Diesem – nicht nur als Namensgeber des Geschlechts – wichtigen Vertreter der Karolinger gelang es, Plektrudis aus Köln zu vertreiben und ihr die Güter der Familie wie auch die politischen Zügel zu entreißen und in seine Hände zu bringen. Sein Sohn, Pippin der Jüngere, regierte schließlich ab 747 das Fränkische Reich als Hausmeier. Während sein Vater und sein Großvater teilweise ohne König unter dem Titel princeps Francorum oder als maiordomus regierten, setzte Pippin der Jüngere zusammen mit seinem Bruder Karlmann bei Regierungsantritt wieder einen fränkischen König ein. Mit päpstlicher Legitimation wurde er allerdings 751 von Pippin abgesetzt. Die auch förmliche Machtübernahme durch die Karolinger wurde schließlich durch die Salbung Pippins zum König durch den Papst legalisiert. Pippin teilte sein Herrschaftsgebiet 768 zwischen seinen Söhnen Karlmann und Karl auf. Letzterer konnte nach dem Tod seines Bruders wieder die Herrschaft über das gesamte Gebiet erlangen und ging als Karl der Große und „Vater Europas“ in die Geschichte ein. Unter seiner Herrschaft wurde das Rheinland in politischer und geographischer Hinsicht bis ins Hohe Mittelalter hinein zum Zentrum Europas. Während sich die Regierungsgewohnheiten unter den Karolingern veränderten, Machtausübung mit Mobilität verknüpft wurde und sich aus den kaiserlichen Residenzstädten ein ganzes Pfalzensystem entwickelte, konzentrierte sich die politische und auch geistige Macht zunehmend in Aachen, der bis 830 unbestrittenen Hauptstadt des Reiches. Die unter Karl dem Großen gegründete Hofschule in Aachen avancierte darüber hinaus zum Zentrum der kirchlichen Erneuerungsbewegung, der „karolingischen Renaissance“. Diese unter Ludwig dem Frommen sich ausbreitende Bewegung zielte auf die Wiederbelebung der Schriftkultur und die Pflege von Sprache und Dichtung. Zudem sollte das antike Erbe tradiert und die theologische Reflexion angeregt werden. Neben der Hofschule in Aachen konnten sich auch die Klöster als Horte der Schriftkultur etablieren. Seit dem 6. Jahrhundert trieben irische Wandermönche die Klosterbewegung entschieden voran. Sie trug zur Ausbreitung des Christentums in ländlicheren Gegenden bei. In karolingischer Zeit setzten sich die Klostergründungen fort: So wurde 690 Mettlach, 693 Echternach, 694 Kaiserswerth, 721 Prüm und vor 772 St. Maria im Kapitol zu Köln gegründet. Um 800 kam Werden hinzu und 817 wurde das Kornelimünster in der Nähe der Aachener Pfalz durch Ludwig den Frommen für Benedikt von Aniane gebaut. Auf die Anregung dieses Klosterreformers geht auch die Aachener Synode von 817 zurück, die nun klar zwischen benediktinischer, mönchischer Ordo und einer konikalen Ordo, zwischen Kloster und Stift, trennte. Während die mönchische Ordo vom monachus sowohl Besitzlosigkeit als auch Ehelosigkeit und Gehorsam gegenüber dem Abt verlangte, war dem canonicus weltlicher Besitz nicht versagt.

Aus dieser Zeit stammt auch die frankorömische Liturgie, die bis zum 2. Vatikanischen Konzil in der röm.-kath. Kirche die Grundlage des Gottesdienstes bildete. Abschriften von kirchlichen und liturgischen Texten aus Rom finden sich in der Kölner Dombibliothek, deren Grundstein unter dem Kölner Erzbischof Hildebald gelegt wurde.

In gesellschaftlicher Hinsicht spielte seit dem 7. Jahrhundert insbesondere die Zunahme der Bevölkerung und die Entwicklung der Grundherrschaft zur charakteristischen Wirtschaftsform eine Rolle. Der demographische Aufwärtstrend führte zum Rückgang der Viehhaltung zugunsten der so genannten Vergetreidung der Landwirtschaft. Feldbestellung und Ernte bedurften zahlreicher Regelungen: Nicht zuletzt das herrschaftliche Gebot, der Flurzwang und die Gemeindebildung prägten sich aus. Der Begriff Grundherrschaft, als Bezeichnung eines vom Herrn oder Verwalter (villicus) geleiteten Herrenhofs mit zugehörigem Herrenland, steht in engen Zusammenhang eines ebenfalls aus dieser Zeit stammenden Begriff: „Vergrundholdung“. Während der Herrenhof durch unfreie Mägde und Knechte bestellt wurde und zum Teil auch mit Hörigen ausgestattet war, die zwar ein eigenes Gebiet erhielten, jedoch zu Abgaben meist in Form von Naturalienlieferungen verpflichtet waren, bedeutet die „Vergrundholdung“ den freiwilligen Verzicht auf die gesellschaftliche Freiheit der bislang freien Bauernbevölkerung. Durch Erbteilung verkleinerte sich ihr Besitz zusehends. Die Existenzsicherung wurde zusätzlich schwieriger durch die Plünderungen der Normannen. Daher begaben sich zahlreiche bislang freie Bauern unter die Obhut der Grundherrschaften, die ihnen das Überleben sicherten, jedoch im Gegenzug die Aufgabe ihrer Freiheit verlangten. Von den drei Typen der Grundherren, dem König, dem Adel und der Kirche war insbesondere Letzterer attraktiv, da die kirchlichen Herrenhöfe meist nur wenige Gegenleistungen forderten.

Die Bewegung der Vergrundholdung neben dem sich zeitgleich etablierenden Lehnswesen nicht nur im bäuerlichen, sondern auch im gewerblichen Sektor trug mit dazu bei, dass am Ende der Karolingerzeit die Mehrheit der Bevölkerung unfrei war und sich die Gleichsetzung von frei und adelig einbürgerte.

Die Aachener Pfalz als imitatio imperii sollte kontinuierlicher Mittelpunkt des von Karl dem Großen geschaffenen Großreiches werden.14 Seine theologisch inspirierte Reichsidee suchte den Erbteilungsgrundsatz durch die politische Idee der Reichseinheit zu überwinden. Diese Ordinatio imperii konnte sich allerdings nicht durchsetzen. Die Söhne Ludwigs des Frommen, der jüngste Sohn Karls und dessen Nachfolger, revoltierten gegen den Vater. Nach dessen Tod führten kämpferische Auseinandersetzungen unter den Erben schließlich zur Teilung des Imperium christianum. Mit dem Vertrag von Verdun (843) wurde das Reich unter den Söhnen aufgeteilt: Während Karl der Kahle die westliche und Ludwig der Deutsche die östliche Francia erhielt, wurde Lothar I. Kaiser des sich von Italien bis zur Nordsee erstreckenden Mittelstreifens. Der Vertrag von Verdun avancierte im 19. Jahrhundert auf Bestreben Friedrich Wilhelms IV. zum historischen Datum des tausendjährigen Bestehens des Deutschen Reiches, das am 6. August 1843 feierlich begangen wurde. Mutet dieses Bestreben, den Vertrag von Verdun als Akt der „politischen Einheit und Selbstständigkeit Deutschlands“15 zu feiern, zunächst befremdend an, so etablierte sich in der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts mit Johann Gustav Droysen und Georg Waitz die These, der Vertrag von Verdun sei der Beginn der deutschen Identität. Das Konstrukt einer nationalen Geschichte band sich wieder einmal an das Rheinland.

Das Mittelreich Lothars I. wurde kurz vor seinem Tod 855 nochmals dreigeteilt. Sein Sohn Lothar II. (855–869) erhielt das Gebiet namens Hlotharii regnum: Lotharingen, das sich, von Mosel und Maas durchflossen, vom Elsass ostwärts bis an den Rhein erstreckte und nördlich bei Duisburg in einem schmalen Landstreifen auf die rechte Rheinseite übergriff. Allerdings konnte sich auch dieser Herrschaftsbereich nur für die Ära Lothars II. erhalten. Die Frage seiner Nachfolge wurde zur politischen wie kirchenpolitischen Streitsache, in der über den Fortbestand Lothringens verhandelt wurde. Da Lothar II. nur einen Nachkommen mit seiner Nebenfrau hatte, wollte er diese zu seiner Königin machen. Dies entsprach zwar der fränkischen Ehepraxis, nicht aber den strengen kirchlichen Ehevorschriften, die nun zur Diskussion standen. Während die Bischöfe in Köln und Trier die neuerliche königliche Ehe befürworteten, nicht zuletzt um den Fortbestand des Reiches zu gewährleisten, vertrat Papst Nikolaus I. die kirchlichen Grundsätze und setzte beide Bischöfe ab. Noch vor einer definitiven Entscheidung starben König und Papst, und Lothringen entwickelte sich zum Zankapfel zwischen dem Ost- und Westfränkischen Reich. Nach Teilung, wechselnder Reichszugehörigkeit und Schädigungen durch wiederholte Normanneneinfälle wurde Lothringen schließlich 925 Teil des Ostfränkischen Reiches, das sich sukzessive zum regnum Teutonicum, zum Reich der Deutschen, wandelte. Wie man den Vertrag von Verdun im 19. Jahrhundert als nationalen Feiertag instrumentalisierte, so wurde auch das historische Datum 925 im 20. Jahrhundert zum Beweis einer tausendjährigen Zugehörigkeit ins Gedächtnis gerufen: Diesmal allerdings feierte man die ‚rheinische‘ Tausendjahrfeier der Zugehörigkeit zu Deutschland. Entgegen dieser nationalen Interpretation ist herauszustellen, dass bei den Reichsteilungen und -zuordnungen ethnische oder sprachliche Grenzen nicht berücksichtigt wurden. Der Begriff der Nation bleibt trotz der Selbstbezeichnung Ludwigs des Deutschen oder des Begriffs regnum Teutonicum eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Statt nationaler Interessen standen im Mittelalter rein machtpolitische im Vordergrund.


Abb. 2: Der kolorierte Kupferstich vonLorenz Janscha und Johann Ziegler aus der Sammlung „Malerische Ansichten des Rheinstroms von Speyer bis Düsseldorf, 1798“ zeigt eine Ansicht des „Königsstuhls bey Rense gegen Lahnstein“. Auf dem mittelalterlichen Königsstuhl wurden wichtige Angelegenheiten des Reiches beraten und Kaiser und Könige gewählt oder abgesetzt.

Insbesondere für die kirchlichen Machtbereiche war der Anschluss Lothringens an das Ostreich entscheidend. Seit der Neuordnung der fränkischen Kirche unter Karl dem Großen, die eine an der römischen Provinzeinteilung orientierte Wiederherstellung der Metropolitanverfassung bedeutete, teilte sich das Rheinland in drei Kirchenprovinzen, in deren Mittelpunkt die zu Metropolen erhobenen Städte Trier (779/80), Mainz (782) und Köln (800) standen. Wäre die Trierer Kirchenprovinz bei einer westfränkischen ‚Lösung‘ erhalten geblieben, hätte dies die Zersplitterung des Kölner Einflussbereichs, der sich bis zu den als Suffragane unterstellten Bistümern Münster, Osnabrück und Minden erstreckte, bedeutet. Mit der Eingliederung Lothringens in das Ostreich ist wiederum eine politische Zäsur angesprochen, die allerdings bis zur Jahrtausendwende nicht als gefestigt und unumkehrbar bezeichnet werden kann. Vielmehr blieb die Option einer Hinwendung zum karolingisch regierten Westreich verfügbar. Der hierfür grundlegende fränkisch-karolingische Reichsgedanke mochte auch Motiv für den Sohn Heinrichs I., Otto I., gewesen sein, an diese Tradition anzuknüpfen und sich 936 in Aachen zum König krönen und salben zu lassen. In fränkischer Tracht suchte er sich in einer entsprechenden Herrschertradition zu legitimieren. Dies mochte zusammen mit dem Zankapfel Lothringen zwischen Ost- und Westreich auch dazu geführt haben, dass das Rheinland nun „Reichs- bzw. Königslandschaft“ wurde. Zum Inbegriff der rheinischen Königslandschaft wird dann im 14. Jahrhundert der vermutlich auf Veranlassung Karls IV. errichtete Königsstuhl in Rhense, dem Ort der mittelalterlichen Königswahl durch die sieben Kurfürsten (Abb. 2). Auch hieran knüpfte die nationale Geschichtsschreibung Jahrhunderte später an. Im 19. Jahrhundert arriviert die Wiedererrichtung des 1804 durch die Franzosen zerstörten Bauwerks zum nationalen Ereignis. Voraussetzung für die Nähe des Rheinlands zum König war die Beseitigung des fränkischen Herzogtums im Rheinland. Das Deutsche Reich von 918 kann insgesamt als Zusammenschluss der als Herzogtümer organisierten „historischen Landschaften“ Franken, Sachsen, Bayern und Schwaben angesehen werden. Deren Reichtum und Macht führte dazu, dass die Könige sich ihrer Loyalität versichern mussten, um die Stabilität des Königtums zu gewährleisten. So suchte Otto I. (936–973) durch Eheschließungen die Herzogtümer an sich zu binden. Diese Verwandtschaftsbeziehungen konnten jedoch nicht die Fürstenverschwörung Eberhards von Franken, Giselberts von Lothringen sowie des Königbruders Heinrich gegen Otto I. verhindern, deren Niederschlagung schließlich zum kontinuierlichen Machtverlust des lothringischen Herzogtums führte. In dem entstehenden Machtvakuum am Rhein etablierten sich andere Formen der Herrschaftsorganisation: Einerseits rückten die Pfalzgrafen auf, andererseits vergrößerten sich Macht und Besitz der Kirche. Pfalzgrafen und die bischöflich organisierte Kirchenmacht agierten im Namen des Königs, der so das Rheinland zur Königslandschaft umstrukturieren und seinen Einfluss gegenüber Frankreich signalisieren konnte. Insbesondere Bischöfe wurden mit Besitz und Herrschaftsrechten ausgestattet, das ottonisch-salische Reichskirchensystem zur beherrschenden Macht am Rhein. Es basierte auf der Besitzakkumulation von Reichsgütern wie auch auf der entscheidenden Rolle des Königs, der weiterhin Einfluss auf die Besetzung der Reichsprälaturen, Bistümer und Abteien hatte. Es konnte sich aber nur bis zum Investiturstreit halten, denn die entscheidende Voraussetzung dieses Systems war, dass der König als rex et sacerdos nicht angezweifelt wurde. Die Verquickung von Königtum und Macht wird insbesondere in der Herrschaftspraxis Ottos I. deutlich. Sie legt die Basis für das Reichskirchensystem: Otto I., der 962 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, sicherte sich – nach dem Aufstand Liudolfs und Konrads des Roten 953/54 – das Erzbistum Köln, indem er seinen Bruder Brun dadurch zum „Reichsbischof“ machte, dass er ihn zum Erzbischof erhob und ihm gleichzeitig die lothringische Herzogswürde übertrug. Auch in der Besetzung der Erzbistümer Trier und Mainz konnte Otto I. seinen Einfluss geltend machen. War der Trierer Erzbischof Ruatbert (931–956) sein Onkel, konnte er seinen unehelichen Sohn Wilhelm in Mainz einsetzen. In der Folgezeit etablierte sich dieses System, und Königsnähe, d.h. Verwandtschaft oder Hofdienst, wurde zur entscheidenden Bedingung für den Aufstieg zum Bischof. Sie versprach der Königsherrschaft Einfluss, Festigkeit und Persistenz. Die mit Brun begonnene Ämterakkumulation von Herzogsgewalt und Erzbischoftum führte schließlich dazu, dass die Kölner Kirche unter Erzbischof Anno II. (1056–1075) in die Stellung der Pfalzgrafen aufrückte. Diese ursprünglichen Hofrichter (Comes Palatii) konnten in der ottonischen Zeit trotz der königlichen Präsenz am Rhein ihren politischen Einfluss ausbauen, indem sie durch die Kumulation von Grafenrechten eine der herzoglichen Machtstellung ähnliche Pfalzgrafengewalt auf sich vereinten. Noch unter dem ersten Salier-König Konrad II. (1024–1039) blieb ihre Autorität unangetastet. Erst Heinrich III. wandte sich gegen die Pfalzgrafenmacht der Ezzonen, deren Einflussgebiet am Rhein und an der Mosel sich beständig vermehrte, und versetzte die Familie kurzerhand nach Schwaben und Bayern. Mit dem Niedergang der Pfalzgrafschaften waren Königtum und Kirche in ihrer Machtausübung fast konkurrenzlos. Durch die Übertragung der Herzogsgewalt an den Erzbischof Anno II., mit dem die Kölner Kirche in die Stellung der Pfalzgrafen rückte, suchte der König dem aufsteigenden Dynastenadel eine unüberwindliche kirchliche Macht entgegenzustellen. Die Kölner Erzbischöfe schafften es, einen Lehnshof aufzubauen, der sowohl über eine kriegstüchtige Dienstmannschaft verfügte als auch über einen beträchtlichen Vasallenstab. Dessen Einflussbereich erstreckte sich bis in das Bistumsgebiet der Trierer Kirche. Bis zum Ende des Hochmittelalters konnten die Kölner Erzbischöfe die königlich-bischöfliche Kooperation wie auch ihre Stellung als stärkste ordnungsstiftende Macht im Rheinland bewahren.

Die für die Region charakteristische königlich-bischöfliche Kooperation überdauerte selbst die Zeit des Investiturstreits, wenn auch das System der Reichskirchen das Wormser Konkordat (1122) nicht überlebte. Mit ihm wurde die Investitur und Benennung der Bischöfe durch den König verboten und dem Reichskirchensystem faktisch die Grundlage entzogen. Auch im Rheinland zeigen die Bischofslisten den Machtverlust des Königs an. Allein Friedrich I. Barbarossa gelang es nochmals, in Fragen der Bischofsbenennung seinen Einfluß geltend zu machen, als er 1159 seinen Kanzler Rainald von Dassel zum Erzbischof von Köln einsetzte.

Mythos Rhein

Подняться наверх